Legasthenie im weitesten Sinne
Wer die wissenschaftliche Wahrheit und dazu gehört auch die historische Wahrheit erforschen will, muß auch unbequeme Fragen stellen. Daß solche unangenehmen Fragen nicht gestellt, sondern verdrängt und tabuisiert wurden, haben wir an der Nichterwähnung der Rechtschreibreform des Dritten Reiches durch die Reformer und Kultusminister gesehen.
Warum wurde die sogenannte Rechtschreibreform geschaffen? Doch wegen der miserablen Rechtschreibleistungen. Das ist Legasthenie im weitesten Sinne, so wie sie auch Unternehmer und Journalisten verstehen. Daraus resultiert meine Frage: War es richtig, die Legasthenie als Maßstab für die Rechtschreibreform zu nehmen? Ich hätte auch fragen können: War es richtig, die Lese-Rechtschreib-Schwäche als Maßstab für die Rechtschreibreform zu nehmen? Ob es sich dabei um eine Lese-Rechtschreib-Schwäche in Form von Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, fehlenden Übungen oder um Sehbehinderungen bzw. das Nichtaufsetzen einer Brille bei Kurzsichtigkeit oder Hörbehinderungen oder um eine leichte Legasthenie ohne wesentliche Beeinträchtigungen der Schulleistungen, eine mittlere Form oder die seltene schwere Form der Legasthenie handelt, das zu unterscheiden, dürfte wenigen Lehrern gelingen.
Man gebe in die Suchmaschine http://www.google.de die Stichwörter Rechtschreibreform und Legasthenie ein. Es erscheint u.a. ein Hinweis auf den von Lehrer Norbert Schäbler dankenswerterweise eröffneten Strang in http://www.rechtschreibreform.de/Forum > Dokumente Legasthenie und LRS. Darin schreibt Theodor Ickler:
Zu den märchenhaften Einlassungen der Reformer gehört die Geschichte von dem Kind, das bisher aus Angst vor Rechtschreibfehlern kein Tagebuch zu führen oder der Oma einen Brief zu schreiben wagte und durch die Reform von seiner Angst befreit wird. So hat es Lutz Götze des öfteren dargestellt. Das Ganze ist frei erfunden, konkrete Beispiele sind nicht überliefert. Aber solche Geschichten mußten herhalten, die Reform zu begründen, und niemand hat gelacht. (Theodor Ickler: Entlastung, 29.10.2001 05.10).
Warum hat niemand gelacht? Ich glaube nicht, daß es sich um ein Märchen handelt, sondern daß es einen realen Hintergrund gibt. Dafür sprechen die Legasthenie-Erlasse der Kultusminister. Wie soll man denn konkrete Beispiele oder Personen nennen, die nicht von öffentlichem Interesse sind, ohne den Datenschutz und das Persönlichkeitsrecht zu verletzen?
Theodor Ickler: Wenn die Zeitungen auf das Thema Rechtschreibung kommen, dann geschieht das (seit der Tabuisierung des Themas RSR) fast ausschließlich im Zusammenhang mit Lese-Rechtschreib-Schwäche. In manchen Klassen sollen 5 Kinder mit dieser Krankheit sitzen, und heute fragt eine Zeitung, ob das eine kollektive Schwäche unserer Kinder sei. Ich bin kein Fachmann für LRS, aber das Ganze scheint mir absurd. (Theodor Ickler: Legasthenie Rechtschreibforum http://www.rechtschreibreform.com/, 18.02.2002 09.22 Uhr).
Als Berufsschullehrer mit langjährigen Unterrichts- und Korrekturerfahrungen halte ich es nicht für absurd, daß in manchen Klassen 5 Kinder oder Jugendliche mit Legasthenie sitzen. Auf der Suche nach der Wahrheit, sollte man den Bereich Legasthenie nicht dadurch aus der Diskussion verdrängen, daß man ihn für absurd erklärt. Lehrer werden mit Legasthenie sicher sehr viel öfter konfrontiert als Professoren. Sie sind aber nicht dafür ausgebildet, diese Behinderung zu erkennen und richtig mit ihr umzugehen.
Hier hat sich Günter Rupp öffentlich als Legastheniker vorgestellt und hat über dieses Thema geschrieben. Das ist selten. Aus politischer Korrektheit wurden in Zeitungen Artikel und Leserbriefe gegen die Rechtschreibreform unterdrückt. Eine Löschaktion im Falle eines Legasthenikers läge auf der gleichen Linie der Verletzung der Meinungsfreiheit.
Elke Philburn weist hin auf die Untersuchung von
Findeisen, Uwe / Hanke, Andrea / Melenk, Gisela: Rechtschreibschwäche und neue Rechtschreibreform. Erleichtert die neue Rechtschreibung das Lernen?, in: Bundesverband Legasthenie e.V. (Hrsg.): LRS, Zeitschrift des Bundesverbands Legasthenie, Heft Nr. 1/1997, S. 9-28 (http://legasthenie-therapie.de/html/body_rs-reform.html), vgl. Elke Philburn: Legastheniker und die RSR. 26.01.2002 16.08. Die Autoren stellten fest, daß die neue Rechtschreibung nur im Bereich der Groß-Klein-Schreibung eine systematische Vereinfachung erbringt, daß aber zusätzliche Schwierigkeiten auftreten, wo die Reformschreibung Gesetzmäßigkeiten des alten Rechtschreibsystems aufgehoben hat.
Vgl. auch den Aufsatz von Dr. Heinz Zangerle: Rechtschreibreform: Keine Erleichterung für Legastheniker. In: Austrian Legasthenie News, Dezember 1997 (http://www.legasthenie.at/aln4/page10.html)
Legastheniker-Verbände fragen nach den Auswirkungen der Rechtschreibreform auf Legastheniker. Es ist daher nicht abwegig zu fragen:
Haben einzelne Legastheniker und Legasthenie-Selbsthilfeverbände auf die Rechtschreibreformer Einfluß genommen, eine Rechtschreibreform zu schaffen, um die Lernsituation für Legastheniker zu erleichtern?
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