Gretchenfrage: WO steht das amtliche Regelwerk?
Man frage einmal einen deutschen Kultusminister, nicht, was im amtlichen Regelwerk drinsteht, nein, ganz einach, nur wo denn das amtliche Regelwerk zu finden ist, z. B. im Duden, vorne oder hinten. Auf die Antworten dürfte man gespannt sein.
Das SPIEGEL-Interview mit Hans Zehetmair (Ausgabe 37/1995) dürfte in die Geschichte eingehen:
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Zehetmair: Wir müssen uns die Entscheidung schwerer machen, als ich noch vor kurzem angenommenn habe.
SPIEGEL: Wollen Sie sich noch in den Reformvorschlag vertiefen, ein Buch mit 270 Seiten, 112 Regeln und einem Verzeichnis von 12 000 Wörtern?
Zehetmair: Man kann von den Kultusministern nicht verlangen, daß sie dieses Verzeichnis Wort für Wort durchgehen. Ich habe mir einen Überblick verschafft, aber ich kenne die Regeln noch nicht gut genug. Meinen Kollegen in den anderen Ländern wird es kaum anders gehen.
SPIEGEL: Wissen denn die Deutschen, in etwa, was auf sie zukommt?
Zehetmair: Nein, überhaupt nicht. Die breite Öffentlichkeit ist so gut wie gar nicht informiert. Deshalb werden viele erschrecken, wenn es nun zu einer Reform kommt, und zwar auch dann, wenn noch einiges geändert wird. Viele haben gar nicht mehr an eine Reform geglaubt, nachdem seit fast hundert Jahren alle Vorschläge gescheitert sind.
Man wird uns, die Kultusminister fragen: Was habt ihr denn da angestellt? Es wird große Aufregung und viel Streit, sogar erbitterten Streit geben, und es würde mich nicht wundern, wenn er mit der Schärfe von Glaubenskämpfen ausgetragen würde.
(...) (...)
SPIEGEL: Erlauben Sie uns bitte noch ein einziges Beispiel: Künftig machen fromme Katholiken in jedem Diktat einen Fehler mehr als andere Deutsche, wenn ein bestimmter Begriff vorkommt. Wie schreiben Sie: Heiliger Vater?
Zehetmair: Den Papsttitel?
SPIEGEL: Ja.
Zehetmair: Heiliger groß natürlich.
SPIEGEL: Das ist heute richtig und künftig falsch.
Zehetmair: Wo steht denn das?
SPIEGEL Im Wörterverzeichnis des Regelwerkes, kleingedruckt.
Zehetmair: Unmöglich, das halte ich beinahe für einen Eingriff in Glaubensfragen. Für katholische Christen ist klar, daß es einen Heiligen Vater, aber viele heilige Väter gibt, also Männer die ein heiligenmäßiges Leben geführt haben oder führen. Diesen Unterschied können doch nicht Sprachwissenschaftler mit irgendeiner Regel einebnen. Wie schreibt man künftig Stiller Ozean?
SPIEGEL: Wie bisher: Stiller Ozean. Es bleibt auch beim Regierenden Bürgermeister, bei der Roten Armee und bei der Gemeinen Stubenfliege.
Zehetmair: Und warum bleibt es nicht beim Heiligen Vater?
Spiegel: Die Reformer machen da Unterschiede, die sie bestenfalls selbst begreifen. Der Kalte Krieg soll künftig groß statt bisher klein, der Eiserne Vorhang umgekehrt klein statt groß geschrieben werden.
Zehetmair: Absurd.
SPIEGEL: Um auf Ihre Frage zu antworten: Den Heiligen Vater trifft der Paragraph 63: „In substantivischen Wortgruppen, die zu festen Verbindungen geworden, aber keine Eigennamen sind, schreibt man Adjektive klein.“ Also heiliger Vater wie bisher schon italienischer Salat, schwedische Gardinen, wie künftig auch letzte Ölung.
Zehetmair: Das kann ich nicht hinnehmen.
SPIEGEL: Der Papst verliert ja außerdem seinen Thron, ihm bleibt nur noch der Tron.
Zehetmair: Das kommt erschwerend hinzu.
SPIEGEL: Dem Heiligen Vater geht es wie dem Schwarzem Peter, der wird auch runtergestuft, zum schwarzen Peter.
Zehetmair: Meine letzten Zweifel schwinden, daß da finstere Ketzer am Werke waren.*
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* Hinweis: Bekanntlich wurde hier, auf Betreiben Zehetmairs, nachgebessert, in einem weiteren Schritt u.a. auch die Großschreibung Schwarzes Brett wieder gestattet, wenn der Begriff fachsprachlich verwendet wird.
Für den amtlichen, staatstreuen Schreiber stellt sich die Frage: Wie schreibe ich „schwarzes bzw. Schwarzes Brett“ in den Fällen, in denen es nicht unbedingt im fachsprachlichen Zusammenhang genannt wird, etwa bei einem Dialog etwa folgender Art: „Egon, häng bitte diesen Zettel ans (s)(S)warze Brett!“
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