Kieler Nachrichten v. 2.1.2007
KOMMENTARE
Große Koalition 2007 Von Klaus Kramer
Es fehlt an Vertrauen
In einer bewegenden Rede hat Angela Merkel den Deutschen die Leviten gelesen: „Es fehlt an der wichtigsten Voraussetzung für eine Gesundung des Landes: Es fehlt an Vertrauen. Es fehlt an Vertrauen in die politische Führung, an Vertrauen in die ökonomische und soziale Kraft unseres Landes, an Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Chancen und Möglichkeiten.
Nein, das sagte die Kanzlerin nicht in ihrer Neujahrsansprache, sondern gut drei Jahre zuvor, am 13. Jahrestag der Deutschen Einheit in Berlin. Damals war Merkel die Oppositionsführerin. Das Vertrauen in die politische Führung ist seitdem nicht gewachsen, sondern eher geschwunden. Die Bundesregierung hat dazu reichlich beigetragen. Sie hat Steuern erhöht, Leistungen gekürzt und Vergünstigungen gestrichen. Sie hat eine Gesundheitsreform beschlossen, die niemand braucht …
Dasselbe trifft auch auf die „Rechtschreibreform“ zu. Nur davon wird in den KN nicht mehr gesprochen. Man fügt sich ja in das angeblich Unausweichliche und fällt so den Mutigen, wie FAZ und Springer, in den Rücken.
Weil die Bilanz nach gut einem Jahr großer Koalition so mager ausfällt und weil die Kanzlerin davon ablenken will, fordert sie mehr Anstrengungen von den Bürgern im neuen Jahr und setzt im Übrigen auf den wirtschaftlichen Aufschwung. Vertrauen erweckend klingt auch das nicht unbedingt….
Hier kann Klaus Kramer noch einmal demonstrieren, daß er die Demontage des im Duden wieder empfohlenen Wortes „vertrauenerweckend“ eigentlich ganz gut findet.
Ein ähnlich starkes Interesse daran, dass Merkel nicht zu groß wird, haben übrigens die schwarzen Ministerpräsidenten. Auch sie tun viel dafür, dass die große Koalition klein geredet wird.
Im Letzt-Duden steht nun in dieser Bedeutung variantenlos „kleinreden“.
Die lächerliche und meist falsche Spaltschreibung ist auch sonst häufig zu finden:
Um die Bio-Quote zu erfüllen, verwenden sie ein weiter veredeltes Produkt namens ET.BE (Ethyltertiärbutylether) das gemessen am Energiegehelt ungefähr drei Mal so teuer ist wie Sprit aus Mineralöl.
… und dann war ich einen Tag und eine Nacht im Wasser, bevor mich ein Fischerboot heraus zog …
Während der Duden „vertrauenerweckend“ empfiehlt, protegiert er völlig willkürlich „Not leidend“, obwohl „notleidend“ schon in der deutschen Klassik üblich war (Adelung). Von 1996 bis 2004 sollte es aus dem deutschen Wortschatz getilgt werden. Die Zeitungen, die dem Duden-Empfehlungsschreiben folgen, sollten wissen, daß die verbale Auffassung anstelle der adjektivischen Wortbildung nicht immer guter Stil ist:
Die St. Nikolaus-Gemeinde weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es sich bei den Sternsingern nicht um Rummelpott-Läufer handelt und dass die erbetene Spende für Not leidende Kinder in der Dritten Welt bestimmt ist.
* * *
Oberster Richter: Rauchverbot muss nicht einheitlich sein
Berlin Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier hat die Forderung nach einem bundesweit einheitlichen Rauchverbot kritisiert. . . .
Hier meldet sich Papier zu Wort. Als er aber gerade seinem Parteifreund, dem bayrischen Kultusminister Zehetmair, die gesetzlose Einführung der „Rechtschreibreform“ ermöglicht hatte, und die „Volksvertreter“ in Schleswig-Holstein unter dem Vorwand der Einheitlichkeit den Volksentscheid annullierten, hat er sich in Schweigen gehüllt. Noch nicht einmal eine Verfassungsbeschwerde wollte das Gericht entgegennehmen, obwohl es zuständig gewesen wäre, weil das nördlichste Bundesland kein eigenes Verfassungsgericht hat.
Einer aber weiß, wie man Verfassungsgerichte umgeht:
Wolfgang Schäuble hat seinerzeit viel dazu beigetragen, die traditionelle Rechtschreibung abzuschießen. Jetzt will er sogar harmlose Bürger selbst abschießen lassen, wenn sich Terroristen ihrer bemächtigt haben:
Verteidigungsfall erhält „Quasi-Variante
Berlin Im Grundgesetz soll es künftig neben dem Verteidigungsfall einen „Quasi-Verteidigungsfall geben. Die Entführung eines Flugzeugs durch Terroristen solle einen solchen „Quasi-Verteidigungsfall darstellen, der nach den Vorstellungen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zum Abschuss des Flugzeugs durch die Bundeswehr berechtige, berichtet die „Süddeutsche Zeitung heute. Damit solle das Luftsicherheitsgesetz verfassungsgemäß gemacht werden. dpa
Besser: Damit soll die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes umgangen werden.
Dagegen wird eine Verfassungsänderung, die angeblich nötig ist, um bundesweite Volksabstimmungen zu ermöglichen, von der CDU hartnäckig verhindert. Als erstes hätte nämlich das Volk die „Rechtschreibreform“ abgeschossen.
Jetzt gibt es kaum noch „missstandsfreie“ Periodika. Hätte mir das jemand vor zwanzig Jahren prophezeit, ich hätte ihn für verrückt erklärt:
Bulgarien: Geradezu Missstimmung herrschte allerdings in der „Atomhauptstadt“ Kosloduj an der Donau. Im dortigen Kraftwerk mussten zwei umgerüstete Reaktoren wegen Sicherheitsbedenken der EU geschlossen werden.
Eins der lächerlichsten Kapitel der Bürokratenschreibe ist die ä-Reform. Es gibt dabei jedoch weiße Flecken:
Die orangeroten Blüten des Nelkenwurzes eignen sich zum Kombinieren – hier mit Gemswurz.
Dieser Name ist im Duden nicht verzeichnet. Als Eigenname sollte er von der „Reform“ unberührt bleiben. Die Blockwarte der Neuschreibmafia werden dennoch nicht ruhen, bis sie auch dieses Wort „richtig gestellt“ haben. Das gleiche gilt für das Orgelregister „Gemshorn“, das wohl nie ein „Gämshorn“ war.
Die reformierte Trennschreibe, die aus „wohl“ (gut) die Bedeutung „vermutlich“ macht, wird vom Duden nicht mehr empfohlen, treibt dennoch weiterhin ihr Unwesen:
Für die Unabhängigkeit liebenden Friesen sie sind in Deutschland offiziell anerkannte nationale Minderheit ist Boßeln eine Freizeitbeschäftigung mit durchaus ernstem historischen Hintergrund. Für sie war es früher eine Art militärisches Training für die Dorfverteidigung. Sie besaßen keine Waffen und konnten sich daher gegen Seeräuber und andere Eindringlinge nur mit Steinen und wohl gezielten Lehmkugeln wehren.
Man fragt sich, wie diese „Reform“ als organisierte Unfugsleistung der Kultusminister möglich war. Eine Vorstellung könnte der neue Fortsetzungsroman in den KN (leider in Neuschreibung) vermitteln. Es soll zwar nicht um die „Rechtschreibreform“ gehen, sondern um unser tägliches Trinkwasser, aber es scheinen hierbei ganz ähnliche Mechanismen, Mächte und Interessen im Spiel zu sein:
„Es geschieht vor unseren Augen
IM GESPRÄCH
Mit Wolfgang Schorlau, dem Autor unseres neuen Romans, sprach Ruth Bender
Kiel Georg Dengler ist Privatdetektiv mit BKA-Vergangenheit. Und meistens lässt ihn sein Erfinder, der Stuttgarter Autor Wolfgang Schorlau, hart an der Realität ermitteln. In seinem dritten Fall „Fremde Wasser“ beschäftigt Dengler die weltweite Privatisierung städtischer Wasserversorgung. Von Münster bis Kiel und von London bis Bolivien. Im Gespräch gab der Autor unseres neuen, ab heute laufenden Fortsetzungsromans Auskunft über seinen Helden und den Stoff aus denen seine Fälle gewebt sind.
„Fremde Wasser, das klingt sehr poetisch. Ihr Krimi ist aber in der knallharten Realität von Lobbyismus, Gewinnsucht und Korruption angesiedelt…
Manchmal übertrifft die Realität die Phantasie. Und manchmal sind die kriminellen Tatbestände in der Wirklichkeit so interessant, dass ich mir sie gar nicht ausdenken könnte. Außerdem schreibe ich lieber über Themen, die auch in der Lebenswelt spielen, in der der Leser verankert ist.
Das zeichnet den Kriminalroman ja auch allgemein aus. Aber Ihre Themen sind ein bisschen größer als der schlichte Alltag. War der Polit-Krimi eine Lücke, die zu füllen notwendig war?
Es liegt den Dengler-Romanen keine Marktanalyse zugrunde. Ich bin einfach groß geworden mit den schwedischen Kriminalromanen und ihrem sozialkritischen Ansatz. Aber ich habe auch sehr gern die Paretsky-Romane aus Chicago gelesen. Und überall spielt das Politische im Kriminalroman eine größere Rolle, das gilt für Amerika genauso wie für Schweden oder Frankreich. Nur wir Deutschen lassen das gern wie einen schmutzigen So-cken weg. Ich nicht.
Wie finden Sie denn Ihre Themen?
Das passiert ganz zufällig. Über Zeitungsmeldungen zum Beispiel. Den Anstoß für „Fremde Wasser“ aber gaben zwei Frauen, die vor dem Literaturhaus in Stuttgart Unterschriften sammelten gegen den Verkauf der Stuttgarter Wasserwerke. Das schien mir so abstrus, dass ein so existenzielles Gut wie Wasser verkauft wird. Also habe ich recherchiert und festgestellt: Da passiert Ungeheuerliches. Das ist so, wie ich es in meinem Nachwort geschrieben habe: Es geschieht öffentlich vor unser aller Augen, aber trotzdem nahezu unbemerkt.
Kiel spielt in diesem Zusammenhang eine kleine, aber nicht unbedeutende Rolle. Hier wurden die Stadtwerke 1999 teilprivatisiert, und Sie zitieren aus den Sitzungsprotokollen unter anderen namentlich OB Norbert Gansel.
Was ich unter dem Titel „Kieler Wasser“ beschreibe, war einfach symptomatisch. Ich bin über die NDR-Dokumentation „Wasser unterm Hammer“ darauf gekommen. Man kann an den Sitzungsprotokollen gut sehen, wie so etwas funktioniert: Die Stadtväter wurden kirre gemacht, mit einer Flut von Gutachten. Dann haben alle Fraktionen unisono zugestimmt, und danach stellte sich raus, dass sie keinesfalls Herren der Lage waren...
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– geändert durch Sigmar Salzburg am 03.01.2007, 18.31 –
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Sigmar Salzburg
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