Post von der Ministerin
An das
Ministerium für Bildung,
Wissenschaft, Forschung und Kultur
Frau Ministerin Erdsiek-Rave
Postfach 1467
24013 Kiel
Deutschunterricht
Sehr geehrte Frau Ministerin,
bei der Durchsicht einer Aufsatzarbeit meines Sohnes (Realschule Altenholz), „Entschuldigungsbrief an die Großmutter und der vorausgegangenen Übungsmaterialien stelle ich fest, daß die Kinder in der Schule die höfliche Großschreibung der Anrede „Du nicht mehr lernen sollen – anscheinend als Folge der sogenannten „Rechtschreibreform. Damit fördert die Schule den Verfall traditioneller Umgangsformen. Besonders befremdlich wirkt, daß die Schüler dazu angehalten werden, gerade gegenüber der älteren Generation eine für diese selbstverständliche Höflichkeitsbezeigung zu mißachten. Dies kann nicht die Aufgabe der Schule sein, die bekanntlich auf das Leben vorbereiten soll. Daher bitte und fordere ich, daß die Höflichkeits-Großschreibung des „Du ausdrücklich im Unterricht behandelt und geübt wird.
Vom Ministerium wird dazu gewiß darauf verwiesen werden, daß im Zuge der (gegen den Volkswillen) eingeführten „Rechtschreibreform die höfliche Großschreibung abgeschafft sei und nur noch für die Anrede „Sie gelten solle. Dazu ist zu sagen, daß es sich hier kaum um eine Frage der Rechtschreibung handelt, sondern um eine Angelegenheit traditioneller Höflichkeit. Ein demokratischer Staat ist nicht legitimiert, per Erlaß „Höflichkeitsreformen durchzuführen, auch wenn das Bundesverfassungsgericht dem Staat eine Regelung der Rechtschreibung zugestanden hat. Die einzige vorhergehende „Höflichkeitsreform war denn auch die Einführung des „deutschen Grußes an den Schulen durch Ministerialerlaß vom 22. Juli 1933. (Siehe „Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte, Kiel, Heft 35 v. April 1999)
Eine Beobachtung der Schreibgewohnheiten, etwa im Internet, zeigt, daß selbst viele Schreiber, die die sogenannte „neue Rechtschreibung anwenden wollen, bei der traditionellen Höflichkeitsschreibung bleiben. Auch sonst, wo sich zivilisierte Menschen mit Du anreden, wird die höfliche Großschreibung verwendet, etwa in der Broschüre der Architekten- und Ingenieurkammer S-H „Tag der Ingenieurbaukunst (15.7.01): „ ... ich bitte Dich, lieber Uwe, einmal kurz wegzuhören... (Peter Rohwer; Erster Vizepräsident).
Deshalb bitte ich Sie, durch Runderlaß die Schulen dazu anzuhalten, diese traditionelle Höflichkeit ausdrücklich zu lehren.
Da nach meinen kürzlichen Erfahrungen aber Beschwerden beim Ministerium nichts bewirken und die Schulen für unsinnige Erlasse verklagt werden müssen, die sie auf Veranlassung des Bildungsministerium befolgen, habe ich eine ähnlich lautende Beschwerde an die Schule gerichtet.
Mit freundlichem Gruß
(S. Salzburg)
Die Antwort:
Ministerium für Bildung,
Wissenschaft, Forschung und Kultur
des Landes Schleswig-Holstein
Ministerin
Herrn
Sigmar Salzburg
[...]
Kiel, 29.01.2002
Sehr geehrter Herr Salzburg,
für Ihr Schreiben, in dem Sie mich um Unterstützung in einem Einzelfall der Rechtschreibung bitten, danke ich Ihnen. Sie wünschen von mir, dass ich die Schulen per Runderlass anweise, von der Neuregelung im Bereich der sog. höflichen Anrede abzuweichen; dabei stützen Sie sich auf Erfahrungen im Zusammenhang mit Ihrem Erfolg vor dem Oberverwaltungsgericht Schleswig.
Ich bezweifle, dass die Sachverhalte vergleichbar sind. Im Fall des sog. anderen Unterrichts ging es um eine sehr grundsätzliche Frage, bei Ihrem jetzt vorgetragenen Anliegen handelt es sich um eine Einzelfallregelung. Die Grundsatzentscheidung ist, wie Sie zutreffend sagen, beim Bundesverfassungsgericht gefällt worden.
Selbst wenn ich Ihnen inhaltlich zustimmen würde, könnte und dürfte ich Ihre Bitte nicht erfüllen, weil Normen der Rechtschreibung nicht von der persönlichen Meinung bzw. vom persönlichen Geschmack einer Ministerin abhängig sein dürfen.
Einig bin ich mit Ihnen darin, dass wir in unserer Gesellschaft auf Höflichkeit nicht verzichten dürfen. Für mich allerdings ist die Frage, ob Menschen höflich zueinander sind, ob sie sich respektvoll auch gegenüber Ebenbürtigen bzw. Gleichaltrigen verhalten, eine Frage des praktischen Umgangs, nicht aber eine Frage der Rechtschreibung.
Mit freundlichen Grüßen
[Unterschrift]
Ute Erdsiek-Rave
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Sigmar Salzburg
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