Was ich konkret meine
Lieber Herr Bolz, ich stemme mich überhaupt nicht gegen die Entwicklung! Der Computer ist beim Schreiben eine große Hilfe – nur darf man dabei das eigene Gehirn nicht ausschalten. Ich bin der Auffassung, daß es äußerst wichtig ist, Kinder v o r dem Schreiben auf dem Computer eine vernünftige Handschrift einüben zu lassen – wie es nötig ist, Kindern zuerst das selbständige Rechnen mit dem eigenen Kopf beizubringen, ehe sie den Taschenrechner in die Hand bekommen.
Jede technische Errungenschaft bringt neben Bequemlichkeiten und Vorteilen auch Nachteile, dessen ist sich jeder bewußt. Mit den vorhergehenden Gedanken versuche ich mir vorzustellen, was das Schreiben per Computer für die Schrift bedeuten könnte. Möglicherweise bahnt sich keine negative, sondern eine positive Entwicklung an, wer will das schon wissen.
An den „Otto Normalschreiber“ muß man dennoch denken. Auch er erreicht mit seinen „Word-Neuschreib-Texten“ die Öffentlichkeit – mag es auch nur seine unmittelbare Umgebung sein, so prägt auch das. Außerdem möchte ich unseren „Otto N“ als Begriff etwas weiter fassen – anders wären die zahllosen Unsinnschreibungen in Zeitungen, Zeitschriften, Prospekten usw. nicht zu erklären. Unter die Kategorie „Otto N“ fallen offensichtlich – und bedauerlicherweise – auch viele professionellen und semiprofessionellen Schreiber.
Lieber Herr Bolz, Sie meinen, es sei „kaum anzunehmen, daß diese Leute nicht wissen, welchen Schwachsinn sie teilweise produzieren müssen ...“ Wollen Sie damit sagen, die schreiben ganz bewußt Schwachsinn? Oder es ist ihnen egal, wenn sie Schwachsinn schreiben? Wenn Sie damit recht hätten: wie groß ist die Gleichgültigkeit der Berufsausübenden gegenüber ihrem Tun? Oder wissen sie tatsächlich nicht, was sie tun, und der Herr wird ihnen schon verzeihen?
Man kann eine Weile mit diesem Schwachsinn aushalten, weil der Weg zur Erkenntnis nicht für jeden Menschen gleichlang ist. Bei mir hat es auch einige Jahre gedauert, ehe ich das begriffen habe. Auch ich habe damals gelächelt und gedacht, na, wenn die das so wollen ... Deshalb tendiere ich zur Meinung, die meisten Schreiber sind tatsächlich immer noch zu gutgläubig, und außerdem fehlt ihnen auch das Gespür für das Korrekte. Dieses Gespür geht übrigens durch Word & Co. täglich ein Stückchen mehr verloren.
Ich möchte weder die Technik aufhalten noch apokalyptische Bilder an die Wand werfen. Die Technik ermöglicht es uns zum Beispiel, hier in diesem Forum so erkenntnisreich miteinander zu kommunizieren. Das möchte ich nicht missen. Doch wir haben auch noch ein anderes Kommunizieren kennengelernt, in uns atmet eine Sprache, die einmal gemächlich über unsere Hand, die Finger und den Stift auf Papier gebracht wurde. Meine Sorge gilt den Kindern, die, umgeben von Maschinen und Hektik, den unmittelbaren Kontakt mit der anfaßbaren Welt zu verlieren drohen – nicht nur in bezug auf die Schrift. Die Technik wird für Veränderungen sorgen, sie wird auch die Einstellung zum Schreiben und zur Schrift verändern, soviel ist gewiß. Was dabei herauskommt, darüber kann man nur spekulieren. Und jedes kritische Nachdenken darüber sollte nicht unterdrückt werden.
Vielleicht habe ich mich jetzt verständlicher gemacht. Wenn wir uns keine Sorgen darüber machten, würde die Bewegung nicht geben, für die wir uns hier engagieren.
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Karin Pfeiffer-Stolz
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