Auszüge aus einem Brief an Herrn Kunze
---
---
Ich finde es sehr wichtig, dass ein Lyriker/Schriftsteller wie Sie, einer der ganz Großen, mit seinen Lesern, sprich auch mit Schülern zusammenkommt und über seine Art zu schreiben, also auch über die Rechtschreibung diskutieren kann.
Meine eigenen 3 Kinder (Jugendliche) äußern sich geradezu höchst kritisch gegen die Gegenreformbewegung, wenn ich deren Argumente anspreche. Sind sie doch nicht Spielbälle, sondern wollen nun so schreiben, wie sie es gelernt haben und überhaupt sei das nicht mehr so wichtig ( das sind aber die Argumente der Jugendlichen). Schülern fällt es meiner Ansicht nach weder leichter noch schwerer die neuen oder die alten Regeln anzuwenden, denn Rechtschreiben ist sowieso ein Fach, welches beim Lehrer Leiden erzeugt. Selbstverständlich sehe ich auch diese Kinder vor mir, die durch ihr sicheres visuelles Wortgedächtnis keinerlei Schwierigkeiten generell mit der Rechtschreibung haben.
Die Vorstellung, dass Schüler, die nur die neue Rechtschreibung gelernt haben, diese auch weiterhin schreiben sollen, falls die RSR zurückgezogen werden sollte, ist eine Vision. Niemals würde dies von der Gesamtgesellschaft anerkannt werden. Dann müssen alle wieder zurück zur alten Rechtschreibung.
Dennoch hat die neue Rechschreibung immer wieder Reize, wie Sie schon bemerkt haben. Wir ( Lehrer) haben die Reform nicht eingeführt, wir haben sie ausgeführt. Aber man hat uns auch vorher nicht auf fragwürdige Punkte aufmerksam gemacht.
Rechtschreiben muss einheitlich in allen Bereichen der deutschsprachigen Länder gesichert sein. Deutschland kann hier nicht Einzelwege gehen. Verbände, wie der Bayerische Schulleiterverband, könnten derzeit niemals der Aufforderung zur Rücknahme der Reform nachkommen, da die Schulverbände wegen der ständigen Finanznot eine derartige Forderung niemals mittragen würden. Es wäre sogar anzunehmen, dass die Verbände auf die Barrikaden stiegen, wenn nochmals am Rechtschreibunterricht gedreht würde. Überall wurden die neuen Bücher angeschafft, die Kämmerer in den Schulverbänden streichen mit dicken Rotstiften die Zuweisungen für Lehr- und Lernmittel ( Brief vom 6.01.03).
Auch Sie berichten darüber, dass Sie im Wörterbuch nachschlagen müssen, also war auch die alte Rechtschreibung nicht ohne Fehler. Man musste auch bei diesem Regelwerk nachforschen und stürzte über Ungereimtheiten.
Ich habe Ihre Denkschrift natürlich schon vor ihrer Lesung gelesen und sie nachträglich nochmals mit vielen Markierungen durchgearbeitet. Sprachdesensibilisierung, Abstumpfung und Resignation treffen vor allem die Leute, die lange oder immer mit der alten Rechtschreibung geschrieben haben. Junge Menschen erleben diese neuen, jedoch bekannten Wörter anders.
Beispiele aus Ihrem Buch:
---
---
siehe auf Strang: Von den Reizen der neuen Rechtschreibung
---
Künstler haben sowieso jegliche Freiheit in der Form und im Inhalt. Das weiß man seit der Antike. Trotzdem habe ich es gewagt, den Zusammenhang zwischen Ihren Gedichten und der Kritik an der Rechtschreibreform anzuprangern. Ich hoffe, Sie verstehen, was ich meine. Nicht Ihre künstlerische Freiheit, sondern auch der Bezug zum Zurück zur alten Rechtschreibung fehlt mir hier ein wenig. Ich persönlich schätze Sie sogar so ein, dass Sie einer der führenden Vorantreiber einer neuen Rechtschreibreform wären, wenn es nach Ihnen ginge. Nicht umsonst haben Sie in München darauf hingewiesen, dass eine weitere Reform der Rechtschreibung nach einem evtl. Zurück zur alten Rechtschreibung angezeigt wäre.
Ich unterhalte mich natürlich nicht lieber mit den Fischen, aber mein Sprachgefühl passt sich dem wiederholten Gebrauch an. Da ich mich selber intensivst mit Sprache beschäftige, kenne ich auch Sprachnuancen und ich freue mich, dass Sie das auch sagen. Trotzdem kennen wir unterschiedliche Sprech- und Lesenuancen, die zum Beispiel im Dialekt ihren Niederschlag finden.
Ich freue mich über Ihre Gedichte wie auch immer geschrieben denn sie lassen den Leser nicht einfach mit unverträglich nebeneinandergestellten Motiven im Tages- und Nachtlicht alleine stehen, sondern haben eine Aussage.
Ich wünsche Ihnen noch sehr viele gute Jahre mit Kindern, Schülern und jungen Erwachsenen, denn sie wissen oft, entgegen unserer Erwartungen, ganz genau, wohin es mit mündlicher und schriftlicher Sprache gehen soll, und natürlich auch mit uns, die sich für und gegen die neue Rechtschreibung einsetzen.
In Hochachtung vor Ihrem gesamten Lebenswerk
|