Welt
Samstag, 21. August 2004 Berlin, 05:52 Uhr
Literarische Welt
Jetzt wird zurückgeschrieben
Die Rechtschreibreform ist gescheitert. Zeitungsverlage wie der Axel-Springer-Verlag kehren zu den alten Regeln zurück. Acht Schriftsteller schreiben Nachrufe auf eine große deutsche Debatte
von Monika Maron, Peter Schneider, S
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Besucher der Frankfurter Buchmesse vor einem Transparent des Duden
Foto: ddp
Monika Maron: Den Schriftstellern wird vorgeworfen, sie hätten sich, wenn ihnen die Rechtschreibung denn so heilig sei, früher in die Diskussion einmischen sollen. Aber wahrscheinlich ging es vielen ähnlich wie mir und die angekündigte Rechtschreibreform kam ihnen nicht sonderlich gefährlich vor. Dass statt daß und Be-cken statt Bek-ken und die eine oder andere Kommaregel; solange sie das Semikolon nicht abschaffen, dachte ich, und solange sie den Substantiven ihre Großbuchstaben nicht rauben, was der Eliminierung des Sie in den Umgangsformen gleichgekommen wäre, solange werde ich mit dieser Reform leben und schreiben können, dachte ich. Bis ich mein erstes reformiertes Manuskript zu korrigieren hatte, das mir in einer gemäßigten S. Fischer-Rechtschreibversion vorlag. Es war eine Sammlung älterer und neuerer Texte. Die älteren blieben, wie sie waren, die neueren wurden transformiert und in einem der transformierten fand ich den Satz: Egal, was E. sagt, mir tun die Männer Leid und das war genau das Gegenteil von dem, was ich hatte sagen wollen. Ich wollte sagen, dass ich die Männer bedauere, und nun stand da, dass die Männer mir ein Leid antun. Es fand sich noch eine Reihe anderer, mittlerweile viel zitierter Grausamkeiten, die ausreichten, mich zu einer bekennenden Gegnerin der Rechtschreibreform zu machen und denen, die sie angerichtet hatten ganz offensichtlich Menschen, die weder Gefühl für die Sprache hatten, noch Respekt vor ihr das Recht, sich an ihr zu vergreifen, rundum abzusprechen. Denn ihre Beteuerungen, nur am Kleid der Sprache, nicht aber an ihrem Fleisch herum geschnitten zu haben, bewies nur, dass sie nicht einmal verstanden, was sie taten. Jetzt zu behaupten, die Gegner hätten früher protestieren müssen, zeugt von nicht geringer Ignoranz. Die Schriftsteller haben sich der Reform zum großen Teil verweigert und ihre Bücher in herkömmlicher Schreibweise erscheinen lassen, Wissenschaftler und Journalisten haben interveniert, aber die Sprache war ins Getriebe der Bürokratie geraten, der Kultusbeamten und einem Teil der Lehrerschaft, der offenbar meint, wenn Fehlerquellen beseitigt sind (was ja wohl nicht einmal der Fall ist), hätten sie besser unterrichtet oder wären die Kinder nun klüger. Und wenn sich unter den älteren Schülern jetzt der Slogan von den erwachsenen Legasthenikern, die zu blöd seien, neue Regeln zu lernen, ausbreitet, lässt das befürchten, dass man ihnen nicht nur die Orthographie nicht hat beibringen können, sondern offenbar auch jede Sprachempfindlichkeit abtrainiert hat.
Jetzt, da einige große Verlage und Zeitungen ihre Macht gebrauchen, um den Countdown abzubrechen, wird ihnen vorgehalten, sie boykottierten ohne Legitimation die Arbeit demokratisch gewählter Institutionen. Aber wer wurde demokratisch gewählt, um diesen Unfug mit dem Leid zu verzapfen? Eine demokratische Wahl berechtigt nicht zur Amtsanmaßung.
Der hemmungslose Trieb der Bürokratie zu beherrschen, was sie bedienen sollte, wird ausgerechnet bei der Rechtschreibung zum Skandalon, weil sie alle betrifft, während der alltägliche bürokratische Irrsinn nur von den jeweils attackierten Gruppen wahrgenommen wird.
Es ist ganz gleichgültig, welche Partei wir wählen, den sich selbst als Sinn genügenden bürokratischen Apparat wählen wir immer mit. Aber wie wehrt man sich gegen etwas, das von Natur aus so machtgierig ist, das in jeden Spalt, jeden Riss im noch unreglementierten öffentlichen Leben hemmungslos hineinwuchert, das aber nicht abwählbar ist? Man kann es nur boykottieren, wenn man kann. Und diesmal können wir.
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Monika Maron lebt in Berlin. Zuletzt erschien Geburtsort Berlin mit Fotos von Jonas Maron bei S. Fischer.
Helmut Krausser : Das entscheidende Argument gegen die Rechtschreibreform ist, dass ich dagegen bin. Außerdem ist Schröder für die Reform. Das sind schon zwei entscheidende Argumente. Wir brauchen unser ph! lautete übrigens der letzte schwach gequiekte Satz der eben an Floridas Küste aus Protest gegen die Reform Selbstmord durch Zwangseinschläferung verübt habenden Delfine. Wessen Herz wäre roh genug, sich diesem letzten Willen zu widersetzen?
Helmut Krausser lebt in München. Zuletzt erschien seine Geschichte Die wilden Hunde von Pompeji bei Rowohlt.
Peter Schneider: Es ist schon merkwürdig, dass jetzt Großverlage darüber befinden wollen, wie wir recht zu schreiben haben. Wenn Axel Springer, Spiegel und Süddeutsche Zeitung ankündigen, dass sie zur alten Rechtschreibung zurückkehren werden, ist damit das Bedürfnis nach einer Reform ja nicht erledigt. Die Reform, die jetzt bekämpft wird, war in mancher Hinsicht unglücklich, hat aber auch sinnvolle Neuerungen gebracht. Jetzt werden wir zwei oder drei Jahrzehnte lang keine einheitliche Rechtschreibung haben. Aber ist das so schlimm? Ich wundere mich über manche meiner Kollegen, die so tun, als sei das deutsche Volk mit der alten Rechtschreibung auf die Welt gekommen. So wie die Sprache sich bewegt falls sie lebendig ist muss sich selbstverständlich auch ihre Schreibung bewegen. Es ist unsinnig, die bisher gültige Orthografieklassisch zu nennen, wie es im gegenwärtigen Streit oft geschieht. Man muss sich im Übrigen nur einmal meine Originalmanuskripte und die meiner Kollegen im Zustand vor der Lektorierung anschauen. Dann wird man es doch zweifelhaft finden, dass deutsche Schriftsteller sich als orthodoxe Rechtschreib-Päpste aufführen. Auch die alte Rechtschreibung enthält Regeln, die jeden Menschenverstand kränken. Es ist widersinnig, etwas als Kulturgut zu verteidigen und konservieren zu wollen, was so dem Wandel unterliegt wie die Rechtschreibung. In den Briefen des jungen Schiller etwa an seine Geliebte Charlotte finden sich oft zwei, ja drei Schreibungen für ein Wort. Unser literarisches Erbe hängt natürlich nicht an einer einheitlichen Orthografie. Darf man eigentlich noch daran erinnern, dass die Gebrüder Grimm wie Österreich und die Schweiz zu Beginn der Reformdebatte noch für die Kleinschreibung eingetreten sind? Wir Deutschen haben ein fundamentalistisches Verhältnis zur Rechtschreibung. In keinem anderen Land der Welt spielt sie in der Schule eine so Erfolg bedingende oder auch Erfolg verhindernde Rolle wie in Deutschland. Deshalb ist es jetzt auch ein erhebliches Problem, dass bald in den gedruckten Massenmedien anders geschrieben als in den Schulen gelehrt wird. Ich kann nur hoffen, dass dem mit einer gewissen Lässigkeit und Gelassenheit begegnet wird. Ich sehe keine Möglichkeit, wie in absehbarer Zukunft eine einheitliche Rechtschreibung durchgesetzt werden soll. Müssen wir Deutsche uns also wieder einmal auf die Suche nach unserer Identität begeben? Falls wir sie in der Rechtschreibung suchen, werden wir nicht fündig werden.
Peter Schneider lebt in Berlin. Zuletzt erschien der Erzählungsband Das Fest der Missverständnisse bei Rowohlt.
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Frank Goosen: Rechtschreibreform ja oder nein? Und wenn ja, welche? Die von neulich oder die von 1901? Oder doch wieder wie zu Goethes Zeiten, als sogar der Meister so schrieb, wie es ihm die Stimmung eingab? Ich gebe zu, ich bin hin und her gerissen, also manchmal geneigt, die ganze Diskussion mit einem indignierten Seufzer Hach, diese Streiterei ist mir zu deutsch! vom Tisch zu fegen, dann wieder wild entschlossen auch fürderhin wohlverdienter Urlaub statt wohl verdienter Urlaub zu schreiben, und leid nach es tut mir sowieso klein. Andererseits verwende ich seit ein paar Jahren begeistert dass statt daß", sehe allgemein nicht ein, wieso nach kurzen Vokalen das "ß" stehen soll und trenne lustvoll s von t. Gut, Flussschifffahrt sieht richtig blöd aus, kommt aber auch nur selten vor. Mittlerweile gibt es aber schon Fotografie statt Photographie und niemand regt sich auf. Also: Grausamkeiten wie die zwanghafte Getrenntschreibung kassieren, ansonsten weiter wie zuletzt. Und vor allem: nie wieder eine Kommission zur Rechtschreibreform! Manchmal muss man Sprache einfach machen lassen.
Frank Goosen lebt in Bochum. Zuletzt erschien sein Geschichtenband Mein Ich und sein Leben bei Eichborn.
Burkhard Spinnen: Zur Rechtschreibreform hatte ich nie eine besondere Meinung. Ich hielt sie nicht für lebenswichtig. Auch fühlte ich mich nicht gar so zuständig: Meine Arbeit gilt eher dem rechten Schreiben als dem Rechtschreiben. Auch jetzt beziehe ich ungern Stellung. Lieber grabe ich mir zu meinem Schutz ein Sommerloch. Und winke daraus mit einer weißen Fahne, auf der auch keine Meinung, sondern ein kleiner Hinweis geschrieben steht: Die neuen Regeln werden, so höre ich, nicht angenommen. Waren denn die alten jemals angenommen? Gut rechtschreiben hieß doch nie, alle Schreibweisen zu kennen. Bei der Fülle des Unregelmäßigen hieß es vielmehr, möglichst oft und an der richtigen Stelle nachzuschlagen. Ich habe früher wissenschaftliche Texte redigiert. Da erfuhr ich schnell, was ich alles nicht wusste oder immer wieder vergaß! Nie aber war das Nachschlagen so einfach wie heute. Wer in Richtung Veröffentlichung schreibt, tut das am PC, wo im Hintergrund die Korrekturprogramme laufen. Und der Duden steht nicht irgendwo in veralteter Auflage, sondern einen Klick entfernt und brandneu im Netz. Dies meine kleine weiße Fahne.
Burkhard Spinnen lebt in Münster. Zuletzt erschienen seine Erinnerungen LegoSteine bei Schöffling.
Said: Während in anderen ländern akademien sich mit der sprache befassen, wird hierzulande eine kommission einberufen, deren mitglieder auch vertreter des deutschen beamtenbundes und die der deutschen industrienorm waren. nimmt es wunder, wenn das ergebnis nur halbherzig ist? ich lerne lieber deutsch von hans henny jahnn und franz kafka. zur blütezeit der diskussion um die rechtsschreibreform unterbreitete harald weinrich Ein(en) Vorschlag zur Güte: 1. Scharfes S entschärfen. 2. Drei gleiche Konsonanten entzerren. 3. Nur eine einzige Kommaregel beachten. 4. Silbentrennung als unwichtig ansehen. 5. Grenzfalltoleranz üben. dieser vorschlag ist leider im getöse untergegangen. er hätte uns einiges erspart und ist auch heute die optimale lösung.
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Nun scheint die kostspielige rechtschreibreform tot zu sein. die art, wie sie endlich makulatur wurde, ist angemessen. denn nun hat die öffentlichkeit die entscheidung getroffen. von den scheinreformen hat bislang nur die industrie profitiert. sollten die reform nun zurückgenommen werden, profitiert abermals die industrie davon. opfer sind wieder einmal kinder und lehrer.
Said lebt in München. Zuletzt erschien sein Gesprächsband In Deutschland leben bei C. H. Beck.
Michael Lenz: Frei nach Daniil Charms wird schon so mancher Schriftsteller auf den aus tiefer Überzeugung geäußerten Einwand Sie haben sich da verschrieben geantwortet haben: Bei mir sieht das immer so aus. Poetische Freiheit? Warum nicht ein Orthografiereformer in eigener Sache sein wie anno dazumal Kurt Schwitters, der eine phonetische Schreibung erfand: wie gehört, so geschrieben. Die Frage: Was soll das denn heißen? bekäme ganz neue Qualitäten. Man stelle sich andererseits den jetzt die unsägliche Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung ersetzen sollenden Rat für deutsche Rechtschreibung(!) aus lauter Autoren bestehend vor. Da würde die Schrift eitel an die Wand gestellt. Bald schon ginge es um Privatbesitzansprüche am Komma, zum Beispiel. In der Debatte um die neue Rechtschreibreform sind die Schriftsteller am wenigsten brauchbar. Je älter, desto weniger, scheint es. Was eigentlich, wenn eine Schreibung als neu dekretiert worden ist und dennoch hält sich niemand daran? Die schulischen Konsequenzen zumindest wären eindeutig. Eineindeutig ist ein Begriff aus der Logik. Wäre die Sprache eineindeutig, wären wir alle längst schon tot. Ach so, ja, die Reform: Bleibt zu hoffen, dass der Wiener Kongress eine Modifizierung erzielt. Nachdem das Reformwerk bereits seit Jahren inhaliert wird, wäre eine Rückkehr zur alten Schreibe mittlerweile schon ebenso kommatös. Und dann am besten das Ganze so schnell wie möglich vergessen. Sonst kommt Kurti!
Michael Lenz lebt in Berlin. Zuletzt erschien sein Roman Liebeserklärung bei S. Fischer.
Uwe Tellkamp: Ich bin nicht grundsätzlich gegen Reformen, nur müssen sie durchdacht und notwendig sein. Deshalb bin ich ein entschiedener Gegner der Rechtschreibreform. Diese Angelegenheit, die eigentlich traurig ist, weil sie wieder einmal mehr gezeigt hat, welche Unsinnigkeiten in diesem Land möglich sind, zum Beispiel eben einen über Jahrhunderte gewachsenen Schatz, die eigene Sprache, zum flickbedürftigen Lumpen zu erklären, erinnert mich an einen englischen Witz: Ein Mann kommt aus der Schneiderei und trägt einen Anzug, der hinten und vorne nicht passt, so dass er sich grotesk verrenken muss, um einigermaßen bequem darin gehen zu können. Zwei Passanten sehen ihn, der eine sagt: Der arme Krüppel! Der andere: Aber einen tollen Schneider hat er! Auch in der alten Rechtschreibung gab es Inkonsequenzen. Eine Reform aber, die ganze Bedeutungsvalenzen exekutiert, ist für mich keine. Auch das beliebte Argument, dass die Doppel-s- Schreibung statt des sz beim Dass für Schüler leichter zu verstehen sei, will mir nicht einleuchten, denn die Regeln, wann das mit einem und dass mit zwei s zu schreiben sei, müssen die Schüler ja trotzdem kennen.
Uwe Tellkamp, Bachmannpreisträger 2004, lebt in München. Im Frühjahr erscheint sein Roman Der Eisvogel bei Rowohlt.
von links: Monika Maron, Helmut Krausser, Peter Schneider, Frank Goosen, Burkhard Spinnen, Said, Michael Lenz, Uwe Tellkamp
Artikel erschienen am Sa, 21. August 2004
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