Duden-Universalwörterbuch (2003)
Buchbesprechung
Duden – Deutsches Universalwörterbuch. 5., überarbeitete Auflage. Herausgegeben von der Dudenredaktion. Geb. 1892 Seiten. Dudenverlag Mannheim, Leipzig, Zürich, Wien 2003. 32,00 €, mit CD-ROM 39,90 €. (ISBN 3-411-05505-7)
Von Christian Dörner
Das Duden-Universalwörterbuch (DUW), welches zum erstenmal 1983 herauskam, wurde 1989, 1996 und 2001 – die letzten beiden Male in sogenannter „neuer“ Orthographie – jeweils neu aufgelegt, und nicht zu Unrecht fragt man sich nach dem Grund für die sehr rasche Neuauflage dieses Werkes. Der Hauptanlaß dafür sind wahrscheinlich die akustischen Ausspracheangaben, die sich erstmals auf der CD befinden. Ist jedoch die gedruckte Ausgabe ebenso tiefgreifend verändert worden? Das Universalwörterbuch ist im wesentlichen mit dem viel teureren 10bändigen „Großen Wörterbuch der deutschen Sprache“ identisch, allerdings ohne die inzwischen leider von der Redaktion im Sinne der Rechtschreibreform verfälschten Wortbelege, deren Sinn und Nutzen nie ganz klar wurden.
Optisch ist das Buch von seinem Vorgänger kaum zu unterscheiden. Die Entnestung der Stichwörter und der Flattersatz wurden bereits vor zwei Jahren eingeführt, was zu einem erheblich vermehrten Platzbedarf führte, und auch die Lesbarkeit hat darunter gelitten. Da zusätzlich mehr als 5.000 weibliche Formen wie Bausparerin, Kinderschänderin und Vizeadmiralin, die weder orthographisch noch von ihrer Bedeutung her problematisch sind, aufgenommen wurden, war es unvermeidlich, viele tausend Wörter zu streichen, bei denen der Nachschlagebedarf erheblich größer war. Leider muß man vermuten, daß die femininen Wortableitungen lediglich aufgrund übertriebener Political correctness – oder jetzt Political Correctness – (= Einstellung, die alle Ausdrucksweisen u. Handlungen ablehnt, durch die jmd. aufgrund seiner ethnischen Herkunft, seines Geschlechts, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht, seiner körperlichen od. geistigen Behinderung od. sexuellen Neigung diskriminiert wird) der Dudenredaktion aufgenommen wurden, obwohl sie im Gegensatz zu den gestrichenen Einträgen keinerlei Informationswert besitzen.
Die einzig auffällige Neuerung ist diesmal die Blaufärbung der Stichwörter, die nicht notwendig gewesen wäre, aber auch nicht störend ist. An der sehr blassen Schrift hat sich leider nichts geändert. Neue Einträge wurden kaum aufgenommen, was schon daran erkennbar ist, daß die Seitenzahl des Buches mit der der Vorauflage exakt übereinstimmt. Um den Buchumfang nicht ins unermeßliche steigen zu lassen, mußten daher erneut Wörter getilgt werden, die in der 4. Auflage noch verschont blieben. Beispielshalber sei erwähnt, daß unter den Anfangsbuchstaben A, B und C 24 Neueinträgen (abdüsen, abschiffen, Account, After-Work-Party, Antiaging, Antragsgegner, Asset, Audit, Aufbauhilfe, aufbetten, aufbrezeln, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, auschillen, Barcode, Benefit, Bepreisung, Bildungsziel, Blowjob, Blutsaugerin, börsennotiert, Briefaktion, Brokerin, Caipirinha, Cheerleader und Cookie) 14 Streichungen (acherontisch, Aftervasall, Agamet, Antrinket, Audiphon, Bärme, bosselieren, Brittelmaß, Chemigraphie, chevaleresk, Chimborasso, Chinagras, Condylus und Consilium Abeundi) gegenüberstehen. Das letzte Beispiel zeigt übrigens, wie schwierig in solchen Fällen die neue Groß- und Kleinschreibung ist. Man schreibt nicht mehr einfach das erste Wort groß und die folgenden klein (also Consilium abeundi), sondern man muß auch bei Fremdwörtern der entlegensten Sprachen die Wortarten der Einzelbestandteile kennen, um im Sinne der Reform korrekt schreiben zu können. Die neuen Stichwörter reichen vom Fachsprachlichen über extrem kurzlebige Wortbildungen hin zu bisher schlicht Vergessenem (wie z. B. dem Antragsgegner). Ein kurzer Vergleich zeigt sofort, daß das Nachschlagen bei den nun nicht mehr vorhandenen Lemmata viel wichtiger gewesen wäre. Beim Audiphon hätte man sich gerne von der neuschreiblichen Variante Audifon überzeugt, die allerdings bereits vor zwei Jahren vergessen wurde. Der Überschuß der Neuaufnahmen gegenüber den Tilgungen wurde im übrigen durch Kürzungen bei Erläuterungen und Beispielen – wie bei abschinden – ausgeglichen. Einige weibliche Formen hat man dennoch vergessen, so z. B. die Antragsgegnerin – obwohl die männliche Variante gerade erst neu verzeichnet wurde – oder die Bantamgewichtlerin, in Zeiten des Frauenboxens im Gegensatz zu vielen anderen weiblichen Personenbezeichnungen, die sich das DUW ausgedacht hat, sogar belegbar: „... und Bantamgewichtlerin Daisy Lang gegen Lisa Foster ...“ (Quelle: zdf.de).
Im Vorwort wird die Neuauflage unter anderem mit den Veränderungen der deutschen Sprache durch die Ereignisse des 11. September und das Zusammenwachsen Europas begründet. Wie bisher findet man zwar Terroranschlag, aber gerade die orthographischen Probleme, die dieser Anschlag hervorrief, bleiben weiterhin ungelöst. Der Benutzer bleibt also weiterhin im unklaren, ob er nun Osama bin Laden, Usama bin Ladin bzw. Al Qaida oder El Khaida (hier ist auch die Aussprache nicht eindeutig) zu schreiben hat. Sind eventuell auch jeweils beide Schreibweisen falsch? Durch den konsequenten Verzicht auf Eigennamen hat sich das Universalwörterbuch keinen Gefallen getan. Seltsamerweise fehlt auch Anthrax, orthographisch keinesfalls trivial. Ländernamen sind hingegen konsequent aufgenommen. Um die Auflösung von Jugoslawien zu verzeichnen, ist das Wörterbuch jedoch zwei Wochen zu früh erschienen. Glücklicherweise verschont es uns mit der Trennung Jugos-lawien, mit der uns vor wenigen Jahren noch der Rechtschreibduden zu beglücken versuchte. Mit den ebenfalls in der Zwischenzeit stattgefundenen Ereignissen, auf die man sich im Vorwort bezieht, geht das neue Universalwörterbuch nicht besser um: Unter ankrallen steht noch immer 30 Mark statt 30 Euro. Der Zehneuroschein ist aufgenommen, das Starter-Kit bzw. Starterkit – und hier wird der Nachschlagebedarf deutlich – jedoch nicht, dabei hat die Neuregelung gerade bei englischen Begriffen ein Chaos ohnegleichen hinterlassen. Wäre hier nicht auch noch eine weitere Angleichung („Starterkitt“) analog zu Mopp, Tipp und Stepp im Sinne der Reform gewesen?
Auf dem Einband findet man nun nicht mehr, wie noch vor zwei Jahren, den Hinweis auf mehrere Hunderttausend Angaben, sondern wieder – wie in der bewährten Orthographie – mehrere hunderttausend Angaben zur Rechtschreibung, Aussprache, Grammatik und Stil, und auch unter dem Eintrag hunderttausend wird ausschließlich die traditionelle Regelung vorgestellt, und die neuen Varianten bei der Groß- und Kleinschreibung werden aus gutem Grund verschwiegen. Hier scheinen sich die elementargrammatischen Einsichten bei der Dudenredaktion also durchgesetzt zu haben.
Leider läßt die Neuregelung der Rechtschreibung an anderen Stellen keine so großen Freiheiten, und auch vor dem Beispiel Es tut mir sehr, schrecklich Leid schrecken die Bearbeiter nicht zurück, obwohl bereits die Steigerung deutlich macht, daß es sich hier nicht um ein Substantiv handeln kann. Bekanntlich können Wortgruppen wie Aufsehen erregend oder Kosten sparend nicht prädikativ gebraucht werden. Da die neue Orthographie in solchen Fällen aber keine Zusammenschreibung mehr zuläßt, muß sich die Redaktion anders behelfen: Lesen wir 1989 unter dem Stichwort Kohle noch den Satz Die Bezahlung ist zufriedenstellend und unter Bürzeldrüse „... um das Gefieder wasserabstoßend zu machen“, so finden wir 1996 tatsächlich die Ungeheuerlichkeiten Die Bezahlung ist zufrieden stellend und Wasser abstoßend machen. Inzwischen will das Universalwörterbuch zumindest davon nichts mehr wissen. Das Wort zufriedenstellend wurde durch erwartungsgemäß ersetzt, und die unschuldige Bürzeldrüse mußte aus dem Buch völlig verschwinden, weil die Dudenredaktion auf die Schnelle kein Synonym für wasserabstoßend fand. Unter stimmen finden wir bei derselben Redewendung wie unter Kohle trotzdem zufrieden stellend, unter sauber liest man wieder zufriedenstellend, und als Lemma wurde zufriedenstellend im DUW ohnehin nie getilgt – ganz im Gegensatz zum Rechtschreibduden, der von Beginn der Neuregelung an auf Getrenntschreibung bestand. Auch die eigene Beschreibungssprache wurde noch nicht an die bereits vollzogenen Änderungen angepaßt. Das Wort weitreichend ist zwar längst wiederhergestellt – auch im Universalwörterbuch –, aber unter Arm findet man weit reichenden Einfluss (1989 noch weitreichenden Einfluß). Wenn man gezielt danach sucht und vergleicht, entdeckt man viele weitere solche Beispiele.
Die in der Duden-Rechtschreibung zu findende Mass Bier kennt das Universalwörterbuch nicht und bleibt bei der gewohnten Schreibung. Orthographisch findet man ohnehin kaum Änderungen im Vergleich zur Vorauflage, von wenigen Ausnahmen wie insonderheit (1989), in Sonderheit (1996), insonderheit (2001) und in Sonderheit (2003) einmal abgesehen. Dabei wäre dies durchaus vonnöten gewesen, denn die Neuauflage verordnet weiterhin Achtung gebietend, Kosten sparend (aber nur raumsparend), Strom sparend (aber nur energiesparend) und viele weitere solcher Auseinanderreißungen, während in all diesen Fällen der Rechtschreibduden bereits vor drei Jahren zur Zusammenschreibung zurückgekehrt ist – zwar gegen den Wortlaut der amtlichen Neuregelung, aber sprachlich sehr zu begrüßen. Der Festlegung des Dudens (2000), nach der man klassenbildende Wörter und Staaten bildende Insekten orthographisch strikt unterscheiden muß, folgt das DUW hingegen. Wir finden nur heilbringend, aber nur Unheil bringend (aber wiederum unheilverkündend). Das Wort furchterregend ist wiederhergestellt, und zwar mit dem Beispiel ein furchterregender Anblick. Unter dem Stichwort Furcht finden wir jedoch nur ein Furcht erregender Anblick, ebenso bei gewinnbrigend, platzsparend, schreckenerregend, zeitraubend usw. Obwohl diese Mißstände schon 2001 bekannt waren, bemühen sich die Bearbeiter nicht, sie zu beseitigen.
Das Durcheinander bei den Verbindungen mit wohl- ist nicht kleiner geworden, und so schreibt unser Wörterbuch weiterhin wohl beraten (aber nur wohlbehalten), aber wohlerzogen (aber nur wohl behütet), jedoch wiederum wohl geordnet (aber nur wohlgeformt) vor. Hier muß man sich, um wohl jetzt mal anders zu gebrauchen, das Denken wohl verbieten. Bei wieder- und hoch- sieht die Sache nicht viel besser aus. Hatte sich der Duden 1996 mit der Fehldeutung wieder sehen lächerlich gemacht, die in Tausende von Schulbüchern – im übrigen bis heute meist unkorrigiert – übernommen wurde, so bleibt es im Universalwörterbuch beispielsweise auch jetzt noch bei wieder herrichten, aber wiederherstellen, obwohl beide Konstruktionen exakt gleich gebaut sind. Eine Ungleichbehandlung läßt sich hier nicht rechtfertigen, wird aber inzwischen wenigstens von allen Wörterbüchern konsequent angewendet. Wir finden bei hochgefährlich nur die Zusammenschreibung, hoch empfindlich ist nur getrennt zulässig. Dann stellen wir fest, daß es nur hoch qualifizierte Akademiker, aber nur hochbegabte Schüler geben soll, während die Duden-Rechtschreibung im letzteren Fall zusätzlich auch noch die Getrenntschreibung kennt. Die Beispiele könnte man unbegrenzt fortführen. Interessanterweise sind in sämtlichen Wörterlisten, die der Duden herausgegeben hat, um dem gemeinen Volk die Neuregelung näherzubringen, die Wörter mit hoch-, wieder- und wohl- grundsätzlich ausgespart – aus gutem Grund, wie wir sehen.
Mit Erstaunen sehen wir den Eintrag Shooting-Star, dabei ist das genau die durch die Reform abgeschaffte bisherige Schreibung. Die sogenannte neue Rechtschreibung will nur noch Shootingstar oder Shooting Star zulassen. Das im amtlichen Regelwerk ausschließlich zugelassene nochmal ist noch immer nicht berücksichtigt worden. Es heißt weiterhin noch mal. Diese Änderung hatte anfangs sogar der Rechtschreibduden übersehen und zudem bis heute nicht richtig umgesetzt. Unterschied man bisher zwischen etwas bereithalten und sich bereit halten, so sieht die Neuregelung für bereithalten nur noch Zusammenschreibung vor. Das Universalwörterbuch hat diese Änderung übersehen und präsentiert weiterhin die bisherige Regelung.
Die Angaben zur Silbentrennung sind nicht überzeugend. Wir finden De-odorant (aber nur Deo-roller), ge-ogen (aber nur Geo-logie), Hagi-ographie (aber nur Geo-graphie), Kry-olith und Kry-otron (aber nur Kryo-therapie) und vieles mehr. Wenn schon nicht alle absurden Trennungen des Rechtschreibdudens angegeben werden, so sollte man bei der Auswahl der Trennstellen zumindest einigermaßen konsequent sein. In der Regel folgt das DUW bei der Trennung von Fremdwörtern inzwischen wieder den alten Vorschriften: Konsonantenverbindungen mit l, n und r bleiben meist ungetrennt. Ansonsten berücksichtigt die Fremdworttrennung im Universalwörterbuch mehr aussprachetechnische als etymologische Kriterien (also nur Chry-santheme usw.).
Davon, daß dies eine „überarbeitete“ Auflage sein soll, ist nicht viel zu sehen. Die Dudenredaktion hat es nicht gewagt, im Vorgriff auf die im Jahr 2005 zu erwartende Totalrevision der Neuregelung eigenmächtig etwas zu ändern. Wer das DUW jetzt erwirbt, muß sich im klaren sein, daß das Buch bereits dann – zumindest orthographisch – wieder Makulatur sein wird.
– geändert durch Christian Dörner am 17.04.2003, 15.48 –
__________________
Christian Dörner
|