Kieler Nachrichten v. 02.05.07
LITERATURRÄTSEL
Wer schrieb was?
»Ich zog mich an und ging nach draußen. Der BMW stand noch da, wo ich ihn in der Nacht geparkt hatte. Vielleicht war sie früh wach geworden und ein bisschen spazieren gegangen. Ich suchte die Umgebung des Hauses nach ihr ab, dann stieg ich ins Auto und fuhr bis zur nächsten Ortschaft. Von S. keine Spur. Ich fuhr zum Ferienhaus zurück, aber sie war nicht wieder aufgetaucht. Dann fiel mir ein, sie könnte eine Nachricht hinterlassen haben, und ich durchsuchte das ganze Haus. Aber es war nichts zu finden.«
Wenn die große Liebe der Jugend plötzlich wieder auftaucht und einfach umwerfend ist, wird es kompliziert. Diese Erfahrung muss auch der verheiratete Held machen, der als erfolgreicher Jazzclub-Besitzer nicht recht weiß, ob er Frieden mit seinem Leben machen kann. Als die geheimnisvoll-verführerische S. ihn bezirzt, ergibt er sich dem Strudel der großen Gefühle. Der in Japan geborene und äußerst populäre Schöpfer dieses fesselnden Buches hat der Femme fatale zudem einen winzigen Makel angedichtet: Sie hinkt ein wenig – ein leiser Hinweis auf die diabolischen Einbrüche, die Hajime mit ihr erfahren muss und von denen der letzte wohl der Schlimmste ist: ihr endgültiges Verschwinden. Die Erotik dieses Romans führte einst im Literarischen Quartett zu einem heftigen Streit – und bewegte Sigrid Löffler zum Verlassen der Runde.
Die Lösung des letzten Rätsels lautet: Edmond und Jules Goncourt, Tagebücher. Gewonnen hat Lukas Gugat, Kiel. Unter den richtigen Einsendungen verlosen wir einen Buchgutschein à 20 Euro. Lösungen (Titel & Autor) bis 7. Mai an Kieler Nachrichten, „Literaturrätsel, Fleethörn 1-7.
Gemeint ist zweifellos die „Gefährliche Geliebte“ des japanischen Autors Haruki Murakami.
Das „bisschen“ ist ein Hinweis darauf, daß das Buch, sicher ohne den Verfasser darüber aufzuklären, in die sogenannte „neue Rechtschreibung“ übersetzt wurde (und zwar aus dem Englischen). Einem Japaner muß der Kotau vor den behaupteten mikroskopischen „Erleichterungen“ der Rechtschreibreform ziemlich unwürdig vorkommen. Gerade die Schwierigkeiten des Japanischen scheuen auch deutsche Schüler (wie meine Tochter) nicht:
Warum können sich deutsche Schüler überhaupt für das Japanische begeistern – einer Sprache, die mit mehr als 1000 Schriftzeichen, mehreren Silbenalphabeten und einer dazu noch ungewohnten Aussprache außerordentlich schwierig zu lernen ist, und dazu noch von gerade einmal zu 2,4 Prozent der Weltbevölkerung gesprochen wird? „Es ist ganz klar der Reiz des Fremden, der die Schüler fasziniert, sagt Japanisch-Lehrerin Kathrin Bonn… (KN v. 6.6.06)
Es sind auch Bücher von Murakami in die normale deutsche Literaturrechtschreibung übertragen worden, die immer noch von den besseren Schriftstellern bevorzugt wird.
Anpasser wie Walter Jens („Ich bestehe darauf, daß meine Bücher in der alten Rechtschreibung gedruckt werden, ja selbstverständlich!“ ARD, 29.07.2001) muß man leider ausnehmen. Sein Nebenprodukt zu seiner Mann-Biographie ist wieder „angepasster“ Schreibe erschienen: „Katias Mutter – Das außerordentliche Leben der Hedwig Pringsheim“ (Inge und Walter Jens, Rowohlt 2005/7).
Beim ersten Aufschlagen fiel mir ins Auge: „Ja, Hedwig Pringsheim hatte Recht“ … Dabei hat man die vielen Zitate, gewiß die Hälfte des Buches, sorgfältig im Original belassen. Welch eine Mühe und welch eine Lesestörung – der ständige Wechsel zwischen klassischen ß und neuen ss!
Und die KN arbeiten weiter an der Zwangsgewöhnung der Deutschen an die sss:
Stones-Boss Mick Lagger (63) findet sein Leben für eine Autobiografie zu öde: Trotz hoher Vorschusssumme stellte er die Arbeit daran ein.
Die simplifizierte „Autobiographie“ ist auch deswegen unsinnig, weil in der ganzen englischsprachigen Welt das „ph“ erhalten bleibt. Jetzt changiert die deutsche Schreibung zwischen „ph“ und „f“, unvorhersehbar von Artikel zu Artikel.
Die Spaltschreibung wird uns noch länger verfolgen:
Ein Böschungsbrand hat gestern den Zugverkehr zwischen Berlin und Hamburg lahm gelegt.
Nach Duden 2004 war das noch allein richtig – nach Duden 2006 ist es nur noch zusammengeschrieben richtig, wie früher.
Spaniens Thronfolgerpaar will zweite Tochter „Sofia“ nennen. … [Ihre Stammzellen wurden eingefroren] Damit will man die Möglichkeit offen halten, künftige schwere Krankheiten ihrer Kinder möglicherweise per Zelltherapie heilen zu können.
Auch hier trifft dasselbe zu: Von 1996 2006 „richtig“, von da ab wieder falsch. Das Sprachgefühl, das früher die richtige Schreibung erzeugt hat, ist aber verlorengegangen. (Dies darf man aber überraschend auch noch getrennt schreiben, mit anschleimender Dudenempfehlung. Das gilt auch für das nächste: )
Vernichtende Kritik: Der ehemalige Richter Elijahu Winograd … übergab den Bericht an Ehud Olmert. …. Auch Verteidigungsminister Amir Peretz schien das Werk eher gutgelaunt in Empfang zu nehmen
Die traditionell bevorzugte Zusammenschreibung wird daher leider selten bleiben:
Schnell ist die erste Stunde auf der „MS Dieksee“ vergangen, in Malente-Gremsmühlem angekommen füllt sie sich mit viel bunt gekleideten, gut gelaunten Ausflüglern und fährt zurück.
2004 hatte man wohl den Zwang zu Trennung unauffällig wieder gelockert. Geblieben ist jetzt eine allgemeine Unsicherheit.
Klaus Wiedemann, Lehrer am Otto-Schott-Gymnasium Jena, sagte anläßlich des Teilrückzugs der Kultusminister im ZDF Mittagsmagazin am 2.3.2006 zur „Rechtschreibreform“:
„Gescheitert! Setzen, Sechs!“
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Sigmar Salzburg
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