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Fachdienst Germanistik 1998 Erster Teil
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Theodor Ickler
28.01.2003 18.27
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Auch im August 1999 hat Klaus Hübner im „Fachdienst“ noch einmal über die Reform berichtet. Der Text liegt mir aber nicht elektronisch vor.
__________________
Th. Ickler

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Theodor Ickler
28.01.2003 18.18
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Fachdienst Germanistik 1998 (Schluß)

Das Schweizer Verhältnis zur Hochsprache sei
hochkomplex,
und den deutschen „Musterknabeneifer“ nehme man wenig ernst, auch auf die Gefahr hin, „ohne jede Not Opfer eines nachbarlichen
Gründlichkeitswahns
zu werden“. Die Mängel des neuen Regelwerks versucht die beim „Institut für deutsche Sprache“ (IdS) in Mannheim angesiedelte zwölfköpfige
internationale
Kommission, die wie geplant im Sommer ihre Arbeit aufnahm und sie Ende 1997 weitgehend abgeschlossen habe („Die Welt“, 3.12.), zu
beseitigen. Ob ihre
Korrekturen noch Entscheidendes verändern werden, wird von vielen Kommentatoren bezweifelt, besonders nachdem Horst Haider Munske, der
mehrfach
für ein „Moratorium“ eingetreten war („Tagesspiegel“, 5.7.), seine Mitarbeit unter Protest beendet hat. Er halte eine „gründliche Überarbeitung des

Regelwerks für nötig“, und die Kultusminister wie auch die Mehrheit der Kommission wollten dies unbedingt vermeiden, sagte der Erlanger
Sprachwissenschaftler dem „Spiegel“ (22.9.). Vor dem großen öffentlichen Protest habe er „ganz vorsichtig geschwiegen“ und auf die „Chance
zum
öffentlichkeitswirksamen Ausstieg“ ohne Rücksicht auf dessen Folgen an den Schulen und anderswo gewartet, kritisiert Andreas Geldner
(„Stuttgarter
Zeitung“, 23.9.). „Wenn nicht einmal die Kommissionsmitglieder selbst mehr an Sinn und Verstand dieser Reform glauben, ist die Reform am
Ende“,
kommentiert Dankwart Guratzsch („Die Welt“, 23.9.). Der Geburtsfehler der Kommission liege in ihrer Zusammensetzung – sie bestehe im
wesentlichen aus
den gleichen Leuten, die die Reform zu verantworten hätten. Der Potsdamer Linguist Peter Eisenberg, der seine Skepsis gegenüber manchen
Neuregelungen niemals verschwiegen hat („Tagesspiegel“, 14.1.) und seit Sommer 1997 stets mit den Worten zitiert wird, für ihn gehöre die
Reform „auf den
Müll“ („Focus“, 26.5.), kritisierte den Austritt seines Kommissionskollegen Munske. Das Regelwerk könne durchaus noch verändert werden, so
daß es seine
gravierendsten Mängel verliere, betonte Eisenberg auf dem Bonner Germanistentag („Stuttgarter Zeitung“, 23.9.). „Dritte Wege sind selten
gefragt“, schreibt
Peter Eisenberg („Süddeutsche Zeitung“, 13.11.). „Dennoch plädiere ich erneut für eine Überarbeitung des beschlossenen Regelwerks. Sie wäre in
einem
ersten Schritt zu beschränken auf die Teile, die in erheblichem Umfang Systemwidrigkeiten festschreiben und gänzlich unbegründete
Neuschreibungen
erzwingen ... Weitere Verbesserungen könnten in Ruhe vorgenommen werden“. Munske nennt Eisenbergs Stufenplan – „nur ein bißchen operieren
und dann
der Rechtschreibung eine Langzeittherapie verordnen“ – unrealistisch (ebd., 4.12.). Die Kultusminister, die früher oder später den „Weg aus dem
Durcheinander“ doch ebnen müßten, verteidigten die geplante Reform am besten, „wenn sie deren Mängel korrigierten“, schreibt Kurt Reumann
(„Frankfurter Allgemeine“, 20.10.). „Erst dann würde deutlich, daß nicht alles schlecht ist an der Neuregelung“. Wenn die Korrekturen den Sinn
der Wörter
nicht änderten, wenn sie die sprachlichen Differenzierungsmöglichkeiten nicht einschränkten und wenn das Gebot der Verständlichkeit beachtet
werde, sei
ein Kompromiß zwischen den Reformern und ihren Kritikern sicher noch möglich. Man berate in der Kommission jede seriöse Kritik,
Unklarheiten und
Zweifelsfälle, versichert Kommissionspräsident Gerhard Augst. Die deutsche Orthographie müsse reformiert werden, und man habe nach vielen
Jahren einen
Kompromiß gefunden, „der keinen ganz glücklich macht – das ist das Wesen eines Kompromisses“, sagt Augst in einem Gespräch mit Birgitta
Mogge-Stubbe
(„Rheinischer Merkur“, 30.5.). Nach dem Grundsatz „Rechtschreibreform ja, aber meine!“ könne nun einmal nicht verfahren werden. Klaus Heller,
der
Geschäftsführer der Kommission, ist davon überzeugt, daß man durch Kommentierung 90 Prozent der Unklarheiten beseitigen könne
(„Stuttgarter Zeitung“,
13.9.). Wer nach dem 1. August 1998 bei der alten Orthographie bleiben wolle, könne dies problemlos tun; er schreibe dann nicht falsch, sondern
eben
„traditionell“. Eine Rücknahme der Reform wäre „unverantwortlich gegenüber allen Schülern“ (Augst). Auch wenn Änderungen oder Ergänzungen
der Regeln
noch möglich seien, müsse man deswegen kein einziges Schulbuch wegwerfen, sagte Augst, der den Reformgegnern maßlose Verunsicherung der

Bevölkerung vorwarf („Süddeutsche Zeitung“, 2.8.). Nachdem Niedersachsen, wo kürzlich ein Volksbegehren gegen die Reform zugelassen wurde
(Jürgen
Voges, „tageszeitung“, 5.11.), als bisher einziges Bundesland, reagierend auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg, die an den Schulen
des
Landes gelehrte neue Rechtschreibung vorerst gestoppt hat („Frankfurter Allgemeine“, 21.10.) und dafür von der Kultusministerkonferenz
getadelt worden
ist („Süddeutsche Zeitung“, 21.10.), wird kaum jemand Dankwart Guratzsch widersprechen, wenn er zusammenfaßt: „Das Hängen und Würgen geht
also
weiter“ („Die Welt“, 25.10.). Die deutschsprachigen Nachrichtenagenturen jedenfalls wollen nun ihre Rechtschreibung erst dann ändern, wenn die
noch
offenen juristischen, politischen und inhaltlichen Fragen geklärt sind – sie machten den Kultusministern vor, „was zu tun die Vernunft gebietet“,
kommentiert
Kurt Reumann („Frankfurter Allgemeine“, 4.12.). „Ein kleiner Schritt für die Agenturen, doch ein großer Schritt für die Deutschen“, schreibt
Joachim
Worthmann („Stuttgarter Zeitung“, 6.12.). „Pro bonum, contra malum – der Kampf geht weiter. Es gibt noch viel zu blockieren, packen wir es an!“
Unerbittlich
nehme das ebenso makabre wie possierliche Spektakel seinen Fortgang, bemerkt Dieter E. Zimmer („Die Zeit“, 24.10.). „Und der Bürgerkrieg um
die
rechtere Schreibung mag noch lange, jahrelang andauern“. Dabei sei der Streit um die neue Rechtschreibung „einer um des Kaisers Bart“, bemerkt
Konrad
Adam („Frankfurter Allgemeine“, 29.10.). Es gebe auch noch andere Sprach-Themen, meint Fau. (ebd., 4.8.): „Die Deutschen fighten über die
Rechtschreibreform und sind davon so ausgepowert, daß sie den Run auf die abgefuckten Anglizismen gar nicht mehr händeln können“.
Reformbefürworter,
Reformkritiker und Juristen hätten „sich und Old-Germany“ offenbar der Lächerlichkeit preisgegeben, resümiert George Turner („Tagesspiegel“,
26.8.).
Deshalb solle man die Investitionsruine „Rechtschreibreform“ jetzt schließen und aus ihren Restbeständen auf der nächsten „documenta“ die
Installation
„Dummdeutsch 2000“ errichten, schlägt Matthias Grässlin vor („Frankfurter Allgemeine“, 23.9.) – „Ihr Untertitel: Fragmenta Germaniae
Orthographica“.
Immerhin wird die Rechtsschreib-Debatte bald einen ganzen Roman hervorbringen; Kostproben davon hat Dietrich Schwanitz bereits
veröffentlicht („Die
Welt“, 9.8.). Hartmut Bobzin weist auf eine weniger schöne Folge für das Fach hin („Süddeutsche Zeitung“, 4.7.): „So, wie die Reform nun in ihrer
erwiesenen
Kläglichkeit dasteht, ist sie nichts weniger als eine Katastrophe für das Universitätsfach Germanistik“. Das Ansehen der Germanisten – als
solcher – ist durch
diese Debatte sicherlich nicht gerade gestiegen. Und das weltweite Ansehen der deutschen Sprache? Im Sinne des „ultradoitsh“ von Zé do Rock
(vgl.
Fachdienst 11/95) schlägt Hartmut Welzel vor („Die Zeit“, 17.10.): „fen ale dise fordsride durkkesesd sind, durfde als naksdes sil di fereinfakung
der imer nok
sfiriken und unsikeren deudsen kramadik anfisird werden“. Die „Frankfurter Allgemeine“ erinnert an eine alte Tatsache (16.8.): „Learning German
has never
been easy“.
__________________
Th. Ickler

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Theodor Ickler
28.01.2003 18.16
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Fachdienst Germanistik 1998 Erster Teil

Fachdienst Germanistik 1/1998


Jahrelanger Kleinkrieg: Die Orthographiereform – ein Zwischenbericht

Die Reform ist beschlossen, zahlreiche miteinander konkurrierende Wörterbücher sind auf dem Markt, in relevanten Fachzeitschriften wird die
wissenschaftliche Diskussion gepflegt, und immer wieder haben diverse Zeitungen, oft in ausführlichen Beilagen, auf die wichtigsten Aspekte der
Neuregelung hingewiesen, die ab 1. August 1998 für Schulen und Behörden verbindlich werden soll und nach der seit Beginn des Schuljahrs 1996/97 an
vielen deutschen Schulen unterrichtet wird („Süddeutsche Zeitung“, 19.2.; „Die Woche“, 22.8.; „Stuttgarter Zeitung“, 27.9.). Dennoch ist das Schicksal der
jetzigen Orthographiereform, die an dem mit dem Namen Duden verbundenen Einigungswerk der Jahrhundertwende zerre (so Reinhard Olt, „Frankfurter
Allgemeine“, 19.8.), weiterhin prekär, und die öffentliche Debatte über ihren Inhalt, Sinn und Zweck geht keineswegs allmählich zu Ende – eher ist das
Gegenteil der Fall. Daß die Rechtschreibung „im Dienst der Schreibkultur“ stehe und somit die „gute Lesbarkeit der geschriebenen, gedruckten oder
elektronisch verarbeiteten Texte“ ihr oberstes Gebot sei, erklärt Harald Weinrich („Frankfurter Allgemeine“, 29.11.). Die Verantwortung für die
Rechtschreibung indes liege bei der ganzen Sprachgemeinschaft und könne nicht an einzelne Institutionen zur hoheitlichen Regelung abgetreten werden.
Die orthographische Norm habe sich „an der üblichen Schreibweise derjenigen Schreiber, die mit Sprachkultur schreiben“, zu orientieren, dies „mit
besonderer Berücksichtigung der Schriftsteller“. Um den Regeln der Rechtschreibung nachgeordnete Komplexe wie Interpunktion oder Silbentrennung solle
man nicht streiten – wichtig sei, daß die Regeln dafür die gute Lesbarkeit eines Textes nicht behinderten. Harald Weinrichs Maximen, deren Vorstufe ein
„Vorschlag zur Güte“ war (ebd., 21.2.), stellen eine der neuesten kompetenten Wortmeldungen zu einer Debatte dar, die seit Jahren geführt wird und
spätestens seit Herbst 1996 fast täglich Neues (oder zum x- ten Mal Altes) bringt. In der veröffentlichten Meinung der deutschsprachigen Länder, speziell
Deutschlands, hat kein den Fachdienst unmittelbar angehendes Thema in den letzten fünfzehn Monaten die unterschiedlichsten Gemüter derart erregt wie
die sogenannte Rechtschreibreform. Es ist – aus hoffentlich einsichtigen Gründen – leider unmöglich, die sich in Fluten von sprachwissenschaftlichen,
juristischen und politischen Beiträgen sowie in zahllosen Leserbriefen niederschlagende Diskussion hier auch nur annähernd vollständig zu dokumentieren.
Ein ungefährer Überblick – Stand Ende 1997 – sei dennoch versucht. Die Debatte geht weiter, und wir werden auf das Thema zurückkommen müssen – immer
noch gilt der 1. August 1998 als Stichtag. Genau darum gehe es den Befürwortern der Reform vor allem, meint der Weilheimer Lehrer Friedrich Denk,
dessen Initiative im Herbst 1996 zur „Frankfurter Erklärung“ gegen die beabsichtigte Reform geführt hatte (vgl. Fachdienst 11/96): „Fakten zu schaffen und
dem rettenden Ufer, dem 1. August 1998, näherzukommen“ – auch wenn die Reformer dafür „Ballast“ abwerfen müßten wie manch flüchtender Bankräuber
(„Süddeutsche Zeitung“, 29.11.). Daß der „Hahnenkampf“ um die Rechtschreibreform eher eine typisch deutsche „Krähwinkelei“ sei und zum Ansehen
Deutschlands in der Welt nicht gerade positiv beitrage, betont Lutz Götze (ebd.), der sich mit zahlreichen Leserbriefen gegen die „Verbissenheit der
Reformgegner“ am Kleinkrieg beteiligt hat, ebenso wie sein in dieser Sache bevorzugter Kontrahent Theodor Ickler, der zu den frühesten linguistisch
kompetent argumentierenden Reformkritikern gehört („Frankfurter Allgemeine“, 12.10.96 und mehrfach bis zum 14.11.97), sowie eine Reihe seriöser
Hochschullehrer, die sich seit Monaten als Dauer-Leserbriefschreiber profilieren. „Da wird manch staubtrockener Sprachwissenschaftler zur schillernden
Figur“, schreibt Klaus Mackowiak sicher nicht ganz zu Unrecht („Süddeutsche Zeitung“, 31.10.). „Alle reden mit, kaum jemand weiß, wovon er redet“, bemerkt
Dieter E. Zimmer („Die Zeit“, 14.11.). Die Reform sei eigentlich „da, und sie ist es nicht“. Es bestehe die Möglichkeit, daß der seit Herbst 1996 stark
gewachsene Widerstand gegen diese Neuregelung das „bescheidene Reformwerk“ zu Fall bringe. Es werde bestimmt „noch lange, vielleicht jahrelang
Unsicherheit herrschen, welche Orthographie denn nun gelten soll“. Auf jeden Fall zeitige der jetzige Schwebezustand manche Groteske, und ganz selten
„dürfte in Deutschland so viel Unfug zusammengeredet worden sein wie im letzten Jahr über die Rechtschreibreform“. Das Thema lade zur „Haarspalterei“
ein, spreche viele nicht Kompetente an und sei zudem in einer Periode des Reformverdrusses debattiert worden. Der Widerstand gegen die Neuregelung
formiere sich einmal im Bundestag, zum anderen in den Bundesländern – in Baden- Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Sachsen und Schleswig- Holstein
fanden oder finden Volksbegehren gegen die beabsichtigte Reform statt. Vor allem aber würden die Gerichte bemüht, mit dem Hauptergebnis, daß jetzt das
ganze Land auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe warte, welche im Frühjahr 1998 getroffen werden soll (ein Überblick über
die zahlreichen bisherigen Urteile von Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten ebd.). Zimmer sieht im Bemühen der Gerichte, die vor allem von Eltern
der von der vorzeitigen Einführung der neuen Regeln in den Schulen betroffenen Schüler bemüht werden – unter oftmaliger Beihilfe des in Jena lehrenden
Juristen Rolf Gröschner (siehe „Der Spiegel“, 28.7. / 4.8.), nur ein Mittel zu dem Zweck, die Reform selber rechts- und endgültig zu verhindern. „Kein Gericht
kann entscheiden, wie welches Wort geschrieben wird. Nicht der Inhalt der neuen Norm steht vor Gericht zur Debatte, sondern allein das Procedere bei ihrer
Einführung“. Dieses in Deutschland zuvörderst von den Kultusministern der Bundesländer beziehungsweise von der Kultusministerkonferenz getragene
Procedere ist aber nicht nur juristisch, sondern auch politisch umstritten. Zimmer verteidigt die Kultusbürokratien gegen den Vorwurf, sie hätten die
Deutschen vor Unterzeichnung der Wiener Vereinbarung (vgl. Fachdienst 8/96) kaum aufgeklärt und versucht, das Volk auf undemokratische Art zu
überrumpeln: „Daß eine geringfügige, international abgestimmte und ausgiebig öffentlich erörterte Änderung der zugrundeliegenden Regeln (mindestens
zwei dieser Implikationen übrigens werden von den Kritikern nicht anerkannt, FG) nun heute nach einer den Reformgegnern zupaß kommenden neuen
Rechtsmeinung einer zusätzlichen Legitimierung bedürfe, konnten sie nicht voraussehen“. Auch daß die Rechtschreibung bisher nicht zum im juristischen
Sinne wesentlichen Bildungsgut gehört, werde in Frage gestellt; die sogenannte Wesentlichkeitstheorie spiele beim Streit der Rechtsgelehrten eine wichtige
Rolle, und ob das Wesentliche heute weiter zu fassen sei als früher, werde man aus dem Karlsruher Richterspruch erfahren können. „Rechtsschutz gegen
jegliches Umlernen“ oder sogar ein „Grundrecht auf totale Immobilität“, wie es nach Zimmers Interpretation Rolf Gröschner und sein Schüler Wolfgang Kopke
fordern, werde es denn wohl doch nicht geben. Was aber die Inhalte der Reform betreffe, die neben den juristischen und politischen Aufregungen auch noch
eine gewisse Rolle spielten, komme es im Augenblick darauf an, eine „pragmatische Lösung“ zu finden. Denn im Laufe der Orthographiereform-Debatte sei
immerhin deutlich geworden, daß das Reformwerk eine ganze Reihe von Unstimmigkeiten und Fehlern aufweise. Zimmer, der Teile der Neuregelung für nicht
geglückt hält, sie jedoch als Ganzes bejaht, geht die strittigen Aspekte noch einmal durch. Die relevanten Stichworte sind Stammprinzip,
Fremdwortschreibungen, Zeichensetzung, Worttrennung, Groß- und Kleinschreibung sowie Getrennt- und Zusammenschreibung. Wenn man bei den ersten
vier Bereichen vielleicht manches kritisieren, im allgemeinen aber wenig aussetzen könne, seien die beiden anderen sicherlich die am wenigsten
durchdachten Gebiete der Reform. Vor allem bei der Getrennt- und Zusammenschreibung gebe es einige „Absurditäten“, und daß die Regelungen dazu
„nicht der Weisheit letzter Schluß" seien, wisse auch die Kommission, die noch Korrigenda anbringen könne. Im übrigen sieht Zimmer mit dem Fortschritt der
Computertechnik die Rechtschreibung im nächsten Jahrhundert auf den gleichen Platz verwiesen, „auf den der Taschenrechner das Kopfrechnen verwiesen
hat“ – weshalb die Neuregelung unbedingt „computergerecht“ sein solle. Der Jurist Ernst Gottfried Mahrenholz, der im übrigen das Verfahren bei der
Durchsetzung der Reform für recht bedenklich hält, meint („Süddeutsche Zeitung“, 23.8.): „Der einzige, der hier im neuen Jahrhundert eine ,Kompetenz' in
Anspruch nehmen wird, dürfte Bill Gates sein; und zwar zu dem Zeitpunkt, zu dem er den deutschen Sprachraum in seine Abhängigkeit gebracht hat“. Ließe
man Dieter E. Zimmer, der sich schon mit seinem jüngsten Buch „Deutsch und anders“ (vgl. Fachdienst 6/97) ausgewiesen habe, als „denkenden Praktiker“,
und Harald Weinrich als „praktischen Denkenden“ diese Reform in die Hand nehmen, „sie käme bald zu einem guten Ende“, hebt Peter Wapnewski hervor
(ebd., 3.12.). Die Orthographie sei nun einmal nicht mehr als eine Magd im Haushalt der Sprache, und nie seit Otfried von Weißenburg habe das
Buchstäbliche die Sprache bewegen können. Heutzutage durchschaue niemand, „er halte sich für gebildet oder nicht“, das wirre Dickicht der geltenden
Regeln, und die geplante Neuregelung, ob sie notwendig sei oder nicht, sei alles andere als eine Reform. „Vielmehr handelt es sich um den bescheidenen
Versuch, gewisse Absurditäten der Schreibung mancher Wörter, vor allem aber das Dickicht einer schlechterdings aberwitzigen Interpunktionsregelung zu
bändigen“. Insofern sei die gelegentlich sogar an Hysterie grenzende Argumentation vieler Reformkritiker ärgerlich, und es sei vor allem von herber Komik,
wenn Autoren sich zur Verteidigung eines Zustands rüsteten, den kein anderer Berufsstand je so konsequent und triftig in Frage gestellt habe wie eben sie
selbst. Die Reformvorschläge hätten eine Veränderung unserer Sprache „weder zur Absicht noch zur Folge“ und bedeuteten keinerlei Eingriff „in die
mentale, emotionale und intellektuelle Substanz der Sprachgemeinschaft“. Der heutige „Sprachnotstand“ komme von ganz anderer Seite her: „Eine Nation
droht hinabzutrudeln in eine verquatschte und verstümmelte Sprechweise, in eine Sprachanarchie – und wir streiten uns um das h in Känguruh“ (Leserbriefe
ebd., 6.12. / 10.12.). Erst die öffentliche Debatte seit der „Frankfurter Erklärung“ – man streite 1997 um ein ganz anderes Regelwerk als zum Beispiel 1992 -
habe erwiesen, „in welchem Umfang die Reform neue Schwierigkeiten und Ungereimtheiten mit sich bringt“, meint Dankwart Guratzsch („Die Welt“, 21.2. /
24.11.). Es sei keine Schande, dies einzugestehen, wohl aber schändlich, daraus keine weitreichenden Schlüsse zu ziehen. Im übrigen hätten Christian
Stetter und Theodor Ickler gezeigt, inwieweit die Reform, eine „obrigkeitliche Anordnung“, einen Bruch mit tausend Jahren deutscher Sprachgeschichte
bedeute. „Späte Einsichten sind besser als gar keine“, betont Malte Lehming („Tagesspiegel“, 22.2.). Und für Änderungen am Reformwerk sei es, trotz all der
Häme über die spät aufgewachten Schriftsteller, nicht zu spät. Die „Umworter aller Worte“ klammerten sich verzweifelt an etwas, „das ihnen mehr und mehr
aus den Händen gleitet“ (ebd., 30.7.). Bei allen Spitzfindigkeiten und Animositäten, die die Debatte vielfach prägten, habe man spätestens seit dem 1997 der
„Frankfurter Erklärung“ nachfolgenden „Frankfurter Appell“ gesehen, daß die Mängel dieser Neuregelung nicht mehr länger zu leugnen seien, bemerkt
Joachim Güntner („Neue Zürcher Zeitung“, 29.1.). Dennoch würden in der Sache kaum neue Argumente ausgetauscht. Angeführt von Friedrich Denk, haben
sich inzwischen zahlreiche Schriftsteller gegen die Reform gewandt: Ernst Jünger, Günter Grass, Siegfried Lenz, Martin Walser, Hans Magnus Enzensberger,
Reiner Kunze (seine „Widerworte“ publiziert die „Frankfurter Allgemeine“, 5.3.), Ota Filip, Ilse Aichinger, Sarah Kirsch, Ernst Jandl, Günter Kunert, Hermann
Lenz, Walter Kempowski, Ulla Hahn, Wulf Kirsten, Günter de Bruyn, Patrick Süskind, Hilde Domin, Ludwig Harig, Alois Brandstetter, Michael Krüger, Harry
Rowohlt, Thomas Hürlimann, Adolf Muschg, Peter Bichsel, Robert Schneider, Gerhard Roth, Milo Dor, George Tabori, Gert Heidenreich, Loriot und andere.
„Es war unglaublich“, schreibt Ulrich Greiner („Merkur“ 12/1997). „Ernst Jandl verbündete sich mit Walter Kempowski, Günter Grass stand Seit an Seit mit
Ernst Jünger. Politische und literarische Differenzen zählten nicht mehr. Gab und gibt es nichts Wichtigeres?“ Dazu kommen Institutionen wie die Deutsche
Akademie für Sprache und Dichtung, der Verband deutscher Schriftsteller, einzelne Verleger wie Siegfried Unseld, Michael Klett oder Dietrich Bode, wichtige
Repräsentanten des Goethe-Instituts wie Hilmar Hoffmann und Joachim Sartorius sowie mehrere Philologen, darunter Harald Weinrich, Albrecht Schöne,
Wolfgang Frühwald, Dieter Borchmeyer, Jean-Marie Zemb, Walter Müller-Seidel, Theodor Ickler, Werner H. Veith, Helmut Glück und Maria Theresia Rolland.
Für die Reform engagieren sich, bei mancher Kritik im Detail, vor allem viele ihrer Mit-Initiatoren wie Peter Gallmann, Horst Sitta, Lutz Götze, Hermann Zabel,
Klaus Heller, Gerhard Augst oder Burkhard Schaeder, auch einige wenige Schriftsteller wie zum Beispiel Franzobel („Der Spiegel“, 18.8.), die Kultusminister,
die Lehrerverbände und -gewerkschaften sowie die gesamte Jugend- und Schulbuchbranche, unterstützt von den Verleger- und Buchhändlerverbänden der
drei großen deutschsprachigen Länder („Börsenblatt“, 15.8.). Nicht zuletzt auf Wunsch vieler Eltern wurden seit 1996 viele Kinder- und Jugendbücher nach
den neuen Regeln redigiert, und heute, so Monika Osberghaus („Frankfurter Allgemeine“, 9.9.), wünschten manche Verlage, „sie wären nicht so eilig
vorgeprescht“. Jedes Moratorium oder gar ein Ende der Reformbestrebungen „würde für die Jugendbuchverlage schlicht eine Katastrophe bedeuten“,
resümiert Roswitha Budeus- Budde („Süddeutsche Zeitung“, 12.9.). Klar sei, daß zahlreiche Verlage im Falle des Scheiterns hohe Schadensersatzansprüche
anmelden würden, berichtet Sonja Contzen („Frankfurter Rundschau“, 2.8.). Schon jetzt habe die anhaltende Unsicherheit zu hohen Verlusten bei manchen
Verlagen geführt („Stuttgarter Zeitung“, 20.11.). Für die Bertelsmann Buch AG werde der Schaden auf ungefähr 16 Millionen Mark geschätzt, betont Peter
Michalzik („Börsenblatt“, 25.11.). 1996 habe man von der „Neuen deutschen Rechtschreibung“ um die 1,6 Millionen Exemplare verkauft, 1997 nur etwa
120000. Auch beim Bibliographischen Institut in Mannheim, dem der Reform-„Duden“ 1996 einen großen Umsatzzuwachs bescherte, rechnet man für 1997
mit Einbußen („Frankfurter Allgemeine“, 16.10.). Ob nun Lexika-, Schul-, Kinder- oder Jugendbuchverlage – man brauche „endlich Klarheit“, wird Andreas
Baer, der Geschäftsführer des Verbandes der Schulbuchverlage, von Thomas Faltin zitiert („Stuttgarter Zeitung“, 7.6.). Daß die Unsicherheit für die
Buchverlage „sehr schwer erträglich“ sei und die „härtesten, unvermeidbarsten Kosten“ bei den Schulbuchverlagen anfielen, betont Dieter E. Zimmer („Die
Zeit“, 12.12.). Die Reform sei gewiß nicht umsonst zu haben – „richtig teuer“ indes wäre ihr Scheitern. Zusätzliche Empörung hat ausgelöst, daß manche
Schulbuchverlage Texte bedeutender Autoren den neuen Regeln angepaßt, sie also in den Augen der Reformgegner verstümmelt und dadurch, wie Michael
Braun bemerkt („Freitag“, 13.6.), eine weitere Eskalation des „orthographischen Bürgerkriegs“ provoziert haben. Daß man dies an einem Text von Thomas
Bernhard exekutiert hat, hat die „Interessengemeinschaft österreichischer Autorinnen und Autoren“ auf den Plan gerufen, welche die „Eigentümlichkeit
geistigen Ausdrucks“ verletzt sieht („Frankfurter Allgemeine“, 20.6.). Eine „Untersagungserklärung“ hinsichtlich ihrer eigenen Texte haben Ilse Aichinger, H.C.
Artmann, Ernst Jandl, Elfriede Jelinek, Friederike Mayröcker, Christoph Ransmayr, Johannes Mario Simmel, Peter Turrini sowie die Erben von Christine
Busta, Thomas Bernhard, Alexander Lernet-Holenia und Friedrich Torberg unterzeichnet; mehrere Verlagshäuser haben sich ihr angeschlossen. Verlage wie
S. Fischer, Suhrkamp, Aufbau, Luchterhand, Hoffmann & Campe oder Diogenes wiesen die VG Wort darauf hin, daß Texte von Autoren, deren Rechte bei
den Verlagen liegen, nur unverändert in neue Schulbücher übernommen werden dürfen („Die Welt“, 23.6.). Für das Recht von Autoren, ihre Texte in der
ihnen jeweils geeignet erscheinenden orthographischen Form abzufassen, machte sich der „Verband deutscher Schriftsteller“ stark – das „Primat der
Kunstfreiheit in der Schulbuchliteratur“ müsse erhalten bleiben („Stuttgarter Zeitung“, 20.6.). Dieser Meinung ist naturgemäß auch Günter Grass, der seinem
Verleger Gerhard Steidl einen Brief schrieb, den die „Süddeutsche Zeitung“ veröffentlicht (2.6.) und in dem es generell heißt: „Ich lehne den
widersprüchlichen und zum Teil widersinnigen Eingriff in die deutsche Sprache, der sich Rechtschreibreform nennt, grundsätzlich ab“. Daß der Aufstand der
Autoren „grundlos“ sei, versucht „Die Woche“ (22.8.) mit zwei Textbeispielen in jeweils alter und neuer Orthographie zu belegen, während Thomas Steinfeld
(„Frankfurter Allgemeine“, 31.5.) auf die Bedeutung der Kommata für die Prosakunst Thomas Manns hinweist. Sprachwissenschaftliche Untersuchungen zur
Orthographiereform und zu einzelnen ihrer Aspekte liegen inzwischen vor; nur einige von ihnen sind schon genauer rezensiert worden. Theodor Ickler hat
Horst Haider Munskes Buch „Orthographie als Sprachkultur“ (Peter Lang, VIII/336 S., DM 69,-) zusammen mit dem von Gerhard Augst, Karl Blüml, Dieter
Nerius und Horst Sitta herausgegebenen Band „Zur Neuregelung der deutschen Orthographie. Begründung und Kritik“ (Niemeyer-Verlag, 495 S., DM 124,-)
in der „Frankfurter Allgemeinen“ vorgestellt (22.5.). Munske gebe seinen Sinneswandel vom Reformer zum Reformkritiker zu Protokoll, wobei man einige
seiner Kapitel „als sensationell bezeichnen kann“. Die in dem genannten Sammelband zu findenden rund 30 Beiträge böten oft „nichts Neues“. Interessant
aber sei der „Kritik“- Teil, in dem nicht nur einige „Außenstehende“, sondern auch manche „Mitglieder des inneren Kreises selbst“ die Ruine namens
Rechtschreibreform zum Abriß freigäben. „Wer noch nicht wußte, daß die Mitglieder der alten wie der neuen Rechtschreibkommission untereinander heillos
zerstritten sind, kann es zwischen den Zeilen der beiden hier vorgestellten Bücher lesen“. Noch nicht besprochen wurde der ebenfalls 1997 bei Niemeyer
erschienene, von Gerhard Augst, Volker Bunse, Andreas Höppner, Roswitha Rusert, Sebastian Schmidt und Frank-Martin Sünkel herausgegebene Band
„Rechtschreibwörterbücher im Test. Subjektive Einschätzungen, Benutzungserfolge und alternative Konzepte“ (256 S., DM 128,-), und auch der von
Hans-Werner Eroms und Horst Haider Munske bei Erich Schmidt veröffentlichte Band „Die Rechtschreibreform – Pro und Kontra“ (264 S., DM 29,80) harrt
noch der Kritik; den Beitrag von Rudolf Hoberg kann man im „Sprachdienst“ (6/1997) nachlesen. Eine die historischen Hintergründe der jetzigen Debatte
aufgreifende neue Buchreihe haben Rolf Bergmann, Friedhelm Debus und Dieter Nerius im Olms-Verlag ins Leben gerufen. Die Reihe „Documenta
Orthographica“ soll dazu beitragen, die der heutigen Diskussion weithin fehlenden Grundlagen für eine substantielle Behandlung der Probleme
bereitzustellen. Besprochen wurde bereits Theodor Icklers Untersuchung „Die sogenannte Rechtschreibreform. Ein Schildbürgerstreich“ (Leibniz-Verlag, 206
S., DM 19,80), zu der Kurt Reumann unter anderem anmerkt („Frankfurter Allgemeine“, 24.7.): „Nirgends ist besser beschrieben als bei Ickler, was alles noch
einmal auf den Prüfstand müßte: Getrennt- und Zusammenschreibung, Groß- und Kleinschreibung, Silbentrennung, Zeichensetzung, Laut-Buchstaben-
Beziehung“. Jean-Marie Zembs Publikation „Für eine sinnige Rechtschreibung. Eine Aufforderung zur Besinnung ohne Gesichtsverlust“ (Niemeyer-Verlag,
154 S., DM 29,-) charakterisiert „Der Spiegel“ so (13.10.): „Streifzüge durch den Kosmos der Orthographie vom Deutsch-Experten am renommierten Collège
de France – ganz nebenbei eine Kulturkunde auf knappstem Raum“. Neben den im engeren Sinne sprachwissenschaftlichen Arbeiten, von denen hier nur
die bislang am meisten beachteten erwähnt werden können, liegen naturgemäß eine Reihe von Wörterbüchern, CD-ROMs und Ratgebern vor, die die
geplante Neuregelung dokumentieren und gelegentlich auch erläutern, zum Beispiel in den Verlagen Duden, Bertelsmann, Heyne, Rowohlt, Cornelsen,
Schroedel, Langenscheidt, Humboldt, Klett, Naumann & Göbel, Friedrich, Buch & Zeit oder AOL – aber auch bei der Ladenkette „Aldi“, die Karl-Dieter Bünting
als Autor gewinnen konnte. Wolfgang W. Sauer („Die Welt“, 29.3.) vergleicht einige von ihnen, und dies tut auch Birgitta Mogge-Stobbe („Rheinischer
Merkur“, 30.5.). Besondere Aktivitäten auf diesem Gebiet entfaltet seit langem der Dudenverlag, der für 1998 auch einen Abrißkalender produziert hat (366
S., DM 17,90). „Die Welt“ schreibt (6.9.): „Vorne ein neues Schreib-Schmankerl für jeden Tag ... Hinten steht stets eine Erklärung. Gutes Deutsch!
Vorschriften! Die Rechtschreibreform ist ein Geschäft, so oder so“. Das hat naturgemäß auch die Software-Industrie entdeckt, deren wichtigste neue
Korrekturprogramme von Dieter E. Zimmer („Die Zeit“, 4.4. / 20.6.) und, in geringerem Umfang, von Maja Langsdorff und Gabriele Scheiffele („Stuttgarter
Zeitung“, 3.6.) sowie von Holger Schlösser („Tagesspiegel“, 12.10.) ausprobiert wurden. Spätestens seit Sommer 1997 sei die Rechtschreibreform endgültig
zur „Spielwiese für Juristen“ geworden, bemerkt Andreas Geldner („Stuttgarter Zeitung“, 30.7.). Das Thema sei mehr und mehr zu einer „Prinzipienfrage“
erhoben worden und werde „immer mehr zu einem Lehrstück über deutsche politische Kultur“. Gestandene Sprachwissenschaftler, Verfassungsrechtler und
Literaten debattierten munter „in der luftigen Sphäre des Grundsätzlichen“. Gelassenheit sei dringend erwünscht. „Was ist das für eine Gesellschaft, wo ein
paar neue Regeln zur Groß- und Kleinschreibung zur ,Lebensfrage' werden?“ Die Neigung, politische Entscheidungen mit allen Mitteln anzufechten, habe in
dem Maße zugenommen, wie das Vertrauen in die Politik schwindet, konstatiert Joachim Worthmann (ebd., 15.8.). „Ruhe dürfte erst herrschen, wenn
entweder die Reform ganz gestorben ist oder wenn die Menschen in der Praxis erkannt haben, wie wenig sich geändert hat und daß tatsächlich manches
erleichtert worden ist“. Wenn der Mensch ein Gewohnheitstier ist, so sei es der deutsche Mensch in besonderem Maße, meint Mathias Zschaler („Die Welt“,
31.10.). „Er hat zwar prinzipiell nichts gegen das Neue, nur soll es ihm persönlich bitte nicht zu nahe kommen“. Es gebe in dieser Sache durchaus eine
„Tyrannei der Basis“, und man erlebe „die fatale Verwechslung von Bürgersinn und Eigensinn“, kommentiert Richard Schröder („Tagesspiegel“, 1.12.).
Claudius Seidl bezeichnet die allgemeine Stimmung als „aufgewühlt“ („Süddeutsche Zeitung“, 2.8.). Sicher scheine nur zu sein, daß die Urheber der Reform
ihren Gegenstand, vor allem jedoch ihr Publikum völlig falsch eingeschätzt hätten. „In der Empörung der Reformgegner wie in der Beharrlichkeit der
Reformer offenbart sich eine Autoritätshörigkeit, die ebenso typisch deutsch wie dem alltäglichen Sprachgebrauch unangemessen ist“. Angesichts des
Eindrucks, daß Deutsch in Deutschland oft erste Fremdsprache sei, obschon es von Eingeborenen als Muttersprache bezeichnet werde, empfiehlt Helmut
Schmitz folgenden Kompromiß: „Deutsch wird in Deutschland amtlich zur ersten Fremdsprache erklärt und gelehrt, mit ziemlichem Spielraum“ („Frankfurter
Rundschau“, 1.8.). So werde es im von Juristen dominierten Deutschland sicherlich nicht kommen, meint Hellmuth Karasek („Tagesspiegel“, 8.8.). „Am
Anfang war das Wort, am Ende steht das Urteil“. Nicht erstarktes Interesse an der deutschen Sprachkultur, sondern die Ordnungsliebe und das Festhalten
am Gewohnten seien meistens die entscheidenden Triebkräfte der Kritikastereien, konstatiert Roland Kaehlbrandt („Rheinischer Merkur“, 21.2.). Reinhard
Kahl betont („tageszeitung“, 26.8.): „Es herrscht eine phobische Angst vor dem Umlernen“. Man entdecke immer mehr Mängel der Neuregelung und kritisiere
sie durchaus zu Recht, vergesse darob aber „manch alte Ungereimtheit“, schreibt Astrid Hölscher („Frankfurter Rundschau“, 9.8.). Das Schlimmste an der
inzwischen zur „Kabarettnummer“ (Christoph Bertram, „Die Zeit“, 8.8.) gewordenen Orthographiereform seien jedoch „ihre passionierten Gegner, das in
Bürgerinitiativen und Volksbegehren auftrumpfende deutsche Oberlehrertum“, meint Jörg Lau (ebd.). Leider hätten diese Leute in der Sache aber oft nicht
unrecht. Der anhaltende Widerstand jedenfalls stelle keine nur momentane Aufwallung dar und sei bei jeglichem Versuch, aus der jetzigen unerträglichen
Lage herauszukommen, zu berücksichtigen, betont Christian Meier, der Präsident der schon mehrfach als eine Art Oberschiedsrichter in Sachen
Orthographie ins Spiel gebrachten Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung („Frankfurter Allgemeine“, 13.8.). Der Widerstand verändere den
Charakter der Reform und dränge auf eine politische Lösung. Erst einmal aber müsse man Zeit gewinnen, weshalb ein Moratorium das momentan Richtigste
sei. Ohne das Stichwort „Selbsthilfe“ sei der Widerstand im Volk kaum zu verstehen, meint Konrad Adam (ebd., 16.8.). Die Rechtschreibung sei das ideale
Thema, um dem Staat beziehungsweise „denen da oben“ endlich zu zeigen, daß sie keineswegs für alles da seien. Zur Entscheidung in Karlsruhe stehe
eigentlich die Frage, „ob der Untertan jeden Unfug und jede Pflichtvergessenheit, nur weil sie von oben kommt, hinnehmen muß – oder ob er aus Eigenem,
aus eigenem Recht, mit eigenen Ideen und auf eigene Kosten, dagegen etwas unternehmen darf“. Gegen die „Legalomanie“ und für die „Selbstregulierung
der Sprachgemeinschaft“ argumentiert der Jurist Josef Isensee – es habe sich klar gezeigt, daß weder Linguisten noch Juristen oder gar Politiker Einigkeit
erzielen könnten (ebd., 6.9.). Es sei unsicher, wie Karlsruhe entscheiden werde, und die derzeit in Bonn gesuchte politische Lösung werde wahrscheinlich
auch nicht zur „Befriedung des Streites“ führen, vermutet Rudolf Wassermann („Die Welt“, 17.11.). Gerd Roellecke resümiert („Frankfurter Allgemeine“,
30.9.): „Es bleiben ... mehr als genug mögliche Kläger und Protestierer übrig und natürlich das Volk in seiner unergründlichen Souveränität“.
Meinungsumfragen haben für Deutschland Ablehnungsquoten von mehr als 70 Prozent ergeben. Ein „Glaubenskrieg“ sei im Gange, und je besser der
Informationsstand sei, desto höher sei auch die Akzeptanz der Neuregelung, schreibt Ulrich Raschke („Die Woche“, 28.2.). Hermann Unterstöger hebt hervor
(„Süddeutsche Zeitung“, 30.6.): „Zwei Grundpositionen sind erkennbar: Auf der einen sitzen die Reformgegner und singen ihren Cantus firmus, einen
mittlerweile ziemlich steinernen Gesang, wonach die Reform tot beziehungsweise für die Hinrichtung überreif ist. Auf der anderen verharrt das Häuflein der
Reformer, vor den dichten Einschlägen mit knapper Not gedeckt durch die Kultusministerkonferenz. Auch ihre Litanei klingt schwer versteinert: Von einer
Katastrophe könne keineswegs die Rede sein, und die strittigen Einzelfälle würden ehestens bereinigt“. Äußerungen von Politikern, darunter vielen, „die
bisher weit weniger als Linguisten denn als profunde Kenner der Gesetze aufgefallen sind“ („Neue Zürcher Zeitung“, 26.7.), heizten die Debatte an. Der
Bundespräsident, der die Reform "überflüssig wie einen Kropf“ findet, der Bundeskanzler, der zwar „gar nichts“ von der Reform hält, für den aber immerhin
„nicht alles“ an ihr „Quatsch“ ist, mehrere Mitglieder seines Kabinetts, die FDP sowie Einzelpersonen aus allen Parteien sind gegen die Reform. Immer wieder
wird auch betont – zuletzt von Bundesaußenminister Klaus Kinkel („tageszeitung“, 29.10.) –, daß die Wiener Vereinbarung völkerrechtlich keineswegs
bindend sei. Die Kritik an solchen Äußerungen habe der österreichische Sprachwissenschaftler Karl Blüml in dem Satz „Wir haben doch nicht mit einer
Bananenrepublik verhandelt!“ zusammengefaßt, und in der Tat müsse sich die Bundesrepublik, wie Uwe Schlicht schreibt, etwas einfallen lassen, wenn sie
keine Bananenrepublik werden soll („Tagesspiegel“, 13.9. / 17.9.). Österreich und die Schweiz, wo es auch wachsende Kritik an den Neuregelungen gibt
(Erich Grolig, „Stuttgarter Zeitung“, 12.8. / Konrad Mrusek, „Frankfurter Allgemeine“, 20.8.; Beat Kappeler, „Die Zeit“, 29.8.; Beat Leuthardt, „Frankfurter
Rundschau“, 28.11.), reagierten auf die deutsche Diskussion zurückhaltend und nobel, berichtet Uwe Schlicht („Tagesspiegel“, 15.8.). „Mögliche Folgen für
die Partnerländer, wie sie ein einseitiger Reformabbruch haben könnte, kümmern in Deutschland fast niemanden“, betont indes Joachim Güntner („Neue
Zürcher Zeitung“, 4.8.). Obwohl auch eine Mehrheit der deutschschweizer Bevölkerung gegen die Reform sei, wolle sie in der Schweiz ganz im Gegensatz zu
Deutschland schlichtweg „kein Tagesthema“ werden, betont Reinhardt Stumm („Frankfurter Rundschau“, 21.8.). Womöglich liege das daran, daß kein
deutschsprachiger Schweizer ohne Not hochdeutsch spreche, „und meist nicht einmal dann“.
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Th. Ickler

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