Haß-Zumkehr
Ulrike Haß-Zumkehr ist langjährige Mitarbeiterin des Instituts für deutsche Sprache und enge Mitarbeiterin von Direktor Stickel. Hier einige Abschnitte aus ihrem Buch, anschließend ein kurzer Kommentar (den ich wohl schon einmal hier eingerückt hatte):
Vier Jahre nach der zweiten erschien bereits die dritte Auflage des großen Duden-Wörterbuchs. (...) Grund für diese bei mehrbändigen Wörterbüchern ungewöhnliche Eile war die staatliche Neuregelung der deutschen Orthografie. (...)
Was für ein wissenschaftlich-philologisches Wörterbuch undenkbar scheint, hat der Duden aus seinem Selbstverständnis als Richtschnur in Sprachfragen getan, nämlich die Schreibung der Belege, die aus dem gesamten 20. Jahrhundert und damit größtenteils aus der Zeit vor der Rechtschreibreform stammen, der Neuregelung anzupassen und entsprechend zu verändern.
Bei einigen Kritikern, solchen, die sich in erster Linie als Agitatoren gegen die Rechtschreibreform betätigt hatten wie Ickler, löste dieses Verfahren einen Aufschrei des Entsetzens aus:
Mit manipuliertem Quellenmaterial wird der Eindruck erweckt, deutsche Schriftsteller wie Thomas Mann, Stefan Heym oder Edgar Hilsenrath hätten schon vor Jahrzehnten so geschrieben, wie es jetzt die Reformwillkür befiehlt. (Krieger 2000)
Das hier belegte Verfahren der Duden-Redaktion belegt, welch hohes Gewicht der Duden-Verlag der Orientierungsleistung aller seiner Produkte beimisst, nicht nur der des
Rechtschreibwörterbuchs. Demgegenüber kann die Dokumentationsfunktion, die im Vorwort kurz erwähnt wird ("...ist die umfassende und authentische Dokumentation der
deutschen Sprache vor dem Übergang ins neue Jahrtausend,), kaum lexikografische Folgen erzwingen. (...)
Wer hier philologisches Geschütz auffährt, sollte sich zuvor daran erinnern, dass auch das philologischste aller deutschen Wörterbücher, das DWB, vor allem in den von Jacob und Wilhelm Grimm bearbeiteten Teilen die Schreibung der Belege sehr eigenen Maßstäben angepasst ist, von denen die radikale Kleinschreibung am auffälligsten ist.
(Aus: Ulrike Haß-Zumkehr: Deutsche Wörterbücher. Berlin 2001, S. 246f.)
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Haß-Zumkehr nennt einerseits die Veränderung der Schreibweise für ein wissenschaftlich-philologisches Wörterbuch undenkbar, erinnert aber zur Verteidigung
dieses Verfahrens anderseits daran, daß das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm als philologischstes aller deutschen Wörterbücher, genau dies getan habe. Der Widerspruch, den sie offenbar gar nicht bemerkt hat, löst sich natürlich insofern auf, als zu Grimms Zeiten noch andere Maßstäbe herrschten, was die Editionspraxis und Zitierweise betrifft.
Ferner muß man bedenken, daß Grimms Wörterbuch nicht zu einer solchen Verfälschung führt wie der neue Duden-Zehnbänder, denn das DWB vernichtet keine Wörter und legt ungeachtet der Kleinschreibung gerade auf die Bestimmung der Wortarten und Wortbildungen großen Wert. Gerade dort findet man also zum Beispiel die
Zusammensetzung Handvoll, während der Duden sie vernichtet usw.
Immerhin sind wir dankbar für die Klarstellung, daß dem Duden die Durchsetzung der Rechtschreibreform wichtiger ist als die wissenschaftliche Dokumentation des deutschen
Wortschatzes.
Im übrigen findet sich in dem gesamten Buch die bekannte jahrzehntealte Animosität des IDS gegen den Dudenverlag, dessen Entmachtung über viele Jahre hin das Ziel der vom
IDS ausgehenden Reformaktivitäten gewesen ist. Die Angriffe auf den kommerziellen Duden sind mit Eigenwerbung des IDS verbunden.
Das Buch ist in einer Art Reformorthographie gehalten, die, wie auch andere Schriften von IDS-Mitarbeitern, stark von der amtlichen Neuregelung abweicht.
Zusammengeschrieben werden zum Beispiel sogenannt, selbstgebildet, selbstgesponnen (u.ä.), schwerverständlich, fertigstellen, verlorengeangen, kennenlernen,
durcheinanderwürfeln, ernstzunehmende;
klein geschrieben werden recht haben, ein drittes, im übrigen, im allgemeinen, letzerer, im einzelnen, einer der ersten u.a.;
ck wird wieder getrennt: dek-ken.
Es bleibt also fast nur die ss-Schreibung.
Da man annehmen darf, daß mitten im IDS besonders gute Kenntnisse über die weiteren Absichten der Reformer verbreitet sind, läßt sich vielleicht schließen, daß diese Rücknahmen auch offiziell bevorstehen.
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Th. Ickler
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