NWZ Nordwest-Zeitung
31.8.2004
Ideen für die Reform der Reform
RECHTSCHREIBUNG Akademie will Kompromiss – Autoren fordern Rücknahme
Gestern warb die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung nochmals für ihre Vorschläge zur Änderung der Rechtschreibreform. Man will endlich den „Rechtschreibfrieden“.
BERLIN DPA/AP Grundsätzlich müsse ein Expertenrat eingesetzt werden, so die Akademie, der seine Vorschläge bis zum Ende der bisher festgelegten Übergangszeit im Sommer 2005 ausarbeiten sollte. Sie plädierte gestern in Berlin auch dafür, die Übergangszeit um ein Jahr zu verlängern. Unterdessen bekräftigten deutschsprachige Schriftsteller wie Günter Grass, Martin Walser, Siegfried Lenz und Elfriede Jelinek eine „völlige Rücknahme der überflüssigen, inhaltlich verfehlten und sehr viel Geld und Arbeitskraft kostenden Rechtschreibreform“. Marcel Reich-Ranicki zum Beispiel kritisierte kürzlich: „War es richtig, Günter Grass den Nobelpreis zu verleihen? Die neue Rechtschreibung ist nicht sicher: Es handelt sich nicht etwa um einen ,wohlverdienten Preis’, was unmissverständlich ist, sondern nur um einen ,wohl verdienten’, also vermutlich verdienten Preis.“
Literaturverlage und Schulbuchkonzerne gerieten durch die Umsetzung der Neuregelung in eine komplizierte Lage, wie es in der in Berlin veröffentlichten Erklärung der 37 Mitglieder der Akademie der Künste und der Akademie für Sprache und Dichtung heißt. Auch der Potsdamer Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg hält die alte Orthographie für besser als die neue und sogar besser als den jetzt vorgelegten Kompromiss, doch sei eine totale Umkehr „unrealistisch“. Mit der jüngsten Entscheidung mehrerer großer Zeitungen und Zeitschriften, die neue Rechtschreibung nicht anzuwenden, sei eine Diskussion wieder in Gang gekommen, „die schon abgeschlossen schien – die Karre fuhr mit Hochgeschwindigkeit gegen die Wand“.
Der Präsident der Deutschen Akademie, Klaus Reichert, sprach von einer „starren und vernagelten Haltung der Kultusminister“. Auch der Reformpädagoge Hartmut von Hentig warf der Kultusministerkonferenz vor, ihre Arbeit nicht getan zu haben. „Wir stehen vor einem großen Unglück. Die Lehrer sind unschlüssig und verstehen die neuen, komplizierten Regeln nicht.“ Die Vorschläge sehen vor, „Elemente der neuen Rechtschreibung, die nicht allzu störend sind“, beizubehalten „und die schlimmen, unsere Sprache entstellenden Fehler zu beseitigen“. So sei die Ersetzung des ß nach Kurzvokalbuchstaben durch ss sprachlich verantwortbar.
Andererseits müssten Neuregelungen, die gegen die Sprachstruktur verstießen, die Ausdrucksvielfalt des Deutschen beschädigten und zu falschen Schreibweisen verleiteten oder sogar zur Beseitigung von Wörtern führten, rückgängig gemacht werden.
Selbstverständlich müsse man „anheimstellen“ zusammenschreiben dürfen, ebenso wie „haltmachen“. „Eislaufen“ und „Eis essen“ ebenso wie „Kennenlernen und Laufen lernen“ oder „wohlfühlen“ und „wohl fühlen“ seien grammatikalisch nicht das gleiche.
Die Verdreifachung von Konsonantbuchstaben anstelle der bisherigen Beschränkung auf zwei Buchstaben (Bettuch) führe teilweise zu grotesken, die Lesbarkeit störenden Wortbildern wie „Schwimmmeister“. Auch gebe es keinerlei Grund für die Kleinschreibung von Höflichkeitsformen.
Die Kompromissvorschläge liegen in Buchform vor: „Zur Reform der deutschen Rechtschreibung“, Wallstein Verlag, Göttingen, 144 S., 16 Euro.
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