Gemäßigte Kleinschreibung
Die sogenannte »gemäßigte Kleinschreibung« war eines der vier Großziele der Reformer (die anderen drei: die Einheitsschreibungen »das« und »ei«, Tilgung aller Dehnungszeichen (vor allem »h«) sowie die radikale Fremdworteindeutschung), von denen sie mindestens dreieinhalb nicht verwirklichen durften. Einzig und allein bei -graph- und -phon- sowie bei wenigen Einzelwörtern (Katarr, Panter usw.) wurde ihnen ein verschwindend kleiner Rest ihrer angestrebten »Vereinfachung« der Fremdwortschreibweisen zugestanden.
Nach der Untersagung der »gemäßigten« Kleinschreibung durch die Kultusminister mußten die Reformer die Heysesche s-Schreibung aus dem 19. Jahrhunder reaktivieren, um der Reform überhaupt ein Erkennungsmerkmal zu geben. Mit sehr Recht haben und kennen lernen hätte sich niemand vom Sinn der Reform überzeugen lassen.
Nun aber zur »gemäßigten« Kleinschreibung:
Als Hauptargument für die Einführung der Kleinschreibung muß immer wieder die angebliche Isolation der deutschen Sprache herhalten, da sie die einzige ist, die die Substantivgroßschreibung beibehalten hätte (was nicht stimmt, denn neben Deutsch besitzt nach wie vor auch Luxemburgisch – vom Hochdeutschen genausoweit entfernt wie das Niederländische, das den Reforern gern als Beispiel für die Kleinschreibung in einer anderen Sprache dient – die Markierung der Hauptwörter durch große Anfangsbuchstaben), obwohl nicht bedacht wird, daß die »gemäßigte« Kleinschreibung gar nicht so klar und einfach zu erlernen ist, wie von seiten der Reformer immer wieder behauptet wird.
Die niederländische Kleinschreibung unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von der englischen, und diese weicht wieder in fast allen Punkten von dem Kleinschreibvorschlag des Herrn Landolt ab, den ich im übrigen für unlernbar halte. Das, was uns die »taz« präsentierte, nannte sich auch »gemäßigte Kleinschreibung«, wich aber ebenfalls von den bereits genannten Varianten ab.
Soll man wirklich – so direkt aus der Beispielwörterliste von Herrn Landolt übernommen – schreiben: „Der kaufmännische direktor der firma Opel fuhr mit seinem opel corsa von der geschäftsstelle des Roten kreuzes in der Hansestadt Hamburg der Bundesrepublik Deutschland in den kanton Graubünden. Als er letzte woche in China war, konnte er am himmel zwar den Wagen (auch genannt: der Grosse bär), aber nicht das sternbild der Leier sehen. Dadurch war er so verwirrt, dass er, als er wieder zu hause war, versehentlich zur Aargauischen kantonalbank statt zur kantonalen heilanstalt Burghölzli ging. Inzwischen leben zwar sowohl in der Schweiz als auch auf den britischen inseln viele schweizer, aber weder Karl der grosse noch der Alte Fritz hätten dafür verständnis gehabt.«?
Lernbar ist das alles nicht, und selbst die englische Kleinschreibung, die bei weitem logischer ist als das, mit dem uns ein angeblicher »Bund für vereinfachte rechtschreibung« beglücken möchte, hat ihre Tücken, so daß man zum Beispiel member of Congress (USA), aber Member of Parliament (UK) schreibt. Mit der Abgrenzung von Eigennamen tut sich die englische Rechtschreibung ebenfalls schwer. Keinesfalls wird diese überall gleich vorgenommen, aber die Zeitungen scheinen nach der Regel »Im Zweifelsfall groß!« vorzugehen.
Nicht nur die englischen Regeln der Groß- und Kleinschreibung bereiten Probleme, sondern auch die keinesfalls einheitliche Zeichensetzung, die extrem komplexe Silbentrennung sowie die völlig chaotische und ständig im Fluß befindliche Getrennt- und Zusammenschreibung bei mehrteiligen englischen Substantiven. Dies alles wird sowohl in Großbritannien als auch in den USA bei weitem nicht so genau wie bei uns genommen, und nur daraus (und nicht aus der »gemäßigten Kleinschreibung«) resultiert die Tatsache, daß scheinbar keinerlei Probleme existieren.
Die Substantivgroßschreibung im Deutschen verbessert nicht nur die Lesbarkeit von Texten, sondern nimmt dem Schreiber auch oft mehr Probleme ab, als durch sie entstehen.
Des weiteren erkennen Befürworter der Kleinschreibung nicht, daß die Hauptschwierigkeit der deutschen Rechtschreibung bei der Getrennt- und Zusammenschreibung und nicht bei der Groß- und Kleinschreibung oder der Laut-Buchstaben-Zuordnung (und sie äußern sich fast ausschließlich nur zu diesen zwei Bereichen) liegt.
Und dieses Problem löst die bewährte Rechtschreibung um ein vielfaches besser als die Neuregelung, die ab dem 28. August (nach der amtlichen Regelung 1996, dem Duden von 1996 und dem Duden 2000) in ihrer nun zum viertenmal modifizierten Version vorliegen wird.
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Christian Dörner
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