Opportunisten
Auch wenn man Walter Jens keinen schwereren Vorwurf daraus machen sollte, daß er als junger Mann NSDAP-Mitglied war, so hätte man doch wenigstens erwarten können, daß er, der über alles und jedes geredet und geschrieben hat, den bedauerlichen Umstand wenigstens einmal zum Gegenstand einer Betrachtung oder wenigstens Erwähnung gemacht hätte. Daß im Verschweigen eine Schuld liegen könnte, scheint ihm gar nicht in den Sinn zu kommen, wenn er sich jetzt öffentlich darüber ausläßt, er sei doch gar kein Germanist und gehöre nicht ins Germanistenlexikon.
Aber bei Walter Jens wundert mich gar nichts, denn die Rhetorik ist ja nichts anderes als die zur akademischen Disziplin überhöhte Gesinnungslosigkeit. Das Allerkomischste ist wohl, daß Jens sich seit je als Radikalen bezeichnet, Radikalrepublikaner. Das unerträgliche Wortgeklingel, mit dem er alle seine Texte ausstaffiert, wurde sogar von seinem Freund Peter Härtling einmal getadelt (FAZ vom 12.11.1977). Es erinnert an den nicht sehr geschmackvollen Gorgias, den man aber sympathischer finden muß, weil er in einer naiven Frühzeit wirkte und außerdem ziemlich lustig war. Der große Philologe J. D. Denniston schrieb über ihn: Starting with the initial advantage of having nothing in particular to say, he was able to concentrate all his energies upon saying it. (Greek Prose Style. Oxford 1952, S. 12) Paßt genau, auch auf unseren Radikalrepublikaner.
Mein kürzlich verstorbener akademischer Lehrer, der Indogermanist Bernfried Schlerath, charakterisiert Jens, den er als Student, nur ein Jahr jünger als der vom Militärdienst befreite Jens, in Lateinseminaren erlebte, folgendermaßen:
Jens, immer auf Wirkung bedacht, setzte sein Asthma gekonnt als rhetorisches Mittel ein: genau an der richtigen Stelle ein rasselnder Atemzug. Ich bewunderte ihn, hatte er doch gerade das, was mir fehlte: Selbstbewußtsein und Schlagfertigkeit. Dann war es ein einziger Satz von ihm, der mich auf Distanz gehen ließ, der mich unangenehm berührte: Nestle, dieser bedeutende Philologe von Russen am Straßenrand erschlagen. Schlagartig sah ich, daß dieser erschütterte Blick, erst in die Runde, dann gen Himmel, diese effektvoll berechnete Pause in der Mitte des Satzes, dieser langsam erhobene Arm, die Handfläche nach oben, der Mund blieb halb geöffnet stehen, pures Theater war. Nicht daß Jens geheuchelt hätte, daß er nicht etwa wirklich betroffen war, aber er konnte offenbar um der Wirkung willen über seine Gefühle verfügen, sie nach Belieben hervorrufen. Mein Gefühl wurde mir zur Gewißheit, als Jens einige Tage später ich war später hinzugekommen den gleichen Satz vor anderen Gesprächsteilnehmern in genau der gleichen Weise wiederholte, exakt genau, bis in die kleinsten Einzelheiten. Nestle, dieser bedeutende Philologe von Russen am Straßenrand erschlagen. Ekelhaft, dachte ich. Sein weiterer Lebensweg bestätigte meinen damaligen Eindruck. Seine letzte wichtige Leistung war sein Buch Hofmannsthal und die Griechen von 1955, vielleicht noch Bauformen der griechischen Tragödie von 1971. Dann verließ er die Klassische Philologie und produzierte sich von nun an mit allen möglichen Modeströmungen, auch politischen, als Vehikel seiner Eitelkeit und wurde so zu einer einflußreichen Figur des Geisteslebens, d. h. vor allem der Feuilletons. (Das geschenkte Leben. Dettelbach 2000, S. 141f.)
Und nun noch jene Kleinigkeit, die ein weiteres Licht auf diese schillernde Person wirft: Bei Rowohlt ist die Biographie Frau Thomas Mann von Inge und Walter Jens erschienen (2. Aufl. 2003): Die Schreibweise entspricht den Regeln der neuen Rechtschreibung. Was sind die Folgen? allgemein bildende Vorlesungen ...Trotzdem hatte Hedwig Pringsheim Recht... Katia hatte Recht usw.; obwohl der Empfang sich nicht sehr viel versprechend angelassen hatte... An beiden Orten waren die materiellen Verhältnisse durchaus zufrieden stellend... Gustaf Gründgens war übrigens nicht der Einzige aus der Gilde der alten Arcisstraßenbesucher ... Quäntchen .. fürs Erste ... wenn es Not tat ... Mir tun die Deutschen kein bißchen Leid... Besorgnis erregende Erkrankung. Daneben unterlaufen herkömmliche Orthographie: Abschluß, daß, zeitraubend und konservative Silbentrennung: Jüng-ste usw. Es ist erstaunlich, daß Jens sich eine solche Textverhunzung gefallen läßt. Denn es ist noch nicht lange her, daß er sagte: Ich bestehe darauf, daß meine Bücher in der alten Rechtschreibung gedruckt werden, ja selbstverständlich! ('Sabine Christiansen / Man spricht Deutsch aber wie?' ARD, 29.07.2001)
Bei der Durchsetzung der Rechtschreibreform haben die Kultusminister ihre Deutschen zutreffend eingeschätzt: Sie sind zwar dagegen, machen aber mit. Jens, der Radikalrepublikaner, ist keine Ausnahme, und das wird wohl vor 60 Jahren schon genauso gewesen sein.
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Th. Ickler
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