Re: Kompromisslos?
Zitat: Ursprünglich eingetragen von Elke Philburn
Die Reform besteht doch vor allem darin, dass die Leute die neue Rechtschreibung anwenden, nicht dass nun auf den Regalen ein Regelwerk steht, egal ob es jeder beherrscht und beherzigt oder auch nicht.
Fest steht, daß sich in dem, was heute in Deutschland an Schriftwerk gedruckt wird, ein Durcheinander breitgemacht hat, das es so zuletzt im 19. Jahrhundert gegeben hat. Von der hochkulturellen Entwicklung her ist also ein beachtlicher Rückschritt zu beklagen. Das wäre auch kaum anders, wenn niemand auf der alten Rechtschreibung beharren würde, denn mit der Beherrschung der neuen sieht es ja recht ärmlich aus. Und wenn das nach fünf Jahren, seit denen sie öffentlich bekannt ist, immer noch so aussieht, dann kann mit der Behauptung, mit der Reform würde alles einfacher (so sehr, daß der Riesenaufwand an Geld, Zeit und Energie für die Umsetzung sich überhaupt lohnt), ja wohl etwas nicht so ganz stimmen. Warum sollte man dann noch an ihr festhalten? Hinzu kommt natürlich, daß am Anfang die Wörterbücher ziemliche Abweichungen zueinander in der Auslegung der Neuregelung aufwiesen und die neuesten, nachgebesserten Auflagen andererseits vielfach gar nicht mehr korrekt der amtlichen Neuregelung folgen.
An alledem ist jedenfalls die Tatsache schuld, daß überhaupt ein neues Regelwerk in den Schulunterricht eingeführt wurde. Die Neuregelung ist der Erreger der Krankheit. Insofern ist die Reform eben seit fünf Jahren da. Es ist natürlich gerade erst die Hälfte der Übergangsfrist verstrichen, die inzwischen von Kultusministern gern als Erprobungszeitraum bezeichnet wird. Und eben, weil sich noch alles in der Schwebe befindet, muß man sich jetzt bemühen, das Bewußtsein in der Allgemeinheit wachzuhalten, daß sie sich nicht von oben diktieren läßt, wie Sprache kodifiziert zu werden hat, noch dazu mit einem Ergebnis, das auf einen deutlichen Rückschritt hinausläuft (selbst wenn das Durcheinander nicht herrschen würde), damit sich der Unsinn nicht erst noch festtritt. Mögliche und sehr wahrscheinliche psychologische Folge wäre dann, daß die Rechtschreibung allgemein nicht mehr so genau genommen wird. In der breiten Anwendung wird die Präzision bei der Anwendung von Schriftsprache nach und nach verlottern. Und das in einer Zeit, in der schriftsprachliche Kompetenz wichtiger denn je ist, da mehr denn je schriftlich miteinander kommuniziert wird.
Zitat: (Davon abgesehen: Ich bewundere den persönlichen Einsatz und die Aufopferung zum Wohl der Schriftsprache, meine allerdings, dass niemand dafür seine Gesundheit oder sein Wohlergehen dafür aufs Spiel setzen sollte, falls das mit 'Rand des Ruins' gemeint war).
Wenn unsere Regierungen sich wirklich demokratisch verhalten würden, wäre solch ein Einsatz gar nicht nötig. Weil nun aber dahinter auch ein schamlos dreister Demokratieverrat steckt, eine schleichende Entleerung des Begriffs für Volksherrschaft, ist so mancher auch bereit, sein Engagement so weit zu treiben. In der Vergangenheit haben etliche Menschen für die Demokratie ihr Leben aufs Spiel gesetzt oder sogar verloren! Was für ein Risiko sind 1989 die damaligen DDR-Bürger eingegangen, als sie für die Demokratie auf die Straße gingen! Heute wird behauptet, sie würde existieren. Die Mächtigen bedienen sich einer Rhetorik, in der das Wort für jeden Zweck beschworen wird. An Vorgängen wie der Rechtschreibreform wird die Scheindemokratieheiligkeit der Politik so deutlich, daß zumindest ich das nicht mehr hinnehmen will, nicht mehr hinnehmen kann. Da ist eine Schwelle übertreten worden, die mich zum Protest geradezu zwingt (wozu ja auch im Grundgesetz bereits das Recht zum Widerstand besteht). Ich würde meine Zeit auch lieber mit anderen Dingen verbringen. Aber wenn die Obrigkeit gegen den ausdrücklich mehrheitlichen Volkswillen Sprachnormen ändert, dann ist das ganz einfach unakzeptabel. Jedesmal, wenn ich 1984 lese, ist wieder mehr davon wahr geworden. Ich wehre lieber den Anfängen, zu einer Zeit, in der ich dafür noch nicht mein Leben aufs Spiel setzen muß.
Eine Rücknahme der Rechtschreibreform wäre nämlich auch ein scharfes Signal, ja, geradezu ein omnipräsentes Denkmal dafür, daß das Volk eben doch noch seine grundgesetzlich verbriefte Souveränität zur Geltung bringen kann. Es herrscht doch heute überall diese typische Politikverdrossenheit: Die da oben machen doch eh, was sie wollen, da kann man ja doch nichts gegen machen. Die Menschen sollen sehen, daß das nicht stimmt! Und am besten, sie werden daran schon bei der täglichen Zeitungslektüre durch die dortigen Schreibweisen erinnert, die eben nicht der Unterwerfung selbst dessen huldigen, was eigentlich doch überall abgelehnt wird.
Zitat: Meiner Idealvorstellung entspräche ein Regelwerk a la Ickler, das einen kurzen, überschaubaren Teil zu bewährten Aspekten der Reform enthält, die sich jeder schnell und unkompliziert aneignen kann. Eine Wohltat also für alle, die sich bisher mit mehr oder weniger sinnvollen Kurzdarstellungen der Rechtschreibreform herumgeplagt haben.
Na, ist doch toll, daß es schon das gibt, was Ihren Idealvorstellungen entspricht! Dann empfehlen Sie Ihren Studenten doch das Rechtschreib-Wörterbuch von Ickler. Damit tun Sie denen garantiert etwas Gutes. Denn mit der Verwendung der alten Rechtschreibung blamiert sich bestimmt niemand. Die besten Literaten deutscher Sprache halten an ihr fest.
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