Kürschner schrieb auf dem Nachrichtenbrett:
Zitat: Ich hatte die Namen der Neuschreiber ja schon genannt: Walser, Lenz, Kempowski. Sie (oder ihre Sekretäre oder, wenn es sie noch gibt, ihre Lektoren) schreiben reformierter als sie und Sie denken.
Studenten, die zu mir in die Sprechstunde wollten, wurden gebeten, in jeweils einem der neuen Werke dieser Autoren wahllos Seiten aufzuschlagen und nach Neuschreibungen zu suchen: In Walsers „Augenblick der Liebe“ (2004) wurden sie gleich auf der ersten Seite (S. 9) fündig: „platziert“. Wer Seite 86 aufschlägt, stolpert über „eine Zeit lang“.
In dem ansonsten sehr sorgsam geschriebenen „Fundbüro“ (2003) von Siegfried Lenz findet sich auf Seite 41 die „Rote Grütze“ (Revisionsschreibung) und auf Seite 27 „sein Möglichstes tun“.
Die Schreibung „gewiss“ stammt aus „Letzte Grüße“ von Walter Kempowski (2003, Seite 22), der uns übrigens mit interessanten dänischen Wörtern überrascht. Auf Seite 41 erfindet er die „Osterbrodgade“ und eine Seite darauf belehrt er uns, dass Bier „auf dänisch bekanntlich ‚Øl’ heißt“, mit großem Anfangsbuchstaben, als ob die Dänen nicht, gerade um sich vom Deutschen und von den Deutschen abzusetzen, nach Kriegsende eine Orthografiereform mit Beseitigung der Substantivgroßschreibung durchgeführt hätten! Und nochmals eine Seite später erfahren wir, dass „dann noch ‚Øst’ serviert [wurde], also Käse“. In Wahrheit heißt Käse auf Dänisch „ost“ (mit „o“ und kleinem Anfangsbuchstaben), sodass die gerade erwähnte Straße in Kempowskis Lesart „Käsebrückenstraße“ statt wie vorgesehen „Ostbrückenstraße“ („Østerbrogade“) heißt. Reformiert schreibt er auf Seite 42, dass sich bei einer Einladung zum Geburtstag bestimmen lasse, wen man „einladen würde, wen bestimmt, wen vielleicht und wen auf gar keinen Fall“. Dadurch „ergäbe sich eine Gelegenheit, Leute zu erheben oder fallen zu lassen, je nachdem“.
Lieber Herr Kürschner,
an dieser Stelle hier im Forum bin ich gerne bereit weiterzudiskutieren.
warum Walser „platziert schrieb, weiß ich nicht. Er wird möglicherweise einen Grund gehabt haben. Dafür müßte ich aber den Kontext kennen. Das begründet aber nicht irgendeine Legitimation, „placiert“ oder „plaziert“ zwangsweise und von oben herab durch „platziert“ zu ersetzen.
„eine Zeit lang“ ist frei konstruierbar. Aus dem Kontext müßte ersichtlich sein, warum der Autor eben nicht „eine Zeitlang“ geschrieben hat. Auch wird Siegfried Lenz gewußt haben, warum er die „Rote Grütze“ als festen Begriff verstanden wissen will. Es geht doch darum, daß uns die Reformer VERBIETEN, Nominationsstereotype groß zu schreiben, es sei denn, sie wären „fachsprachlich“.
Zum dänischen Øl ist nur soviel zu sagen: Schauen Sie mal auf eine Originalflasche dänischen Bieres. Darauf steht „Øl“ mit großem „Ø“.
Ansonsten handelt es sich wohl hier eher um Erbsenzählerei. Fünf mögliche Rechtschreibfehler in ich-weiß-nicht-wieviel Seiten (ja, auch das DARF ich so schreiben, ohne daß es im Wörterbuch steht!) rechtfertigen es nicht, die gesamte deutsche Gegenwartsliteratur einer Zwangsrevision in Neuschreib zu unterziehen.
– geändert durch Karsten Bolz am 01.09.2004, 17.03 –
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Karsten Bolz
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