Pegnesisch
Theodor Ickler: Das Rechtschreibwörterbuch. Sinnvoll schreiben, trennen, Zeichen setzen, Leibniz Verlag, St. Goar, 2000.
Als mir der Buchhändler den Band über den Ladentisch schob, bemerkte er mein Stutzen; Nicht wahr? Wie der Duden! Gelb; mit dünnen roten Strichen eingefaßt ein schwarzes Titelfeld. Wenn ich Heinz Erhardt wäre, würde ich sagen: Mir entfuhr ein Kopfschütteln — mußte das sein? Beim Auspacken zuhause, nachdem ich den halbdurchsichtigen Schutzumschlag entfernt hatte, stellte sich das vermeintlich schwarze Feld als sattgrün heraus, und mit der Ähnlichkeit war es nicht mehr so weit her. Ganz schön raffiniert!
In seinem Vortrag, den er am 10. April im Blumenorden hielt, kündigte Herr Prof. Dr. Ickler an, er werde seinem Rechtschreibwörterbuch zwei Regelteile voranstellen: einen, der ungefähr das enthält, was ein gebildeter Erwachsener über die deutsche Rechtschreibung weiß" (Vorwort des vorliegenden Buches, S. 12.) und einen ausführlicheren für Spezialisten. Dieses Versprechen hat er voll und ganz eingelöst.
Mit dem ungefähr wird der unbestreitbaren Tatsache Rechnung getragen, daß das System Sprache eine zunächst nur aus Gewohnheit erwachsende, ständig im Fluß befindliche Konvention ist, der ein Regelsystem nicht vorgegeben, sondern nur abgelauscht werden kann; sonst verhält sich der Regelverfasser anmaßend. Eben solche Anmaßung der Reformer bringt Fachleute wie Herrn Ickler gegen die jüngsten Festlegungen auf. Sie behaupten, daß die Reform der zu beobachtenden Sprachentwicklung widerspreche. Überhaupt sei es ein Denkfehler, das Erlernen des Schreibens erleichtern zu wollen, wenn eine Erschwerung des Lesens damit einhergehe. Gebildet ist wohl in diesem Zusammenhang derjenige zu nennen, der ein erfahrener Leser ist und als solcher von richtig geschriebenen Texten einen Verständnisvorteil gegenüber falsch geschriebenen hat, auch wenn er beim Schreiben zuweilen selber nicht genau weiß, was richtig ist. Dafür gibt man ihm ein Wörterverzeichnis und einige Erinnerungen an unterschiedliche Funktionen der Schreibung an die Hand. So betrachtet, wäre ein Hauptschulabschluß für diese Art von Gebildet-Sein ausreichend.
Die Frage ist natürlich, warum auch Absolventen höherer Ausbildungsabschlüsse schon immer Schwierigkeiten mit zahlreichen Sonderregeln und Ausnahmen hatten und ob es angesichts dieser Schwierigkeiten nicht doch angebracht gewesen sei, über Vereinfachungen nachzudenken. Bevor man sich den oft zitierten salomonischen Spruch Harald Weinrichs zu eigen macht, wir bräuchten keine Rechtschreibreform, sondern mehr Toleranz, muß man noch auf Icklers Duden-Schelte eingehen: Die Rechtschreibung war nie dasselbe wie ihre Darstellung im Duden. Der Duden wiederum bestand aus einem recht liberal gefaßten Regelwerk und einem Wörterverzeichnis, das […] die Regeln mehr und mehr in allzu engherziger Weise auslegte, so daß es zu zahlreichen Haarspaltereien und unrealistischen Einzelfestlegungen gekommen war. (Vorwort, S. 10.) In Icklers Sinne wäre Toleranz also durch einen Abbau des allzu genauen Unterscheidens zu erreichen gewesen? Freilich ist das selbst unrealistisch: Wer sich ein feines Unterscheidungsvermögen erworben hat, wer daraus ein System von Regeln abgezogen hat und gar noch davon seinen Lebensunterhalt bestreitet, wird kaum zu Vereinfachungen bereit sein, weil sie ihm als Verlust auf jeder Ebene seiner Existenz erscheinen und einen Sinnverlust sprachlicher Äußerungen befürchten lassen. Das ist doch genau die Reaktion der Befürworter herkömmlicher Schreibungen auf die Rechtschreibreform! Will man gleiche Einstellungen der vormaligen Duden-Redaktion nicht zugute halten?
Auch Ickler sieht sich aufgefordert, gegenüber seiner Versuchsauflage in dieser Neuauflage seines Wörterbuchs wesentlich mehr Stichwörter zu liefern, und will die computergestützte Nachprüfung an umfangreichen Textsammlungen weiterführen. (Vorwort, S. 13.) Um Rückfall in den vielbeklagten früheren Zustand zu vermeiden, d.h. um zu vermeiden, daß sein Wörterbuch, einer gewissen Eigengesetzlichkeit des Beispielesammelns folgend, den Weg des Duden bloß wieder nachschreitet, verzichtet er etwa bei der Getrennt- und Zusammenschreibung auf Eindeutigkeit in den Angaben des Wörterverzeichnisses. Entschiede der Lexikograph im Sinne der ,Eindeutigkeit’ bei jedem Wort, ob es getrennt oder zusammenzuschreiben sei, dann wüßte der Benutzer zwar, daß eine Festlegung existiert, er müßte aber jedesmal nachschlagen, um herauszubekommen, wie sie aussieht. (Vorwort, S. 13.) Ein Wörterbuch, das eigentlich gar nicht zum Nachschlagen bestimmt ist, kann einem faulen Benutzer, wie ich es bin, ganz recht sein. Ich halte mich an die Regeln für Hauptschüler. Und die Beispiele sind gut gewählt, nicht an den Haaren herbeigezogen wie manches unsinnige Musterdiktat voller Schwierigkeiten, die alle heiligen Zeiten einmal auftauchen und dann umgangen werden könnten: Man sieht, warum die Sprachgemeinschaft den Sinn einer Rede auf solche Weise durch die Schrift unterstützen wollte, z.B. großen Erfolg versprechend, aber erfolgversprechender — und deswegen auch erfolgversprechend.
Icklers Regelsatz für Spezialisten bringt gegenüber dem ersten etwa den Fortschritt, den ich als Verfasser einer mit Kommafehlern behafteten Doktorarbeit bis zum Dasein eines Gymnasiallehrers für das Fach Deutsch hinter mich bringen mußte. Nicht, daß ich’s genossen hätte; manches von der Vertiefung, die als Grundlage besserer Begründungen für das zu Lehrende hätte dienen sollen, diente am Ende einer veräußerlichten Abklassifikations-Maschinerie, die den Schülern nicht wirklich half, ein Sprachgefühl zu entwickeln. Ohne weit in der Bevölkerung verbreitetes Sprachgefühl jedoch sind alle Appelle an die Sprachgemeinschaft, zu denen auch Ickler neigt, bloß Illusion. Ich verstehe von daher, warum mein damaliger Referendarkollege Dr. Peter Naumann die reformierte Schreibung gerne unterrichtet: Besser als der vorige Wust ist sie allemal, und die vorläufig mißlungenen Schreibungen kann man zu vertiefenden Erörterungen nutzen.
Man kann es aber auch wie Ickler machen: die genaueren Begründungen auf ein sprachwissenschaftliches Fundament stellen, das sich nicht schon als linguistische Leistung mit abschreckender Terminologie in den Vordergrund schiebt, sondern mithilfe eines beigegebenen Glossars leicht zu durchschauen und anhand der (wiederum sehr geglückten) Beispiele gut einzuüben ist. Neu waren mir Fachausdrücke wie Silbengelenk (als Funktion der Verdopplungen bei "Ärztinnen gegenüber "Ärztin oder Erlebnisse gegenüber Erlebnis), Vorfeld und Linksversetzung zur Kennzeichnung von Positionen im Satz, oder Verschränkung — Hinüberziehen eines Satzgliedes in den übergeordneten Satz. Überflüssig fand ich solche Belehrung nicht und nehme sie dankbar an mit dem Spruch Man lernt nie aus anstatt zu stöhnen Was denn noch alles? Dies ist ein Vorzug der Icklerschen Darstellung.
Erreichbare Klarheit vermissen lassen allerdings die Begründungen der Großschreibung. Durch die Großschreibung in Substantivgruppen [?] wird sichtbar gemacht, wovon in einem Text die Rede ist. — Anm.: […] Typische Redegegenstände sind die Träger von Eigennamen. Der Gegenstand der Rede kann in allen primären und nichtprimären Satzgliedpositionen vorkommen. Dies und die Nähe zu den Eigennamen machen das Substantiv zur bevorzugt groß geschriebenen Wortart. Durch Substantivierung werden Sachverhalte zu Redegegenständen gemacht, […]" (S. 44.) — Erstens kann man sehr wohl von der geradezu lateinischen Ansicht abkommen, daß die wesentlichen Redeteile Hauptwörter seien. Ich halte es in meiner Praxis für hilfreicher, das Tätigkeitswort bzw. die Gruppe von Wörtern, die das Prädikat eines Satzes ausmachen, als Kern der Rede zum Ausgangspunkt des Verständnisses zu machen. Schließlich kann man mit Hauptwörtern allein nur eine Aufzählung zustandebringen, aber ein Satz braucht mindestens ein Verb. Zweitens kann man in Icklers Erklärung die Unterscheidung kaum ahnen zwischen der Wortart Hauptwort und der hauptwörtlichen Funktion von Hauptwörtern, aber auch anderen Wortarten, im Satz. Unser Mitglied Horst Ludwig pflegt diese Unterscheidung zwischen Wortart und Funktion im Satz schon lange und hat u.a. in den Mitteilungen Nr. 20, September 1997, S. 8 uns darauf hingewiesen.
Nachdem die Frankfurter Allgemeine Zeitung die alte Rechtschreibung wieder eingeführt hat, wittern die Verächter der neuen Morgenluft. Herr Ickler gab der neuen Schreibung in seinem Vortrag nicht die Aussicht zu, bis 2005 zu überleben, sondern meinte, das ganze aufgeblasene Wesen werde bald implodieren. Überhaupt schien er sich viel lieber mit politischen Hintergründen und Verschwörungstheorien zu befassen (Muster: Ich könnte jetzt einen Namen nennen, tu’s aber nicht) als uns systematische sprachkundliche Auskunft anhand gut ausgewählter Beispiele zu geben. (Kurioserweise war der Vortrag, den uns der Jurist Prof. Dr. Gröschner zum selben Thema am 15. Mai 1998 hielt, in dieser Hinsicht ergiebiger gewesen.) Es ist nur gut, daß man anhand des Icklerschen Wörterbuches sieht, daß wirklich gute Arbeit geleistet worden ist und daß es auch einem Gegner der Reform möglich ist, ein besonnenes Vorwort zu schreiben.
Eine gute Sache kann nicht ohne ein gehöriges Maß an Eifer angepackt werden, zumal, wenn so viel pusselige (pußlige? — ach was!) Fleißarbeit dahintersteckt. Aus dem Eifer geht natürlich leicht ein Eifern hervor, wenn man auf ganz versteckte Weise immer mal wieder die Macht der Verhältnisse zu spüren bekommt. Und von da ist es zum Geifern auch nur noch ein kleiner Schritt. Ich bekomme jeden Tag zwischen zwei und fünf e-Mails von Herrn OStR Manfred Riebe aus Schwaig, der offenbar seinem Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V. mit einer unermüdlichen Internet-Kampagne zu Einfluß verhelfen möchte. Das kann man an sich gutheißen, wenn es nur nicht mit schrillen Ausfällen gegen das Medienkartell, mit ohnmächtiger Angst vor Bertelsmann- und Duden-Verlag, mit Mannesmut vor Königsthronen gegen die Kultusbürokratie und Häme gegen Leute aus dem eigenen Lager einherginge. Das geht bis zur Veröffentlichung einer Liste der Verantwortlichen für die Rechtschreibreform. Was fängt man mit einer solchen Liste an? Schüttet man diesen Leuten die Festplatten mit Haß-e-Mails zu? Schmeißt man ihnen in Wallensteinischer Studentenmanier die Butzenscheiben ein? Oder irgendwas Pogromartiges dazwischen? Der Blumenorden kann sich von solchen Äußerungsformen eines vielleicht in Teilen berechtigten heiligen Zornes gar nicht deutlich genug distanzieren. Es gibt schon genug Heilige Kriege auf der Welt. Die irenischen Pegnitzschäfer sind nicht dazu angetreten, diese zu vermehren. Das heißt nicht, daß wir nicht an der Erhaltung und Ausbildung des Sprachgefühls mitwirken wollen. Das heißt auch nicht, daß Herr Riebe keine Informationen zu liefern hätte, die auch einmal in unserem Sprachpflegeausschuß erörtert werden könnten.
http://www.ai.fh-nuernberg.de/Professors/Kuegel/Blumenorden/ICKLER29.HTM
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