STZ Stuttgarter Zeitung
Artikel aus der Stuttgarter Zeitung vom 20.08.2004
Zum guten Schluss wird einheitlich geküsst
Die Rechtschreibung, die Reform und die Kommissionen: Gespräch mit Rudolf Hoberg von der Gesellschaft für deutsche Sprache
Es ist fast wie bei Hartz IV, dabei dreht sich doch alles nur um ein paar Buchstaben. Oder? Am kommenden Montag treffen sich in Wien die Fachbeamten der Kultusminister der Länder, um abermals über die Rechtschreibreform zu beraten. Aus diesem Anlass hat sich Roland Müller mit dem Sprachwissenschaftler Rudolf Hoberg unterhalten.
Herr Hoberg, Sie sitzen in der Kommission, welche die neue Rechtschreibung ausgeheckt hat. Was haben Sie falsch gemacht?
Sie irren, Herr Müller. Ich bin nur Mitglied jener Kommission, die über die Entwicklung der Reform wachen und gegebenenfalls Änderungen vornehmen soll. Ich sitze, so der offizielle Titel, in der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung. Die Reform aber ist von einer anderen Kommission erarbeitet worden. Insofern kann ich nichts falsch gemacht haben.
Okay, aber der Widerstand ist enorm. Große Zeitungsverlage wollen zur alten Schreibung zurückkehren, Politiker dito wenn nicht Sie, dann haben zumindest Ihre Kollegen etwas falsch gemacht.
Nein, haben sie nicht. Sie haben einen Entwurf für eine Reform vorgelegt, von deren Notwendigkeit ich überzeugt bin. Die Richtung stimmt im Großen und Ganzen.
Wo liegt die Notwendigkeit der Reform?
Die deutsche Rechtschreibung wurde zum ersten Mal 1901 festgelegt, davor konnten die Deutschen vereinfacht gesagt schreiben, wie sie wollten. Das war eine Festlegung, die bestimmte Bereiche ausgelassen hat, was dann jeweils zu Wildwuchs geführt hat, zum Beispiel in der Zusammen- und Getrenntschreibung. Seit 1901 wurde immer wieder gefordert, diese Festlegung zu überarbeiten, selbst Mitglieder der damaligen Kommission wünschten dies, etwa Konrad Duden. Und der erste Reformvorschlag, der staatlich akzeptiert wurde, war jener, der 1996 verabschiedet worden ist.
Der Wildwuchs hat jetzt ein Ende?
Sagen wir es so: Die Reform schafft, verglichen mit früheren Zuständen, größere Klarheit. Sie hat kein Chaos ausgelöst, wie immer behauptet wird, weder in den Schulen noch in den Zeitungen. Natürlich müssen sich die Menschen daran gewöhnen, vor allem die älteren, aber die Reform das muss immer wieder betont werden ist nur für die Schulen und den öffentlichen Dienst bindend. Keine Privatperson, auch keine Zeitung muss sich an die neue Schreibung halten.
Kann sie sich unter diesen Voraussetzungen überhaupt durchsetzen? Oder ist sie nicht doch eine Totgeburt?
Ich selbst gehöre der älteren Generation an und weiß, dass umgewöhnen schwierig ist. Nach der Festlegung von 1901 hat es Jahrzehnte gedauert, bis die Menschen die neuen Regeln akzeptiert haben. Neuere Umfragen zeigen aber, dass die Jüngeren die Reform begrüßen, weil sie deren Vorzüge erkennen.
Wo liegen die Vorzüge? Was ist mit der neuen Orthografie leichter geworden?
Ich könnte viele Einzelheiten nennen. Was auch von den meisten Kritikern anerkannt wird, ist die Schreibung von Doppel-s statt ß. Diese Regel galt schon früher, also nach kurzem Vokal ss und nach langem Vokal ß, sie hatte nur zwei Ausnahmen: am Ende eines Wortes wurde immer ß geschrieben, also Kuß; und ß wurde auch geschrieben, wenn ein Konsonant folgte, also er küßt. Korrekt war also küssen mit Doppel-s sowie er küßt und der Kuß mit ß. Diese Verwirrung wurde beseitigt. Heute wird einheitlich geküsst ein Verdienst der Reform.
Wenn alles so einfach geworden ist, wie Sie behaupten weshalb sind die Akzeptanzprobleme bei der neuen Rechtschreibung dann fast so groß wie bei Hartz IV?
Ich glaube, dass uns diese Akzeptanzprobleme aufgeschwätzt werden. Nach meiner Einschätzung interessiert die Reform 90 Prozent der Menschen überhaupt nicht mehr. Der Protest kommt von ein paar Bildungsbürgern, die von Anfang gegen die Neuerung waren, was ihr gutes Recht ist. Aber ernsthafte Probleme sehe ich nicht.
Sehen Sie wenigstens die Notwendigkeit gewisser Korrekturen an der Reform?
Seit der Verabschiedung der Reform ist immer wieder Detailkritik geäußert worden. Meine Kommission hat darüber nachgedacht und bestimmte Dinge auch korrigiert. Ich nenne das Beispiel Leid tun, was die Leute ja furchtbar aufgeregt hat wir haben der Kultusministerkonferenz empfohlen, beide Schreibweisen zuzulassen, also auch das frühere leid tun, weil es linguistisch schwer zu sagen ist, ob dieses Leid beziehungsweise leid ein Substantiv oder ein Adjektiv ist. Solche Korrekturen hat es in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben. Wir sind keine Betonköpfe, wir nehmen Kritik ernst.
Was halten Sie von dem jetzt aus dem Saarland kommenden Vorschlag, den Stichtag 1. August 2005 dann soll die Reform verbindlich werden aufzuheben?
Nichts. Wir müssen zu einem Ende kommen, das erwarten auch die Schulen, die in ihrer überwiegenden Zahl mit der Reform zufrieden sind. Es werden immer Menschen gegen Reformen protestieren, ob es nun um Krankenkassen oder Hartz IV geht wobei ich persönlich in der Rechtschreibreform ja eher ein Reförmchen sehe, was sich auch an folgenden Zahlen zeigt: Man hat ausgerechnet, dass etwa zwei Prozent eines Textes überhaupt von der neuen Schreibung betroffen sind; und von diesen zwei Prozent beziehen sich wiederum 95 Prozent nur auf die Doppel-s und ß-Schreibung.
Das klingt, als wären auch Sie mit dem Reförmchen nicht ganz zufrieden. Ist man etwa zu kurz gesprungen?
In meinen Augen schon. Ich hätte mir eine radikalere Reform gewünscht. Und wenn man im Voraus gewusst hätte, welches Theater es nach 1996 immer wieder geben würde, hätte man sich sicher auch anders verhalten: Entweder hätte man auf die Reform ganz verzichtet oder und das wäre mein Plädoyer gewesen sie entschieden radikaler durchgeführt. Ich hätte etwa die Großschreibung der Substantive abgeschafft.
Sie hätten diesen Kulturbruch tatsächlich gewagt?
Es gibt nicht den geringsten Grund, warum man Substantive groß schreibt. Deutsch ist die einzige Sprache, in der man das tut. Viele Probleme hätten sich dann von selbst gelöst.
Aber Sie reden damit doch dem Sprachverfall das Wort!
Nein, tue ich nicht. Das ist leider ein weit verbreitetes Missverständnis, dass es bei einer wie auch immer gearteten Orthografiereform um Sprache gehe. Es geht um deren schriftliche Fixierung. Viele Menschen verwechseln das, merkwürdigerweise auch solche, die mit Sprache und Schrift von Berufs wegen zu tun haben, Dichter also. Wir aber werden nach der Reform kein Jota anders sprechen als vor der Reform. Es ändert sich nur die Schreibung, obendrein höchst minimal, wie ich bereits gesagt habe.
Werden die neuen Kommunikationsmedien, also E-Mails und SMS, unsere Schrift nachhaltiger verändern als die Reform?
Ich vermute. Bei E-Mails und SMS nehmen die Menschen die Regeln nicht mehr so genau, weil es sich dabei meist um eine Art Privatgespräch handelt die Fehlerzahl nimmt enorm zu. Beispielsweise haben die Menschen, die solche Medien für Privates nutzen, immer weniger Lust, zwischen ß und Doppel-s zu unterscheiden und schreiben fast nur noch Doppel-s. Oder sie lassen die Umlaute weg, vor allem dann, wenn sie im internationalen Mailverkehr geübt sind. Denn der Umgang mit umlautlosen Sprachen wirkt sich auf ihr Deutsch aus: Müssen schreiben sie dann bald nicht mehr mit zwei Pünktchen, sondern mit ue, also muessen.
Am Montag treffen sich Fachbeamte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Wien, um über das weitere Vorgehen bei der Rechtschreibreform zu beraten. Wissen Sie Konkreteres?
Man wird sich wohl darauf verständigen, auf jeden Fall an der Reform festzuhalten. Zudem wird man den Rat der deutschen Rechtschreibung, der die Zwischenstaatliche Kommission als Beratungsgremium ersetzen soll, vorbereiten. Näheres weiß ich auch nicht.
Aber Sie sind sicher, dass die Rechtschreibreform nicht gekippt wird . . .
Ich bin sicher.
Aktualisiert: 20.08.2004, 06:17 Uhr
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