Zur Erläuterung
Herr Ickler antwortet gelegentlich sehr knapp und beschränkt sich dann auf den Kern der Sache. Ich verstehe seine Überschrift »Richtig« so, daß er in seinem Beitrag darauf hinweisen will, was (ganz allgemein gesehen) richtig ist und das würde bedeuten, daß er nichts darüber gesagt hat, ob der Rest der Tabelle richtig ist oder nicht. (Stimmt's, lieber Herr Ickler?)
Ich will diese Frage (ob der Rest der Tabelle richtig ist oder nicht) jetzt nicht beantworten, sondern ich will auf etwas anderes aufmerksam machen, was ganz wichtig ist: Die Frage nach richtig oder falsch bei der Getrennt- und Zusammenschreibung ist ganz allgemein nur schwer zu beantworten, weil dabei viele Aspekte eine Rolle spielen, und in manchen Fällen gibt es gar keine eindeutige Antwort, wenn z. B. die sprachliche Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist oder wenn von der Grammatik her beide Varianten möglich sind.
Es gibt zwar den Grundsatz, daß (echte) Zusammensetzungen Wörter sind, die zusammengeschrieben werden, aber das verlagert das Problem nur: Man muß prüfen, was eine (echte) Zusammensetzung ist und was nicht. Herr Ickler hat es in seinem Rechtschreibwörterbuch näher beschrieben; die entsprechenden Passagen aus seiner Anleitung zum rechten Schreiben und den Hauptregeln der deutschen Orthographie kann man auch hier nachlesen (Verweise anklicken).
Daß die umfassende, exakte Regelung der Getrennt- und Zusammenschreibung sehr schwierig ist, sieht man auch daran, daß diese Aufgabe durch die sogenannte neue Rechtschreibung keineswegs gelöst ist im Gegenteil: Die neuen Regeln weisen, sprachwissenschaftlich gesehen, viele Mängel auf und führen zum Teil sogar zu grammatisch falschen Schreibweisen bzw. befolgen den Grundsatz nicht, daß eigenständige Wörter (wie sogenannt oder immerwährend) zusammengeschrieben werden. Wenn man also die Frage nach richtig oder falsch bei der Getrennt- und Zusammenschreibung darauf reduziert, daß man fragt, ob man etwas im Sinne der neuen Regeln richtig geschrieben hat, dann bedeutet das noch lange nicht, daß es auch in Wirklichkeit richtig ist! Denn da, wo die Regel falsch ist, kann sie nichts wirklich Richtiges hervorbringen, wenn man sich nach ihr richtet.
Die Behauptung, die neuen Rechtschreibregeln seien fehlerhaft, klingt zunächst vielleicht etwas übertrieben, es stimmt aber; entsprechende Untersuchungen gibt es u. a. von Herrn Ickler. Man kann sich aber auch leicht selber davon überzeugen, daß mit den neuen Regeln etwas nicht stimmen kann. Schauen wir uns zum Beispiel den Paragraphen 35 an: § 35: Verbindungen mit sein gelten nicht als Zusammensetzung. Dementsprechend schreibt man stets getrennt. Was heißt das genau? Wichtig ist, daß hier nicht steht, daß eine Verbindung mit sein keine Zusammensetzung ist, sondern es steht da, daß sie nicht als Zusammensetzung gilt und man kann ergänzen: selbst dann, wenn sie in Wirklichkeit eine ist. Denn durch Paragraph 35 sind ja alle Kriterien ausgeschaltet, die normalerweise angeben, ob es sich um eine (echte) Zusammensetzung handelt oder nicht, d. h. es wird absichtlich etwas negiert, was in Wirklichkeit (gemessen an diesen anderen Kriterien) durchaus der Fall sein kann.
Noch deutlicher wird das Problem bei den Paragraphen 34 und 36. Beide sind nach dem Schema aufgebaut, daß zuerst eine Reihe von Kriterien für die Zusammenschreibung angegeben werden, und dann folgt die Erläuterung, daß in den Fällen, in denen die Zusammenschreibungskriterien nicht zutreffen, getrennt geschrieben wird. Logisch, möchte man da denken. Weit gefehlt: Es folgen nämlich explizite Kriterien auch für die Getrenntschreibung! Das bedeutet, daß es Wörter geben kann (und es gibt sie!), die weder von den Zusammenschreibungs- noch von den Getrenntschreibungsregeln erfaßt werden. Und es kann Fälle geben (und es gibt sie!), in denen sowohl ein Zusammenschreibungs- als auch ein Getrenntschreibungskriterium zutrifft. Das heißt, die Regeln sind lückenhaft und widersprüchlich. Letzteres drückt die offizielle Rechtschreibkommission verharmlosend so aus: Es gibt eine Überlappung von § 36 E1 (1) und § 36 (2) (3. Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung, Abschnitt B 1.1.1).
Wenn das zu kompliziert erklärt war oder es noch weitere Fragen gibt, bitte nachhaken!!
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Jan-Martin Wagner
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