Spiegel-online „Zwiebelfisch“
Hossa, die Rehform is da!
Von Bastian Sick
Die Rechtschreibreform tritt in Kraft. Genauer gesagt: das, was noch von ihr übrig geblieben ist. Doch die Zukunft unserer Orthografie wird woanders entschieden. Im Internet nämlich. Nicht von Konrad Duden und nicht von Hans Zehetmair, sondern von uns allen.
Heute tritt nach zehnjährigem Reformationskrieg die Reform der Rechtschreibung in Kraft. Und diesmal, so heißt es, sei es endgültig und unwiderruflich. Von Ruhe ist die Rede, von Frieden sogar, doch ob es einen solchen gibt, bleibt abzuwarten.
Denn bislang fand sich noch immer eine Möglichkeit, diesen Krieg fortzusetzen. Mal versuchte der eine oder andere Zeitungsverlag, die Kulturpolitiker unter Druck zu setzen, mal zogen die Intellektuellen an die Front, dann wieder zeigte man Bilder von verzweifelten Lehrern und generell desinteressierten Schülern, und immer mehr Menschen in Deutschland erklärten sich zu Totalverweigerern der Reform.
Den meisten bereitet ja nicht die Reform der Rechtschreibung Probleme, sondern die Rechtschreibung an sich. Deshalb sollte sie ja schließlich reformiert werden. So manchem konnte die Verwirrung, die die Reform mit sich brachte, eigentlich nur Recht sein, verschaffte sie ihm doch die Möglichkeit, seine eigenen Schwächen und Unsicherheiten zu dissimulieren. Meine Nachbarin Frau Jackmann sagt jedenfalls immer: Also, seit dieser Reform weiß ich überhaupt nicht mehr, wie ich schreiben soll, dabei wusste sie es auch vorher schon nicht.
Dass die Deutschen die Rechtschreibreform mehrheitlich ablehnen, ist nicht allein mit den Ungereimtheiten zu begründen, die nach der ersten Phase zutage traten und die der 39-köpfige Rat für deutsche Rechtschreibung unter der Ägide des CSU-Politikers Hans Zehetmair seit 2004 wieder zurechtzurücken versuchte. Die ablehnende Haltung der Bevölkerung ist dem Totalversagen der Politik zu schulden. Statt offensive Aufklärungsarbeit zu leisten, haben Kommission und Rat hinter verschlossenen Türen getagt. Nur spärlich gelangten Informationen über die Neuordnung an die Öffentlichkeit, und das meistens in kritischen Artikeln der Feuilletons. Nichts, was von der Mehrheit gelesen würde. Aber für die hat man sich ohnehin nicht interessiert. Im Fernsehen wurden immer nur Bilder von Schultafeln gezeigt, auf denen links die Wörter Spaghetti, eislaufen und Delphin standen und rechts Spagetti, Eis laufen und Delfin. Das war's, mehr Volksaufklärung gab es nicht.
Meine Nachbarin hätte es begrüßt, wenn man die neuen Regeln auf handliche Faltblätter gedruckt und als Hauswurfsendung an alle Bürger verteilt hätte oder wenn man sie an Bushaltestellen plakatiert hätte. Das wäre in der Tat praktisch gewesen. Das hundertseitige PDF, das man auf der Internetseite des Rechtschreibrates herunterladen kann, ist es jedenfalls nicht. Die Kulturpolitiker meinten, dem Volk die Entscheidung über die Gestaltung seiner Schriftsprache aus der Hand reißen zu können, und haben es nicht für nötig erachtet, das Volk in angemessener Weise auf dem Laufenden zu halten. Die Rechtschreibreform war für vieles beispielhaft: für einen leidenschaftlich geführten Kulturkampf, für Missmanagement, für absurdes Theater und Demagogie. Sie war kein Lehrstück in Sachen Demokratie.
Langfristig gesehen wird sich der Streit erübrigen. Denn die Zukunft der deutschen Orthografie liegt nicht in den Händen von Politikern und auch nicht in der Duden-Redaktion, sondern in elektronischen Kommunikationsmitteln. Der größte Teil dessen, was tagtäglich geschrieben wird Artikel für Zeitungen, Geschäftsberichte, persönliche Korrespondenz entsteht heute am Computer. Und immer mehr Menschen verlassen sich dabei auf die automatische Rechtschreibprüfung von Microsoft.
Auch ich nutze sie, obwohl ich meine liebe Not mit ihr habe, denn sie unterstreicht mir ständig das Wort standardsprachlich, das ich relativ häufig gebrauche. Vielleicht mag sie keinen Sprachstandard. Dann müsste sie sich allerdings selbst hassen. Das wäre ein Treppenwitz der Sprachgeschichte.
Viele nutzen beim Schreiben auch die schnellen Recherchemöglichkeiten, die das Internet bietet. Wer zum Beispiel nicht sicher ist, wie man das Wort Matratze schreibt, kann den Publikums-Joker einsetzen und das Wort in allen Varianten googeln: Für die (korrekte) Schreibweise mit tz werden ihm 3.590.000 Treffer angezeigt, für die Schreibweise Matraze nur 239.000 Treffer. Ein eindeutiges Votum der recht- und schlechtschreibenden Internetgemeinde. Der Ratsuchende erhält von Google zusätzliche Hilfe, denn über der Liste mit der geringeren Trefferzahl erscheint die automatisch erstellte Frage: Meinten Sie 'Matratze'? So wird er sanft in die richtige Richtung gelenkt.
Natürlich sind die von Google gelieferten Ergebnisse nicht in jedem Fall verlässlich. Mitunter können sie genauso in die Irre führen. Wer nicht weiß, ob die Mehrzahl von Story im Deutschen nun Storys oder Stories geschrieben wird, dem wird Google nicht helfen, denn im Internet überwiegt selbstverständlich der englische Plural auf -ies, für die korrekte deutsche Form (Storys) findet man deutlich weniger Referenzstellen. Und die automatische Frage Meinten Sie 'Stories'? lockt den Suchenden erst recht auf die falsche Fährte. Langfristig werden Internetmaschinen wie Google dazu beitragen, dass die Orthografie von Namen und Fremdwörtern immer stärker internationalisiert wird. Nationalspezifische Formen verschwinden zugunsten der internationalen Mehrheits-Schreibweise. Noch zeigt Google 9,6 Millionen Treffer für Mailand an, aber auf bereits knapp 4 Millionen deutschsprachigen Internetseiten ist Milano zu finden.
Die restlichen Fragen klärt die Worterkennung der Mobiltelefone. Man braucht beim Schreiben einer SMS nur drei Buchstaben einzugeben, dann ergänzt das Programm das Wort eigenständig. So entstehen interessante Mitteilungen wie: HALLO, ICH KÖNNE HEUTE ETWAS SPÄTER. WARTE NICHT MIT DEN ESSEN AUF MICH! Gestern wollte ich das Wort Pustekuchen verschicken, und plötzlich stand im Display PURBERGSTRASSE. Ich kenne keine Purbergstraße und wollte das Wort löschen, doch in meiner Verwirrung habe ich stattdessen auf versenden gedrückt. Es hat mich ein zehnminütiges, teures Telefonat gekostet, um das Missverständnis aufzuklären.
Ich will nicht wissen, wie viele sinnlose Nachrichten auf diese Weise schon verschickt worden sind. Es müssen Zigtausende jeden Tag sein. Daneben erscheint die Frage, ob man nun Portemonnaie oder Portmonee schreibt, geradezu belanglos. Man kann sich freuen, wenn das Handy nicht PORTOMODERNE draus macht.
Was da nun heute in Kraft tritt, ist kaum mehr als ein Reförmchen, denn unterm Strich ist das meiste beim Alten geblieben. Die Berliner Zeitung fand die treffende Formulierung: Zehn Jahre hat es gebraucht, um wieder dort anzukommen, wo man aufgebrochen ist. Die umstrittenen neuen Schreibweisen wurden teils zurückgenommen, teils durch Wiederzulassung der alten Schreibweisen relativiert. Mit Erleichterung habe ich zur Kenntnis genommen, dass man das Wort lahmlegen jetzt wieder (wie früher) in einem Wort schreiben darf. So wie stilllegen, das man ebenfalls in einem Wort schreibt. Mir wollte nie einleuchten, warum man das eine plötzlich getrennt schreiben sollte und das andere nicht.
Die Debatte über die Reform der Rechtschreibung wird schon allein deshalb weitergehen, weil sie vielen Männern die Möglichkeit eröffnet, sich als Verteidiger und Bewahrer unserer Kultur zu gerieren. Außerdem hat sie die Intellektuellen hierzulande zehn Jahre lang geistig in Bewegung gehalten. Ohne Reformstreit würden sich viele vermutlich langweilen.
Seit kurzem liegt die 24. Auflage des Dudens vor, die noch übersichtlicher und bunter ist als die 23. Auflage aus dem Jahr 2004. Doch nicht alle sind mit der Neufassung der gelben Bibel zufrieden. Angeblich seien die Regelungen des Reformwerkes darin nicht immer so wiedergegeben, wie sie von der Kommission beschlossen wurden, behauptet Hans Zehetmair, der Vorsitzende des Rates für Deutsche Rechtschreibung. Schon fragen sich die bangen Untertanen: Muss Konrad Duden jetzt ins Gefängnis? Wir sehen: Das letzte Wort in Sachen Rechtschreibung ist tatsächlich noch nicht gesprochen. Gott sei Dank!
[Spiegel-online „Zwiebelfisch“ 01. August 2006]
http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/0,1518,429432,00.html
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Sigmar Salzburg
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