»Das ist Englisch!«, sagte R., »wollen Sie's lernen? Dann können Sie mit mir nach *** kommen und einen reichen Mann heiraten!«
Sie errötete stark. »Lernen möchte ich es schon,« sagte sie, »vielleicht fahr ich doch einmal hinüber, wenn es hier zu arg wird.«
R. sprach ihr einige Worte vor; sie lachte, bemühte sich aber, in den Geist der wunderbaren Laute einzudringen, und es gelang ihr noch am gleichen Abend, eine Reihe von Worten richtig zu wiederholen und das Alphabet englisch auszusprechen. Ernstlich schlug er ihr nun vor, jeden Abend eine förmliche Unterrichtsstunde bei ihm durchzumachen. Sie tat es mit ebensoviel Eifer als Geschick; kaum waren zwei Wochen verflossen, so sah R. daß dieses höchst merkwürdige Wesen, das sich selbst nicht kannte, alles zu lernen imstande war, ohne einen Augenblick die demütige Ruhe zu verlieren. Er schlug plötzlich das Buch zu, über welchem sie zusammen saßen, ergriff ihre Hand und sagte:
»Liebe Elke, ich will nicht länger warten und säumen! Wollen Sie meine Frau sein und mit mir gehen?«
Sie zuckte zusammen, erbleichte und starrte ihn an, wie eine Tote.
...
(Gottfried Keller, Das Sinngedicht, 1881 [Orell Füssli ¿?¿])
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Walter Lachenmann
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