Neue Beschlußvorlage zum 4. Bericht
(Beschlußvorlage für die KMK-Sitzung am 3. Juni 2004; unleserliche Stellen der Vorlage sind durch eckige Klammern kenntlich gemacht bzw. aus Paralleltexten rekonstruiert)
306. Kultusministerkonferenz
Vorlage zu TOP 11
Neuregelung der deutschen Rechtschreibung;
hier: Beschlussfassung über den 4. Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission und weiteres Verfahren
I. Beratungsziel und Beschlussvorschlag
Beratungsziel:
Entscheidung gemäß Beschlussvorschlag
Beschlussvorschlag:
1. Die Kultusministerkonferenz stimmt dem 4. Bericht sowie dem ergänzenden Bericht vom 18.05.2004 der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung zu und dankt der Zwischenstaatlichen Kommission sowie den Beiräten für ihre Arbeit.
Sie nimmt zur Kenntnis, dass die Berichte an der Neuregelung geäußerte Kritik, insbesondere zur Getrennt- und Zusammenschreibung, aufgreifen und die Zulassung weiterer Varianten vorschlagen.
Vertreter der Kultusministerkonferenz haben im März, April und Mai 2004 Gespräche mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Zwischenstaatlichen Kommission geführt. Dabei wurde deutlich, dass die Akademie Teile des 4. Berichts als deutlichen Fortschritt [im Sinne der] von ihr vertretenen Auffassung anerkennen kann. Die Gespräche haben weiter gezeigt, dass die Vertreter der Akademie und der Zwischenstaatlichen Kommission sich in Teilen der Diagnose der Sprach- und Orthografieentwicklung einig sind. Sie haben aber auch gezeigt, dass hinsichtlich des Verständnisses von Genese und Struktur orthografischer Normen derzeit nicht überwindbare Gegensätze bestehen. Gleichwohl haben diese Gespräche noch einmal zu Umformulierungen im Kapitel Getrennt- und Zusammenschreibung des Regelwerks (s. Ergänzender Bericht vom 18.05.2004) geführt, die die Kritik von Mitgliedern der Akademie berücksichtigen.
Die im 4. sowie im ergänzenden Bericht enthaltenen Änderungen treten mit Ablauf der Übergangszeit zum 01.08.2005 in Kraft. Durch die hier vorgenommenen zusätzlichen Änderungen werden – mit unwesentlichen Ausnahmen – keine der bisher unterrichteten Schreibweisen falsch, und es können alle Schulbücher, die der Neuregelung bisher schon folgen, weiter benutzt werden. Die Kultusministerkonferenz bittet die Präsidentin, eine entsprechende Vereinbarung mit der Bundesregierung sowie den Regierungen Österreichs, der Schweiz und Liechtensteins und
weiteren interessierten Staaten herbeizuführen und zu unterzeichnen.
Die Kultusministerkonferenz ist der Auffassung, dass die Entwicklung des Schriftgebrauchs zukünftig über einen längeren Zeitraum hinweg zu beobachten ist. Sie hält einen Zeitraum von 5 Jahren für angemessen, nach dem eine weitere Berichterstattung hierzu erfolgen sollte. Für diese Beobachtung sollte nach Auffassung der Kultusministerkonferenz ein Rat für deutsche
Rechtschreibung geschaffen werden, der die Aufgaben der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung sowie der jeweiligen Beiräte übernimmt.
Sie beauftragt den Generalsekretär mit der Bundesregierung sowie den zuständigen Stellen in Österreich, der Schweiz und Liechtensteins Kontakt aufzunehmen und eine abgestimmte Vorlage über die Aufgaben eines künftigen „Rates für deutsche Rechtschreibung“ und dessen Zusammensetzung vorzulegen.
Die Kultusministerkonferenz begrüßt die grundsätzliche Bereitschaft der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, sich an der Erörterung von Aufgaben und Struktur dieses Rates zu beteiligen.
II. Anlass bzw. Auftrag
Das Präsidium hat bei seiner Sitzung anlässlich der 305. Kultusministerkonferenz am 04.03.2004 eine Beschlussfassung über die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung auf der Grundlage des 4. Berichts der Zwischenstaatlichen Kommission und von Gesprächen mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung für das 306. Plenum am 03./04.06. 2004 vorgesehen.
III. Sachverhalt und Problemstellung
Stand der Reform:
Die innerstaatlichen Beschlüsse (274. Kultusministerkonferenz am 01.12.1995) und die Beschlüsse von Wien (01.07.1996 Wiener Absichtserklärung) haben die folgende Rechtslage geschaffen. Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung wurde zum 1. August 1998 in Kraft gesetzt und ist seitdem Grundlage des Rechtschreibunterrichts an den Schulen; außerdem ist die öffentliche Verwaltung daran gebunden. Bis zum Ende des Schuljahres 2004/2005, also bis zum 31.07.2005, gilt allerdings zur Abfederung des Übergangsprozesses eine Übergangsfrist, die für die Schulen bedeutet, dass veraltete Schreibweisen nicht als falsch, sondern als überholt gekennzeichnet und bei Korrekturen durch die neuen Schreibweisen ergänzt werden. Mit dem 31. Juli 2005 endet diese Übergangsfrist. Ab dem 1. August 2005 gilt ausschließlich die Neuregelung, eine neue Entscheidung ist dafür nicht erforderlich.
Jede Änderung an der amtlichen Regelung, zu der Regeln und Wörterverzeichnis gehören, setzt eine Entscheidung der politischen Gremien voraus. Solche Änderungen müssen auf dem gleichen Weg verabredet werden wie die Regelung selbst (Einverständnis der Länder und des Bundes, Einigung mit den internationalen Partnern).
Die Kommission und ihre Berichte:
Im Zusammenhang mit den Beschlüssen zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung wurde eine Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung eingerichtet. Ihr gehören 12 Wissenschaftler, 6 aus Deutschland und je 3 aus Österreich und der Schweiz an. Ihre Aufgabe besteht darin, die Umsetzung der Neuregelung beratend zu begleiten und auf lange Sicht Vorschläge zu deren Weiterentwicklung zu machen. Bisher erstattet die Kommission den staatlichen Stellen in den beteiligten Staaten im Abstand von zwei Jahren einen Bericht über ihre Arbeit. Der jetzt vorliegende Bericht ist der vierte. Ihm kommt besondere Bedeutung zu, weil der Übergangszeitraum auch dazu genutzt werden sollte, die Umsetzung des Regelwerks zu beobachten und daraus sich eventuell ergebende Konsequenzen in Form von Regelanpassungen zu formulieren. Diese Regelanpassungen sollten gleichzeitig mit dem Ende des Übergangszeitraums in Kraft treten, damit dann ein verbindlicher Stand erreicht wird.
Inhalt des 4. Berichts:
Die Kommission vertritt in ihrem Bericht die Einschätzung, dass sich die Neuregelung insgesamt bewährt hat. Das gilt erstens für das tragende Prinzip der Neuregelung, nämlich die Systematisierung mit dem Ziel, die korrekte Schreibung möglichst von einer Regel ableiten zu können. Dazu wurden Einzelfall- und Ausnahmeregelungen abgebaut und die Reichweiten der Regeln erweitert. Dies zeigt sich z.B. bei der konsequenteren Anwendung des Stammprinzips, bei der Behandlung des s-Lautes (ss nach kurzem Vokal bzw. in der Silbenfuge), bei der Behandlung von Substantivierungen (Typus: im Allgemeinen, das Folgende, im Dunkeln tappen), bei der Behandlung von Zusammensetzungen von Substantiv und Verb bzw. Verb und Adjektiv (Rad fahren wie Auto fahren, zwei Verben immer getrennt: spazieren gehen, sitzen bleiben), bei der Anwendung grammatischer Proben (Steigerbarkeit) bei der Getrennt- und Zusammenschreibung, bei der Silbentrennung (konsequent nach Sprechsilben). Dem Abbau von Ausnahmen dienen Schreibungen wie rau (nach dem Muster von grau, blau), Känguru (wie Kakadu, Gnu). Außerdem wurden deshalb Überreglementierungen beseitigt, z.B. bei der Behandlung von drei Konsonanten (9 bisherige Regeln sind entfallen) und bei der Zeichensetzung beim Infinitiv mit zu bzw. Partizipialgruppen.
Das gilt zweitens auch hinsichtlich der Akzeptanz der Neuregelung. Dabei kann sich die Kommission auch auf ihren dritten Bericht stützen, in dem ausführlich
- die positive Bewertung der Neuregelung durch die Lehrkräfte und
- die Bewährung in der schulischen Praxis anhand von Umfragen und Erhebungen beschrieben sowie
- die Umsetzung auch außerhalb der Schule und der öffentlichen Verwaltung (z.B. bei Verlagen, in der Buchproduktion, bei Zeitungen etc.) analysiert und dabei eine hohe Übernahme (75 % der Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt) festgestellt wird.
Mit den im 4. Bericht vorgeschlagenen Modifikationen hat die Kommission auf von verschiedener Seite geäußerte begründete Kritik reagiert. Sie betont aber, dass vor anderen und vorschnellen Änderungen Gewöhnungs- und Anpassungsprozesse abgewartet werden müssten.
Aktuelle Beratungen in den Gremien der Kultusministerkonferenz:
Die Amtschefskommission „Rechtschreibung“ hat am 05.02.2004 über den 4. Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission beraten (vgl. Schreiben des Sekretariats an alle Amtschefs vom 16.02.2004).
Anlässlich der 305. Plenarsitzung der Kultusministerkonferenz am 04.03.2004 hat sich das Präsidium mit der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung befasst. Im Vorfeld der Beratungen hatten die Präsidumsmitglieder Ministerin Dr. Schavan und Minister Reiche mit Vertretern der Zwischenstaatlichen Kommission und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ein Gespräch geführt, das in einer konstruktiven Atmosphäre stattfand. Dabei wurde deutlich, dass der 4. Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission auch einen Teil der bisherigen Vorstellungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung aufnimmt. Es wurde vereinbart, dass sich die Vertreter der Zwischenstaatlichen Kommission und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in zwei weiteren Gesprächen mit fachlichen Fragen der Neuregelung befassen.
Die Gespräche fanden am 23.04.2004 in Darmstadt und am 17.05.2004 in Mannheim statt. Die Gesprächsleitung übernahm der Generalsekretär der Kultusministerkonferenz auf Wunsch der Zwischenstaatlichen Kommission sowie der Deutschen Akademie. Kern der Diskussion waren die Neuregelungen zur Getrennt- und Zusammenschreibung. Es wurde vereinbart, daß Herr Prof. Dr. Eisenberg (Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung) in Abstimmung mit den interessierten Mitgliedern der Akademie den Versuch unternimmt, § 34 der amtlichen Regelung (Getrennt- und Zusammenschreibung von Verben in Verbindung mit Partikeln, Adjektiven und Substantiven) vollständig neu zu formulieren, und zwar so, dass er in das Regelwerk hineinpasst. Im Ergebnis konnte allerdings über eine Änderung des § 34 keine Einigung erzielt werden.
Der 4. Bericht wurde der Kultusministerkonferenz bereits mit RS-Nr. 544/2003 vom 02.12.2003 übermittelt. Der nunmehr vorgelegte ergänzende Bericht [...] Vorlage berücksichtigt die Ergebnisse der Gespräche der Zwischenstaatlichen Kommission mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Auch unter Einbeziehung der hier vorgenommenen zusätzlichen Umformulierungen im Regelwerk werden – mit unwesentlichen Ausnahmen – keine der bisher unterrichteten Schreibweisen falsch, und es können alle Schulbücher, die der Neuregelung bisher schon folgen, weiter benutzt werden.
I. Kosten und Finanzierung
Da ein Neudruck von Schulbüchern nicht erforderlich ist, entstehen auch keine Kosten für die Schulbuchverlage. Wörterbücher können im regulären Turnus ausgetauscht werden.
Geringe Kosten entstehen für die Schulverwaltungen der Länder, wenn sie den Schulen ein aktualisiertes Regelwerk kostenlos zur Verfügung stellen wollen.
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Th. Ickler
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