Netzeitung
Ein Ende der Reform wäre verheerend
17. Aug. 2004 13:06
Lutz Götze
Foto: Uni Saarland
Es gab gute Gründe für den Entwurf einer Rechtschreibreform. Die Befürworter der alten Schreibweise glorifizieren Regeln, die viele nicht beherrscht haben, erklärt Professor Lutz Götze im Gespräch mit der Netzeitung.
Netzeitung: Sie sind Spezialist für die Rechtschreibung der deutschen Sprache und als Herausgeber für die Überarbeitung des Rechtschreiblexikons Wahrig in seiner Auflage von 2002 verantwortlich. Die Rechtschreibreform steht zur Zeit stark in der Kritik. Können Sie uns ihre Vorteile in Erinnerung rufen?
Lutz Götze: Mit jeder Ausgabe des Duden wuchs die Zahl der Ausnahmen, Sonderfälle und überhaupt der Schwierigkeiten stetig an. Deshalb hat sich damals die Kommission hingesetzt und gesagt: Wir müssen einige Dinge, die Duden und andere auf der Rechtschreibkonferenz 1901 nicht haben regeln können, jetzt in Ordnung bringen. Dazu gehört etwa die Trennung nach Lautung, nicht nach Etymologie, oder die Frage der Groß- und Kleinschreibung, die vereinheitlicht werden sollte. Ich habe mich für die Kleinschreibung eingesetzt, diese Auffassung hat sich aber nicht durchsetzen können. Stattdessen ging die Tendenz in Richtung Großschreibung.«Kronen-Zeitung» stellt auf alte Rechtschreibung um 17. Aug 14:31
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Verschweizert die Rechtschreibung! 09. Aug 00:58 Insgesamt gibt es nun weniger Ausnahmen und weniger Sonderfälle. Die Frage der Zusammen- und Getrenntschreibung von Verben ist geklärt worden, insofern nun Getrenntschreibung vor Zusammenschreibung zur Regel geworden ist. Neben anderen Veränderungen halte ich das für einen Vorteil gegenüber der alten Rechtschreibung. Ich weiß aber wie jeder, der mit Rechtschreibung zu tun hat, dass es dabei auch Tücken gibt. Diese sind ja in der letzten Zeit auch ausführlich diskutiert worden.
Netzeitung: Die logischen Problem der neuen Schreibweise werden heiß diskutiert, die logischen Probleme der alten dagegen beinahe enthusiastisch gefeiert. Verstehen Sie das?
Was wird aus der Rechtschreibreform?
Götze: Die Befürworter der alten Regeln glorifizieren oft Dinge, die vorher viele falsch geschrieben haben und die jetzt qua Reform richtig sind. Ich frage Leute etwa beim Problem der drei F gern, ob sie die alte Regel in diesem Fall überhaupt kannten: Folgt nach Doppelkonsonant ein weiterer Konsonant, schreiben wir alle drei, folgt hingegen ein Vokal, schreiben wir nur zwei. Das ist keine besonders einleuchtende Regel, daher wurde sie meist verletzt. Da las man «Papplakate» oder «Schiffracht», das war falsch, drei Konsonanten waren richtig. Jetzt schreiben wir immer drei Konsonanten, egal, ob ein Vokal oder ein Konsonant folgt. Ich verstehe, dass diese Frage viele Leute bewegt. Die meisten wollen aber nur ungern zur Kenntnis nehmen, dass sie vorher vieles falsch geschrieben haben.
Netzeitung: Sind die zahllosen Kompromisse, die die zuständigen Experten über Jahre und Jahrzehnte geschlossen haben, und die Kritikern zufolge für die hohe Zahl von Ausnahmeregelungen verantwortlich sind, daran schuld, dass die Reform jetzt zu kippen droht?
Götze: Das ist nicht ganz falsch. Am Anfang stand der Wunsch von vielen Kollegen, auch von mir, eine wirklich radikale, also an die Wurzel gehende Reform zu machen. Dazu gehört etwa die Abschaffung der Großbuchstaben. Wir sind die einzigen auf der Welt, die das noch machen, nachdem uns die Dänen als letzte auf diesem Pfad der Tugend – manche sagen: der Untugend – 1948 verlassen haben. Das war nicht durchzusetzen, daraufhin ging der Weg in Richtung vermehrter Großschreibung, nun sollte Kleinschreibung nur gelten, wenn sie begründet werden kann. Das war ein Kompromiss, der jetzt Konsequenzen hat, zum Beispiel bei den Fällen, die jetzt diskutiert werden. Ähnlich verhält es sich mit den Fällen der Getrennt- und Zusammenschreibung.
Aber ich betone, dass es keine optimale Lösung gibt. Daher hat Duden damals gesagt: Wir machen das nicht, weil wir es gar nicht machen können.
Netzeitung: Der Philosoph Peter Sloterdijk hat eine grundsätzliche Kritik geäußert: Er bezeichnete die politisch verordnete Reform, aber auch die aktuelle Initiative der Verlage, als gleichermaßen ungerechtfertigt. Es handele sich dabei um «Gremienerotik von Männern in gehobener Stellung». Er ist der Auffassung, dass nur «die Schriftsteller und das alphabetisierte Volk» über die Rechtschreibung entscheiden sollten.
Götze: Das können Herr Sloterdijk und Herr Enzensberger sagen, aber in den Schulen und Ämter brauchen wir eine gewisse Regelhaftigkeit, deswegen bin ich gegen diese Vorschläge. Ich bin aber auch dagegen, dass sich jetzt Verlage, also private Unternehmen, in dieser Weise engagieren. Der Staat trägt in der öffentlichen Verwaltung und in den Schulen die Verantwortung und er muss dafür Sorge tragen, dass nach Regeln geschrieben wird. Das gilt auch für die viel gescholtene Kultusministerkonferenz. Wer soll es denn sonst machen?
Es ist am Ende des letzten Jahrhunderts von der Kultusministerkonferenz eine Kommission gebildet worden, die mehrere Diskussionsvorschläge erarbeitet hat. Auf diese Vorschläge haben viele Organisationen und Institutionen reagiert, nur die Ministerpräsidenten scheinen geschlafen zu haben. Jetzt spielen sie plötzlich verrückt.
Netzeitung: Auch manche Autoren und Verlage behaupten jetzt, nie gehört worden zu sein.
Götze: Das ist nicht richtig. Die Verlage haben sich allesamt zu den Vorschlägen geäußert und noch im Frühsommer der Inkraftsetzung zugestimmt. Dass einzelne Dichter nicht gefragt worden sind, mag richtig sein.
Das hat wesentlich mit einem ganz anderen Punkt zu tun, nämlich der Bereitschaft zur Reform überhaupt. Die ist umso geringer, je älter man wird. In den Schulen sehe ich, dass sich die Kinder längst an die neue Schreibweise gewöhnt haben. Zurück zu marschieren zur alten Rechtschreibung vor 1996 wäre verheerend.
Netzeitung: Ein besonders beliebtes Argument der Reformgegner ist ja, dass die überforderten Kinder in den Schulen die Hauptleidtragenden seien. Sind aber nicht vielmehr die Berufstätigen, die wenig Zeit zum Umlernen haben, und ältere Menschen von den «Härten» der Neuerungen betroffen?
Götze: Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund. Herr Reich-Ranicki, der jetzt umgeschwenkt ist, hat damals gesagt: Leute, die schon tiefer in die Tasse schauen – also älter sind –, haben es schwerer. In der Tat haben die Schüler die geringsten Probleme damit, die Erwachsenen haben die Probleme.
Netzeitung: Zu Ihrem Forschungsgebiet gehört der Gegenstand «Deutsch als Fremdsprache». Welche Bedeutung messen Sie der Rechtschreibreform hinsichtlich des Spracherwerbs durch Ausländer zu?
Götze: Die neue Rechtschreibung wirkt sich günstig aus, und es wäre noch attraktiver geworden, wenn es uns gelungen wäre, die Großschreibung abzuschaffen. Viele der Ausnahmefälle, Sonderfälle und Unregelmäßigkeiten sind dadurch beseitigt. Ich erfahre bei Vorträgen im Ausland breite Zustimmung, freilich weniger von den Ordinarien, meinen Kollegen. Die gehen – mit Verlaub – oft nach dem alten Motto vor: Was wir gelernt haben, das sollen auch alle anderen lernen. Das halte ich für didaktisch nicht sehr glücklich.
Netzeitung: Wie schätzen Sie die Konsequenzen der jüngsten Verlagsinitiative ein: Was sind die Folgen, falls die Reform nun noch vor ihrem verbindlichen Inkrafttreten gekippt werden sollte?
Götze: Das würde drei Folgen haben: Erstens das Chaos an den Schulen, das finde ich am schlimmsten. Das wäre verheerend: Damit würden wir einen Konflikt zwischen Älteren auf dem Rücken von Lehrern und Schülern, vor allem aber der Schüler austragen.
Zweitens das Auseinanderbrechen zwischen Deutschland einerseits und Österreich und der Schweiz andererseits. Letztere werden nicht zurückrudern, was dazu führen würde, dass wir im deutschen Sprachraum auf zwei verschiedene Weisen schreiben würden.
Drittens der Kostenfaktor: Das kostet Millionen.
Netzeitung: Ein beliebter Topos der Kritik an der Reform ist der Verweis auf die Kosten. Dass eine Rücknahme diese Kosten ein zweites Mal hervorrufen würde, scheint die Kritiker nicht zu stören.
Götze: Ich spreche in diesem Zusammenhang ungern über Geld, weil dieses Argument tatsächlich bereits gegen die Reform vorgebracht worden ist. Aber eine Rückkehr wäre auch aus diesem Grund unverantwortlich.
Ich bin sehr dafür, dass der zu gründende Sprachenrat die Angelegenheit zusammen mit Vertretern aus Österreich und der Schweiz in seine Hände nimmt. Dort werden auch Journalisten und Autoren mitarbeiten, um Vorschläge zu all jenen Fällen zu machen, die problematisch erscheinen. Aber: Es wird nie eine Lösung geben, die alle befriedigt. Damit werden wir leben müssen. Rechtschreibung ist nicht Sprache, aber sie verändert sich wie die Sprache. Darauf müssen wir eingehen, und zwar behutsam und nicht aufgeregt.
Professor Lutz Götze lehrt an der Universität des Saarlands. Mit ihm sprachen Ronald Düker und Ulrich Gutmair.
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