Was ist vom „Rat für deutsche Rechtschreibung“ zu erwarten?
Nach dem Internationalen Arbeitskreis, der Zwischenstaatlichen Kommission und dem Beirat für deutsche Rechtschreibung ist der „Rat“ nun das vierte Gremium, das sich mit demselben Gegenstand befaßt: der Durchsetzung einer Rechtschreibreform gegen den Willen der Bevölkerung und fast aller Schriftsteller und Intellektuellen. Die Ministerpräsidenten und Kultusminister versprechen dem widerspenstigen Volk, daß dieses Gremium die Steine des Anstoßes beseitigen und eine allseits akzeptierbare Lösung der von ihnen selbst verursachten Krise finden werde. Was berechtigt zu solcher Erwartung?
„Als Mitglieder von deutscher Seite schlägt das KMK-Präsidium vor:
Institut für deutsche Sprache (2 Sitze)
Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (2 Sitze)
Duden-Verlag (1 Sitz)
Wissen Media Verlag/Bertelsmann-Wörterbuch (1 Sitz)
Gesellschaft für deutsche Sprache (1 Sitz)
Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (1 Sitz)
Börsenverein des deutschen Buchhandels (1 Sitz)
VdS Bildungsmedien (1 Sitz)
Deutscher Journalistenverband/Deutsche Journalistenunion (1 Sitz)
Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen (1 Sitz)
Bundesverband deutscher Zeitungsverleger (BDZV) (1 Sitz)
Verband deutscher Zeitschriftenverleger e.V. (1 Sitz)
PEN-Zentrum Deutschland (1 Sitz)
Fachverband Deutsch im Deutschen Germanistenverband (1 Sitz)
Symposium Deutschdidaktik (1 Sitz)
Lehrerinnen- und Lehrerverbände in DGB und DBB (1 Sitz)“
(Quelle: http://www.kmk.org 27.9.2004)
Hier ist zum Vergleich die Besetzung des bisherigen „Beirats“:
P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland
Verband deutscher Schriftsteller in der IG Medien
Deutscher Journalistenverband
Bundesverband deutscher Zeitungsverleger e.V.
Verband deutscher Zeitschriftenverleger e.V.
Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen
Börsenverein des Deutschen Buchhandels
VdS Bildungsmedien e.V.
Bundeselternrat
Deutscher Gewerkschaftsbund Lehrerorganisationen
Deutscher Beamtenbund Lehrerorganisationen
Deutsches Institut für Normung
Dudenredaktion
Bertelsmann-Lexikonverlag
Wahrig-Wörterbuchredaktion
Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren e.V.
Der neue „Rat“ besteht, wie man sieht, im wesentlichen aus denselben Mitgliedern wie der bisherige „Beirat“ bzw. die Zwischenstaatliche Kommission. Ausgeschieden sind einige Vertreter, die auch bisher schon als mehr oder weniger stumme Gäste dabeisaßen wie das Deutsche Institut für Normung oder der Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren e.V. Den Bundeselternrat rechnet der VdS Bildungsmedien (d. h. der Verband der Schulbuchverleger) ohnehin zu seiner „Verbändeallianz“, vgl. meinen Beitrag „Die Schulbuchverleger und die Rechtschreibreform“. Wahrig ist inzwischen eine Bertelsmann-Marke, so daß auf Renate Wahrig-Burfeind verzichtet werden kann.
Der „Beirat“, der nach den Wünschen der Zwischenstaatlichen Kommission zusammengestellt war, ist im Laufe der Jahre nur zweimal zu Arbeitssitzungen zusammengetreten, um den dritten und vierten Bericht durchzuwinken; einige Mitglieder sind gar nicht erst erschienen oder haben nur schriftliche Stellungnahmen eingereicht, die aber von dem Gremium nicht berücksichtigt wurden. Es gab – nach persönlicher Auskunft mehrerer Mitglieder – auch durchaus Streit, aber in der abschließenden Stellungnahme zu den Berichten ist davon keine Spur mehr zu entdecken.
Seinen Sitz hat der Rat am Institut für deutsche Sprache in Mannheim, dem bisherigen Zentrum der Reformpropaganda. Er hat die Aufgabe, die Durchsetzung der Rechtschreibreform zu begleiten, und zwar so, wie sie von der Kultusministerkonferenz beschlossen ist. Dabei darf er auch kritische Bemerkungen äußern, die jedoch nichts am eigentlichen Auftrag ändern werden. Eine Rücknahme der Reform kommt ausdrücklich nicht in Betracht. Der Inhalt der im Fünf-Jahres-Rhythmus zu erstellenden Berichte ist also vollständig vorhersagbar.
Wer könnte bereit sein, in einem solchen Gremium mitzuwirken?
Den Kern bilden selbstverständlich die Schulbuch- und Wörterbuchverlage, also die wirtschaftlich an der weiteren Durchsetzung der Reform besonders Interessierten. Sie beherrschten schon den bisherigen „Beirat“, was andere Mitglieder in ängstlich-vertraulichen Mitteilungen beklagten.
Die Schulbuchverleger werden übrigens wiederum durch Michael Banse (Klett Leipzig) vertreten sein, der schon im bisherigen Beirat für deutsche Rechtschreibung saß, vgl. den Jahresbericht des VdS-Vorsitzenden von 2001: „Unser Verband wurde Ende 2000 in den Beirat zur Zwischenstaatlichen Kommission berufen, Herr Banse vertritt dort unsere Interessen und wacht darüber, dass uns allen nichts Unangenehmes passiert.“
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung wird mit zwei Sitzen geködert. Zwei Sitze bekommt aber auch das Institut für deutsche Sprache (IDS). Akademie und IDS vertreten offenbar die Sprachwissenschaft. Das IDS hat sich auf Betreiben seines damaligen Direktors Gerhard Stickel jahrelang als Speerspitze der Reform betätigt. Die Akademie kann sich ihrer Alibirolle schwer verweigern, weil sie ihr Pulver allzu früh verschossen hat; sie bot auf Betreiben ihres damals neuen Mitglieds Peter Eisenberg (Duden- und Schulbuchautor und zeitweise Mitglied der Zwischenstaatlichen Kommission) ungefragt einen Kompromiß an, als dies noch gar nicht nötig war. Während die großen Zeitungen des Springer-Verlags, die FAZ, die Schweizer Monatsblätter und andere Publikationen längst die beste Lösung, also die schlichte Rückkehr, vorführen, preist die Akademie immer noch ihre „zweitbeste“ an, einen derart faulen Kompromiß, daß die Zwischenstaatliche Kommission mit Recht jede Diskussion darüber ablehnte. Doch selbst wenn die Akademie ihre zaghafte Kritik vortragen sollte, wird sie durch das IDS sofort neutralisiert.
Die Gesellschaft für deutsche Sprache, von ihrem despotischen Vorstand auf Reformkurs getrimmt, könnte durch ihren Vorsitzenden Hoberg vertreten werden, der bereits in der Zwischenstaatlichen Kommission saß. Vielleicht wird aber gerade deshalb die Geschäftsführerin Eichhoff-Cyrus seine Stelle einnehmen.
Kritische Alibistimmen sind für die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und für das PEN-Zentrum Deutschland vorgesehen. Die Akademien haben sich bereits geschlossen für eine Rücknahme der Reform eingesetzt, werden aber problemlos überstimmt werden und brauchen an den Scheinverhandlungen eigentlich gar nicht erst teilzunehmen. Für das PEN-Zentrum gilt dasselbe; es hat sich in einer Resolution gegen die Rechtschreibreform ausgesprochen, zuvor im „Beirat“ allerdings die Entscheidungen der schlagkräftigen Mehrheit mitgetragen.
Die Lehrerverbände im DGB könnten weiterhin durch Reinhard Mayer vertreten werden, über dessen private Geschäfte mit der Rechtschreibreform ich in meinem Buch „Rechtschreibreform in der Sackgasse“ berichtet habe. Den Beamtenbund vertritt weiterhin Ludwig Eckinger, der im Beirat saß und seine Übereinstimmung mit den Kultusministern oft genug zu Protokoll gegeben hat. Vom harmlosen, weitgehend unbekannten „Symposium Deutschdidaktik“, das seine gleichmütige Hinnahme der Rechtschreibreform erst kürzlich bestätigte (vgl. FAZ vom 12.10.2004), sind Einwände so wenig zu erwarten wie von den Lehrern im Germanistenverband (nur diese sind eingeladen, nicht die Hochschulgermanisten).
Die Regierungen der Schweiz und Österreichs werden dafür sorgen, daß ihre Vertreter, wie schon bisher, keine Schwierigkeiten machen. Wahrscheinlich sind ihre bisherigen Mitglieder aus der Zwischenstaatlichen Kommission wieder dabei – fast alle waren als Dudenautoren bzw. im Rahmen des Österreichischen Wörterbuchs auch im Wörterbuchgeschäft tätig.
Wirkliche Reformgegner sind im „Rat“ nicht vertreten, und dessen Auftrag, wie von KMK-Präsidentin Ahnen formuliert („auf der Grundlage des orthografischen Regelwerks“), läßt den simplen Rückkehrgedanken auch gar nicht zu.
Der Zwischenstaatlichen Kommission war von den Politikern eine unerfüllbare Aufgabe zugewiesen worden: „Die Zwischenstaatliche Kommission, die im Zuge der Neuregelung eingerichtet wurde, sollte im Grunde die Funktion übernehmen, die zuvor von der Dudenredaktion wahrgenommen wurde.“ (Beschlußvorlage der KMK für die Amtschefskommission vom 14.1.2004). Die Aufgabe der Dudenredaktion besteht bekanntlich in erster Linie darin, Wörterbücher zu machen. Der „Rat“ soll nun die Zwischenstaatliche Kommission ablösen und ersetzen, also wohl ebenfalls die Rolle der Dudenredaktion ausfüllen. Daß ein 36köpfiges ehrenamtlich tätiges Gremium, das ganz überwiegend aus lexikographischen Laien besteht, die deutschsprachige Welt mit einem brauchbaren Wörterbuch versehen könnte, ist eine abenteuerliche Vorstellung.
Der „Rat“ wird also genau das tun, was die KMK anstrebt: alle fünf Jahre über die „problemlose“ Durchsetzung und phänomenale Akzeptanz der Reformschreibung berichten.
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Th. Ickler
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