Noch einmal Walther in der taz
Zufällig stoße ich in der taz Nr. 7446 vom 27.8.2004 auf die Dudenbesprechung von Rudolf Walther. Ich gebe sie noch einmal wieder und füge einige Anmerkungen hinzu:
Bewährte Änderungen
Ende des Glaubenskriegs um die Rechtschreibreform? Morgen erscheint die neue Auflage des
Duden
Morgen und mitten in der Rechtschreibdebatte kommt die neue, 23. Auflage des Duden in den Handel. Die äußeren Daten sind beeindruckend: Das Wörterbuch enthält 125.000 Stichwörter (1880 waren es 29.000) mit Angaben zu Wortbedeutung, Worttrennung, Grammatik, Etymologie und Aussprache. Allein 5.000 Wörter wurden neu aufgenommen. Dazu gehören Alcopops, Schurkenstaat und Ich-AG ebenso wie Roadmap, Riester-Rente und Zentralabitur. Wie in der 22. Auflage werden neue Schreibungen und Regeln rot hervorgehoben und kitzlige Fälle in Informationskästen erläutert. Insgesamt wirkt das Buch, dessen Layout mit einem Preis ausgezeichnet wurde, nicht nur gediegen es ist auch benutzerfreundlich.
Die Duden-Redaktion unter Matthias Wermke hofft, dass der Glaubenskrieg, den einige Linguisten und Zeitungen seit Jahren gegen die Rechtschreibreform führen, nun beigelegt wird. Die Redaktion trug das ihre dazu bei, denn sie folgte der Kritik im einzigen Punkt, der zum Teil berechtigt war: Bei der Getrennt- und Zusammenschreibung von Adjektiven und Verben (wohl versorgt, wohl geordnet) lässt sie nun auch die alte Schreibweise wieder zu (wohlversorgt, wohlgeordnet). Damit ist für die Erhaltung von sprachlichen Nuancen ebenso gesorgt wie mit der Regelung von blaurot für ein bläuliches Rot und blau-rot für ein Hemd mit den Farben Blau und Rot.
Die zänkischen Aufgeregtheiten (zuletzt SZ von gestern) um Leid tun/leidtun bzw. sozial
verträglich/sozialverträglich haben sich erledigt beide Varianten sind zulässig. Dass das schöne Wort ,eine Handvoll'" ersetzt wird durch eine Hand voll, darf Peter von Matt bedauern, aber vom Wüten der Reformer zeugt es gerade nicht. Man musste immer schon ein Glas voll schreiben, denn ein Glasvoll war nie korrekt. Hier wurde also nur Gleiches Hand und Glas als Mengenmaß gleich geregelt. Da wurde ein Irrtum revidiert. Aber wer hierzulande Fehler, gar eigene, korrigiert, provoziert die Rhetorik des Wie lange noch-Journalismus und verfällt dem Verdikt, ein einfältiges Spiel mit Irrtum und Revision (FAZ 26. 7. 2000) oder eine Art Echternacher Springprozession (FAZ von gestern) zu betreiben.
Auch in der neuen Ausgabe gibt es Inkohärentes. Gröberes und alles, was sich nicht bewährt, wird man begradigen. So steht unter fach nur die Schreibung 4fach, obwohl nach Kennziffer 30 8fach und 8-fach erlaubt sind. Auf das Stichwort Exsudat (Absonderung) folgt ein Kasten, der darauf hinweist, dass das Wort Ekstase nicht hier erscheint, weil das aus dem Griechischen stammende Wort nicht mit Ex anfängt. Das ist hinreißend benutzerfreundlich. Warum aber soll man das Partizip pizzicato italienisch und das Substantiv Pizzikato deutsch schreiben? Warum nicht gleich Pitza statt Pizza, wenn schon Spagetti erlaubt wird neben Spaghetti.
Angesichts der pragmatischen Begründungen, mit denen der Duden die amtlichen Regelungen von 1996 umsetzt, fällt die vom FAZ-Redakteur Johann Georg Reißmüller begonnene und von seinen Kollegen Heike Schmoll und Hubert Spiegel fortgesetzte Kampagne gegen die Rechtschreibreform wie ein Kartenhaus in sich zusammen. An linguistischen Argumenten fehlte es ohnehin von Anfang an. Ersatzweise stellte man die Reform deshalb in die Tradition eines nationalsozialistischen
Sprachreformvorhabens, das jedoch erklärterweise nichts spezifisch Nationalsozialistisches enthielt. Bleibt ja immer etwas hängen. Weil das nicht genügte, fand man die Buhmänner bei den 68ern und der emanzipatorischen Pädagogik. Half auch nicht weiter. Zuletzt blieb den Biedermännern nur noch die Wilhelm-Tell-Pose, mit der sie die Reformer beschuldigten, sie würden einen Geßlerhut (Theodor Ickler) in die Landschaft stellen.
Die Rechtschreibkommission der Kultusminister und die Mannheimer Duden-Redaktion treten aber gerade nicht als autoritative Regulierer auf, sondern begründen die bescheidenen Anpassungen mit dem beobachteten Sprachwandel auf der Basis eines Textkorpus von über 500 Millionen Einheiten. Die von den Gegnern immer wieder beschworene bewährte Schreibweise ist, anders als die fundamentalistischen Sprachkrieger vorgaukeln, selbst im Fluss. Heute schreibt kein Mensch mehr Photo für Foto. Die Grundlage der bewährten Schreibweise ist über weite Strecken nur ein Gemisch aus Traditionalismen, Marotten und reinen Irrationalismen (Auto fahren, aber radfahren). Theodor Ickler, der Einpeitscher der Reformgegner, ist "überzeugter Behaviourist und möchte dieses grobianische Erklärungsmodell für das Verhalten im Windschatten des halbdarwinistischen Sozialtechnologen B. F. Skinner auf die Sprachlerntheorie übertragen. Nicht zufällig beruhen Icklers einzige Argumente auf omlettplattem Utilitarismus das Bewährte ist "üblich und daher zweckmäßig , fragt sich, warum, für wen und wozu.
Die Reformer traten mit dem Anspruch an, die Rechtschreibung zu vereinfachen. Dieser richtige Anspruch ist unzulänglich umgesetzt worden, aber das liegt weniger an den Reformern als am mangelnden Mut der Kultusministerkonferenz zu einer großen Lösung, die wenigstens die gemäßigte Kleinschreibung und die Streichung des ß enthalten müsste. Lehrer bestätigen, dass das Zusatzhäppchen Vernunft, das die Reformen erlauben, den Rechtschreibunterricht erleichtert hat für die Kinder.
taz Nr. 7446 vom 27.8.2004, Seite 16, 180 Zeilen (TAZ-Bericht), RUDOLF WALTHER
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Anmerkungen vom Einpeitscher:
Skinners Hauptwerk (Verbal Behavior) ist eine Sprachlerntheorie die "Übertragung seiner behavioristischen Psychologie auf die Sprachlerntheorie ist also nicht nötig. Das weiß Walther aber nicht, weil er Skinner gar nicht gelesen hat. (Daß ich mit dem Behaviorismus sympathisiere, hat Walther einem freundlichen Artikel der FAZ über mich entnommen; aus meinen orthographischen Schriften kann er es nicht haben.)
Keines meiner Argumente gegen die Rechtschreibreform (vgl. Kritischer Kommentar ..., 2. Aufl., 300 Seiten!) läßt sich als utilitaristisch bezeichnen, es geht durchweg um Sprachwissenschaft. Insofern ist Walthers Behauptung An linguistischen Argumenten fehlte es ohnehin von Anfang an unverständlich. Es gibt viele weitere Schriften, die die Neuregelung linguistisch zerpflücken. Walther hat diese Arbeiten entweder nicht zur Kenntnis genommen, oder er unterschlägt sie absichtlich. Er nennt den Umgang der Dudenredaktion mit den neuen Regeln pragmatisch, was allerdings nicht zutrifft; sie sind strikt dogmatisch und wollen das auch sein, damit die Kultusminister dem Duden nichts vorwerfen können. Aber gerade dies könnte man utilitaristisch nennen...
Walther weiß nicht, was es mit dem Wort Handvoll auf sich hat und warum Glas voll damit nicht zu vergleichen ist. Der Irrtum, der nach seiner Meinung hier korrigiert wurde, bestand darin, daß Hunderte von Jahren lang die Menschen das Wort Handvoll benutzten und mundartlich vielfältig umgestalteten, ein klassischer und beweisbarer Fall von Univerbierung, während das beim Glas eben nicht eintrat.
Walther hat sich, wenn überhaupt, nur ganz oberflächlich mit dem neuen Duden beschäftigt. Die Besprechung referiert zur Hälfte nur die Duden-Werbung.
Nicht die Dudenredaktion, sondern die Zwischenstaatliche Kommission läßt Hunderte von alten Schreibweisen wieder zu, und zwar aufgrund von Beschlüssen, die im Juni von der KMK getroffen wurden.
Was die Bemerkung über blaurot und blau-rot eigentlich soll, ist nicht zu erkennen. Das Problem liegt ja in der verordneten Getrenntschreibung bläulich rot sowie in der Inkonsequenz der Zulassung von Bindestrich-Komposita mit Adjektiven auf "-ig usw. als Erstglied. Das scheint Walther gar nicht erkannt zu haben.
Keine der Änderungen beruht auf einer Auswertung des genannten Korpus von 500 Mill. Wörtern; alle gehen auf Einsicht in die Fehlerhaftigkeit der ursprünglichen Neuregelung zurück, doch bleiben sie auf halbem Wege stehen. Ein neues amtliches Regelwerk ist bisher nicht fertiggestellt worden, eine Wörterverzeichnis erst recht nicht.
Daß die Schreibweise stets im Fluss ist und daher nicht durch starre Einzelwortfestlegung fixiert werden kann, ist gerade mein Haupteinwand sowohl gegen den bisherigen Duden als auch gegen die Neuregelung, die auf demselben Irrweg weitergeht und Varianten nur aus Verlegenheit zuläßt (wenn sich nicht entscheiden lässt ...), niemals aber aufgrund von empirischer Erfassung des tatsächlichen Schreibbrauchs. Eine empirisch begründete Darstellung der Varianten findet man erstmals in meinem Rechtschreibwörterbuch.
Die Gediegenheit der Dudenbände besteht darin, daß sie seit dem Übergang vom Leinenband zur billigen Pappe nach kurzer Zeit auseinanderfallen, was gerade beim intensiv genutzten Rechtschreibwörterbuch sehr unangenehm ist. Wie es zur Preiskrönung des windigen Gebildes gekommen ist, müßte einmal untersucht werden.
Ob Walther Reißmüller mit Reumann verwechselt?
Omlett ist sehr progressiv, aber immer noch nicht dudenkonform.
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Th. Ickler
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