In Sachsen-Anhalt war 2001 eines der Abiturthemen im Fach Deutsch ein Artikel von Peter Wapnewski zum Thema Rechtschreibreform (aus dem 'Tagesspiegel' vom 6.8.2000): Welche Farbe hat des Kaisers Bart?. In diesem Artikel vertritt Wapnewski die Ansicht, daß die Reform zwar mißlungen sei, aber kein wirklicher Grund zur Aufregung. Zum einen gebe es Wichtigeres (die großen politischen Fragen), zum anderen sei die Sprache auf orthographischem Weg nicht wirklich zu beschädigen; was sie wahrhaft schändet und erniedrigt, sind Wapnewski zufolge Slogans der Werbung, Phrasen der Wirtschaft und der Politik, Anglizismen und Szenedeutsch. Wapnewski fragt, warum Deutschlands Dichter und Denker nicht zum Widerstand gegen dieses Pidgin-Deutsch aufrufen.
"Aber zu dem Stoff, aus dem ihr Tun gemacht ist, schweigen sie. Nicht hingegen zu der Art, wie dieser Stoff geschrieben werden soll. Sie jauchzen auf, hört man, angesichts des Entschlusses eines großen Intelligenzblattes, zurückzukehren zur alten Duden-Schreibung, sie scheinen das als Befreiung zu empfinden von quälender Fessel. Das darf uns wundern. Denn nicht einer von ihnen war gehalten, sich in seiner Schriftlichkeit zu äußern nach neuen Regeln, so wenig wie nach alten. Sie konnten und können weiterhin schreiben, wie ihnen die Feder gewachsen ist, wie wir alle."
- Ich will diesen in neuer Rechtschreibung gehaltenen Artikel hier gar nicht kommentieren. Ich will nur aufmerksam machen auf die Tatsache, daß Abiturienten im Jahr 2001 gar nicht mehr erst erörtern sollen, wie gut oder schlecht die neue Rechtschreibung ist (denn davon, daß sie schlecht ist, geht Wapnewski, obwohl er ihr folgt, ohnehin aus), sondern bloß noch, ob man sich ihr nicht trotzdem besser fügt.
"Reform der Reform, das klingt recht hübsch, aber ob ein solcher Schritt nicht noch mehr Verwirrung bringt in einen verwirrten Zustand, sollte man noch fragen dürfen."
- Wapnewskis Aufsatz war Thema Nr.1 von insgesamt vieren, die zur Auswahl standen, Thema Nr.2 war Heinrich von Kleists Erzählung Das Bettelweib von Locarno, die den Abiturienten nicht in reformierter und auch nicht in Kleists originaler Orthographie vorgelegt wurde, sondern in herkömmlicher, ebenso wie Thema Nr.3 (ein Auszug aus Büchner, Dantons Tod). Thema Nr.4 waren zwei Gedichte von Karoline von Günderrode bzw. Ingeborg Bachmann in der jeweiligen Originalorthographie von 1806 bzw.1964.
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Jörg Metes
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