Rechtschreibung in Gesetzen
Rechtschreibreform, Bayern, Sprache, Ausländer, §§ 91a bis 91c,92 I AufenthG,
Die deutschen Gesetzgeber und die deutsche Sprache
Die erneuten Diskussionen um Fortführung oder Rücknahme der Rechtschreibreform haben daran erinnert, dass die Mehrheit der Deutschen die Reform rundweg ablehnt. Unterzöge man sich einmal der Mühe, die Meinung derjenigen Mitmenschen zu ermitteln, die mehr oder weniger regelmäßig privat oder beruflich mehr als nur eine Urlaubskarte, einen SMS-Text oder eine Email schreiben, könnte man wohl einer noch breiteren Front von Gegnern der Reform samt ihren Veränderungen sicher sein. Von den berufsmäßigen Rechtschreibern in der Kultusministerkonferenz wird zur Verteidigung meist vorgebracht, man könne nicht ganzen Jahrgängen von Schülern die Rücknahme der Reform zumuten. Dazu kann man eigentlich nur fragen: Wer vertritt die Belange der überwiegenden Mehrheit von Deutschen, die ihre Schulausbildung bereits abgeschlossen haben? Für viele Bereiche des Sprachgebrauchs ergeben sich allerdings schon deswegen keine größeren Schwierigkeiten, weil es dort auf die genaue Schreibweise nicht ankommt. Wie aber steht es mit den Produkten der Bundes- und Ländergesetzgeber?
Gesetze sollen allgemein gelten und daher auch von jedermann verstanden werden. An der hierfür wünschenswerten Klarheit und Deutlichkeit hapert es bekanntlich seit langem, vor allem wegen der oft allzu gedrechselt wirkenden Ausdrucksweise. Die notwendige Einfachheit der Formulierungen müsste im Übrigen noch weiter leiden, wenn der Gesetzgeber Ernst machte mit dem Vorhaben, auch an den femininen Teil der Rechtsunterworfenen zu denken. Meist wird dieses Anliegen vernachlässigt, bisweilen aber punktuell berücksichtigt. So hat der Gesetzgeber in § 92 I AufenthG die Bestellung „einer oder eines Beauftragten“ der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration vorgesehen, während die §§ 91a bis 91c AuslG nur „die Beauftragte“ kannten. Im sonstigen Aufenthaltsrecht sind nur die maskulinen Teile der Gesellschaft vertreten, sowohl bei dem „Ausländer“ als auch bei dem „Leiter“ des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Diesem Missstand könnte jetzt allerdings das Bundesinnenministerium – ob nun von einem Minister oder von einer Ministerin geleitet – abhelfen und durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrats geschlechtsneutrale Formulierungen oder aber maskuline und feminine Bezeichnungen neben einander in das AufenthG einfügen (§ 100 AufenthG). Für das AsylVfG und die einschlägigen Rechtsverordnungen (AufentV, IntV, BeschV und BeschVerfV) fehlt es indes an solchen Ermächtigungen. Daher wäre es nicht ganz unklug, auf die Ausfüllung des § 100 AufenthG zu verzichten. Sonst drohte eine unterschiedliche Gesetzessprache in dem als Einheit zu begreifenden Migrationsrecht.
Es ist ohnehin schon ausgesprochen ärgerlich, dass der Gesetzgeber bei Gesetzesänderungen die Neuschreibung verwendet und diese dann nicht selten zusammen mit der Altschreibung erscheint (z. B. im AsylbLG § 1 I Nr. 6: „… ohne daß“ und in § 2 I „… rechtsmissbräuchlich“ oder im AsylVfG: „§ 87a …. aus Anlaß“; dagegen „§ 87b … aus Anlass“. Bisweilen benutzt er Schreibweisen auch abwechselnd, ohne dass ein System erkennbar wäre, z.B. bei den Wörtern „Inkrafttreten“ und „Außerkrafttreten“ (Art. 15 Zuwanderungsgesetz) sowie „In-Kraft-Treten“ und „Außer-Kraft-Treten“ (§ 3 bayerisches Ausführungsgesetz vom 24.11.1999 zum Transplantationsgesetz und zum Transfusionsgesetz; Art. 7 hamburgisches Gesetz vom 16.12.1991 zum Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland; § 7 hessisches Studienguthabengesetz vom 18.12.2003; § 9 hessisches Gesetz vom 15.2.2005 zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes; § 127 nordrhein-westfälisches Hochschulgesetz)
Bei dieser offenbaren Unentschlossenheit der deutschen Gesetzgeber kann es eigentlich nicht verwundern, dass sich anscheinend auch die höchsten deutschen Gerichte nicht einheitlich für die eine oder andere Schreibweise entschließen können. So spricht der BGH vom „Inkrafttreten“ (z.B. „BESCHLUSS“ vom 29.6.2005 – III ZB 65/04 gegen den „Beschluß des OLG Hamburg vom 16.9.2004, S. 3), während das BVerfG in der Entscheidung über Alkopops vom 4.8.2004 – 1 BvQ 28/04) durchgehend die Schreibung „In-Kraft-Treten“ verwendet. Dies mag daran liegen, dass sich der BGH auch sonst nicht mit der Neuschreibung anfreunden zu können scheint (vgl. z.B. „Rußland“ und „Schußwaffen“ in dem Schleuser-Urteil vom 27.4.2005 – 2 StR 457/04 , EZAR NF 87 Nr. 1). Als für Autoren, Setzer und Leser befriedigend kann dieser Ausdruck richterlicher Unabhängigkeit jedenfalls nicht bezeichnet werden.
Schließlich muss in besonderer Weise befremdlich erscheinen, dass der Bundesgesetzgeber noch nicht einmal die Umstellung von Deutscher Mark auf Euro vollständig vollzogen hat. So erhalten Asylbewerber für ihre persönlichen Bedürfnisse zusätzlich einen Monatsbetrag von 80 Deutsche Mark (§ 3 I 4 Nr. 2 AsylbLG), die Aufwandsentschädigung für die Erledigung von Arbeitsgelegenheiten ist aber nach § 4 II AsylbLG auf 1,05 Euro (früher: 2 DM) festgesetzt. Ähnlich zwiespältig sind die finanziellen Verhältnisse der Spätaussiedler geregelt. Sie erhalten nämlich nach wie vor eine Eingliederungsbeihilfe von 4 000 Deutsche Mark (§ 9 III 1 BVFG). Wären ihre nichtdeutschen Familienangehörigen nicht von Eigenbeiträgen zu den Kosten des Integrationskurses befreit, hätten sie dafür 1 Euro je Stunde zu zahlen (vgl. § 9 IntV), also weder 1,05 Euro noch 2 DM.
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Achtung:
Dieser Text könnte nach den ab kommendem Montag, dem 1. August 2005 außerhalb von Baden-Württemberg und Bayern geltenden Regeln Fehler enthalten!
von Prof.Dr.G.Renner | Freitag, 29 Juli 2005
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Sigmar Salzburg
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