Das fängt mit der Rechtschreibreform an.
Rheinischer Merkur 11.12.2008
DEUTSCH IM GRUNDGESETZ
Ich kreide an
Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, fordert Verfassungsrang für unsere Sprache und wettert gegen Sprachverfall und Anglizismen-Inflation.
[Bild: Schreibtafel]
Rheinischer Merkur: Braucht die deutsche Sprache eine Erwähnung im Grundgesetz? Was bewirkt das?
Josef Kraus: Es wäre schlicht ein Stück Normalität. Zwei Drittel der EU-Länder haben die Landessprache in ihrer Verfassung verankert. Auch in der Türkei hat das Türkische Verfassungsrang.
RM: In der Türkei gibt es eine ideologische Abgrenzung zur kurdischen Sprache, in Deutschland haben wir keine vergleichbaren Probleme.
Kraus: Doch. Wir steuern sprachlich auf Parallelgesellschaften zu. Berlin-Kreuzberg und -Neukölln sind fast schon autarke Gebiete. Vom Gemüsehändler bis zum Zahnarzt spricht dort alles türkisch. Ich sehe deshalb die Festlegung auf Deutsch als Landessprache als einen wichtigen Schritt zur Integration.
Die Vorschläge Cem Özdemirs, mehr Türkisch in deutschen Schulen zu lehren, oder des türkischen Premiers Erdogan, der in seiner Kölner Rede sagte, Assimilation sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der türkische Universitäten und Schulen in Deutschland forderte – das alles schmälert eher die Chancen von Bürgern mit türkischem Migrationshintergrund.
RM: Ist dieser Vorstoß nicht eine Wiederauflage der Leitkulturdebatte?
Kraus: Natürlich hat es etwas damit zu tun. Ich habe damit kein Problem, vielmehr stört es mich, wenn der Begriff Leitkultur als quasi-faschistoid wie eine verbale Keule gegen jeden, der diesen Begriff gebraucht, geschwungen wird. Es geht um Identifikation mit einem Gemeinwesen. Sprache ist nun mal die ganz entscheidende Basis von Kultur, weil sich Kultur ganz besonders über Sprache vermittelt.
RM: Normalerweise wird im Grundgesetz etwas festgeschrieben, was es zu schützen gilt. Vor wem oder was muss die deutsche Sprache geschützt werden?
Kraus: Wir müssen die deutsche Sprache schützen gegen einen niveaulosen, globalisierten Sprach-Mischmasch und gegen eine seichte Anglisierung. Im Kampf gegen dieses ausufernde BSE, Bad Simple English, hätte eine entsprechende Grundgesetzpassage eine Signalwirkung. Frankreich hat den Passus mit der Landessprache in seine Verfassung geschrieben und daraus Konsequenzen gezogen, zum Beispiel bei der Abwehr von Anglizismen. Für Zuwanderer ließe sich im Übrigen aus einem Verfassungsrang der Landessprache auch ein gewisser Anspruch ableiten, nämlich dass dieser Staat alles tut, um das Erlernen seiner Sprache zu fördern.
RM: In Frankreich besitzt die Académie Française die Sprachhoheit. Wer wacht hier über die Einhaltung? Die Duden-Redaktion oder das Bundesverfassungsgericht?
Kraus: Ich möchte keine Sprachwarte, die wir, was die Sprache der „political correctness“ betrifft, sowieso schon haben. Ein vorbildlicher Umgang mit der Sprache muss in freiwilliger Selbstverpflichtung an erster Stelle von den Medien, vor allem den öffentlich-rechtlichen, ausgehen. Auch Politiker, sogenannte Experten, Wissenschaftler und, Pardon: Auch Journalisten haben hier einiges zu tun und ein ordentliches, differenziertes, ausdrucksstarkes und verständliches Deutsch zu sprechen beziehungsweise zu schreiben. Und auch in der Schulpolitik gibt es da einiges nachzuholen.
RM: Worin liegen denn deren Versäumnisse?
Kraus: Das fängt mit der Rechtschreibreform an. Sie hat die Attitüde vermittelt, Sprache sei nichts Exaktes und hat damit der Beliebigkeit das Wort geredet. Das Ergebnis sieht man nach zehn Jahren in den Zeitungen, vor allem aber in den Schülerköpfen. Wir haben außerdem den Deutschunterricht in der Stundenzahl in einem Maße zurückgefahren, wie das kein anderes Land mit seiner Muttersprache tun würde. Selbst in sprachlich per se anspruchsvolleren Schulformen, in den Gymnasien, gibt es Jahrgangsstufen, wo pro Woche nur drei Stunden Deutsch unterrichtet werden. Es kommt hinzu, dass man weitgehend auf Literaturkanons verzichtet hat. Bei Deutschtests haben Schüler zum Teil nur noch Lückentexte zuzustöpseln und Multiple-Choice-Kreuzchen zu machen.
RM: Wäre es nicht genauso sinnvoll, eine Lanze für die deutsche Sprache im Ausland zu brechen, wo sie an Bedeutung verliert?
Kraus: Es ist tatsächlich ein gewaltiges Versäumnis, das ich der Bundesregierung, der Außenhandelswirtschaft und der Wissenschaftspolitik in Deutschland anlaste. Das beginnt mit der schwindenden Bedeutung der deutschen Sprache in der EU, es setzt sich fort in der mangelnden Bereitschaft deutscher Unternehmen, im Ausland die deutsche Sprache zu gebrauchen, und es schlägt sich auch nieder in der Geringschätzung dessen, was im deutsch-französischen Kulturabkommen festgelegt ist. Dort verpflichten sich die beiden Partner, die Sprache des jeweils anderen zu fördern.
Wir Deutschen tun das mit dem Französischen, indem etwa die Hälfte unserer Gymnasiasten und viele Realschüler in den entsprechenden Regionen Französisch lernen. Die Franzosen kümmern sich relativ wenig darum, dort hat das Deutsche erheblich verloren gegenüber dem Spanischen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Franzosen eine schulpolitische Kampagne zugunsten des Deutschen machen.
RM: Und was soll die Außenpolitik tun?
Kraus: Aufwachen! Sie hat die Stabilisierung des Deutschen im osteuropäischen Raum verschlafen. Ich sehe die Gefahr, dass es dort vom Englischen verdrängt und nicht mehr als erste Fremdsprache gelehrt wird. Im Wissenschaftsbetrieb meinen quasi-englisch radebrechende Professoren, sie würden sich als besonders modern erweisen, wenn sie Vorlesungen auf Englisch halten. Anträge bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft werden auf Englisch gestellt, obwohl die Gutachter Deutsche sind. Das sind alles Entwicklungen, die ich mit Sorge sehe.
RM: Selbst konservative Politiker haben sich zum Vorstoß „Deutsch ins Grundgesetz“ beim Stuttgarter CDU-Parteitag bedeckt gehalten. Auch die Kanzlerin. In anderen Parteien gibt es dafür überhaupt keine Mehrheit. Woran liegt es, dass die Politiker diesbezüglich so vorsichtig sind?
Kraus: Ob das Konservative sind, lassen wir einmal außen vor. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert zeigte sich doch sehr überrascht über die jüngsten Äußerungen der Kanzlerin, er hatte von ihr anderes in Erinnerung. Wirklich ärgerlich sind die Beiträge eines Herrn Ströbele und anderen von den Grünen. Von Deutschtümelei und solchem Unsinn war da die Rede. Ich halte das für maßlos überzogen, ja für nachgerade lächerlich.
RM: Wer schützt das Deutsche vor dem falschen Deutsch?
Kraus: Die Tatsache, dass manche nur einen Wortschatz von 800 bis 1200 Vokabeln nutzen, ist kein Argument, Sprache schleifen zu lassen. Ich bedaure sehr, dass Sprache im gesellschaftlichen, medialen und pädagogischen Bereich immer nachlässiger gesehen wird. Da gibt es gewaltige Sünden. Was uns vor allem private elektronische Medien zumuten, das ist inszenierter Sprachverfall. Wer Sprache verhunzt, muss öffentlich als lächerlich dastehen.
RM: Wenn sich für diese Kampagne keine Mehrheit findet, ist dann der Imageschaden der deutschen Sprache nicht umso größer?
Kraus: Gewiss wäre der Kitt, den dieses Gemeinwesen eigentlich nötig hat, dann noch ein bisschen brüchiger und es bekämen diejenigen Oberwasser, die eine Atomisierung in verschiedene Sprachkulturen und Parallelgesellschaften wünschen. Aber ich bin optimistisch.
RM: Wie soll das konkret aussehen?
Kraus: Ich denke in zeitlichen Dimensionen, die weit über die nächste Bundestagswahl hinausgehen. Es wäre allerdings nicht verkehrt, wenn das Thema in den kommenden Wahlkämpfen artikuliert würde, damit das Volk weiß, wie Politiker hier denken. Unsere Identität schöpfen wir doch hoffentlich nicht nur aus einem Sozialstaatspatriotismus und aus Debatten um Hartz IV oder Konsumgutscheine. Wir sollten uns über Alltagsprobleme hinaus unverkrampft mit Fragen nach unserer Identität befassen. Die leidenschaftliche Beschäftigung mit unserer Sprache wäre ein wunderbarer Einstieg.
Josef Kraus arbeitet als Oberstudiendirektor in Landshut. Das Gespräch führten Raoul Löbbert und Andreas Öhler.
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