Vorsicht / Suggestion
Zitat: Ursprünglich eingetragen von Elke Philburn
Die Art und Weise, wie z. B. in Großbritannien die Rechtschreibreform eingeführt wurde, war recht überzeugend: Heller tourte durch die Goethe-Institute und hielt Vorträge vor Lehrern und Dozenten mit anschließender Diskussion.
Der Eindruck war ganz klar, daß die neue Rechtschreibung kommt und daß Schüler und Studenten davon profitieren würden. Daß das Goethe-Institut eine Vorreiterrolle einnahm und zum frühestmöglichen Termin umstellte, erschien nur sinnvoll, denn man hätte ja mit der 'alten' Schreibung den Kursteilnehmern etwas beigebracht, das sie sich nach einigen Jahren doch wieder hätten abgewöhnen müssen.
Das ist die eine Seite der Medaille, und zwar jene, die ich recht gut nachvollziehen kann: Wenn man davon ausgeht, daß in Zukunft die neue Rechtschreibung die allgemein übliche sein wird und diese Annahme mag man 1996 in gewisser Weise zu recht getroffen haben, denn es galt ja noch das Prinzip, daß das gilt, was im Duden steht , ist es natürlich sehr sinnvoll, sich so bald als möglich nach der neuen Schreibung zu richten.
Ich kann nur spekulieren, aus welchem Grund man diese Annahme für berechtigt gehalten haben mag; ich persönlich war davon ausgegangen, daß die Reform harmlos sei und das hält, was von ihr versprochen wurde. Ich kam gar nicht auf den Gedanken, die Neuregelung zu hinterfragen; ich habe mich auch nicht weiter inhaltlich damit beschäftigt.
Zitat: Klar, daß der Eindruck entstand, man müsse das schon irgendwie 'mitmachen', und sei es nur, um auf dem vermeintlich neuesten Stand zu sein.
Mir scheint, daß dieser Eindruck nicht nur einfach so entstand, sondern speziell gefördert wurde und das ist die andere Seite der Medaille. Aber hier muß man sehr vorsichtig sein, denn einerseits sind die Grenzen zwischen Information und Suggestion fließend, und andererseits muß vieles Spekulation bleiben, weil es im Rückblick betrachtet wird und man in die Leute nicht hineinschauen kann.
Nehmen zir zum Beispiel folgenden Text von Herrn Heller, der im November 1996 im Uni-Report (Mannheim) erschienen ist:
Zitat: Rechtschreibreform
Die Konsequenzen für die Universitäten
von Dr. Klaus Heller (Institut für deutsche Sprache, Mannheim)
dieser Text folgt den neuen Regeln -
Seit die politischen Vertreter der deutschsprachigen Staaten und weiterer interessierter Länder am 1. Juli 1996 in Wien ihre Unterschrift unter eine Gemeinsame Erklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung gesetzt haben, steht es allen frei nach den neuen Regeln zu schreiben. Schon gehen manche Zeitungen daran sich auf die neue Orthografie umzustellen und in den Schulen vieler deutscher Bundesländer werden die Erstklässler sinnvollerweise bereits mit der neuen Schreibung vertraut gemacht (was so am Anfang freilich nur wenige Wörter betrifft).
Wenngleich sich die Spielregeln, nach denen die Umstellung auf die neue Rechtschreibung geschehen soll, in den verschiedenen Lebensbereichen und von Land zu Land recht unterschiedlich darstellen, so sind doch einige Eckpunkte gesetzt, die allgemeine Gültigkeit besitzen. So gilt für alle deutschen Schulen, dass ab dem ersten Schultag des Jahres 1998 nur noch die neue Rechtschreibung gelehrt werden darf (auch wenn die alte noch weiter toleriert, d. h. zwar als überholt gekennzeichnet, aber nicht als falsch bewertet wird). Und es gilt allgemein, dass diese Zeit des Tolerierens der überholten Schreibung am 31. Juli des Jahres 2005 endet.
Für die Behörden gibt es unseres Wissens bisher keine Vorgriffsregelung, und so ist wohl davon auszugehen, dass der Stichtag für die Umstellung hier der 1. August 1998 bleiben wird. Was aber ist mit den Universitäten? Anders als die Schulen, die sich auf entsprechende Erlasse ihrer Ministerien berufen können und für die eine gewisse Einheitlichkeit des Vorgehens der Lehre wegen unerlässlich ist, sind noch keine Anweisungen bekannt, die die Hochschulen generell auf einen Umstellungstermin festlegen oder einen solchen Termin für die eine oder andere Alma Mater ins Auge fassen würden.
Eben, weil es hier nicht darum geht, Rechtschreibunterricht umzustellen, sondern die neuen Regeln wie in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens auch praktisch anzuwenden, und weil hier schließlich erwachsene Menschen miteinander verantwortlich umgehen, sind außerhalb der gegebenen Rahmenrichtlinien wohl keine weiteren Regelungen nötig. Jedenfalls nicht, soweit sie die Studenten betreffen, denen es während der gesamten Übergangszeit freistehen sollte noch die alte oder aber bereits die neue Orthografie zu verwenden. Das auch mit Rücksicht darauf, dass es sich bei den kommenden Examensjahrgängen um junge Menschen handelt, die durch ihre lange Schulzeit eine recht qualifizierte Ausbildung in der alten Schreibung erhalten haben. Sie benötigen nun etwas Zeit für die Umstellung, die ihnen im Hinblick auf ihr späteres Berufsleben nicht erspart bleiben kann. Wiederholt bin ich sorgenvoll gefragt worden, ob man denn jetzt seinem Examensvater noch mit der alten Orthografie kommen könne oder ob man sich nicht vielmehr gerade mit der neuen Schreibung unbeliebt mache.
Nun ist persönliche Sympathie oder Antipathie gegenüber der neuen Schreibung insgesamt oder aber gegenüber der einen oder andern Änderung nicht auszuschließen, doch muss wohl davon ausgegangen werden, dass derartige Einstellungen bei der Leistungsbewertung keine Rolle spielen dürfen und Hochschullehrer genügend Toleranz zeigen müssen, wenn es um korrekte Schreibungen geht, die sich als ?noch alt? oder ?schon neu? erkennen lassen. Im Bereich der Universitätsverwaltung allerdings wird wohl anders zu verfahren sein. Hier wird es wie in jeder anderen Institution und in jedem anderen Unternehmen auch eine Entscheidung geben müssen, ob und ab wann dienstliche Schreiben (einheitlich) in der neuen Orthografie abzufassen sind oder ob man es sich leisten kann damit bis 1998 zu warten.
Literaturauswahl zum Thema:
(...)
Was davon ist Information, was Suggestion? Darüber kann man mehr oder weniger schlaue Vermutungen anstellen es bleiben Vermutungen, weil m. E. zu einer Suggestion immer eine Absicht gehört. Aber woher will man wissen, woran Herr Heller beim Verfassen dieses Textes gedacht hat? Deshalb: Vorsicht.
Leichter ist dagegen zu klären, was Herr Heller in diesem Textes nicht berücksichtigt genauer: was nicht vorkommt , und das ist der dritte Aspekt: Die entscheidende Frage zum dem gewählten Thema wird ja gar nicht gestellt: Ist eine solche Anweisung, von der im dritten Absatz die Rede ist, überhaupt möglich? Nirgends wird klar gesagt, ob der Staat überhaupt die Möglichkeit hat, den Universitäten bzgl. der Rechtschreibung etwas vorzuschreiben! Deshalb Vorsicht auch mit diesem Hellerschen Text! Wer sich mit den Kompetenzen auskennt, wird an dieser Stelle hellhörig. Aber wer kennt sich da schon so gut aus? Auch heute noch herrscht Unsicherheit bzw. Unklarheit darüber, inwieweit die Unis dem Bereich Verwaltung zuzuordnen sind.
Außerdem: Was soll das können sich berufen auf ... bedeuten? Das klingt für mich so, als ob die Schulen die Entscheidung, die neue Rechtschreibung zu unterrichten, in eigener Regie treffen würden und sich dafür gegenüber der Allgemeinheit rechtfertigen müßten, so daß ihnen der Erlaß als Begründung dienen könnte. Aber ist so ein Erlaß nicht schlichtweg bindend, so daß die Schulen verpflichtet sind, die neue Rechtschreibung zu unterrichten? Wenn ich mich hier geirrt haben sollte, würde ich mich über eine entsprechende Anmerkung freuen.
Zu dem genanten dritten Aspekt gehört noch, daß man schaut, was stattdessen in einem Text vorkommt, wenn der eigentlich entscheidende Punkt fehlt, jedoch etwas zum eigentlichen Thema gesagt weren muß. Hier verleitet einen m. E. diese Passage (der dritte Absatz) zu der Annahme, auch die Hochschulen könnten sich auf diesen Erlaß berufen. Das halte ich aber für unzutreffend. Schließlich heißt es ja im letzten Absatz:
»Im Bereich der Universitätsverwaltung allerdings wird wohl anders zu verfahren sein. Hier wird es wie in jeder anderen Institution und in jedem anderen Unternehmen auch eine Entscheidung geben müssen, ob und ab wann dienstliche Schreiben (einheitlich) in der neuen Orthografie abzufassen sind (...)«.
Mehr noch: Man könnte beim Lesen des Textes sogar annehmen, daß mit einer solchen Anweisung evtl. noch zu rechnen sei denn es ist »noch keine (...) bekannt«. Dadurch entfaltet der Text folgende Suggestivkraft: Er führt m. E. zu der Überlegung, daß man dann ja gleich von selbst mit der Einführung der neuen Rechtschreibung beginnen könnte (oder vielleicht sogar sollte??), wenn die sowieso demnächst kommt (bzw. eingeführt wird). So etwas meine ich mit dem fließenden Übergang zwischen Information und Suggestion.
Man kann sich m. E. gar nicht darauf berufen, daß die neue Rechtschreibung wie selbstverständlich kommen wird sie kommt nicht von allein, sondern sie wird freiwillig gemacht. Das funktioniert, wie man es von der Werbung her kennt: Das Produkt XY ist innovativ, sehr nützlich, und alle wollen es haben. Wer es hat, ist toll. Wollen Sie warten, bis Ihr Nachbar es vor Ihnen hat?!? (Janina Bauer) Dieser Eindruck bleibt aber ob beabsichtigt oder nicht, ist eine andere Frage. Deshalb: Vorsicht.
__________________
Jan-Martin Wagner
|