Berliner Umschau
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Die Kapitulation
Kultusminister verabschieden sich von der einheitlichen deutschen Rechtschreibung
Von Martin Müller-Mertens
Hatten sich vor allem die bundesdeutschen Kultuspolitiker in den vergangenen gut zehn Jahren immer kompromißlos gezeigt, wenn es um die Durchsetzung der neuen Rechtschreibung ging, so scheinen sie nun vor der Kraft des Faktischen zu kapitulieren. Künftig, so machte es die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave, deutlich, gehe es im Prinzip gar nicht mehr den Anspruch einer gemeinsamen schriftlichen Hochsprache.
[Bild; Parkverbotsschild „Schifffahrt“]
Hier gibt es KEINE Rechtschreibreform
Anlaß war die Übergabe des auf absehbare Zeit letzten Änderungskataloges vom Rat für deutsche Rechtschreibung. Dieser soll Ende der Woche von der KMK beschlossen werden. Vermutlich ohne größere Abänderungen, wie Erdsiek-Rave unter Verweis auf die laufenden Diskussionen vermutete. Damit werde die bisherige Diskussion zunächst ein Ende haben. Der Rechtschreibrat wird künftig die Sprachentwicklung begleiten und, Stück für Stück, Anpassungen vornehmen. Die Zeiten der großflächigen Anpassungen der 1996 eingeführten und 2004 erstmals durchgreifend modifizierten Rechtschreibung ist zunächst vorbei.
Konzentriert hat sich der Rat, dem Vertreter Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, Liechtensteins, Süd-Tirols und Belgiens angehörten, vor allem auf die Punkte Getrennt- und Zusammenschreibung, Groß- und Kleinschreibung, Zeichensetzung, sowie Worttrennung und Zeilenende. Beim ersten Punkt wird der den Traditionen des Deutschen entsprechenden Tendenz zur Zusammenschreibung Rechnung getragen. Sprich: künftig ist wohl in den meisten Fällen beides möglich. Die Änderungsvorschläge bei der Groß- und Kleinschreibung werden auf das systematisch Nötige bschränkt und beschreiben den existierenden Gebrauch präziser. In der Zeichensetzung sind etwa Kommata, die vor selbständigen, etwa mit und verbundenen Sätzen nicht mehr zuläßig. Infinitivgruppen dort bestätigte der Rat ausdrücklich können weiterhin abgetrennt werden. In der Worttrennung empfiehlt der Rat lediglich, eine Abtrennung von Einzelvokalen grundsätzlich auszuschließen. Die Details der dann beschlossenen Vorschläge sollen voraussichtlich Ende der Woche veröffentlicht werden.
Dem Chef des Rechtschreibrates, Hans Zehetmair, geht das alles vermutlich nicht weit genug. Es sei ein Kompromiß, bei denen es 50 Abstimmungen nach teilweise harten Diskussionen gegeben habe. Die Empfehlungen verbesserten die jetzige Situation. Die Frage, ob die veränderte neue Rechtschreibung besser sei, als vor 1996, hat sich mir nicht gestellt. Er machte sichtlich fröhliche Miene zum bösen Spiel.
Erdsiek-Rave zu Folge ging es nicht um den Stein der Weisen, sondern um einen gewissen deutschen Rechtschreibfrieden. Man habe vielleicht in der Vergangenheit den Fehler gemacht, die Reform zu sehr zu politisieren. Den Eindruck zu erwecken, es werde nun jedem vorgeschrieben, welche Regeln er zu befolgen hat. Das solle in Zukunft nicht mehr geschehen. Die neuen Regeln gelten für die Schule, wo sie nach einer Übergangszeit verbindlich sind, und für die Ämter. An die Medien apelliere man, die Regeln zu übernehmen. Im übrigen bedeute Rechtschreibfrieden eine friedliches Nebeneinander von verschiedenen Schreibweisen, die auf Dauer vielleicht im Rahmen einer Generation schon zusammenwachsen werden. Heißt: jeder kann zu Papier bringen, was er für richtig hält.
Das klang einstmals ganz anders. Mit dem der Zeit eigenen moralischen Impetus war die Rechtschreibung in den 70er Jahren Angriffspunkt einer ganzen Generation von Bildungsreformern, die aus dem Sumpf des Antiautoritären kamen. Jenen, deren Totalitarismus gegenüber allem, was nicht antiautorität sein wollte, teilweise hysterische Formen annahm. Damals ging es etwa um die vollständige Kleinschreibung, es war die Geburtsstunde solcher Sprachblüten wie des Binnen-I. Was 1996 eingeführt wurde, ist die späte Welle dieses auf den Höhen bildungspolitischer Szenediskussionen ausgetragenen Sturmes. Daß sie sich des unerbittlichen Mittels der schulischen Sanktionsmöglichkeit bediente, ist aussagekräftig genug.
Die Reform hat nichts gebracht, außer Schaden. Deutsch lernt sich nicht leichter, nur verkehrter. Die Schriftsprache ist auseinandergefallen. Nicht nur in zwei Lager, die man zusammenfügen könnte. Sondern, durch die unzähligen kleinen und großen Anpaßungen, in einen Strauß von Hausrechtschreibungen, die wohl tatsächlich in frühestens einer Generation wieder ein Ganzes bilden. Den ganzen Quatsch zurückzunehmen und zu den Regeln von vor 1996 zurückzukehren, verträgt offenbar die Staatsräson nicht und angesichts drohender Schadenersatzklagen der Buchverlage wohl auch keine Kassenlage. Also schreibt jeder, wie er will.
Die Lobbyistenverbände jubeln derweil. Zehetmaier hat sie aufgelistet: GEW, Schulbuchverlage, Goethe-Institut, Elternverband, Lehrer sowieso. Das ist keine Begründung für die Reform, sondern lediglich eine Aufzählung ihrer organisierten Einpeitscher, denen das Kindeswohl zumeist als Argument für die Eigeninteressen diente. Sie haben, betrachtet man den Zerfall der Schriftsprache, ihr eigentliches Ziel wohl zunächst einmal erreicht.
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