KN v. 30.9.06
Fest der Einheit mit viel Prominenz
Kiel – Die Landeshauptstadt rüstet sich für ein Fest der Superlative. Die zentralen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit werden mehr Politprominenz an die Förde locken als je zuvor – und hunderttausende Besucher.
Weil für so ein pralles Programm ein Tag einfach zu kurz ist, beginnt das große Fest rund um die Hörn bereits am Montag, 2. Oktober, um 12 Uhr. Die Politik-Größen, allen voran Bundespräsident Horst Köhler, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesratspräsident/Ministerpräsident Peter Harry Carstensen und Bundesverfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier sowie vier weitere Ministerpräsidenten, treffen dann am Dienstag zum Ökumenischen Gottesdienst in der Nikolaikirche und zum Festakt in der Ostseehalle ein.
Beim Drachenbootrennen wird es am 3. Oktober dann unter drei Länderchefs auch sportlich zugehen: Peter Harry Carstensen gegen Kurt Beck (Rheinland-Pfalz) und Peter Müller (Saarland). Überhaupt kündigt der Präsident des Landessportverbands, Ekkehard Wienholtz, an: Für zwei Tage ist Kiel Bundeshauptstadt des Sports. Damit verbunden ist viel Prominenz, aber auch viel Gelegenheit zu Bewegung….
Kommentar:
Die Prominenten lassen die Deutsche Einheit feiern. Es finden sich jedoch darunter die Namen von etlichen, die gerade durch ihre Mitwirkung an der Zerstörung der Deutschen Einheit bekannt geworden sind – der Einheit in der deutschen Rechtschreibung.
Diese Leute treffen sich in dem Bundesland, in dem die Bürgerinnen und Bürger durch einen Volksentscheid ihre Ablehnung des traditionsverachtenden Umgangs mit unserer Schriftsprache bekundet haben.
Allein der Bundestagspräsident hat noch ein offenes Wort gefunden und den abgekarteten Kuhhandel vom Anfang des Jahres in Frage gestellt:
Berlin Die Korrektur der Rechtschreibreform war aus Sicht von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) überfällig. Für ihn sei das Verfahren ein famoses Beispiel dafür, wie mühsam die Politik gelegentlich Lösungen für Probleme sucht, die sie selbst ohne Not geschaffen hat, sagte Lammert dem 3Sat-Magazin Kulturzeit. Die Kultusminister hatten am Donnerstag Änderungen an der Rechtschreibreform beschlossen.
Die Uneinigkeit sei besonders für die Schulen eine Zumutung, sagte Lammert. Er glaube nicht, daß mit der Entscheidung der Kultusminister die Debatte über die Rechtschreibung endgültig vom Tisch sei. (Die Welt 4.3.2006)
Köhler, Merkel, Carstensen, Müller, Beck sind im Kulturschurkenstück „Rechtschreibreform“ schwache bis opportunistische Figuren. Zwei der Gäste verdienen aber eine besondere Aufmerksamkeit:
Der heutige Bundesverfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier war 1998 Vorsitzender des Senats, der unter der Präsidentschaft von Jutta Limbach den Kultusministern den Freibrief zur Einführung „Rechtschreibreform“ ausstellte. Während Papier den unionsregierten Ländern und vor allem seinem Parteifreund Zehetmair die ungehinderte Einführung der „Reform“ ermöglichte, entstammte Limbach als ehemalige SPD-Justizsenatorin dem Berliner Senat, dem sie, wie auch den übrigen SPD-geführten Ländern, Beihilfe leisten konnte.
Amtsrichter Dr. Kopke, der sich schon in seiner Dissertation mit der juristischen Seite der Rechtschreibreform auseinandergesetzt hatte, schreibt in der Neuen Juristischen Wochenzeitung zum Urteil des Verfassungsgerichts:
Nicht nur die dürftige Argumentation, sondern auch die Umstände des Verfahrens zeigen, dass es dem BVerfG nicht um unbefangene Rechtsfindung, sondern darum ging, der KMK beizuspringen; Beim BVerwG war nämlich die Sprungrevision gegen ein die Zulässigkeit der Reform verneinendes (Hauptsache-)Urteil des VG Berlin nicht nur anhängig, sondern bereits kurz vor der Terminierung, Während das BVerfG ansonsten nicht müde wird, unter Hinweis auf seine Überlastung die Rechtsuchenden aufzufordern, zuerst die Fachgerichtsbarkeit zu bemühen, hatte man es hier ganz eilig, dem BVerwG zuvorzukommen. Denn hätte dieses in Fortsetzung seiner bisherigen Schulrechtsprechung das wohlbegründete Urteil des VG Berlin bestätigt, wäre die Reform erledigt gewesen, da die Senatsverwaltung hiergegen nicht vor das BVerfG hatte ziehen können und die Verfassungsbeschwerde dann schon vor einer mündlichen Verhandlung des BVerfG zurückgenommen worden wäre. (NJW 49/2005, Hervorhebung von mir)
Während die Kultusminister und Ministerpräsidenten der Länder nach dem Prinzip der Einstimmigkeit verfahren müssen (ein abtrünniger Kultusminister hätte die „Rechtschreibreform“ zu Fall bringen können), schrieb das Verfassunggericht in das Urteil v. 14.Juli 1998:
„Deshalb hat das Ausscheren eines Beteiligten aus dem Kreis derer, die sich zuvor auf gemeinsame Regeln und Schreibweisen verständigt haben, verfassungsrechtlich nicht notwendig die Unzulässigkeit der Neuregelung zur Folge, wenn Kommunikation im gemeinsamen Sprachraum trotzdem weiterhin stattfinden kann.“
885511 Schleswig-Holsteiner sollen also nicht das können, was ein einzelner Politiker kann. Dies ermutigte die Regierungen der anderen Länder, deren Bürger die „Reform“ gleichermaßen ablehnen, den Volksentscheid schlicht zu ignorieren.
Als dann 2005 die Ministerpräsidenten wieder über die Rechtschreibung zu befinden hatten, wurde erneut das Prinzip Einstimmigkeit zum Vorwand genommen, um die Unmöglichkeit einer Rücknahme der „Reform“ festzustellen.
Die hinterhältigste Mißachtung des demokratisch festgestellten Willens der Bürger aber wurde vom damaligen Innenminister Ekkehard Wienholtz inszeniert. Weil der Volksentscheid formal nur für die Schulschreibung galt, bereitete er durch Erlaß die Umstellung der Behörden auf die Neuschreibung vor (es gibt eine Expertise des Staats- und Verwaltungsrechtlers Prof. Erwin Quambusch von 2003, die dies für unzulässig erklärt). Dies nahm der Importkandidat der CDU, Volker Rühe, zum Anlaß, seiner Partei den Schwenk zur „Reform“ zu verordnen. „Der aus Hamburg“ habe es so gewollt wird noch heute zur Erklärung des antidemokratischen Verhaltens der CDU von einzelnen Führungsmitgliedern geantwortet.
Und was sind die Folgen der „Reform“ in der KN-Ausgabe v. 30.9.06? Außer den allgegenwärtigen Spalter-ss, den ck-Abtrennungen, den „so genannten“, den „hi-naus“ und „-Jährigen“: „Haben also die Zweifler Recht“, die grammatisch falsche recht-Schreibung; „voran zu bringen“, „voran gebracht“, die falsch verstandene Reform-Trennschreibung, eine „Besorgnis erregende Selbstzensur“ d.h. die versuchte Wortvernichtung; das „lahm gelegte“ öffentliche Leben im Irak, inzwischen wieder „out“; „Dogmas“ als sprachliches Unvermögen von afp; „was auch die halb so Alten können“, verwirrte Großschreibung; „Helden-meiner-Jugend-Wiederverehrungs-Tripp“, die „Tipp“-Folge und als Clou „Fleisch fressende Pflanze in Botanischem Garten fängt sich Maus“ – gesehen nur nach flüchtigem Durchblättern.
– geändert durch Sigmar Salzburg am 05.10.2006, 07.20 –
__________________
Sigmar Salzburg
|