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Recht und Reform in Schleswig-Holstein
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rrbth
11.02.2008 15.45
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Recht und richtig

Servus,

Focus-online berichtete:

Die Eltern legten Widerspruch gegen die Drei in Sachkunde ein. Die betreffende Lehrerin nämlich hatte in mehreren Arbeiten richtige Antworten als falsch gewertet. Auf die Frage, wie sich taubstumme Menschen verständigen, hatte Katharina zum Beispiel mit „Lautsprache“ geantwortet. Die Lehrerin ließ das nicht gelten, obwohl Lexika und Gehörlosenverbände Katharinas Antwort bestätigten. Das Verwaltungsgericht München entschied deshalb: „Für die Lösung der Frage ist ein zusätzlicher Punkt zu vergeben.“ In diesem Fall setzte sich das Gericht mit jeder einzelnen Frage auseinander und urteilte danach, die Klägerin habe Anspruch auf die Note „Zwei“ in Sachkunde. Der Freistaat Bayern zog jedoch vor den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Der gab wiederum der Schule Recht, und sein Beschluss ist unanfechtbar.

Quelle:
http://www.focus.de/schule/lernen/bildung_aid_231861.html

Man sieht: Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen „recht haben“ und „Recht bekommen“.

Mag man's glauben?

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PL
07.02.2008 18.02
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Lieber Sigmar!

Zuerst schaute ich auf das Datum und den Zeitpunkt Deiner Mitteilung: 07.02.2008 06.01. Das ist also heute.

Was ich Dir dazu sagen kann, ist folgendes: Die Barbarei ist über uns gekommen, wie ein unabwendbarer Wirbelsturm. Doch halten wir zusammen, klammern wir uns aneinander, einjeder mit der ihm gegebenen natürlichen Kraft. Die Stärkeren halten die Schwächeren fest. Ich habe und hege noch immer die Hoffnung, daß wir diesen Sturm des intellektuellen Niedergangs überleben. Unterrichte Deine Tochter in Deinem Sinne, der mir ehrbar erscheint, und lasse Dich nicht entmutigen von der zur Zeit allherrschenden Ungerechtigkeit. Du hast Gesinnungsgenossen in aller Welt, die Dir in Gedanken zur Seite stehn und mit Dir auf Besserung hoffen – ohne dabei untätig zu sein.

Peter Lüber

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Sigmar Salzburg
07.02.2008 05.01
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In eigener Sache

Klage in der ersten Instanz abgewiesen

Am 06.02.08 ist vom Verwaltungsgericht Schleswig die Klage, die ich am 17.10.2005 im Namen meiner Tochter gegen die alleinige Gültigkeit der Reformschreibung an der Schule erhoben hatte, abgewiesen worden. Das Gericht hat somit fast zweieinhalb Jahre gebraucht, um mit der einfachen Bekundung, sich „voll hinter das Urteil von Karlsruhe“ (1998) zu stellen, eine hundertseitig begründete Klage vom Tisch zu wischen. Nicht berücksichtigt hat die Richterin Christine Nordmann, daß die Karlsruher Verfassungsrichter nur darüber entschieden hatten, daß Schreibänderungen an Schulen durch Erlaß ohne parlamentarisches Gesetz vorgenommen werden dürfen. Deren sprachwissenschaftliche Richtigkeit und Akzeptanz sind jedoch einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich, wie man nach den Verlautbarungen der Verfassungsgerichts und dem Wortlaut des 98er Urteils folgern kann. Diese Mühe hat sich die Richterin erspart, indem sie diese Punkte der Klage unterschlagen und, Karlsruhe folgend, für „marginal“ erklärt hat (von mir als „Narrenfreiheit für die Kultusminister“ kritisiert). Daß dies aber in der Klage deutlich genug vorgetragen worden war, zeigt der Beschluß der Richterin Helga Kusterka zur Prozeßkostenhilfe (siehe weiter unten), die immerhin ansatzweise dazu Stellung nimmt.

Über das weitere Vorgehen werden wir noch beraten.
– geändert durch Sigmar Salzburg am 07.02.2008, 10.53 –
__________________
Sigmar Salzburg

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Sigmar Salzburg
09.09.2007 11.01
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Ein Vorbescheid

SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES VERWALTUNGSGERICHT

Az.: 9 A 301/05

BESCHLUSS

[…]

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

Die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO iVm § 114 ZPO sind nicht gegeben. Die erhobene Leistungsklage gegen den Beklagten bietet nach dem bisherigen Vorbringen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Die Leistungsklage ist, obwohl in der Verwaltungsgerichtsordnung nicht explizit geregelt, zulässig, wenn Streitgegenstand kein Verwaltungsakt ist, der gem. § 42 VwGO angefochten werden kann, sondern ein sonstiges Tun, Dulden oder Unterlassen. Darüber hinaus muss ein diesbezüglicher materieller Anspruch bestehen, der durch Leistungsklage durchgesetzt werden kann.

Ob die Leistungsklage der Klägerin, die nunmehr die 9. Klasse des Gymnasiums besucht, auf

Untersagung der Beklagten, Schreibweisen, die der herkömmlichen Orthographie entsprechen, in den schriftlichen Arbeiten der Klägerin auch dann nicht als Fehler zu markieren und zu bewerten, wenn sie dem 1994 verabschiedeten Regelwerk oder späteren Änderungen desselben widersprechen,

Unterrichtung der Klägerin in der herkömmlichen, vor der Einführung der Rechtschreibreform üblichen Orthografie und den Unterricht von grammatisch und historisch Falschem zu unterlassen,

sowie

die Klägerin über die allgemein übliche Briefanrede zu unterrichten, wozu auch die Großschreibung der vertraulichen Anrede zählt,

zulässig ist, weil diese keinen vorherigen Antrag an die Beklagte gestellt hat oder weil es der Klägerin frei steht, etwaige Bewertungen mit einer Verpflichtungsklage anzugreifen, kann offen bleiben, denn die Klage ist jedenfalls nicht begründet.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 14.07.1998 (1 BvR 1640/97) dargelegt, dass durch die Einführung der Rechtschreibreform in den Schulen in Schleswig- Holstein keine Grundrechte von Schülern verletzt werden. Diese Entscheidung entfaltet nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil 6 C 9/98 vom 24.03.1999, BVerwGE 108, 355) Bindungswirkung gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG. Danach binden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsorgane des Bundes und de Länder sowie alle Gerichte und Behörden. Nach Auffassung des BVerwG (aaO) bindet die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur das Land Schleswig- Holstein, sondern auch andere Länder, in dem Fall das Land Berlin, hinsichtlich der Einführung der Rechtschreibreform.

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist der Staat nicht gehindert, Regelungen über die richtige Schreibung der deutschen Sprache für den Unterricht in den Schulen zu treffen. Für die Einführung der von der Kultusministerkonferenz beschlossenen Neuregelungen der deutschen Rechtschreibung an den Schulen Schleswig- Holsteins bedürfe es keiner besonderen, über die allgemeinen Lernzielbestimmungen des Landesschulgesetzes hinausgehenden gesetzlichen Grundlagen. Grundrechte von Schülern oder Eltern würden durch die Neuregelungen nicht verletzt werden.

Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, die seinerzeitigen Annahmen des Bundesverfassungsgerichts, dass die neue Rechtschreibung leichter erlernbar sei und zukünftig allgemein akzeptiert würde, seien nicht eingetreten, so dass die Entscheidung heute nicht mehr aufrechterhalten werden könne, folgt das Gericht dieser Auffassung nicht. Selbst wenn heute, rund zehn Jahre nach Einführung der Rechtschreibreform, noch ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung auf die Frage, ob man die Rechtschreibreform begrüße oder ablehne, sich dieser gegenüber negativ äußert, bedeutet dieses nicht, dass sie sich allgemein nicht durchgesetzt hat. Denn selbst viele Personen, die es bevorzugen würden, ihre früher in der Schule erlernte Rechtschreibung weiter anzuwenden, wenden die neue Rechtschreibung an, zumal im Beruf bei Verwendung von Computern dort Rechtschreibprogramme installiert sind, deren Wörterbuch den Neuregelungen der Rechtschreibung entsprechen. Auch viele Zeitungen haben sich mit der Zeit den Neuregelungen angeschlossen, so dass die Verwendung der geänderten Rechtschreibung in aktuellen Publikationen eher die Regel als die Ausnahme darstellt.

Angesichts der jahrelangen Auseinandersetzungen über Sinn oder Unsinn der Rechtschreibreform innerhalb der Gesellschaft und der Kultusministerkonferenz kann zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht angenommen werden, diese werde allgemein nicht akzeptiert. Denn außerhalb der Schule und der Verwaltung ist es jedem Bürger freigestellt, welche Rechtschreibung angewandt wird, so dass der Grad der tatsächlichen Verwendung der neuen Rechtschreibung kein Indiz dafür ist, ob sie sich allgemein durchgesetzt habe. Für die Beurteilung der Akzeptanz der Rechtschreibreform bedarf es einer längeren Zeitspanne als zehn Jahre, denn zum jetzigen Zeitpunkt hat nur ein verschwindend geringer Anteil der deutschen Bevölkerung in der Schule die neue Rechtschreibung gelernt, während die überwältigende Mehrheit die herkömmliche Orthografie verwendet.

Der Klägerin ist zuzugeben, dass in der alten Literatur oder auch der aktuellen von z.B. Günter Grass weiterhin die alte Rechtschreibung verwendet wird. Dieses wird von vielen Schülern bestimmt auch als verwirrend empfunden. Trotzdem kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass auch sie in der Schule so schreiben möchte, wie z.B. Günter Grass, ohne dass dieses als Fehler gewertet werden dürfe, denn den Schülern wird heute im Unterricht auch gelehrt, dass sich die Rechtschreibung im Laufe der Zeit wandelt, und dass zu früheren Zeiten anders geschrieben worden ist. Da nunmehr im Unterricht die neue Rechtschreibung gelehrt wird, müssen sich die Schüler nunmehr die neue Rechtsschreibung einprägen. Dass sich Rechtschreibung über die Jahrhunderte änderte, zeigt schon der Vergleich mit alten Klassikern von Goethe oder Schiller, da in den Originalwerken zum Teil auch dort eine andere Rechtschreibung verwendet worden war, als diejenige vor Einführung der Rechtschreibreform.

Da sich Rechtschreibung wandeln kann, ist es auch zu begrüßen gewesen, dass die Kultusministerkonferenz den Rat für Rechtschreibung einberufen hat mit dem Auftrag, bestimmte Unklarheiten und Widersprüche der Rechtschreibreform zu überprüfen und Vorschläge zur zukünftigen Rechtschreibung abzugeben. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass nunmehr völlig ungewiss ist, welche Rechtschreibung verwendet werden soll, so dass man gleich zu der herkömmlichen Rechtschreibung zurückkehren könne.

Der Klägerin ist zuzugeben, dass es angesichts des Nebeneinanders von herkömmlicher und neuer Rechtschreibung, die zudem auch wieder geändert wird, verwirrend ist, sich hinsichtlich der Rechtschreibregeln zu orientieren; aber da sie als Schülerin der 9. Klasse bereits von der 1. Klasse an mit den neuen Rechtschreibregeln vertraut gemacht worden ist und deshalb ein Umlernen entfällt, besteht die Vermutung, dass dieses zu keinen schulischen Einschränkungen führen wird.


[…]

Ausgefertigt
Schleswig, den 28,Aug. 2007
[Unterschrift]

Justizobersekretär/in
als Urkundebeamtin der Geschäftsstelle
des Schlesw. -Holst. Verwaltungsgerichts


Ein Vorbescheid – nur zu den Prozeßkosten – fast zwei Jahre nach Einreichen der Klage.
Es deutet sich schon die Denkrichtung des Gerichtes an.
Wenn Prof. Ickler meint, wegen mangelnder Akzeptanz der „Reform“
sei der Zwang zur „neuen Rechtschreibung“ an den Schulen schon verfassungswidrig, will das Gericht sogar noch Jahrzehnte zur Indoktrination einräumen, bis allgemeine „Akzeptanz“ erreicht ist.

Im parallelen Verfahren hat der Kläger die Schule verlassen, so daß „aus Kostengründen nahegelegt“ wurde, das Verfahren für erledigt zu erklären. Jetzt wird mitgeteilt, daß das Gericht für zwei Jahre Nichtstun und Vereitelung eines rechtzeitigen Signals an die Presse auch noch dem Kläger die Prozeßkosten (Streitwert 5000 Euro) aufbürden will.

( Rat und Kommentare an salz.burg[et]kielnet.net )





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Sigmar Salzburg

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Sigmar Salzburg
30.06.2007 06.17
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Die Konfusion durch das „Umfunktionieren“ des ß
bei der Aussprache unveränderlicher Eigennamen


Der ehemalige Verfassungsrichter Prof. Ernst Gottfried Mahrenholz hatte schon 1997 geschrieben: „In der Neuregelung der Daß-Schreibweise haben die Minister ihre Kompetenz überschritten. Hier hat die Kommission – und ihr folgend die Ministerriege sich so gesehen, als habe sie zwischen zwei möglichen Gebrauchsformen des „ß“ zu wählen. Es ging aber doch um die Wahl zwischen einer alten und bewährten Praxis und einem neuen Modell. Hier kann ein Eingriff, der die bisherige Funktion eines Buchstabens betrifft, eine Veränderung seines überlieferten „Ortes“, nicht aus der Kompetenz für Schulfragen gerechtfertigt werden…“ (Süddeutsche Zeitung 23./24. 08.1997)

Das „Umfunktionieren“ des „ß“ vermehrt nicht nur die Fehler beim Schreiben, insbesondere an den Schulen (s. die Untersuchung v. Prof. Harald Marx), sondern führt zu neuen Konfusionen bei der Lesung und Schreibung von Eigennamen. Diese unterliegen nicht der zeitgebundenen Willkür der Kultusminister. Dennoch verändert die Schreibung und Aussprache, wie sie durch die Schulen erzwungen wird, bei den indoktrinierten Generationen zunehmend die richtige Wahrnehmung überkommener Eigennamen. Dies führt zu einem neuen Widerspruch auf Dauer, der auch nicht durch Umlernen behoben werden kann.

Traditionell waren die „ß“ und „ss“ einer Schlußsilbe gleichwertig und austauschbar. Die neue Vokallängendefinition verkehrt jedoch die Aussprache der überlieferten Eigennamen ins genaue Gegenteil.

Der Familienname „Haß“ ist identisch mit dem Alltagswort und wird auch genauso ausgesprochen – mit kurzem Vokal. Die „Rechtschreibreform“ verlangt jedoch eine Aussprache mit langem Vokal. Dies suggeriert, es handle sich bei dem Namen um eine Ableitung von „Hase“, nämlich traditionell geschrieben „Has“, „Haas“ oder „Haaß“.

Umgekehrt ist das „ß“ traditionell generell ersetzbar durch „ss“ (in der Schweiz üblich). Daher ist etwa neben „Süßmann“ auch die Namensschreibung „Süssmann“ verbreitet (nach Internet-Abfrage etwa 40 Prozent). Der umfunktionierte Leser wird ein falsches kurzes „ü“ lesen.

In einigen Fällen sind Name und neue Schreibung scheinbar stimmig, jedoch hat sich tatsächlich der Vokal oft verkürzt, etwa bei „Großmann“.

Die Buchstabenfolge „iß“ war immer mit kurzem Vokal zu lesen. Sollte er lang gelesen werden, war auch bei Normalwörtern ein „ie“ zu schreiben. Als Folge der „Reform“ erfährt nun die Buchstabengruppe „iß“ eine nie dagewesene Längung.



A. Ortsnamen, die ß enthalten

Es werden nur die Ortsnamen des Postleitzahlenverzeichnisses aufgeführt. Hinzugefügt wurde die Zahl bei Orten gleichen Namens. Sonstige Ortsbezeichnungen, Flur- und Straßennamen wurden nicht berücksichtigt, dürften aber in der Anzahl diese Aufstellung noch weit überwiegen.

Aßlar; Aßling; Aßlschwang; Aßmannshardt; Baßdorf; Baßlitz; Beßlich; Bloßwitz; Boßdorf; Daßwang; Dößel; Drößling; Drößnitz; Droßdorf; Droßkau; Düßnitz; Dußlingen; Dußvitz; Eßbach; Eßbaum; Eßleben; Eßlingen; Eßweiler; Faßberg; Faßmannsreuth; Feßbach; Fißmühle; Flößberg; Floßdorf; Floßmühle; Frößnitz; Fußgönheim; Fußstall; Gößlow; Gößnitz; Gößweinstein; Goßberg ; Goßdorf; Goßmannsrod; Goßmar; Goßra; Goßwitz; Graßlfing; Greßthal; Grißheim; Größnitz; Haßfurt; Haßlach; Haßlau; Haßleben; Haßley; Haßlinghausen; Haßloch; Haßmersheim; Haßmoor; Heßberg; Heßdorf; Heßheim; Heßlar; Heßler; Heßles; Heßlingen; Heßloch; Hoßkirch; Hußweiler; Jeßling; Jeßnigk; Jeßnitz; Jößnitz; Kaßberg; Kaßlerfeld; Kößlarn; Kößlitz; Kößuln; Koßdorf; Koßweda; Koßwig; Kraßlau; Kreßbach; Kreßberg; Kröß; Krößuln; Laßbach; Laßbruch; Laßrönne; Lißdorf; Lößnig; Lößnitz; Lößnitzgrund; Lößnitztal; Loßbruch; Loßburg; Loßwig; Loßnitz; Lüßvitz; Lußberg; Maßlau; Maßlow; Maßnitz; Meßbach; Meßdorf; Meßkirch; Meßlingen; Meßnerschlag; Meßstetten; Mißlareuth; Mößling; Mößlitz; Moßbach; Naßkamping; Naßweiler; Neßlbach; Neßmergrode; Neßmersiel; Nißma; Nißmitz; Nößwartling; Noßlitz; Noßwitz; Nußbach (5); Nußbaum; Nußbühl; Nußdorf (4); Nußloch; Oßla; Oßling; Oßmannstedt; Oßmaritz; Oßweil; Paßbruch; Paßditz; Pößneck; Proßmarke; Raßdorf; Raßlitz; Raßmannsdorf; Raßnitz; Raßreuth; Rißdorf; Rißegg; Rißtissen; Rößnitz; Rößuln; Roßbach (19); Roßberg (2); Roßbrunn; Roßdach; Roßdorf (8); Roßendorf; Roßfeld; Roßhaupten (2); Roßholzen; Roßla; Roßlach (2); Roßlau; Roßleben; Roßrieth; Roßstadt; Roßtal; Roßwälden; Roßwag; Roßwangen; Roßwein; Rüßdorf; Rüßwihl; Saßleben; Saßmannshausen; Saßmicke; Saßnitz (o. Sassnitz); Schlößchen; Schlößlesmühle; Schloßau; Schloßberg (3); Schloßböckelheim; Schloßborn; Schloßgarten; Schloß Grubenhagen; Schloßhalbinsel; Schloß Hamborn; Schloßheck; Schloßhof; Schloß Hohenfels; Schloßig; Schloßkulm; Schloß Holte-Stukenbrock; Schloß Neuhaus; Schloß Ricklingen; Schloß Rottal; Schloß Vippach; Schloß Zeil; Schmißberg; Schweßwitz; Seßlach; Soßmar; Staßfurt; Stoßdorf; Straß (4); Straßberg (4); Straßbessenbach; Straßdorf (2); Straßen; Straßen; Straßenhaus; Straßenreuth; Straßfeld; Straßgiech; Straßgräbchen; Straßkirchen; Straßlach-Dingharting; Straßtrudering; Strößwitz; Strußberg; Teßmannsdorf; Traßdorf; Traßlberg; Tüßling; Ueß; Voßbarg; Voßberg (3); Voßfeld; Voßhagen; Voßheide; Voßhöfen; Voßkuhl; Voßloch; Voßwinkel (2); Waßmannsdorf; Waßmuthshausen; Weßling; Weßmar; Weßnig; Weßnitz; Wißkirchen; Wißmannsdorf; Wißmar; Wißgoldingen; Wußwerk; Zaßnitz; Zwerchstraß; Zußdorf;

Die Gesamtzahl der Nennungen dieser Orte beträgt bei „Google“ rund 20 Millionen (nicht eingerechnet Namen, die zugleich als Alltagswörter die Zählung verfälschen könnten). Einige Namen sind zugleich Familiennamen.

B. Familiennamen, die einen Vokal mit folgendem ß enthalten

Mindestens folgende über 800 Familiennamen (Auswahl) werden, wenn die Indoktrination der Schüler mit der „ß-nach-Langvokal-Regel“ fortgesetzt wird, mit überwiegend falscher Vokallänge gelesen und verstanden – eine Sprachveränderung gegen den Willen der Bevölkerung.

Aßfalg; Aßfelder; Aßhauer; Aßheuer; Aßhoff; Aßholt; Aßhorn; Aßkamp; Aßländer; Aßler; Aßling; Aßmacher; Aßmann; Aßmayr; Aßmus; Aßmuth; Aßner; Baßhuisen; Baßhusen; Baßkowski; Baßl; Baßlar; Baßler; Baßler-Schäfer; Baßlsperger; Baßner; Baßta; Baßüner; Beß; Beßgen; Beßle; Beßlich; Beßling; Beßner; Beßon; Beßrich; Bißbord; Bißbort; Bißdorf; Bißheimer; Bißle; Bißling; Bißmaier; Bißmeier; Bißon; Bißwang; Bißwanger; Bißwurm; Boßbach; Boßdorf; Boßhammer; Boßkamp; Boßlar; Boßlau; Boßle; Boßler; Boßlet; Boßling; Boßmann; Boßmeier; Boßmeyer; Boßner; Boßong; Boßung; Boßtelmann; Boßung; Boßtelmann; Bußbacher; Bußberg; Bäßgen; Bäßler; Bäßmann; Blaßczyk; Blaßdörfer; Blaßfeld; Blaßhofer; Blaßies; Blaßl; Blaßmann; Blaßneck; Blaßneck; Blaßnitz; Blaßs; Daßbach; Daßbeck; Daßberger; Daßdorf; Daßdorff; Deß; Deßbesell; Deßecker; Deßler; Deßloch; Deßmann; Deßmer; Deßner; Diß; Diß; Diße; Dißlbrede; Dißler; Dißmann; Dißmeier; Doßwald; Doßwald; Dußdorf; Dußkewitz; Dußl; Dußle; Dußler; Dußling; Dußmann; Dußwald; Draß; Draßdo; Draßmann; Draßner; Draßner; Eßbach; Essbach; Eßbach; Eßbauer; Eßbaum; Eßbaumer; Eßberger; Eßfeld; Eßkuchen; Eßl; Eßlage; Eßler; Eßling; Eßlinger; Eßmajor; Eßmann; Eßmeier; Eßmeyer; Eßmeier; Eßmüller; Eßner; Eßpich; Eßreiter; Eßrich; Eßt; Eßwein; Eßwein; Faßbach; Faßbänder; Faßbeck; Fassbender Achim; Faßbinder; Faßbinder; Faßbutter; Faßdorf; Faßhauer; Faßheber; Faßhold; Faßhold; Faßholt; Faßke; Faßl; Faßlabend; Faßler; Faßler; Faßmann; Faßmer; Faßmers; Faßmeyer; Faßnacht; Faßnauer; Faßold; Faßrainer; Faßtrupp; Faßunge; Feßdorf; Feßke; Feßl; Feßler; Feßmaier; Feßmann; Feßmeier ; Feßner; Fißbeck; Fißgus; Fißguß; Fißke; Fißl; Fißler; Fißler; Fißlinger; Fißlthaler; Fißguß; Fißlthaler; Fißmann; Fißmer; Fißmeyer; Fißnaider; Fißner; Fluß; Flüß; Foßgreen; Foßhag; Foßhag; Foßler; Fößl; Fößleitner; Fößmeier; Gaß-Seitel; Gaßa; Gaßbichler; Gaßdorf; Gasshofer; Gaßka; Gaßl; Gaßlbauer; Gaßlberger; Gaßlberger; Gaßler; Gaßlhuber; Gaßling; Gaßlmaier; Gaßmair; Gaßmann; Gaßmeier; Gaßmeyer; Gaßmöller; Gaßmüller; Gaßner; Geßele; Geßel; Geßele; Geßelmann; Geßendorfer; Geßener; Geßenhardt; Geßer; Geßher; Geßl; Geßlein; Geßler; Geßmann; Geßmann; Geßner; Geßnitzer; Geßler; Gläß; Gläßel; Gläßge; Gläßge; Gläßgen; Gläßl; Gläßle; Gläßler; Gläßmann; Gläßner; Gläßner; Glißmeier; Glißmeyer; Glißner; Glißnik; Glöß; Glößinger; Glößinger; Glößl; Glößner; Gloß; Gloßner; Glüß; Glußdakow; Haßbach; Haßbecker; Haßberg; Hassberg; Haßdenteufel; Haßdorf; Haßfeld; Haßfurther; Haßgall; Haßheider; Haßka; Haßkamp; Haßl; Haßl; Haßlach; Haßlage; Haßlake; Haßlan; Haßlberger; Haßler; Haßlei; Haßler; Haßling; Haßmann; Haßmer; Haßmüller; Haßner; Haßpacher; Haßreiter; Haßpecker; Haßt; Haßt; Heß; Heß; Heßberg; Heßbrügge; Heßburg; Heßdörfer; Hessdorfer; Heßfeld; Heßhaus; Heßheimer; Heßke; Heßland; Heßlich; Heßlöhl; Heßmann; Heßmer; Heßmert; Heßner; Heßting; Hiß; Hißbach; Hißfeld; Hißleiter; Hißmann; Hißnauer; Hißner; Hißting; Hoß; Hoßbach; Hoßbein; Hoßdorf; Hoßfeld; Hoßlin; Hoßmang; Hoßmann; Hoßmar; Hoßnofsky; Häß; Häßel; Häßig; Häßig; Häßl; Häßner; Höß; Hößbacher; Hößl; Hößlinger; Hößner; Hößrich; Jaß; Jaßlauk; Jaßmann; Jaßmeier; Jaßmer; Jaßner; Jeß; Jeßberger; Jeßke; Jeßler; Jeßner; Jeßrang; Joß; Joßbächer; Joßberger; Joßner; Joßwig; Jößner; Kaßmer; Kaßnel; Kaßpohl; Kaßt; Kaßtler; Keß; Keßberg; Keßberg; Keßl; Keßler; Keßlinger; Keßmann; Keßmeier; Keßner; Keßpohl; Keßtler; Kiß; Kißgen; Kißhauer; Kißkalt; Kißl; Kißlat; Kißlegger; Kißler; Kißler; Kißmann; Kißmehl; Kißmer; Kißner; Kißro; Kißro; Kißrow; Kißwetter; Koßta; Koßwig; Kuß; Kußbach; Kußberger; Kußfeld; Kußka; Kußler; Kußnow; Kußma; Kußmann; Kußner; Kußner; Kußroll-Ihle; Kußtatscher; Kößl; Kößmeier; Kößner ; Küß; Küßhauer; Küßler; Küßler; Küßner; Küßner; Küßwetter; Laß; Laßbeck; Laßberg; Laßhof; Laßka; Laßkorn; Laßl; Laßleben; Laßlop; Laßmann; Laßnack; Laßner; Laßnig; Laßwitz; Liß; Lißberg; Lißfeld; Lißke; Lißl; Lißmann; Lißmeier; Lißner; Loß; Loßberg; Loßberger; Loßbrand; Loßdörfer; Loßkarn; Loßmann; Loßner; Loßröcke.; Lußberger; Lußhardt; Lußky; Lußmann; Lußnig; Läß; Läßke; Läßle; Läßner; Löß; Lößberg; Lößl; Lößmann; Lößner; Lüß; Lüßgen; Lüßmann; Niß; Naß; Naßhan; Naßke; Naßl; Naßmacher; Naßmann; Naßner; Naßwetter; Neß; Neßbach; Neßhöfer; Neßlinger; Neßmann; Neßwald; Niß; Nißl; Nißl; Nißmann; Nißnick; Noß; Noßbaum; Noßdorfer Mühle; Noßke; Noßmann; Noßner; Noßner; Noßwitz; Nuß; Nußauer; Nußbächer; Nußbrücker; Nußdorfer; Nußgräber; Nußhär; Nußkern; Nußler; Nußmann; Nußmeyer; Nußpickel; Nußrainer; Nußreiner; Nußschall; Nußstein; Nußwald; Nußwitz; Nußwitz; Nußwaldt; Näß; Näßl; Näßner; Nöß; Nößke; Nößner; Nüß; Nüßgen; Nüßlein; Nüßmann; Nüßmeier; Nüßmeyer; Paß; Paßmann; Paßberg; Paßgang; Paßmanns; Paßnecker; Paßreiter; Paßvogel; Paßvoß; Pißker; Pißler; Pißner; Pißny; Poßberg; Poßke; Poßloth; Poßling; Poßler; Poßmann; Pußler; Raß; Raßbach; Raßbichler; Raßdörfer; Raßdörfer; Raßfeld; Raßhofer; Raßkopf; Raßl; Raßlenberg; Raßler; Raßmann; Raßmus; Raßmuß; Raßner; Raßweiler; Reß; Reßke; Reßmann; Reßmeier; Reßmeyer; Reßner; Riß; Rissbacher; Rißbeck; Rißberger; Rißdorf; Rißka; Rißmann; Rißmayer; Rißmeier; Rißmeyer; Rißmöller; Rißmüller; Rißner; Rißpy; Rißwig; Roß; Roßbaach; Roßbauer; Roßbegalle; Roßberg; Roßbruch; Roßbund; Roßborg; Roßbild; Roßbrey; Roßbroich; Roßbrich; Roßbund; Roßburg Anja, Krankengymnastik; Roßdeutsch; Roßdörfer Reisebüro, Fuhrmann; Roßdorf; Roßfeld; Roßform; Roßgardt; Roßgatterer; Roßgotterer; Roßhäupter; Roßhap; Roßhardt; Roßhalm; Roßhardt; Roßhoff; Roßhuber; Roßjat; Roßkamm; Roßkämmer; Roßkamp; Roßkath; Roßki; Roßlan; Roßle; Roßleben; Roßmadl; Roßmaier; Roßmeier; Roßmüller; Roßnagel; Roßnegger; Roßner; Roßnick; Roßnov; Roßram; Roßricker; Roßpunt; Roßrucker; Roßroich; Roßstock; Roßtäuscher; Roßt; Roßwaag; Roßwagner; Roßwinkel; Roßwog; Roßwurm; Rußke; Rößberg; Rößchen; Rößgen; Rößmann; Rüßkamp; Rüßmann; Rüßmeier; Rüßmeyer; Saß; Saßbender; Saßhoff; Saßl; Saßlona; Saßnick; Seß; Seßbrügger; Seßlen; Seßmann; Seßner; Siß; Sißmann Barbara; Sißmeier; Soß; Soßdorf; Soßmann; Soßna; Suß; Sußbauer; Sußdorf; Sußmann; Sußnapp; Sußner; Taßler; Teß; Teßler; Teßmann; Teßmer; Tißberger; Tißka; Tißler; Tißling; Tißmann; Tißmer; Tißys; Ußfelder; Ußling; Ußmant; Ußmüller; Ußner; Ußpelkat; Vaßbeck; Vaßmer; Vaßt; Veß; Veßbach; Veßbach; Veßhoff; Vißmann; Voß; Voßbeck; Voßberg; Voßbrecher; Voßdahl; Voßding; Voßfänger; Voßfeldt; Voßgätter; Voßgerau; Voßgrau; Voßgröne; Voßhage; Voßhenrich; Voßhöler; Vosshöller; Voßhoff ; Voßkämper; Voßkamp; Voßke; Voßköhler; Voßke; Voßkühler; Voßler; Voßkuhle; Voßler; Voßmann; Voßmeier; Voßmar; Voßmöller; Voßmöller; Waß; Waßbauer; Waßhausen; Waßkönig; Waßkowiak; Waßling; Waßler; Waßmann; Waßmer; Waßmiller; Waßmund; Waßmus; Waßmuß; Waßmuth-Tänzler; Waßner; Waßweiler; Weß; Weßbecher; Weßberge; Weßjohann; Weßkallnies; Weßkamp; Weßlau; Weßle; Weßling; Weßlowski; Weßmann; Weßmeyer; Weßnat-Koch; Weßner; Wiss; Wiß; Wißbach; Wißborn; Wißbrok; Wißbüchler; Wißdorf; Wißgens; Wißgott; Wißgügel; Wißhak; Wißkamp; Wißkirchen; Wißle; Wißler; Wißmann; Wißner; Wißner; Wißmüller; Wißpeintner; Wißroth; Wißt; Wussling; Wußmann; Wußnick; Wußt; Wäß; Wäßnig; Wöß; Wößmann; Wößner; Zaß; Zeß; Zeßler; Zeßner; Ziß; Zißler; Zißmann; Zißner; Zoß; Züßler;

[Diese Listen sind naturgemäß unvollständig. Gerade sah ich im Fernsehen den Namen „Kreß“...]

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Sigmar Salzburg

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Sigmar Salzburg
23.04.2007 08.34
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Peter Eisenberg: Das Ende des Rechtschreibkrieges?

Am 22. Januar 2007 hielt Peter Eisenberg, emeritierter Professor für Philologie und deutsche Sprache der Gegenwart an der Universität Potsdam, im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald einen Vortrag mit dem Titel:

Das Ende des Rechtschreibkrieges?
Deutsche Orthographie 2007


Dieser Vortrag wurde mitgeschnitten und vom NDR Kultur am 25. Februar gesendet. Als Mitglied der aufgelösten Rechtschreibkommission und des Rates für deutsche Rechtschreibung ist Eisenberg ein wichtiger (Zeit-)Zeuge zu den Vorgängen um die „Reform“. Daher habe ich mich entschlossen, den Vortrag nach Aufzeichnungen von Hörern und nach Überprüfung anhand einer CD des NDR-Mitschnittdienstes hier zu veröffentlichen.

Prof. Peter Eisenberg:

1996 hatten wir die sogenannten „Wiener Beschlüsse“, die dazu geführt haben, daß dann etwas später tatsächlich an den Schulen und in den Wörterbüchern die neue Rechtschreibung eingeführt worden ist. 1997 wurde die Kommission eingerichtet, die die Wiener Beschlüsse vorgesehen haben, die Kommission für deutsche Rechtschreibung, international besetzt. Sie hat ein Jahr heftig gearbeitet – ich war auch ihr Mitglied – und hat am Ende einen ersten Bericht abgegeben, in dem – jetzt werden Sie sich vielleicht wundern, aber es war so – der Rückbau der Neuregelung gefordert wurde. Es stand ungefähr das in dem Bericht, was 2006 am 1. August in Kraft getreten ist. Das war 1998. Wir haben es einer wirklich einmaligen Menge von politischen Intrigen zu verdanken, daß wir den Schritt zurück nicht schon 1998 tun konnten, sondern erst 2006 – das darf man nicht vergessen. 1998 – das Bundesverfassungsgericht hat in einem juristisch hoch anfechtbaren Urteil festgestellt, daß die Neuregler wesentlich weiter hätten gehen können, nämlich so weit, daß man sich zwischen Schleswig-Holstein und Bayern gerade noch verständigen konnte im Geschriebenen.

Dann kam im Jahr 2003 der Vorschlag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung auf der Leipziger Buchmesse. Da lag dann ein Büchlein auf dem Tisch, in dem man nachlesen konnte, und auch begründet, was an Rückbau unbedingt sein müsse. Die Kultusminister …den Kultusministern wurde es immer unheimlicher mit der Sache, weil man ja annimmt, daß die Deutschen in ihrer Obrigkeitshörigkeit nun irgendwann mal das tun würden, was von ihnen verlangt wurde in dieser Hinsicht, und niemand konnte sich erklären, daß die Leute einfach nicht das taten, was sie tun sollten.

Im Jahr 2004 setzte die Kultusministerkonferenz, die das Ganze ja politisch zu vertreten hatte in der Bundesrepublik Deutschland, Gespräche zwischen der Akademie und der Kommission durch, und die sollten sich darauf verständigen, wieweit die Neuregelung rückgebaut werden sollte. Diese Gespräche sind gescheitert. Ich erzähl’ Ihnen das jetzt nicht im einzelnen, das ist hochinteressant, da gings mit Türenknallen und Schreiereien und allem möglichen zu. Die Kommission hat sich derart destruktiv verhalten, daß die Kultusministerkonferenz sie nach Abschluß dieser Gespräche einfach rausgeworfen hat.

Danach erschien wieder ein Duden, der den Rückbau weiter forcierte, und wir hatten keine Kommission mehr, wir hatten kein Gremium mehr, das überhaupt dafür verantwortlich war, wie sich die deutsche Orthographie entwickeln sollte. Das war die Geburtsstunde des Rates für Rechtschreibung, und wir haben die Bereiche bearbeiten können, die wir bearbeiten durften. Das ist auch etwas, was man heute, wenn man die Lage halbwegs realistisch einschätzen möchte, immer im Gedächnis behalten soll:

Es hat im Jahr 2004 in einem öffentlichen Wutausbruch des niedersächsischen Ministerpräsidenten Wulff eine Aufzählung der sogenannten umstrittenen Bereiche der Neuregelung gegeben. Dazu gehört natürlich Getrennt- und Zusammenschreibung, dazu gehörte die Silbentrennung, dazu gehörte das Komma und dann hat er noch was von Fremdwörtern gesagt, aber dazu gehört nicht die Groß- und Kleinschreibung, und das bedeutete nun für einige, daß der Rat für Rechtschreibung sich mit der Groß- und Kleinschreibung nicht zu beschäftigen habe. Ja. Also, es war reiner Zufall, was Herrn Wulff in seiner Erregung bei dieser Gelegenheit gerade eingefallen war: Dies wurde zum Gegenstand der Ratsarbeit gemacht.

Ich könnte Ihnen jetzt von diesem Kaliber wirklich stundenlang interessante Dinge erzählen, ich lass’ es mal dabei bewenden. Sie mögen dem entnehmen – ich weiß ja auch nicht, wieviel Befürworter der Neuregelung von 96 hier im Saal sind,
[Heiterkeit] man setzt sich da immer großen Gefahren aus, wenn man da zu deutlich wird, aber [Heiterkeit] Sie mögen ermessen, daß es sehr schwer war, zehn Jahre nach Inkraftsetzen der Neuregelung und zehn Jahre nach Mauern der Politik ’ne sachlich Arbeit hinzukriegen im Rat und daß es gelungen ist, ist eigentlich ein kleines Wunder, weil ja die Ratsarbeit von beiden Seiten sozusagen eingeklemmt wurde. Wir haben immer zwischen Skylla und Charybdis hin- und herregeln müssen.

Auf der einen Seite waren die Vertreter der reinen Lehre, die gesagt haben, wir wollen unseren alten Kaiser Wilhelm wiederhaben. Wir wollen, daß alles so wird, wie vor 96. Das war doch alles gut. Es stimmt ja auch
[Heiterkeit] – in der Beziehung. Ich war ja auch dagegen, daß überhaupt neu geregelt wurde. Aber wenn zehn Jahre ins Land gegangen sind, dann – das lehrt uns doch, das – was wir über den historischen Materialismus irgendwann mal verstanden haben – lehrt uns, daß wir den Status quo ante nie wieder erreichen können. Na, das war dann klar. Die Kompromißler haben immer eine sehr schwere Position, weil sie von beiden Seiten – den Vertretern der reinen Lehre – zu tun haben. Die Neuregler waren überhaupt nicht zimperlich und die Vertreter der alten Orthographie auch nicht.

Insgesamt kommt es mir darauf an, ganz deutlich zu sagen, daß die ganze Bewegung von 1996 bis 2006 kein Hin und Her war. Es war eine Bewegung in immer derselben Richtung. Es war eine Bewegung, die langsam, Schritt für Schritt, die Neuregelung rückgebaut hat – also kein Chaos, immer Bewegung in die gleiche Richtung – und heute stehen wir dicht vor der alten Orthographie. Etwas müssen wir noch tun. Das ß kriegen wird nicht mehr, das ist klar. Das ist weg. Obwohl das auch nicht nötig war und auch möglicherweise ein Schade für die deutsche Sprache ist. Die Akademie jedenfalls hat gesagt, damit können wir eher leben, als mit dem, was wir jetzt tatsächlich rückbauen konnten.

Ich lese morgens zwei Zeitungen, die Berliner Zeitung und die Süddeutsche und hab hier mal ein paar Tage lang – nur ein paar Tage lang – das rausgeschrieben, was getrennt geschrieben wird seit der Neuregelung und was nicht getrennt geschrieben werden darf. Das ist auch nicht durch die Neuregelung gedeckt, sondern das ist die Folge des allgemeinen Satzes „Schreibe im Zweifel getrennt“, also zum Beispiel sowas wie „Kokain belastet“. Da haben Sie zwei Wörter – was soll das sein? Ich sage immer, das hat keine grammatische Beschreibung. Und das verstehen die Leute nicht, was das bedeutet, das heißt, die Wörter stehen in keinem im Deutschen vorhandenen syntaktischen Zusammenhang. Das ist ein grammatisch falscher Ausdruck. Das hört man nicht – in dem Fall, ja – aber man sieht es. Oder dann haben Sie bei nächster Gelegenheit „weg gelobt“. Was soll das sein, „weg … gelobt“? „herum … telefoniert“; „Schlamm … bedeckt“, ne? Es wird immer schöner: „fest … gesetzt“; „daher … plauderte“
[Heiterkeit] „zurück zu … kehren“ [noch mehr Heiterkeit], „fertig … gestellt“; „fertig gestellt“ – das war eine der schlimmsten Diskussionen im Rechtschreibrat – in der alten Regelung, also von 96, stand ja drin, Adjektive auf „ig“ und „isch“ und so weiter, werden immer getrennt, oder Wörter auf „ig“ werden immer getrennt geschrieben – also so eine mechanische Regel, nicht. Wenn man jemand „fertig macht“, ja, oder wenn man etwas „übrigläßt“, durfte nicht zusammengeschrieben werden, und hier haben Sie dann die Folge davon: „fertig stellen“; „fertigstellen“ ist ein wunderbares Wort, oder? – gibt’s nicht mehr! „Blut befleckt“, ja? Und so weiter und so weiter.

Ich war jetzt länger weg, und ich hab den Eindruck, also, für zwei Monate war ich weg, ich hab den Eindruck, daß sich in der normalen Zeitung langsam etwas bewegt, daß sie langsam von der Übergeneralisierung bei den Getrenntschreibungen, langsam aber sicher runterkommen und wieder mehr zusammenschreiben, und das ist das, was der Rat erreichen wollte. Ich könnte Ihnen das jetzt durch die ganze Grammatik der Getrennt- und Zusammenschreibung erläutern. Ich persönlich bin davon überzeugt, daß wir hier, wenn wir es schaffen, diese Schreibung wieder abzuschaffen, tatsächlich objektiv dem Deutschen etwas Gutes tun, und dazu sind wir ja auch als Germanisten verpflichtet.

Ich möchte aber nochmal betonen: Wir können heute den Schreibgebrauch, was die Getrennt- und Zusammenschreibung betrifft, nicht mehr erheben. Wir können es vielleicht in fünf Jahren wieder. Wenn wir da wissen wollen, wie der Schreibgebrauch aussieht, dann gehen wir auf Texte vor 1996 zurück. Ja? Anders geht es nicht. Sie kriegen das reine Chaos, wenn Sie heute mit diesen Beispielen, die ich Ihnen vorhin gezeigt hab in großer Zahl – also auf bestimmten Gebieten können Sie sich im gegenwärtigen Deutschen nicht mehr auf den Schreibgebrauch verlassen sozusagen. Das war ja auch einer der Gründe dafür, daß wir gesagt haben, jetzt müssen wir aber was machen, sonst kommt das alles durcheinander. Vielleicht können wir’s in fünf Jahren wieder. Aber da ist richtig ein Zerstörungsprozeß in Gang gesetzt worden.

Ob Sie verpflichtet sind, die amtliche Orthographie zu verwenden, das kann ich so ohne weiteres nicht sagen, weil ich nicht weiß, wo Sie arbeiten
[Heiterkeit]. Im Dienstverkehr zum Beispiel an der Universität sind wir verpflichtet, die neue Regelung der Orthographie zu praktizieren. Wir haben einen wunderbaren Erlaß gehabt im Lande Brandenburg dazu. Und nachdem der Erlaß da war, haben wir das – mein Lehrstuhl – das Kultusministerium umgeschult auf neue Orthographie und festgestellt, daß sie überhaupt nicht wußten, was sie da beschlossen hatten, gar nicht [Heiterkeit]. Das war sozusagen die Behörde, die am schwersten umzuschulen war von allen [Heiterkeit]. Und wir haben uns als Hochschullehrer selbstverständlich nicht daran gehalten. Aber wir hatten zum Beispiel in der Lehrerausbildung, doch, einen Solidaritätskonflikt, weil unsere Lehrer die neue Regelung natürlich beherrschen müssen. Da führt kein Weg dran vorbei, ja? Also, im Verkehr zwischen den Behörden hat der Staat die Regelungsgewalt.

Ich persönlich schreibe nach der alten Orthographie, das ist klar
[Heiterkeit]. Aber das entpflichtet mich nicht von der Aufgabe, als Germanist dafür zu sorgen, daß die neue Orthographie nicht [?] intakt bleibt. Da wird man ja auch stammtischartig immer angegriffen „ja, du machst es ja selbst nicht“ und all dieser Quatsch. Oder Elfriede Jelinek, ja: „Wir machen keine zweitbesten Lösungen. Wir Schriftsteller sind Perfektionisten.“ Aber die Deutsche Akademie arbeitet nicht für die Mitglieder, die Schriftsteller sind, sondern sie arbeitet natürlich für die deutsche Sprachgemeinschaft. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Wir bestehen ja glücklicherweise oder leider nicht aus Elfriede Jelinek [Heiterkeit].

Die deutsche Teilung war ausschlaggebend dafür, daß die ganze Sache in Gang gekommen ist. Die Sache ist so gewesen:

Als Willy Brandt seine neue Ostpolitik gemacht hat und seine neue innerdeutsche Politik gemacht hat, da hieß die Parole der Sozialdemokratischen Partei: „Wandel durch Annäherung“. Und jetzt haben sie mal geguckt, wo können wir uns annähern, damit sich die DDR wandelt. Dann hat Egon Bahr eines schönen Tages zu Michael Kohl gesagt (Anfang der Siebziger) „wie wär’s denn, wenn wir ’ne Orthographiereform machen. Das kostet nicht viel
[Heiterkeit], – ’s sieht jeder, daß wir was machen“. Und da hat die DDR gesagt „ja klar, da machen wir mit“ und dann haben sie die Rostock-Berliner Gruppe eingesetzt, die Nerius-Scharnhorst-Gruppe hier in der DDR, und dann haben die angefangen, die Sache aufzurollen.

Und es war so – ich sag Ihnen das jetzt mal, ohne Hörner und Zähne, als Wessi, der lange in Ossiland gelebt hat – in der DDR war es völlig undenkbar, immer undenkbar, daß eine Neuregelung der Orthograpie hätte Platz greifen können. Es war völlig undenkbar. Es war eine rein politische Angelegenheit. Das in den Einzelheiten zu erzählen, ist auch wieder sehr interessant. Und dann haben wir gesagt, naja 1990, die Deutschen haben jetzt andere Sorgen, die werden das wohl vergessen. War aber nicht so. Die Deutschen hatten andere Sorgen, deswegen haben sie nicht hingeguckt, daß da noch was passierte, ja. Der Blick war auf alle möglichen Dinge, von der Einführung der D-Mark bis zu sonstwo fixiert, und sie haben gar nicht mitgekriegt, daß die Sache immer weiterging. Und 1996 war auf einmal da. Das war eine im einzelnen politisch vollkommen abgehobene Geschichte, und das kann man für Österreich und für die Schweiz auch sagen, wenn auch mit anderen Motivationen. So ist das gekommen. – Innerlich gab es überhaupt keinen Grund, die deutsche Orthographie zu reformieren – auch nicht übrigens die Großschreibung der Substantive abzuschaffen, das ist ne ganz gute Sache.
[Heiterkeit, Beifall]

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Sigmar Salzburg
18.03.2007 12.43
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... denn sie wissen nicht, was sie tun

Als um 1998 die Bevölkerung zur „Rechtschreibreform“ übertölpelt werden sollte, glänzten in den nördlichen Diskussionsveranstaltungen die Ministerin Böhrk und ihr Personal, voran Ministerialrätin Gerburg Böhrs, durch völlige Inkompetenz in Sachfragen – wie auch später Ministerin Erdsiek-Rave.

Wohl der einzige, der sich die „Reform“ genauer angesehen hat, war der damalige bayerische Kultusminister Zehetmair, aber ihm fehlte ebenfalls die Kompetenz und der Wille, nein zu sagen. Seine späteren Äußerungen im Rechtschreibrat bestätigen dies.

Das ist deswegen wichtig, weil das Bundesverfassunggericht in völliger Verkennung der Lage den Kultusministerien praktisch einen Freibrief für jede Art von „Reform“ ausgestellt hatte, mit der Begründung im Urteil v. 14.7.1998:

Diese Beurteilung berücksichtigt auch, daß Sachkompetenz und Nähe zur schulischen Praxis die Kultusverwaltungen für die Entscheidung über Notwendigkeit, Inhalt, Ausmaß und Zeitpunkt einer Rechtschreibreform besonders qualifizieren.

Das Fehlen jeglicher Kompetenz der Ministerien beweisen auch die Ausführungen von Prof. Peter Eisenberg in seinem Vortrag v. 22. Januar 2007 vor dem Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald, hier für das Kultusministerium des Landes Brandenburg:

Ob Sie verpflichtet sind, die amtliche Orthographie zu verwenden, das kann ich so ohne weiteres nicht sagen, weil ich nicht weiß, wo Sie arbeiten [Heiterkeit]. Im Dienstverkehr zum Beispiel an der Universität sind wir verpflichtet, die neue Regelung der Orthographie zu praktizieren. Wir haben einen wunderbaren Erlaß gehabt im Lande Brandenburg dazu. Und nachdem der Erlaß da war, haben wir das – mein Lehrstuhl – das Kultusministerium umgeschult auf neue Orthographie und festgestellt, daß sie überhaupt nicht wußten, was sie da beschlossen hatten, gar nicht [Heiterkeit]. Das war sozusagen die Behörde, die am schwersten umzuschulen war von allen [Heiterkeit]. Und wir haben uns als Hochschullehrer selbstverständlich nicht daran gehalten. Aber wir hatten zum Beispiel in der Lehrerausbildung, doch, einen Solidaritätskonflikt, weil unsere Lehrer die neue Regelung natürlich beherrschen müssen. Da führt kein Weg dran vorbei, ja? Also, im Verkehr zwischen den Behörden hat der Staat die Regelungsgewalt. Ich persönlich schreibe nach der alten Orthographie, das ist klar [Heiterkeit]. Aber das entpflichtet mich nicht von der Aufgabe, als Germanist dafür zu sorgen, daß die neue Orthographie nicht [?] intakt bleibt.

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Sigmar Salzburg

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Sigmar Salzburg
17.05.2006 16.55
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Lieber Herr Kukulies,
die Klage lehnt sich eng an die Klage von Josefine Ahrens in Niedersachsen an, ist aber erst in der 1. Instanz. Geklagt wird auf Unterricht in der herkömmlichen Rechtschreibung und Anerkennung derselben als „richtig“ in den Schulen. Weitere persönliche Einzelheiten möchte ich nicht öffentlich erörtern.

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Sigmar Salzburg

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Christoph Kukulies
17.05.2006 16.03
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Re: Nachtrag zu laufenden Klagen

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Sigmar Salzburg
An das
Verwaltungsgericht Schleswig
Brockdorf-Rantzau-Str.13

24837 Schleswig

Aktenzeichen 9 A 300/05
Aktenzeichen 9 A 301/05

Nachtrag
Die Klage unter Berücksichtigung der Beschlüsse der Kultusministerkonferenz v. 02.03.2006 und der Ministerpräsidenten der Länder v. 30.03.2006


Die Klage wird durch die genannten Beschlüsse nicht berührt. Sie wird in den Anträgen zur Sache unverändert aufrechterhalten [….]

...


Lieber Herr Salzburg,

könnten Sie bitte noch etwas näher erläutern, um was für eine Klage es sich hierbei handelt? Von wem geht sie aus? Auf was wird geklagt?


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Christoph Kukulies

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Sigmar Salzburg
11.05.2006 17.26
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Nachtrag zu laufenden Klagen

An das
Verwaltungsgericht Schleswig
Brockdorf-Rantzau-Str.13

24837 Schleswig

Aktenzeichen 9 A 300/05
Aktenzeichen 9 A 301/05

Nachtrag
Die Klage unter Berücksichtigung der Beschlüsse der Kultusministerkonferenz v. 02.03.2006 und der Ministerpräsidenten der Länder v. 30.03.2006


Die Klage wird durch die genannten Beschlüsse nicht berührt. Sie wird in den Anträgen zur Sache unverändert aufrechterhalten [….]

Die Erörterung von Einzelheiten der sogenannten Reform der Rechtschreibung in den Fassungen von 1996, 2004 und 2006 dienen hier ausschließlich dem Nachweis nach den Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes v. 14.7.1998, daß diese zu keinem Zeitpunkt einem „Gemeinwohlbelang“ entsprochen haben, daß grammatisch oder historisch Falsches verbindlich vorgeschrieben wird, daß also aus mangelnder „Sachkompetenz“ weithin die „Eigenart der Sprache“ nicht beachtet wird, daß traditionelle Schreib- und Leseerleichterungen verboten werden, also bisher allgemein anerkannte „Vereinfachungsgründe“ unterdrückt werden und daß die bisher nicht vorhandene „allgemeine Akzeptanz“ durch das Zwangsmittel der Indoktrination und Umerziehung der Schüler schleichend durchgesetzt werden soll.

1. Anlaß für die Klage waren die zum 1.August 2005 für die Schulen Schleswig-Holsteins verbindlich gemachten Teilregelungen der Rechtschreibung. Obwohl sie als angeblich „unstrittig“ und unabänderlich dargestellt wurden, sind einige dieser Regeln und weitere der Reform von 1996/2004 mit Beschluß der Ministerpräsidenten v. 30.3.2006 nochmals grundlegend geändert worden. Grund für das schließliche Nachgeben der Länderregierungen waren aber vermutlich weniger Einsichten über ihre Fehlerhaftigkeit oder Unangemessenheit, sondern das Ausscheren großer Zeitungsverlage aus der Reform und vielleicht auch die laufenden Klagen.

Daß die fraglichen Regeln dennoch zehn Jahre lang für unangreifbar und acht Monate lang für unstrittig und verbindlich erklärt wurden, ist ein Beweis für die völlige Inkompetenz der Kultusbehörden – ganz im Widerspruch zu den vom Bundesverfassungsgericht (Urteil v. 14.7.1998) angenommenen Voraussetzungen, „… daß Sachkompetenz und Nähe zur schulischen Praxis die Kultusverwaltungen für die Entscheidung über Notwendigkeit, Inhalt, Ausmaß und Zeitpunkt einer Rechtschreibreform besonders qualifizieren.“(147)

Beweis für sachfremde politische Motivierung und für Inkompetenz ist aber auch der von der Ministerin Erdsiek-Rave als Präsidentin der KMK ausgeübte Zeitdruck auf den Rat für Rechtschreibung, der darauf zwei anberaumte Termine für die Überprüfung und Korrektur weiterer Unstimmigkeiten der Reform streichen mußte: die am 3. Februar und 24. März.

Die mit Erlaß der Kultusminister zum 1.8.2005 verbindlich eingeführten angeblich unstrittigen Schreibungen „Seefahrt tut Not“ „so Feind er ihm war“ u.ä. sind nach dem Beschluß der Kultusminister v. 2.3.2006 und der Ministerpräsidenten v. 30.3.2006 für die Schulen nun wieder so falsch, wie sie es nach dem Urteil unabhängiger Grammatiker immer schon waren. Das gleiche gilt für „es tut mir Leid“, einem Charakteristikum der dilettantischen Reform.

Die ebenso strittige, traditionszerstörerische neue ss-Regel wird dagegen ohne zureichendeGründe beibehalten, obwohl sie bis zu 22 Prozent mehr Fehler verursacht (Prof H. Marx in BILD v. 6.9.2004). Beibehalten werden auch die unökonomischen Tripelbuchstaben in „Schifffahrt“, „Brennnessel“ und die für sprachmächtige Schreiber unwürdigen und etymologisch falschen Kindergartenschreibungen wie „Tollpatsch“, die groteskerweise allein richtig sein sollen. Die absurde Großschreibung „des Öfteren“ (es gibt keinen „Öfteren“) wird zwar beibehalten, dagegen die Großschreibung „zu Eigen machen“ unerwartet wieder abgeschafft.

Zehn Jahre lang sind Schüler, Lehrer, Schulbuchverlage und viele Schriftsteller erpreßt worden, derart Fragwürdiges oder Falsches als „neue“ Rechtschreibung zu verwenden. (Beispiel Anlagen 2 – 4) Dem Druck haben viele Publikationen nachgeben müssen – und angeblich im Hinblick auf ihre heranwachsenden Leser auch die Presse und ihre Agenturen – gegen den Wunsch der Mehrheit der Kunden. Auch weniger privilegierte Literatur und die Klassik, die nicht mehr dem Urheberschutz unterliegt, ist auf diese Weise verstümmelt worden – Unfug zu Milliardenkosten, dessen völlige Nichtsnutzigkeit jetzt mit dem Beschluß v. 30.3.2006 offiziell anerkannt worden ist. Aber auch das, was noch krampfhaft weiter aufrechterhalten wird, ist überflüssig oder schädlich. In jedem anderen Ressort wäre ein Rücktritt der verantwortlichen Politiker bei solchen Fehlleistungen unausweichlich gewesen.

Die künstlich statuierte „Unstrittigkeit“ dieser Regeln erhärtet den Verdacht, daß die Kultusminister der Länder vorsätzlich Fragwürdiges und Falsches für allein richtig erklärt haben, um eine weitere Unterminierung der eigenen unglaubwürdig gewordenen Autorität zu verhindern. Zugleich sollte damit die Arbeit des „Rates für deutsche Rechtschreibung“ beschränkt werden, obwohl er als eine von den Kultusministern handverlesene Gruppe von Interessenvertretern ohnehin schon ein Eigeninteresse an einer möglichst weitgehenden Aufrechterhaltung der „Reform“ haben mußte.

Zum Ergebnis der Arbeit des „Rates“ gibt der Vorsitzende, Hans Zehetmair, offen zu: nur „die eklatantesten Unebenheiten sind geglättet.“(Wiesbadener Kurier 02.03.2006). Die weiterhin bestehenden „eklatanten“ bzw. „evidenten“ (Anl.2) Unebenheiten sind selbstverständlich ein Grund, daß auch für die Schreibweisen der Reform von 2006 nicht der Anspruch erhoben werden darf, sie als allein richtig an Schulen lehren zu dürfen und die bewährten, klassischen Schreibweisen auszugrenzen und für fehlerhaft zu erklären.

2. Die neuesten Regeln sind, zusammen mit dem bisher noch ausstehenden Teil des Regelwerks, nach unzureichender Überarbeitung durch den Rat für Rechtschreibung, zum 1.8.2006 für die Schulen in Kraft gesetzt worden. Es handelt sich praktisch um eine neue, dritte Reform. Abweichungen sollen nunmehr als Fehler gewertet werden, einige mit einer weiteren Übergangsfrist. Welche im einzelnen, entzieht sich jeglicher Überschaubarkeit.

Das Glanzstück der „Reform“ von 1996, die erstmalige Regelung der Getrennt- und Zusammenschreibung in einem deutschen Regelwerk mit der Tendenz zu übermäßiger Getrenntschreibung, ist zusammengebrochen. Bis zum 30.3.2006 hieß es:

Grundsätzlich wird mehr getrennt als zusammen geschrieben. Komplizierende Sonderregelungen sind aufgehoben worden. (Bundestags-Drucksache 14-356 v. 3.2.1999 der Reformkommission)

Dies lautete in der Darstellung der Schweizerischen Bundeskanzlei hochgestochen:

Die Neuregelung systematisiert einige Bereiche, die in der Reform von 1901/02 nicht oder nur bruchstückhaft geregelt waren: etwa die Getrennt- und Zusammenschreibung, aber auch weite Teile der Fremdwortschreibung und die Zeichensetzung. Im Weiteren beseitigt sie Ungereimtheiten, die seither durch widersprüchliche Normierungen in den verschiedenen Auflagen des Rechtschreibdudens entstanden sind. Einfacher wird die Schreibung des Deutschen vor allem für die kommenden Generationen, die von der grösseren Systematik der Neuregelung profitieren. (Schweizerische Bundeskanzlei, in Zusammenarbeit mit der Staatsschreiber-Konferenz, 2., erweiterte Auflage 2000)

Durch die am 30.3.2006 verabschiedete Regelfassung wird nun sogar teilweise eine übertriebene Zusammenschreibung erzeugt, die erneut von der Regelauslegung der Wörterbuchverlage, diesmal von Duden und Bertelsmann, abhängig ist. Die zugehörigen Paragraphen ab §33 wurden entscheidend verändert, ohne daß ihre Brauchbarkeit für das Schreiben in Schule und Praxis gesteigert worden wäre (s. Anlage). Auch diese konfuse Vor- und Zurückbastelei ist ein Beweis für die ideologische Voreingenommenheit, den Interessenkonflikt oder die praktische Inkompetenz der Beteiligten.

In einigen Fällen ist jetzt den reformierten Falschschreibungen die traditionell richtige Variante als möglich beigestellt worden, so daß etwa neben „Recht haben“ auch „recht haben“ zulässig sein soll. Damit soll – zum Eigennutz der Kultuspolitiker, der Reformer und der Reformprofiteure, aber sachlich verwerflich – verhindert werden, daß der zehnjährig in der abhängigen Literatur aufgehäufte grammatische Unfug wie „du hast sehr Recht“ (ebenso falsch wie „du hast sehr Arbeit“) dennoch nicht als so falsch bezeichnet werden darf, wie es Konrad Duden in einer Wortartanalyse schon 1876 nachgewiesen hat.

Nachdem die Existenz des Wortes „Handvoll“ zehn Jahre lang geleugnet wurde, wollen sich die Verantwortlichen Regierungen nun aus ihrer Verantwortung für das Reformdesaster freikaufen, indem sie diese Schreibung neben „Hand voll“ zulassen, ohne jedoch den Unterschied der Bedeutungen zu benennen. Es erweist sich jedoch, daß Bedeutungsveränderungen auch über das umfunktionierte Textverständnis der indoktrinierten Leser hervorgerufen werden, selbst wenn nunmehr hierdurch keine Eingriffe in den herkömmlich verfaßten Text vorgenommen werden müssen. (s. Anlage)

Verflachend ist auch die weiterhin aufrechterhaltene Einebnung von Bedeutungsunterschieden – etwa „im allgemeinen“ [„meistens“] und „im [tatsächlichen] Allgemeinen“ und die dingliche Überbetonung von adverbial gebrauchter Ausdrücke, „Sie trafen sich im Übrigen des Öfteren“,

Die Trennregeln für die Worttrennung am Zeilenende sind weiterhin sprachwidrig. Zwar sollen Einzelvokale nicht mehr abgetrennt werden („beo-bachten“, „Wilde-sel“). Dies war von den Kultusbehörden in der ersten Reform von 1996 fahrlässig akzeptiert worden. Die Korrektur weiterer minderwertiger Trennregeln ist aber unterlassen worden: z.B. die reformierten Trennungen nach angeblichen Sprechsilben („Inte-resse“, „Diag-nose“). Schon die Trennhilfen, die heute von der Datenverarbeitung geboten werden können, machen eine solche Absenkung des sprachlichen Niveaus nicht mehr erforderlich – ein weiterer Beweis für die völlige Nichtnutzigkeit der „Reform“.

Während die neue Trennbarkeit des s-t sprachwidrige Konfusion in das Trennungswesen bringt („Dis-tanz“, „Res-tauration“, „der flachs-te/flach-ste“), produziert die neue Untrennbarkeit des „ck“ Lesestolperfallen durch unwillkürliche Vokallängung („Lü-genhaftigkeit“ gegen „Lü-ckenhaftigkeit“) beim Lesen und widerspricht der eigenen Doktrin der Trennung nach Sprechsilben.

Aufrechterhalten wird auch die „Eindeutschung“ von offenkundig recht beliebig ausgewählten englischen Wörtern („Tipp“, „Quickstepp“; „Top“ wurde ausgenommen). Eine solche „Eindeutschung“ ist im Zuge der Europäisierung völlig unerwünscht.

Das Gegenteil einer Erleichterung ist auch bei mehrgliedrigen Fremdwörtern die Beseitigung des üblichen Gebrauchs, nur das erste Wort großzuschreiben. Jetzt sind echte Sprachkenntnisse erforderlich, um im Komplex Adjektive und Substantive voneinander zu unterscheiden.

Die Vorschrift für die Briefanrede ist im neuen Regelwerk immer noch eine Zumutung.
Die Reformer und ihre Korrektoren haben den Anspruch nicht aufgegeben, den persönlichen Umgang der Menschen miteinander (der sie nichts angeht) ihren Vorstellungen zu unterwerfen, indem sie weiterhin die Kleinschreibung des „Du“ als Normalfall ausgeben und die übliche Großschreibung als (vernachlässigenswerte) Kann-Vorschrift darstellen. Das führt dazu, daß die junge Generation nach der Absicht der Reformer weiterhin auf die Kleinschreibung umerzogen wird, nur ohne Fehlerbewertung.

3. Der Rückbau der „Reform“ ist noch nicht beendet.

Bei genauer Untersuchung würde sich herausstellen, daß praktisch nichts von der Reform erhaltenswert ist. Angesicht der Verirrung der Politiker in Vorstellungen von Staatsräson ist eine weitere freiwillige Umkehr aber kaum zu erwarten. Hierzu werden die „armen“ Kinder vorgeschoben, Skrupel, die es bei Einführung der Reform nicht gab.
Der Vorsitzende des Rates für Rechtschreibung, Hans Zehetmair, jedoch kündigt weitere Änderungen an: Es sei durchaus erlaubt, noch einmal die Schreibung von „Quäntchen” und „behände” zu ändern. …(FAZ 29.3.06)

Damit wird eins deutlich: Nur die klassischen Rechtschreibung in der Fassung Konrad Dudens von 1901 weist die nötige Konstanz der Regeln auf, wie sie für eine moderne Rechtschreibung benötigt wird. Die Reform-Rechtschreibung unterliegt der Willkür der Kultusminister und ihrer Erfüllungsgehilfen. Sie ist ein Zufallsprodukt aus Ideologie, blindem Helfersyndrom, Eigensucht, Wichtigtuerei, Inkompetenz und politischem Machtpoker, nicht zuletzt gegen das eigene Wahlvolk. Die wie auch immer reformierte Rechtschreibung sollte daher nicht vorrangig vor der klassischen Rechtschreibung, in der alle bedeutende deutsche Literatur vorliegt, an den Schulen gelehrt werden dürfen.

4. Akzeptanz

Die Akzeptanz der reformierten Rechtschreibung ist nach wie vor in der kulturtragenden Öffentlichkeit sehr gering. Nach allen Umfragen entspricht die Ablehnung immer noch dem im Volksentscheid von 1998 dokumentierten Meinungsbild.

Die Schriftsteller, die schon vor zehn Jahren ihren Widerstand gegen die Reformschreibung durch ihre Unterschrift bekräftigten, lassen fast ausnahmslos ihre Werke in der traditionellen Kulturrechtschreibung drucken. Ihnen wird besonders Übles angetan, da sie keine Möglichkeit haben, gegen die künstliche und völlig unsinnige Entfremdung der nachwachsenden Leser von ihrem Werk zu klagen (s. Anlage). Bei manchen ist es schon fast ihr ganzes Lebenswerk.

Auch jüngere Schriftsteller haben sich zur klassischen Rechtschreibung bekannt (FAZ v. 29.3.06): „Der Staat gehört nicht zu den Instanzen, denen Literatur sich unterwirft. Sie wird sich um dessen Vorgaben umso weniger scheren, als diese die Intelligenz des Lesers beleidigen und die Tradition obsolet machen“, heißt es in einer Erklärung. (Anlage 1.1)

Die schleswig-holsteinische Bürgerinitiative „Wir gegen die Rechtschreibreform“ hat sich in einem Aufruf an die Kultusminister der Länder gewandt mit der Forderung:
„Rechtschreibfrieden“ wird erst eintreten, wenn die bewährte traditionelle Rechtschreibung auch in den Schulen wieder geachtet und gelehrt wird.
Das zu beschließen fordern wir von Ihnen.
(s. Anlagen 6 u. 7)

Der Deutsche Elternverein e.V. hat am 14.3.2006 eine Unterschriftenaktion begonnen „Klassisch schreiben heißt richtig schreiben – das muß auch an den Schulen so bleiben“. Ziel ist es, an den Schulen die Diskriminierung der klassischen Rechtschreibung zu beenden, in der seit 1901 praktisch unverändert alle bedeutenden Werke der deutschen Literatur vorliegen. Günter Grass und Walter Kempowski haben als erste diesen Aufruf unterschrieben. (s. Anlage 5).
Näheres und Kritik der Reform auf der Homepage http://www.DeutscherElternverein.de

Am 21.3.2006 forderte die schleswig-holsteinische Bürgerinitiative „Wir gegen die Rechtschreibreform“ von den Kieler Parlamentariern die Rücknahme der Annullierung des Volksentscheids von 1998:
„Wir fordern Sie auf: Halten Sie endlich ein auf diesem Irrweg und geben Sie der klassischen Rechtschreibung die Rechte zurück, die ihr aufgrund ihres historischen Stellenwertes zustehen!“ (s. Anlagen 1.1 u. 6)

Ebenfalls am 21.3.2006 erging ein Aufruf von 22 Bürgerinitiativen aus ganz Deutschland an die Ministerpräsidenten und die Kultusminister, verteilt an die Politiker des Landes, die klassische Rechtschreibung an den Schulen wieder zuzulassen:
Die „Rechtschreibreform“ ist gescheitert. […]
„Rechtschreibfriede“ wird erst einkehren, wenn die traditionelle Rechtschreibung
auch an den Schulen und Hochschulen wieder geachtet und gelehrt wird.
Dies zu beschließen, fordern wir dringend von Ihnen.
(s. Anlage 9)

Dr. Rossmann als Sprecher der SPD-Landesgruppe Schleswig-Holstein forderte daraufhin, die Diskussion um die Rechtschreibreform einzustellen. (Anlage 11)Dazu gibt es eine zielgenaue Erwiderung von Dr. Johannes Wasmuth, Leiter des Lektorats der jur. Abteilung des CH Beck Verlages und Sprecher der Initiative von 70 Rechtsprofessoren (s. Anlage 12).

Zusammenfassend ist zu sagen: Die Schreibweisen der „Rechtschreibreform“ sind auch nach ihren Umarbeitungen nicht der herkömmlichen Rechtschreibung ebenbürtig. Sie haben nicht die sprachliche und darstellerische Kompetenz, die der traditionellen Rechtschreibung allein schon durch ihre Verwendung als die Verkehrs- und Literaturschreibung im 20. Jahrhundert zugewachsen ist. Die Durchsetzung der „neuen“ Rechtschreibung dagegen erfolgt vor allem über die staatliche Indoktrination der Jugend in den Schulen, mit deren Hilfe zur Anwendung der (offensichtlich recht beliebig ausgewählten) Schreibveränderungen in der Schreibgemeinschaft genötigt werden soll.

Dieser nötigende Charakter der Reformdurchsetzung durch die von manchen so genannte „Geiselnahme“ der Schüler spricht auch aus der Rechtfertigung der Axel Springer AG, mit der kritischen Lesern wohl die absprachegemäß beabsichtigte Unterwerfung unter die jetzt neu reformierten Reformregeln verständlich gemacht werden soll:

„Entscheidend ist jedoch, daß trotz allen Protestes eines nicht erreicht werden konnte, ein Bekenntnis der Politik zur Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung auf der Grundlage der bewährten klassischen Rechtschreibung. Die mit Wirkung zum 1. August dieses Jahres von den Kultusministern beschlossene Verbindlichkeit der reformierten Rechtschreibung ist nach Aussagen der Politik der Staatsräson geschuldet. Damit steht die staatlich verordnete Reform unumkehrbar fest und die Axel Springer AG hat keine an dere Möglichkeit, als dieser Reform zu folgen: Wir können langfristig nicht anders schreiben, als es Kinder in der Schule lernen.“ (Schreiben v. 12.4.2006 an Frau Djalili, Anlage 10)

Es verbietet sich jedoch, daraus eine zustimmende Akzeptanz abzuleiten. Dies entspräche der gerichtlichen Verwendung von Beweisen, die mit unzulässigen Mitteln herbeigeschafft worden wären.

– geändert durch Sigmar Salzburg am 12.05.2006, 06.36 –

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Sigmar Salzburg
31.12.2005 15.44
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5. Fortsetzung und Schluß

Akzeptanz der „Reform“
In Entscheidungen v. 7. und 13. September 2005 zur Zulässigkeit von Revisionen zu Urteilen zur Rechtschreibreform hat das OVG Lüneburg laut seiner Pressestelle festgestellt:
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht – 13. Senat – hat am 7. September 2005 (13 LA 209/05) und am 13. September 2005 (13 MC 214/05) in zwei Verfahren, welche die (Teil-)Verbindlichkeit der Rechtschreibreform ab dem Schuljahr 2005/2006 betreffen, seine Rechtsprechung bekräftigt, wonach Schüler nach dem Schulrecht Anspruch darauf haben, in der Schule in der Rechtschreibung unterrichtet zu werden, die in der Gesellschaft allgemein praktiziert wird. Diesem Grundsatz widerspreche es, wenn im Wege einer Rechtschreibreform geänderte Schreibweisen (schon) dann allein für verbindlich erklärt würden, wenn sie sich noch nicht allgemein durchgesetzt hätten. Letzteres sei hinsichtlich der Reform von 1996, die – von der Öffentlichkeit eher unbemerkt – im Jahre 2004 durch eine neue Reform ersetzt worden ist, der Fall. […]
Dies beschreibt zutreffend den Stand der Akzeptanz der „Rechtschreibreform“. Nach allen seriösen Meinungsumfragen wird die „Rechtschreibreform“ auch fast zehn Jahre nach ihrer Einführung an den Schulen von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Danach stehen höchstens 8-10 Prozent der mündigen deutschsprachigen Bürger hinter dieser Reform. Nach einer repräsentativen Umfrage des Allensbach Institutes vom Juli 2005 kurz vor der verbindlichen Einführung der (nach Behauptung der Kultusminister) unstrittigen Teile der „Reform“ lehnen 61 Prozent der Bürger die Rechtschreibreform ab. Nur 8 Prozent stellen sich als eindeutige Befürworter der Reform dar.

Dieses Ergebnis ist um so bemerkenswerter, als nicht nur die Schüler, sondern auch die übrigen Bürger seit sechs Jahren einer beispiellosen Zwangsmissionierung durch die Medien, insbesondere durch die Presse, ausgesetzt sind. Hier haben sich 1999 die meisten Zeitungen, vermutlich aus egoistischen Gründen und unter Ausnutzung einer gewissen Monopolstellung, unterstützend auf die Seite der kultusministeriellen Zwangsreformierer geschlagen, ohne den berechtigten Wunsch ihrer Kunden zu berücksichtigen, nicht von dieser Reform behelligt zu werden. (Als einzige Zeitung führte die Wiener „Presse“ 1999 eine Kundenbefragung durch, bei der sich 75 Prozent für die alte Rechtschreibung aussprachen. Die Zeitung blieb daher vorerst unreformiert.) Aber schon im Jahre 2000 kehrte die Frankfurter Allgemeine Zeitung zur traditionellen Rechtschreibung zurück. Kleinere Periodika folgten, andere hatten diesen Schwenk zur neuen Rechtschreibung gar nicht erst mitgemacht. Im Oktober 2004 kehrten dann die Zeitungen des Axel Springer Verlages zur traditionellen Rechtschreibung zurück und folgten damit dem Wunsch der Mehrheit der Bürger, entsprechend dem für ganz Deutschland repräsentativen Volksentscheid von 1998 in Schleswig-Holstein. Damit sind erscheinen etwa 60 Prozent der aktuellen Printmedien in herkömmlicher Rechtschreibung.

Der Volksentscheid von 27.9.1998 hatte eine deutliche Mehrheit für die Beibehaltung der herkömmlichen Rechtschreibung ergeben. Die Entscheidung wäre noch deutlicher ausgefallen, wenn die Abstimmung in der gesamten Bundesrepublik hätte stattfinden könnnen, ohne die regierungsamtliche Angstpropaganda mit der „Insellage“. Zudem hat die Landesregierung durch die bewußt verwirrende Gestaltung des Stimmzettels die Abstimmung zugunsten der Regierung beeinflußt.

Spätestens nach Bekanntwerden des Ergebnisses des Volksentscheids hätten die Regierungen der Länder erkennen müssen, daß die „Reform“ bei der Mehrheit der Bevölkerung keine Akzeptanz findet und eigentlich schon die weitere Fortführung der „Reform“, die nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes der Akzeptanz bedarf, aufzugeben sei. Die Parteien des Landesparlamentes entschieden sich jedoch, auch im Interesse der anderen Bundesländer, für die weitere Zwangseinführung der „Reform“ an den Schulen. Dabei fühlten sie sich einigermaßen sicher, weil die willfährige Presse Schleswig-Holsteins Schützenhilfe leistete.

Politiker und Reformer setzen nun darauf, daß sich die „neue“ Rechtschreibung spätestens nach dem Ableben der Altschreiber durchsetzen werde.

„Die Neuregelung wird sich auch deshalb durchsetzen, da die Altschreiber ja mit der Zeit weniger werden.“ So vorgetragen vom Chefreformer auf der Pressekonferenz der Zwischenstaatlichen Kommission am 12. September 1997 in Mannheim.

Die Annullierung des Volksentscheids durch die sogenannten Volksvertreter schon nach knapp einem Jahr widerspricht den Prinzipien der Demokratie. Das gab das Kieler Parlament selbst zu, indem es bald darauf die Frist für eine früheste Änderung von Volksentscheiden, ebenso willkürlich, aber realistischer, auf zwei Jahre festlegte – nachdem es den gesetzlosen Zustand ausgenutzt hatte.

Auch in den Schulen war 1998 wenig Akzeptanz vorhanden. Offene Kritik der Lehrer wurde jedoch disziplinarisch verfolgt. Obwohl die Propaganda von der Vereinfachung der Rechtschreibung gerade in Schülerkreisen auf fruchtbaren Boden hätte fallen müssen, ergab doch eine Abstimmung in [einer nicht untypischen] Klasse eine deutliche Mehrheit gegen die Übernahme der „Reform“. Der zugehörige Lehrer offenbarte darauf ebenfalls, daß er die „Reform“ ablehne. Und erst vor kurzem äußerte eine Lehrkraft auf die Bemerkung eines [Schülers], die Rechtschreibreform wäre „scheiße“: „Das finde ich auch, aber ich muß den Schülern sagen, daß sie gut ist.“

Es gehört zum Standard der Kultusminister-Verlautbarungen, daß die „neue“ Rechtschreibung an den Schulen keine Probleme bereite. Dies ist ein Scheinargument: Es würde Schülern auch keine Probleme bereiten, „Schiffahrt“ mit fünf „f“schreiben zu lernen. Auch das Lernen der zwei Dutzend neuen ss-Wörter auf Grundschulniveau bereitet keine Schwierigkeiten.

Kein Kultusministerium hat bisher Nachweise erbringen können, die beweisen, daß die versprochenen Erleichterungen samt Fehlerverminderung tatsächlich in einem Maße eingetreten sind, daß sie die begleitenden Kosten, Aufwand, Traditionszerstörung und Demokratiebeschneidung rechtfertigen könnten. Bisher hat die „Rechtschreibreform“ die Zahl der Fehler und der Unsicherheiten vermehrt. Da 2004 die „Reform“ noch einmal deutlich geändert wurde, dürfte es kaum jemanden geben, der den letzten Stand einigermaßen beherrscht. Von den meisten Bürgern wurde und wird die „Reform“ eher als Volksbelästigung angesehen.

Keine Partei hat gewagt, in irgendwelchen Wahlkämpfen mit ihren Verdiensten um die Einführung der Schreibreform zu werben – weil eben der Bevölkerung klar ist, daß hier gegen ihren Willen politische Betriebsamkeiten mit Unfugscharakter veranstaltet werden.

Der Chefredakteur der Wochenzeitschrift „Der Spiegel“, Stefan Aust, sagte in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ v. 8.8.2005 anläßlich der angekündigten (aber bisher nicht vollzogenen) Rückkehr zur alten Rechtschreibung:

„Wir haben bei uns im Haus Umfragen durchgeführt, und es stellte sich heraus, daß fast alle SPIEGEL-Redakteure die alte Rechtschreibung verwenden! Sie schreiben ihre Texte, und der Computer übersetzt die alte in die neue Rechtschreibung. Kafkaesk!“

Die „Erinnerungen“ von Helmut Kohl sind ebenso offensichtlich in der alten Rechtschreibung verfaßt und aus Verlags- oder Partei-Interesse an die neue ss-Schreibung angepaßt worden, während man darüberhinaus keiner einzigen der neuen Schreibweisen folgte (Vortäuschung der „Reform“).

Stimmen bekannter Persönlichkeiten

Dagegen läßt die überwältigende Mehrzahl der renommierten deutschsprachigen Schriftsteller keine „Reformierung“ ihrer Texte zu. Belege brauchen hier nicht angeführt zu werden, denn viele von ihnen sind auch mehrfach in Aufrufen an die Öffentlichkeit und an die verantwortlichen Politiker herangetreten. Es seien nur genannt:

„Rau’ statt ,rauh’ werde ich nie schreiben.“ (Martin Walser)
„... armselige wie hausbackene Rechtschreibreform“ (Günter Grass)
„Schiffahrt mit drei fff – nur über meine Leiche“ (Ralph Giordano)
„Rechtschreibreform ist ein „nationales Unglück“. „Ich glaube aber keineswegs, daß jene, die die Verantwortung für diese Katastrophe tragen, fähig und befugt sind, das Ganze wieder in Ordnung zu bringen. Die Trottel und Missetäter haben ihre Unfähigkeit hinreichend bewiesen.“ (Marcel Reich-Ranicki)
„Als sie (die Minister) ihre blamable Reform verkündeten, habe ich, der Deutlichkeit halber, von Sesselfurzern gesprochen. Ich bedaure, mich in diesem Fall nicht höflicher ausdrücken zu können ...“ (Hans Magnus Enzensberger)

Auch unter den Politikern gibt es zahlreiche Persönlichkeiten, die die „neue“ Rechtschreibung ablehnen, die aber zufällig nicht in der Entscheidungslinie standen, die zur „Reform“ führte.

Altbundeskanzler Helmut Schmidt ... In diesem Zusammenhang [der Neuordnung des Länderfinanzausgleichs], so sein Vorschlag, könne auch umgehend die „aufgeblähte Bürokratie der Kultusministerkonferenz abgeschafft werden“ – einer Einrichtung, die auch noch eine überflüssige Rechtschreibreform geschaffen habe. (DIE WELT v. 13.10.2000)

Ebenso: ... dazu muss die Kultusministerkonferenz weg, die im Grundgesetz überhaupt nicht vorkommt, deren intellektuelle Qualitäten man aber gut erkennen kann, wenn man sich die Rechtschreibungskalamitäten ansieht, die diese angeblichen Fachleute angerichtet haben. (DIE ZEIT v.15.9.2005)

Diese Feststellung Schmidts, die von weiten Kreisen der Bevölkerung geteilt wird, illustriert, wie wenig die vom Verfassungsgericht genannten Voraussetzungen gegeben sind:
Da die außerrechtlich normierten Regeln der Reform auch durch staatlichen Einfluß, insbesondere den der Kultusministerkonferenz, geprägt seien, hänge die Akzeptanz maßgebend von der innerstaatlichen und fachlichen Kompetenz dieses Normgebers ab.“ (VerfGer Urteil v.14.7.1998)

Der frühere Bundesbildungsminister und Erste Bürgermeister Hamburgs, Klaus von Dohnanyi, SPD, sagte in der Fernsehdiskussion mit Sabine Christiansen am 29.07.2001:

Man muß wirklich sehen, daß man die Schönheit der Sprache begreift. Deswegen war ich auch so hart gegen die Rechtschreibreform, weil Sprache auch Bild ist. Und man kann das Bild eines Wortes völlig versauen, wie es zum Teil geschehen ist.... alle bedeutenden deutschen Schriftsteller waren dagegen. Und ich finde, was da zum Teil gemacht worden ist schrecklich. Ich fand, das war eine Vergewaltigung einer gewachsenen Sprache. ... Wir haben eine Situation, in der Deutschland ohnehin Probleme mit seiner Geschichte hat, in der wir in der Sprache eigentlich die letzte Behausung unseres Landes haben, da haben sie die Leute aus der Sprache rausgetrieben durch diese Reform.

In einem Gastbeitrag für die Mitteldeutsche Zeitung schrieb der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher am 4.10.2004: „Es ist schon erstaunlich, dass die Länder ausgerechnet in dem Bereich, für den sie allein Verantwortung tragen den Gedanken des Wettbewerbs der Ideen und der Initiativen durch die Arbeitsweise der KMK vernachlässigen. Das Ergebnis sind Nonsensprojekte wie die Rechtschreibreform, die offensichtlich die KMK und ihre Behörde so in Anspruch genommen haben, dass es erst der Pisa-Studie und einer OECD-Stellungnahme bedurfte, um eine bildungspolitische Diskussion in Gang zu setzen.“

Selbst die Urheberin [der amtlichen „Verbindlichkeit“] , die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave, die die Durchsetzung der „Reform“ anscheinend mit unkritischer Beharrlichkeit betreibt, ist keineswegs überzeugt von dem, was sie den Schulen und Schülern aufzwingt: „ Es gibt im neuen Regelwerk auch Rechtschreibung, die schwer nachvollziehbar ist – die dreifachen Konsonanten zum Beispiel…“( Lübecker Nachrichten 30.7.99)

Der heutige Ministerpräsident Harry Peter Carstensen, damals noch Spitzenkandidat, schrieb dem [Verfasser]: „Mir sträuben sich die Haare, wenn ich in Texten auf einige der besonders unschönen und störenden Veränderungen stoße, die durch die sogenannte Rechtschreibreform eingeführt wurden. Ich habe große Sympathie für die Vorstöße, die alte, traditionelle und bewährte Form der Rechtschreibung wieder in Kraft zu setzen… Ihren Standpunkt, dass die traditionelle Rechtschreibung nicht mit Fehlern bewertet werden sollte, teile ich…“ (Schreiben v. 22.8.2004,) Warum er sich dann am 1.8.2005 bezüglich der überlieferten Schreibweise dem Verfolgungswahn der 14 Bundesländer angeschlossen hat, bleibt unerfindlich.

Am bemerkenswertesten ist der Wandel des früheren bayrischen Kultusministers
Hans Zehetmair vom militanten Betreiber der „Reform“ zum Kritiker:

Wir hätten die Rechtschreibreform nicht machen sollen. Ich sage: Politik Hände weg von einer Rechtschreibreform!" (in Passauer Neue Presse, 30.4.2003)

Heute ist Hans Zehetmair Vorsitzender im „Rat für deutsche Rechtschreibung“, der nach Vorgaben der Kultusministerkonferenz aber „unstrittige“ Teile der Rechtschreibreform nicht antasten darf und eher ein Gremium handverlesener Interessenvertreter als von unabhängigen Wissenschaftlern ist. Zudem kann auch Hans Zehetmair kaum objektiv sein, da er zugunsten seiner eigenen Biographie die „Rechtschreibreform“ nicht als völlig verfehlt hinstellen wird. So erklärt er die neue ss-Regel für sinnvoll, obwohl gerade sie der „Geßlerhut“ ist, der die Teilung Deutschlands in zwei Rechtschreiblager festschreibt.

1996 hätte Zehetmair als Einzelperson, in seiner Funktion als Kultusminister, die „Rechtschreibreform“ für die gesamte Bundesrepublik verhindern können. Einer Million Bürger, eine für ganz Deutschland repräsentative Mehrheit in Schleswig-Holstein, wurde dies jedoch nach dem Willen der Politikverantwortlichen verwehrt – ein Versagen von Politik und Rechtssprechung gegenüber den Prinzipien der Demokratie.

Die Reformerseite kann keine bedeutenderen Persönlichkeiten anführen, die für diese Rechtschreibreform eingetreten sind – außer den in den Fall verwickelten Politikern und Reformern.

[Nahezu alle Meinungsumfragen zur „Akzeptanz“ ergeben eine
Ablehnungsquote etwa zwischen 50 und 90 Prozent.]

Die Nötigung zur neuen Schreibung wurde unterschätzt

Das Urteil des Verfassungsgerichtes führt aus:

Solange bisherige Schreibweisen selbst im Schulunterricht nicht als falsch gelten, sondern nur als überholt gekennzeichnet werden, kann deren Verwendung auch in der allgemeinen Schreibgemeinschaft nicht zu negativen Beurteilungen führen.(163)

Dies widerspricht der Lebenserfahrung seit Einführung der Rechtschreibreform. Behörden und „dynamische“ Firmen erkennen schon bei Bewerbungen an der „alten“ Rechtschreibung sofort „mangelnde Lernfähigkeit“ und „fehlende Anpassungsbereitschaft“. Die „Reform“ führt so zu einem unerwünschten Anpassungsdruck auch dort, wo er angeblich nicht vorhanden sein soll und erzeugt den Anschein von Akzeptanz.

Neben der vorgeblich „reformiert“ schreibenden Presse wird die Scheinblüte der Reformschreibung gefördert von den Korrekturfunktionen der Schreibprogramme auf dem PC – in der Version von Bill Gates. Das Spracherkennungs-Programm von Dragon Naturally Speaking läßt überhaupt nur eine neue Rechtschreibung zu, wie sie die Softwareentwickler verstanden haben.

Das Bundesverfassungsgericht war zu optimistisch mit seiner Feststellung:
„Soweit dieser Regelung rechtliche Verbindlichkeit zukommt, ist diese auf den Bereich der Schulen beschränkt. Personen außerhalb dieses Bereichs sind rechtlich nicht gehalten, die neuen Rechtschreibregeln zu beachten und die reformierte Schreibung zu verwenden. Sie sind vielmehr frei, wie bisher zu schreiben.“

Tatsächlich werden Heerscharen von Schreibern in abhängigen Positionen genötigt, „reformiert“ zu schreiben oder zuzulassen, daß ihre Texte in die neue Rechtschreibung konvertiert werden. Selbst ein renommierter Autor wie Wolf Schneider, erster Chef der Henri-Nannen-Schule für Journalisten, muß hinnehmen, daß er sein Buch in der „guten Rechtschreibung“ abliefert und es im Verlag in die Neuschreibung „versaubeutelt“ wird, wie er in einer Fernsehdiskussion Anfang August 2004 sagte.

Als besonderes Ärgernis wird von vielen Leserbriefschreibern empfunden, daß ihre gute Rechtschreibung in neue Rechtschreibung umgesetzt wird. Manche versuchen daher „neu“ zu schreiben, um einem möglichen Nichtabdruck oder einer Verstümmelung zu entgehen. Besonders gerne führt man anscheinend Gegner der „Reform“ in der abgelehnten Schreibweise vor.
In den „Kieler Nachrichten“ werden alle Texte, auch Leserbriefe, automatisch in „Reform“-Schreibung umgesetzt, nicht jedoch bezahlte Anzeigen von Kunden. Dies zeigt das zahlreiche Vorkommen von „Eßtisch“ neben „Esstisch“.

Insgesamt hat das Bundesverfassungsgericht einige Begleiterscheinungen der Reform mit ihrem erpresserischen und nötigenden Charakter, insbesondere für die schreibende Zunft, weit unterschätzt. Hinzu kommt, das die entstehenden Folgekosten der „Reform“ niemals erfaßt und mit dem (nicht eingetretenen) Nutzen gegengerechnet wurden. Es wurde von den Regierungen die kostenneutrale Reform vorgegaukelt, da die Schulbücher sowieso ersetzt werden müßten. Jetzt wird die Lernmittelfreiheit in den meisten Bundesländern abgeschafft und „Büchergeld“ für Schüler und Eltern eingeführt. Die letzte Nachricht der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen v. 13.10.2005 zum Bereich Kassel lautete (sieben Jahre nach Einführung der Reform): Bücherknappheit, ein Problem mit dem viele andere Schulen ebenfalls zu kämpfen haben. Entstanden sei es unter anderem aus der Notwendigkeit, Lehrmittel auf den aktuellen Stand zu bringen, „unter anderem auf Grund der Rechtschreibreform“, so Schulleiter Waldemar Gries. Von den 50 000 Büchern Gesamtbestand an seiner Schule seien 20 000 veraltet.

Es ist festzustellen, daß auch im Hinblick auf die Kosten die Einschätzung der Rechtschreibreform als „verfassungsmäßig nicht wesentlich“ fragwürdig ist.

Zusammenfassung
Im Interview antwortete die KMK-Präsidentin von 2004, Doris Ahnen, auf die Frage:
SPIEGEL: Die Zeitschrift „Praxis Deutsch“ veröffentlichte 1985 eine Untersuchung von 2000 Schulaufsätzen. Die 50 häufigsten Fehler waren solche, die von der Reform gar nicht betroffen sind.
Ahnen: Wir haben die Reform nicht nach dem Motto gemacht: „Wo entstehen die meisten Fehler?“ Es ging um die Frage, wie kann man Dinge leichter erklärbar machen, wie kann man sie logischer gestalten, wie kann man die Anzahl der Regeln reduzieren. Es sind hundert weniger als früher
.(Spiegel v.22.11.2004)

Der letzte Satz ist nach den Untersuchungen von Prof. Veith (schon 1997, bereits erwähnt) falsch. Der vorgebliche Grund für die „Rechtschreibreform“, die Fehlerverminderung, wurde aufgegeben. Die Hauptfehlerquellen wurden von der Reform nicht angegangen, neue u.a. mit der ss-Regel geschaffen (bis zu 22 % Fehler lt. Interview v. Prof. Marx in BILD v. 6.9.2004). Die leichtere Erklärbarkeit ist ebenfalls nicht eingetreten („Grauen erregend/bahnbrechend“ u.a. bereits genannt). Der Schaden für die Volkswirtschaft geht in die Milliarden, das Vertrauen in Demokratie und Gerichtsbarkeit ist erheblich gestört.
Die Durchsetzung der Rechtschreibreform war und ist „verfassungsrechtlich“ nicht „hinreichend gerechtfertigt“ – und war und ist kein „Gemeinwohlbelang“.

Daraus folgt, daß die traditionelle Rechtschreibung weiterhin an den Schulen Geltung haben muß, gelehrt werden muß und nicht als Fehler verfolgt werden darf.

(In der Fortsetzung folgen noch Nachträge und weitere Erläuterungen in Auszügen.)


__________________
Sigmar Salzburg

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Sigmar Salzburg
30.12.2005 12.52
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4. Fortsetzung

Die Teilregeln der „Reform“ sind grammatisch und sachlich falsch und damit unzulässig

Die Landesregierung hat mit Wirkung v. 1.8.2005 die Änderungen an der deutschen Rechtschreibung, die 1994-2004 von der Kultusministerkonferenz verabredet wurden, an den Schulen für teilweise verbindlich erklärt.

Dies ist eine Anweisung, die Schüler […] etwas Falsches oder Unübliches zu lehren und die Lehre des Richtigen oder weithin Üblichen zu unterdrücken und zum Nachteil der Schüler als Fehler zu verfolgen.


1.) Die Unterdrückung des Richtigen geschieht dadurch,

a) daß grammatisch richtige Darstellungen wie: „Er kann mir leid tun“, „Wie recht er doch hat“ „heute früh“, „heute morgen“ als Fehler verfolgt werden, dagegen grammatisch falsche gelehrt („wie Leid er uns tut!“, „wie Recht er doch hat!“,„heute Früh“, „heute Morgen“, d.h. die Schreibung als Substantiv),

b) daß historisch, etymologisch und sachlich richtige Schreibungen, wie „Quentchen“, „Tolpatsch“, „belemmert“, „behende“oder „rauh“ als Fehler verfolgt und falsche neu geschaffene Schreibung gelehrt werden (wie „Quäntchen“, „Tollpatsch“, „belämmert“, „behände“oder „rau“).

Dies widerspricht auch dem Schulgesetz, das dem jungen Menschen eine (natürlich sachlich richtige) „Ausbildung“ zusichert. Danach soll die Schule auch die „geistigen, seelischen und körperlichen Fähigkeiten des jungen Menschen“ entwickeln. Wer die Fähigkeit entwickeln kann, „leid“ und „recht“ in seiner richtigen grammatischen Funktion zu benutzen und darzustellen, hat auch einen Anspruch auf die entsprechend richtige Unterrichtung; ebenso jemand, der imstande ist, die etymologisch begründete richtige Schreibung von etwa zwölf Wörtern, wie „Tolpatsch“ zu verstehen und zu erlernen.

(Schüler müssen Millionen von Details lernen. Warum eine etymologische Verballhorung von zwölf Wörtern hier merkliche „Erleichterungen“ schaffen soll, bleibt unerfindlich.)

Die Schule „soll Kenntnisse wirtschaftlicher und historischer Zusammenhänge vermitteln,…“ und dies muß auch für das (lernerleichternde!) Verständnis von Wortsinn und Wortherkunft gelten.

Die Verfolgung des Richtigen als „Fehler“ ist auch kein „Gemeinwohlbelang“.

2) Die Unterdrückung üblicher Schreib- und Leseerleichterungen und herkömmlicher Schreibtraditionen geschieht dadurch,

a) daß die traditionelle Einsparung des dritten Buchstabens wie in „Schifffahrt“ oder „Brennessel“ als Fehler verfolgt wird und die Lehre dieser bislang zulässigen Möglichkeit als unzulässig verboten wird.

b) daß die traditionelle Kleinschreibung verblaßter Substantive und fester adverbialer Fügungen, wie „des öfteren“, „zu eigen“, „im allgemeinen“ als Fehler verfolgt wird und die Lehre dieser Leseerleichterung als zulässige Möglichkeit verboten wird.

c) daß der seit 600 Jahren übliche leseerleichternde Gebrauch des „ß“ als Wort- oder Silbenschlußzeichen als Fehler verfolgt wird und seine Lehre als zulässige und sinnvolle Möglichkeit verboten ist.

Dies widerspricht ebenso dem Schulgesetz (§4,3). Wer die „geistigen, seelischen und körperlichen“ Voraussetzungen besitzt, diese traditionellen Vereinfachungen und Erleichterungen zu nutzen, hat einen Anspruch darauf, daß die Schule hier ihre Aufgabe, diese als „Fähigkeiten“ zu entwickeln, nach dem Schulgesetz erfüllt, zumal diese von der Mehrheit der Bevölkerung als üblich und selbstverständlich angesehen werden.

Wer die Fähigkeit entwickeln kann, auf Texte in neuer Rechtschreibung die einfache Regel anzuwenden, „nach alter Tradition wird bei deutschen Wörtern am Wort- und Silbenende das ss als ß geschrieben“ (die Ausnahme „As“ ist lat./frz.), der hat auch einen Anspruch darauf, daß die Schule ihm hilft, diese Kulturtechnik zu entwickeln und anzuwenden, da diese von der Mehrheit der Bevölkerung als richtige Schreibweise anerkannt ist.

Der ehemalige Verfassungsrichter Prof. Ernst Gottfried Mahrenholz hatte schon 1997 geschrieben: „In der Neuregelung der Daß-Schreibweise haben die Minister ihre Kompetenz überschritten. Hier hat die Kommission – und ihr folgend die Ministerriege sich so gesehen, als habe sie zwischen zwei möglichen Gebrauchsformen des „ß“ zu wählen. Es ging aber doch um die Wahl zwischen einer alten und bewährten Praxis und einem neuen Modell. Hier kann ein Eingriff, der die bisherige Funktion eines Buchstabens betrifft, eine Veränderung seines überlieferten „Ortes“, nicht aus der Kompetenz für Schulfragen gerechtfertigt werden. Und um es gleich zu sagen, dies kann auch kein Landtag (der Bundestag ohnehin nicht).“ (Süddeutsche Zeitung 23./24. 08.1997)

Die Schule „soll Kenntnisse wirtschaftlicher und historischer Zusammenhänge vermitteln, Verständnis für Natur und Umwelt schaffen und die Bereitschaft wecken, an der Erhaltung der Lebensgrundlagen von Pflanzen, Tieren und Menschen mitzuwirken.“ (SchulG)
Zu den Lebensgrundlagen und historischen Zusammenhängen gehört auch die Verhinderung der Entfremdung von der eigenen Kultur, zu der die im 20. Jahrhundert veröffentlichte und gedruckte, auch frühere Jahrhunderte umfassende deutschen Literatur gehört . Das Schulgesetz bestimmt:

Die Schule soll die Offenheit des jungen Menschen gegenüber kultureller Vielfalt, den Willen zur Völkerverständigung und die Friedensfähigkeit fördern. Sie soll den jungen Menschen befähigen,die Bedeutung der Heimat… zu erfassen. (SchulG)

Der frühere Bundesbildungsminister und Erste Bürgermeister Hamburgs, Klaus von Dohnanyi, SPD, stellte dagegen fest (ZDF am 29.07.2001):

„Wir haben eine Situation, in der Deutschland ohnehin Probleme mit seiner Geschichte hat, in der wir in der Sprache eigentlich die letzte Behausung unseres Landes haben, da haben sie die Leute aus der Sprache rausgetrieben durch diese Reform.“

3) Es werden künstlich neugeschaffene deutsche Schreibweisen für Fremdwörter gelehrt und die Verwendung originaler Schreibweisen, insbesondere bei der Pluralbildung verboten. ( z.B. „Ladys“ anstelle von „Ladies“)

Die Verwendung richtiger englischer Pluralschreibung ist auch im Deutschen bislang weitverbreitet üblich. Es widerspricht der Erziehung zur „Offenheit des jungen Menschen gegenüber kultureller Vielfalt“ (SchulG), wenn das richtig erlernte fremde Sprachgut im Deutschen als Fehler gewertet wird und nur eine deutsche Schrumpfform als allein richtig gelten soll. Außerdem trägt dies zur Verwirrung der Schüler bei („Tipp“in Englischarbeiten).

4) Es wird die Verwendung der in weiten Bevölkerungskreisen als unhöflich empfundenen Kleinschreibung der vertraulichen Briefanrede „Du“ gelehrt und die traditionelle Großschreibung als Fehler verfolgt.

Dies ist keine staatliche Aufgabe. Überkommene Umgangsformen dürfen kein Gegenstand staatlicher Regelungen sein. Aber auch hier greift das Schulgesetz:

Zum Bildungsauftrag der Schule gehört die Erziehung des jungen Menschen zur freien Selbstbestimmung in Achtung Andersdenkender, zum politischen und sozialen Handeln und zur Beteiligung an der Gestaltung der Arbeitswelt und der Gesellschaft im Sinne der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.

Zum sozialen Handeln gehört auch die Achtung vor überkommenen, noch immer üblichen Umgangsformen. Hier hat sich der Staat eines unzulässigen Eingriffs schuldig gemacht, den demokratischen Bildungsauftrag der Schulen mißachtet und außerdem durch die Annullierung des Volksentscheid dem Ansehen der Demokratie Schaden zugefügt.
Im Lehrmaterial der Schulen werden historische Briefe in der Du-Anrede verfälscht und damit den Schreibern Mißachtung der Höflichkeitskonventionen unterstellt. All dies ist nicht hinnehmbar.

Die einzige bisherige „Höflichkeitsreform“ per Ministerialerlaß war die Einführung des sogenannten „Deutschen Grußes“ an den Schulen Schleswig-Holsteins am 22. Juli 1933.

Die Verfolgung des großgeschriebenen Du als „Fehler“ und die Einübung des kleingeschriebenen ist unzweifelhaft auch kein „Gemeinwohlbelang“.

(Kritische Würdigung der einzelnen Maßnahmen gesondert)

Der „Geburtsfehler“ der Reform
Alle diese Dinge sind bisher von den Kultusministern nach Gutdünken, eigenen Vorurteilen und geringstem Widerstand in der Kultusbürokratie entschieden worden. Auch der neugeschaffene „Rat für Rechtschreibung“ ist kein geeignetes Gremium, hier Abhilfe zu schaffen, da er recht einseitig mit Interessenvertretern besetzt ist und außerdem in seinen Kompetenzen beschnitten wurde.

Die gesamte „Rechtschreibreform“ krankt an einem grundsätzlichen Geburtsfehler:
Bis 1998 wurden Rechtschreibfehler an den Schulen nach Duden korrigiert und bewertet. Es wäre nun Aufgabe der Kultusverwaltungen gewesen, didaktische Verbesserungen vorzunehmen und die tolerierbaren Varianten festzustellen, die nicht mit einem Punkteabzug geahndet werden müssen. Stattdessen hat man eine „Rechtschreibreform“ gemacht, in der der gesamten Schreibgemeinschaft vermutete häufige Fehler über den Hebel der Schulen als allein richtig aufgezwungen werden sollen. Das Absurdeste daran ist, daß dabei aus „Systemgründen“ auch Falschschreibungen verbindlich gemacht wurden, die vorher praktisch nie vorkamen, etwa: „So Recht er hat, so Leid kann er einem tun“.

Die traditionelle Rechtschreibung war Dienst am Leser. Dies gibt die „Reform“ auf zugunsten von angeblichen Erleichterungen für eine Minderheit von Schreibern. So werden verfassungswidrig einer großen Mehrheit von normal Lernfähigen die richtigen und lesefreundlichen Kulturtechniken in der Ausbildung vorenthalten.


Verkomplizierung und Fehlerverfolgung sind kein „Gemeinwohlbelang“

Durch die neuen Schreibweisen sollten Erleichterungen eintreten.
Wenn diese nun aus verschiedenen Gründen nicht stattgefunden haben, dann ist auch kein „Gemeinwohlbelang“ vorhanden, diese irrtümlich als „erleichternd“ eingeführten Schreibweisen durch die Zensurengebung zu erzwingen – zumal die Mehrheit der Bevölkerung in der ganzen „Reform“ kein „Gemeinwohl“ erkennen kann.

Die Art der Einführung der „Reform“ widerspricht aller Systematik und Methodik, wie sie etwa auch in der Informatik üblich ist. Programme werden im allgemeinen so konzipiert, daß auch die Verwendung älterer Befehle und Eingaben nicht zu Fehlern und Systemabsturz führt. Mühelos hätte die „Reform“ so eingeführt werden können, daß alle alten Schreibweisen weiter gültig gewesen wären, neue jedoch als zulässige Variante eingeführt worden wären.

Daß dies möglich war, zeigt die (lästige und überflüssige) Zulassung von „aufwändig“ neben „aufwendig“. Es zeigt sich auch darin, daß seit 2004 auch zahlreiche alte Schreibungen mit den Zusatz „auch“ im Regelwerk und Duden wieder zugelassen wurden, andere willkürlich wiederum nicht.

In den meisten Fällen zeigt sich, daß die „Reform“ ganz hätte unterbleiben können, und daß viele der neuen überflüssigen Formen nur der Gesichtswahrung wegen, weil sie eben von Reformern, Politik und Bürokratie in die Welt gesetzt wurden, weiterhin gültig sein sollen, absurderweise sogar meist vorrangig.

Viele „Erleichterungen“ sind Erschwernisse
Viele der angeblichen „Erleichterungen“, Hauptgrund für die Einführung der „neuen“ Rechtschreibung, sind in Wirklichkeit Erschwernisse.

a) Die Fehlerträchtigkeit bei der Anwendung der neuen ss/ß-Regel ist durch die Untersuchungen von Harald Marx nachgewiesen worden.

Die Lesehemmnisse sind offensichtlich: „Bambusessstäbchen“ (…), Schlosserhaltung, Messerwartung …

b) Getrennte Schreibungen vom Typ „Grauen erregend“ (bisher „grauenerregend“) sind gefordert, jedoch ist die Aufspaltung in der Mehrzahl der Fälle nicht möglich und zulässig: „flächendeckend“, „lebensspendend“ oder unsicher: „bahnbrechend“. Zur Anwendung dieser Vorschrift müssen immer grammatische Proben und Umstellungen im Text vorgenommen werden. Diese überflüssige Regelung hat eine Fülle lächerlichster Schreibungen hervorgerufen: „Herz zerreissend“, „Bein amputiert“.

Die Störungen des Lesens sind erheblich: „Jeder hat Not leidenden Menschen zu helfen.“ Auch wenn sich im Kontext der Sinn klären kann, bleibt die Lesefalle, besonders mit der neuen „Weglaßbarkeit“ des Kommas vor dem erweiterten Infinitiv..

c) Regelungen wie „auseinander setzen“ immer auseinander schreiben zu sollen, dagegen „zusammensetzen“ immer zusammen, haftet ein hohes Maß an Willkür an. Die getrennt zu schreibenden Partikel müssen einzeln gelernt werden. Außerdem entfällt das intuitive Schreiben, das veränderte Betonungen als Signal für Wortbildungen erkennt.

Für Lesende stellt diese getrennte Schreibung wiederum Erkennungs- und Aussprachefallen dar: „Da sich die Kunststile auseinander entwickelten…“ muß jetzt auch die ganz andere Bedeutung „da sich die Kunststile auseinanderentwickelten…“ darstellen.

d) Die „erleichterte“ Zeichensetzung erlaubt, das Komma z.B. vor dem erweiterte Infinitiv fortzulassen. Es soll jedoch gesetzt werden, wenn die Klarheit dies erfordert. Dies zwingt den Schreiber, nachzuprüfen, ob auch andere Lesarten möglich sind – eine Erschwernis, die Lernende am wenigsten bewältigen können: „Er empfahl dem Lehrer nicht zu widersprechen“ kann gelesen werden als: „Er empfahl, dem Lehrer nicht zu widersprechen.“ „Er empfahl dem Lehrer, nicht zu widersprechen.“ „Er empfahl dem Lehrer nicht, zu widersprechen.“

Für Lesende kann die Textverständlichkeit sehr gestört sein. Daher haben die Nachrichtenagenturen die neuen Kommaregeln ausdrücklich nicht übernommen.

Im Gegensatz zu Beamten und Angestellten, die verpflichtet sind, allen, auch willkürlichen und unsinnigen Anordnungen ihres Arbeitgebers Folge zu leisten, besteht bei Schülern kein solches Verhältnis gegenüber Lehrern, Schulbehörden und Bildungsministerium. Vielmehr haben die Schüler einen Anspruch darauf, daß die staatlichen Bildungseinrichtungen die Lernenden an der Lebenswirklichkeit orientiert ausbilden und ihnen zugleich das Erlernen der demokratischen Freiheiten und die Teilhabe daran vorbildhaft zu ermöglichen. Dazu gehört auch die Freiheit, die von der Bevölkerung mehrheitlich anerkannte und gewünschte Rechtschreibung zu verwenden. Hierbei ist besonders für Schleswig-Holstein zu berücksichtigen, daß ein gültiger Volksentscheid vorliegt, der dies fordert. Auch die Streichung der ins Schulgesetz diesbezüglich eingebrachten Passage durch die sogenannten Vertreter des Volkes (aus eher parteiegoistischen Gründen) kann nicht die Wirklichkeit auslöschen, daß damit Verletzungen von Prinzipien der Demokratie begangen wurden und daß deren Ahndung durch Mängel in den vorhandenen Verfassungsregelungen verhindert wurde.

Das Ausscheiden der Kultusminister aus dem Kreis der Schreibgemeinschaft

Insgesamt ergibt sich daraus, daß die Verfolgung der traditionellen Rechtschreibung als Fehler den Prinzipien der freiheitlichen Demokratie und der Verhältnismäßigkeit widerspricht. Wenn das Verfassungsgericht den Ländern Abweichungen in der Rechtschreibung zugesteht, muß auch Schülern diese Abweichung zugestanden werden, sofern er sich im Rahmen der seit hundert Jahren gültigen Regelungen hält.

Urteil v. 14.7.1998 heißt es:

Das Erfordernis eines hohen Maßes an einheitlicher Schreibung, ohne welches Lesbarkeit und Verständlichkeit von Texten und damit Kommunikation zwischen den Schreibenden nicht möglich sind, bedeutet nicht notwendig Übereinstimmung in allen Einzelheiten. Deshalb hat das Ausscheren eines Beteiligten aus dem Kreis derer, die sich zuvor auf gemeinsame Regeln und Schreibweisen verständigt haben, verfassungsrechtlich nicht notwendig die Unzulässigkeit der Neuregelung zur Folge, wenn Kommunikation im gemeinsamen Sprachraum trotzdem weiterhin stattfinden kann.

Das läßt den Umkehrschluß zu:
Das Ausscheiden der Kultusministerien der Länder aus dem Kreis der Deutschen, die seit hundert Jahren gemeinsame Regeln einvernehmlich verwenden, kann nicht notwendig die Unzulässigkeit dieser traditionellen Rechtschreibung an den Schulen zur Folge haben.

Hierfür ist es aber auch nicht notwendig, daß ein Schüler nun vollständig die alte Rechtschreibung verwendet. Das kann wegen des gleichzeitigen Vorhandenseins von alter Rechtschreibung und verschiedenen Stadien der „Reform“ nebeneinander nicht verlangt werden.

Es ist kein sicheres Lernen der „neuen“ Rechtschreibung möglich.
Es gibt sie nämlich gar nicht
Junge Leute lernten bis 1996 vorwiegend durch ausgiebiges Lesen. Das ist heute nicht mehr möglich, da die Schüler nicht mehr sicher sein können, ob eine Schreibung „veraltet“ oder eine von den vielen reformierten oder wieder zugelassenen oder, ebenso häufig, falsch geschriebenen Varianten ist. Die Verinnerlichung eines bestimmten Schriftbildes wird durch das Durcheinander der verschiedenen Rechtschreibungen erheblich gestört. Lernende müßten von aller älteren Literatur abgeschirmt werden. Dies scheint auch die Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes gewesen zu sein:

Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erkennen, daß die Beschwerdeführer gehindert wären, ihre Kinder, nachdem diese sich die neue Schreibung angeeignet haben, auch mit den traditionellen Schreibweisen vertraut zu machen, ihnen eigene Bücher zum Lesen zu geben und sie an die klassische Literatur in deren ursprünglicher Schreibweise heranzuführen. (S.143)

Dieser Ausschluß aller bisherigen Literatur entspricht nicht der Lebenswirklichkeit und ist auch kulturell schädlich.

In manchen Schulbüchern sind nach Urheberrecht vor Veränderung geschützte Texte in „alter“ Rechtschreibung abgedruckt. Auch ein allgemeiner Hinweis darauf hebt die verwirrende Wirkung dieser Abweichung nicht auf. Es könnte im Gedächtnis ein „altes“ Schriftbild abgespeichert werden. Hier wie in allen ähnlichen Fällen wird „Ranschburgsche Ähnlichkeitshemmung“ (P. Ranschburg 1870-1945) wirksam, die die geforderten Schriftbilder vertauscht oder behindert

Das an den Schulen […] verwendete ausgeliehene Lehrmaterial stammt [meist] aus den Jahren 1987 bis 2005. Etwa zur Hälfte liegt noch die „alte“ Rechtschreibung vor. In vielen anderen Fällen ist die unreformierte Reformschreibung von 1996 festzustellen, oft auch noch fehlerhaft. Groteskschreibungen wie „Schwindel erregend“ gehören zum Standard, obwohl seit 2004 auch die kultiviertere alte Schreibweise wieder zugelassen ist. Hierdurch wird optisch-graphisch das grammatische Lernen fehlgeleitet und damit das sprachliche Empfinden verstümmelt. Solche neue Literatur sollte nur unter Anleitung eines befähigten Lehrer nach erfolgter gemeinsamer Korrektur in die (wieder zulässige) bewährte Schreibweise verwendet werden dürfen. Auf jeden Fall bewirkt das durcheinander der verschiedenen ss-Schreibungen eine Unsicherheit. Dies wird noch verstärkt durch das Kopieren alter Arbeitsblätter, die die Lehrer nicht zuletzt wegen ihrer oft besseren didaktischen Qualität weiterverwenden.

Zudem liegt in den öffentlichen und privaten Büchersammlungen die Mehrzahl der Texte noch in der alten Rechtschreibung vor. Während in der Kinderliteratur die Verlage eine große Kraftanstrengung vollbracht haben, um die Texte anzupassen, ist das bei der gehobenen Literatur mehrheitlich nicht möglich und auch nicht wünschenswert.

Die Verfolgung solcher dadurch entstandener Unsicherheiten, die eine Folge der unsinnigen Reformbetriebsamkeit der Kultusminister ist, kann kein „Gemeinwohlbedarf“ sein. Schüler, die ganz oder teilweise Schreibweisen der traditionellen Literatur übernehmen, ganz gleich, ob absichtlich oder unabsichtlich, müssen vor Verfolgung und Erniedrigung geschützt werden.

Ein besonders trübes Kapitel sind die Wörterbücher, ohne die man ja auch nach Aussage der Kultusminister nicht mehr auskommt. Die Neuschreiblexika von 1996 von Duden und Bertelsmann sind fehlerhaft und überholt. An Schleswig-Holsteins Schulen befinden sich aber noch 10 000 dieser Bertelsmann-Lexika, die 1999 in einer Gemeinschaftsaktion von Bertelsmann und GEW zur Unterminierung des Volksentscheids verteilt wurden. Es gibt seit zehn Jahren kein Wörterbuch mehr, das einen bleibenden Stand der Schreibung der deutschen Wörter widerspiegelt wie es der Duden zuvor 94 Jahre lang geleistet hatte. Daneben sind zahlreiche weitere Wörterbücher des schnellen Geldes wegen auf den Markt geworfen worden, deren große Fehlerhaftigkeit kein Schüler und kein Elternteil erkennen kann. Den Kultusministerien genügt in diesen Fällen wie auch bei anderer Schulliteratur die Versicherung der Verlage, daß der Text den Regeln der neuen Rechtschreibung folge (Etwa Amtsblatt 7/2005 vom 15. Juli 2005, S. 466 bzw. S. 525 „In Zweifelsfällen sind Wörterbücher zugrunde zu legen, die nach den Erklärungen des Verlags den aktuellen Stand der Regelung vollständig enthalten.“). Welcher Verlag würde das nicht behaupten! Nach dem „Schulwörterbuch Deutsche Rechtschreibung“ (2003 Trautwein und andere Lizenznehmer) lernen die Schüler nur die neue Primitivschreibung „Grauen erregend“ – (dazu erleichternd „aber: äußerst grauenerregend“), nicht aber, daß man auch „grauenerregend“ schreiben darf. Außerdem fehlt die Folge der gängigen Wörter (n. Duden) hinhauen, hinhocken, hinhorchen, Hinkebein, …fuß, Hinkel, hinken, hinkriegen, Hinkunft, hinlänglich, Hinnahme, hinnehmen, hinneigen, Hinneigung, hinnen, hinreichen, hinreichend, Hinreise, hinreisen. Noch schlimmer ist das Wörterbuch der Rechtschreibung (H+L Verlagsgesellschaft 1999). Es enthält weder „grauenerregend“ noch „Grauen erregend“. Außerdem wurde das Fehlen einer Wörterstrecke festgestellt, die 40 (!) Dudenspalten entspricht. Während die laufenden Änderungen für kleine Verlage kaum tragbar sind, wurden Duden und Bertelsmann mit privilegierten Informationen aus der Kommission versorgt und konnten dadurch ihren Vorsprung ausbauen. So ist „morgen Früh“ in den Duden 2004 gelangt, aber inzwischen schon wieder falsch.

In dieser Lage kann von den Schülern keine sichere Reformschreibung abverlangt werden. Hier ist die traditionelle Rechtschreibung die einzige sinnvolle Konstante. Sie darf nicht willkürlich gegen die Mehrheit der Deutschen zum Fehler erklärt werden, sondern erfüllt den Anspruch, die einzige von der Schreibgemeinschaft allgemein anerkannte Rechtschreibung zu sein.

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Sigmar Salzburg

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Sigmar Salzburg
29.12.2005 15.03
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3. Fortsetzung

Die verbindliche Einführung der Teilreform zum 1.8.2005 ist unzulässig

Obwohl nach Volksentscheid und allen Umfragen die „Rechtschreibreform“ mehrheitlich in der Bevölkerung abgelehnt wird, obwohl die Mehrheit der Bürger keinen Grund sieht, ihre Rechtschreibung auf die neuen Regeln umzustellen und höchstens durch Arbeitgeber und Computertechnik „angepasst“ wird, obwohl namhafte Vertreter des geschriebenen Wortes und ihre Organisationen Protest eingelegt haben, obwohl nach Auflagenzahl die Mehrzahl der Zeitungen wieder in traditioneller Rechtschreibung erscheint, obwohl die Mehrzahl der vorhandenen Bücher traditionell geschrieben ist und obwohl die versprochene Fehlerverminderung nicht eingetreten ist, hat Schleswig-Holsteinische Landesregierung einen angeblich „unstrittigen“ Teil der „Reform“ für die Schulen verbindlich gemacht und will traditionelle Schreibweisen als Fehler verfolgen lassen.

Ein früheres Mitglied der Reformkommission, Prof. Horst Haider Munske, 1997 aus dieser unter Protest ausgetreten, vermutet mit guten Gründen folgendes:

Nach meinen Erfahrungen im Umgang mit der KMK war es dies: Sie sah mit den jüngsten unerwarteten Empfehlungen des Rates ihre Reformfelle davonschwimmen, fürchtete, daß eine Verlängerung der Übergangszeit das Ende dieser vor fast zwanzig Jahren eingeleiteten Reform besiegeln werde. Dabei geht es längst nicht mehr um die Orthographie. Es geht um die Macht dieser Kultusministerkonferenz in Deutschland. (Deutsche Sprachwelt, Ausgabe 21, Herbst 2005)

Hauptgrund ist offensichtlich nicht das Wohl der Schüler oder der deutschen Sprache, sondern es geht nur noch um Macht und den Schein der Gesichtswahrung.

Die traditionelle Orthographie ist weiterhin die weitverbreitet allgemein anerkannte Rechtschreibung.

Die Art und Weise ihrer Verdrängung war nach den obigen Argumenten verfassungsmäßig von Anfang an fragwürdig und ist seit dem Volksentscheid v. 27.9.1998 nichtverfassungsrechtlich hinreichend gerechtfertigt“ – weil gemäß Urteil v. 14.7.98 nicht die notwendige allgemeine Akzeptanz eingetreten ist und weil die vorgenommenen Änderungen an den Schreibungen keinem „Gemeinwohlbedarf“ entsprochen haben.

Deshalb [wird gefordert], die traditionelle Rechtschreibung oder in Teilen diskriminierungsfrei verwenden zu dürfen.
Aus diesem Grunde wird auch gefordert, das Markieren traditioneller Schreibweisen als „veraltet“ zu unterlassen, wie es bisher auf Anordnung des Kultusministeriums mit dem Ziel geschah, die orthographische Gesellschaftsveränderung doch noch über die Schulen durchzusetzen.

Schließlich wird […] auch gefordert, daß die Schüler […] wieder in der traditionellen Rechtschreibung unterrichtet werden.

Dies versteht sich im Interesse aller Schüler dort von selbst, wo die Schulen auf Anordnung der Regierung jetzt wissenschaftlich nachweisbare Falschaussagen und Falschdarstellungen der Rechtschreibreform lehren müssen. und wo die traditionelle Rechtschreibung dies richtig darstellt.

Dies sollte aber auch dort beachtet werden, wo die traditionelle Kulturtechniken eine Erleichterung des Schreibens oder Lesens bewirken und eine Entfremdung mit der überlieferten großen Literatur verhindern.

Es wird zwar in den höheren Klassen meist kein gesonderter Rechtschreibunterricht mehr erteilt, sondern nur begleitend zu anderem Unterrichtstoff. Anläßlich des heranrückenden Datums der „Verbindlichkeit“ hatten die Schulen jedoch noch besondere Übungen veranstaltet, um die Schüler entsprechend einzunorden. Da aber die Regeln 2004 nochmals geändert wurden und weiter geändert werden, war dies zumeist nutzlos verschwendete Unterrichtszeit.

Es ist Standard in der zivilisierten Welt, daß sich die Ausbildung der Schülerinnen und Schüler am anerkannten Stand der Wissenschaft zu orientieren hat. Hierbei sind Wahrheit und Wahrhaftigkeit unabdingbar. Das erfordert, daß Falsches nicht gelehrt werden darf und Richtiges nicht als „falsch“ bewertet werden darf.

Es darf beispielsweise seit 500 Jahren nicht mehr gelehrt werden, daß die Erde eine Scheibe sei – auch um des leichteren Lernens willen nicht.

Es darf „zur Vereinfachung“ auch nicht staatlich festgelegt werden, daß die Kreisumfangszahl Pi die Größe 3,2 hat. Dies wäre fast in einem US-Bundesstaat Gesetz geworden:

Am 8. Februar 1897 wurde in Staate Indiana vom Parlament mit 67 Ja-Stimmen und ohne Gegenstimme ein Gesetz beschlossen, das den Zahlenwert der Kreisumfangszahl Pi auf 3,2 festlegte. Allerdings trat es nicht in Kraft, da der Senat nicht zustimmte. Die Senatoren verstanden zwar ebensowenig, daß dieses Gesetz grundsätzlich falsch war, erkannten aber doch, daß solche Fragen nicht Gegenstand der Gesetzgebung sein sollten.

Die Regierungen Schleswig-Holsteins und anderer Bundesländer maßen sich jedoch in der Rechtschreibung ein solches Vorgehen per Erlaß an und lassen an den Schulen nachweislich Falsches zu lehren und Richtiges als Fehler brandmarken.
Dazu mißbrauchen sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes.

Dies hat jedoch nur im Prinzip erlaßweise Eingriffe des Staates in die Rechtschreibung zugelassen. Dabei wird die bereits zitierte Passage außer acht gelassen:

Der Staat kann die Sprache deswegen aber nicht beliebig regeln. Begrenzende Wirkungen ergeben sich aus der Eigenart der Sprache jedoch nur für Art und Ausmaß einer Regelung, nicht dagegen für eine Regelung überhaupt.

Die unzulängliche Präzisierung und Bekanntmachung der Teilreform

Das Schleswig-Holsteinische Ministerium für Bildung und Frauen hatte nun mit Datum vom 25.7.2005 folgende Verlautbarung im Internet veröffentlicht:
Zitat:

Information

Neuregelung zur deutschen Rechtschreibung


Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat auf ihrer Sitzung im Juni 2005 über den künftigen Umgang mit der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung entschieden.
Folgendes gilt ab dem Schuljahr 2005/06 für die schleswig-holsteinischen Schulen:
• Die Grundlage für den Rechtschreibschreibunterricht ergibt sich aus der Amtlichen Regelung von 1996 in der Fassung von 2004.
• Grundsätzlich gilt, dass die Übergangsregelung mit der damit verbundenen Korrekturpraxis mit dem 31.07.2005 endet.
• Für die Teile der Rechtschreibung allerdings, für die Änderungsvorschläge vom Rat für Rechtschreibung erst noch zu erwarten sind, soll bei der Korrektur auch weiterhin die Regelung gelten, dass alte Schreibungen als überholt gekennzeichnet, nicht aber als Fehler bewertet werden. Dies betrifft die Getrennt- und Zusammenschreibung, die Worttrennung am Zeilenende und die Zeichensetzung. Das betrifft aber auch den Überschneidungsbereich von Getrennt- und Zusammenschreibung mit der Groß- und Kleinschreibung.
Die Übergangsfrist für diese Teile wird bis zu einer abschließenden Regelung verlängert.
Service
Über die Inhalte der Amtlichen Regelung in der Fassung von 2004 informiert Klaus Heller in der Publikation:“ Rechtschreibreform. Eine Zusammenfassung. Sprachreport-Extraausgabe Juli 2004 Mannheim (Institut für deutsche Sprache).“ Sie ist unter folgender Internetadresse verfügbar http://www.ids-mannheim.de/pub/laufend/sprachreport/pdf/sr04-extra.pdf:
Weitere Informationen gibt das Institut für Deutsche Sprache in Mannheim auf seiner Homepage – sie kann über den unten angezeigten Link erreicht werden. Wählen Sie dort das Stichwort „ServiceEinrichtungen“ und gelangen zum kompletten Regelwerk der Rechtschreibreform.

Zitatende

Im Anschluß an diesen Text distanziert sich das Ministerium jedoch von diesen „externen Links“:

„Für Inhalte außerhalb des Internetauftritts der Landesregierung
Schleswig-Holstein ist diese nicht verantwortlich und übernimmt hierfür keinerlei Gewähr. Vielen Dank für Ihr Verständnis.“


Es liegt anscheinend nirgendwo ein offizielles Dokument vor, das den derzeit in Kraft gesetzten Teil der „Reform“ nach dem letzten Stand allgemein zugänglich darstellt.

Zum Inhalt des gegenwärtig auf solche obskure Weise verbindlich gemachten Teils des Regelwerks schrieb der bekannte Kritiker der Rechtschreibreform, Prof. Theodor Ickler, am 13.6.2005 an den Generalsekretär der Kultusministerkonferenz Thies unter anderem:

„Sehr geehrter Herr Thies,
[…] Ab 1. August wird Deutschland das einzige Land der Welt sein, in dem von Staats wegen ein grammatisch falscher Gebrauch der Muttersprache gelehrt und von den Schülern verlangt und der richtige Gebrauch bestraft wird. Und das ist keine Ansichtssache einzelner Grammatiker, sondern harte, beweisbare Tatsache. Wenn meine Anmerkungen nicht genügen, bin ich gern bereit, Ihnen noch ausführlichere Darlegungen zu übermitteln, auch von anderen Fachleuten.[…] (Quelle: Forschungsgruppe Deutsche Sprache; vergl. dazu Anlage A1)

Die traditionelle Rechtschreibung darf an den Schulen kein Fehler werden

In der […] Klage in Niedersachsen, die zu der bereits genannten Entscheidung v. 13.9.2005 führte, hat Prof. Dr. Rolf Gröschner als Prozeßbevollmächtigter der Klägerin zur Fehlerbewertung angeführt:
Im Schulrecht und in der Schulpraxis ist es ein unbestrittener Rechtsgrundsatz, daß die richtige Lösung einer Aufgabe nicht als falsch bewertet werden darf (VG Dresden, SchuR 1999, S. 61). Die Entscheidung darüber unterliegt nicht etwa einem unbegrenzten Beurteilungsspielraum des Lehrers, sondern voller verwaltungsgerichtlicher Kontrolle (Avenarius/Heckel, Schulrechtskunde, 7. Aufl. 2000, S. 504 mit Rechtsprechungsnachweisen). „Selbstverständlich ist jeder Prüfer gehalten, Richtiges als richtig und Falsches als falsch zu bewerten, und es ist ihm zugleich verboten, das Gegenteil zu tun“ (Niehues, Prüfungsrecht, 3. Aufl. 1994, S. 189). Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist dies „ein allgemeiner Bewertungsgrundsatz, der bei berufsbezogenen Prüfungen aus Art. 12 Abs. 1 GG folgt“ (BVerfGE 84,34/55).

Die herkömmliche Orthographie, in der alle bedeutenden deutschen und übersetzte ausländische literarischen Werke vorliegen, in der aber auch die Texte des täglichen Lebens seit hundert Jahren niedergelegt sind, ist noch allgegenwärtig. Insofern hat sie auch als „richtig“ zu gelten.

Die neue Rechtschreibung ist für den Gebrauch von Schülern und Wenigschreibern konstruiert worden und vergröbert die differenziertere herkömmliche Orthographie. Deswegen kann jedoch die entwickeltere Schreibung nicht falsch sein.

Nahezu alle namhaften lebenden Schriftsteller und sonstigen Meister des geschriebenen Wortes lehnen diesen staatlichen Eingriff in die Rechtschreibreform ab. Es wäre eine Anschlag auf die deutsche Sprach- und Schreibkultur, wenn das Lesen in den Werken der großen schleswig-holsteinischen Schriftsteller wie Thomas Mann, Günter Grass oder Siegfried Lenz wegen der Gefahr der Aneignung „falscher“ Schreibweisen eingeschränkt werden müßte.

Tatsächlich ist kein Bürger ist verpflichtet, die neue Rechtschreibung zu verwenden, wie das Bundesverfassungsgericht hervorgehoben hat:

„Soweit dieser Regelung rechtliche Verbindlichkeit zukommt, ist diese auf den Bereich der Schulen beschränkt. Personen außerhalb dieses Bereichs sind rechtlich nicht gehalten, die neuen Rechtschreibregeln zu beachten und die reformierte Schreibung zu verwenden. Sie sind vielmehr frei, wie bisher zu schreiben.“ (163)

Schüler müssen das gleiche Recht haben, sich der orthographischen Errungenschaften der deutschen Kultur in ihrer besten Form zu bedienen.

Das Verfassungsgericht hat nun auch keineswegs behauptet, daß der neuen Regelung der Rechtschreibung rechtliche Verbindlichkeit zukommt, sondern es hat ausdrücklich die einschränkende Formulierung gebraucht, „soweit dieser Regelung rechtliche Verbindlichkeit zukommt“. Dieser Satz ist von den verantwortlichen Politikern als Verbindlichkeit ausgelegt worden. Dies kann jedoch nicht richtig sein:

Es war bekanntlich nicht die Aufgabe des Verfassungsgerichts, die Verbindlichkeit solcher Erlasse zu prüfen, sondern nur, ob dies nicht vielmehr durch ein im Parlament beschlossenes Gesetz geschehen müsse. Die Richtigkeit der Entscheidung v. 14.7.1998 mag angezweifelt werden. Aber auf keinen Fall ist damit festgelegt, ob und welche Verbindlichkeit die entsprechenden Erlasse des Bildungsministeriums für Schüler haben können. Zweifellos darf grammatisch Falsches nicht verbindlich gemacht werden.

Allenfalls kann das Bildungsministerium die Schulen anweisen, bestimmte übliche (jetzt verbindlich gemachte) Falschschreibungen nicht mit Punktabzug zu ahnden. Dazu ist aber auch notwendig, daß das Richtige gelehrt wird und das Falsche nicht als das Richtige hingestellt wird.

Das niedersächsische Verwaltungsgericht hat in seiner Vorentscheidung bereits ausgeführt, daß es unabhängig vom Bundesverfassungsgericht und eigenverantwortlich nach den Gesetzen des Landes bewerten und entscheiden kann. Dies dürfte in Schleswig-Holstein nicht anders sein.

Die Landesregierung ist nicht berechtigt, anzuordnen, in der Schule nachweisbar Falsches zu lehren. Die Gewissensfreiheit muß hier auch für das Recht der Schüler gelten, die Befolgung einer Neuregelung zu verweigern, wenn sie Falsches enthält und nicht das allgemein Übliche lehrt. Schüler wie auch Eltern müssen das Recht haben, sich Anordnungen zu widersetzen, die sie zum Instrument einer Durchsetzungspolitik für obskure gesellschaftliche und kulterelle Änderungen machen. Es ist auch zu fragen, ob hier nicht sogar die Lehrer eine Verweigerungspflicht haben.

[Es ist daher zu fordern, daß Schüler] die traditionelle Rechtschreibung oder Teile davon diskriminierungsfrei verwenden zu dürfen und daß sie Unterricht in der seit mehr als einem Jahrhundert anerkannten üblichen Rechtschreibung zu erhalten. [Es besteht auch der Anspruch, daß der Staat durch die zuständigen Organe] allgemein die Unterrichtung der Schüler nach grammatisch falschen Regeln untersagt und die Lehre der Schreib- und Leseerleichterungen, wie sie die traditionelle Rechtschreibung bereithält, wieder ermöglicht.

Dabei darf eine absichtsvoll diskriminierende Ausgrenzung der Schüler, die das Richtige lernen, nicht stattfinden. Ein abschreckendes Beispiel lieferte ein Redebeitrag der Abgeordneten Grietje Bettin (Bündnis 90/die Grünen) im Bundestag am 4.12.2004:

Eltern klagten im Namen ihrer Kinder dagegen, dass ihre Sprösslinge die neue Rechtschreibung in der Schule erlernen – mit dem Ergebnis, dass diese für die Dauer des Deutschunterrichts die Klasse verlassen mussten, um in einem Extraraum ganz allein einen gesonderten Unterricht zu genießen.

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Sigmar Salzburg

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Sigmar Salzburg
26.12.2005 10.41
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2. Fortsetzung

Ein willkürliches Ändern an der Rechtschreibung ist kein „Gemeinwohlbelang“

Auch eine weitere Feststellung aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wurde allgemein unterschlagen:

Das Ziel, das Erlernen richtigen Schreibens durch Vereinfachung der Rechtschreibregeln und Schreibweisen zu erleichtern, ist ein Gemeinwohlbelang, durch den die Neuregelung verfassungsrechtlich hinreichend gerechtfertigt ist. Nach vertretbarer Einschätzung des Landes ist die Rechtschreibreform geeignet, dieses Ziel zu erreichen. (157)

Mit anderen Worten: Ein Ändern an der Rechtschreibung nur um des Änderns willen ist kein Gemeinwohlbelang und demnach auch nicht „verfassungsrechtlich hinreichend gerechtfertigt“.

Für ein absichtsvolles, willkürliches Ändern gibt es deutliche Hinweise:

„Als die Kleinschreibung vom Tisch war, bei der ja die meisten Diktatfehler gemacht werden, wollten viele von uns aufgeben“, erinnert sich Augst. „Aber ich dachte, es muss doch zumindest einmal versucht werden. Damit man sieht, dass die Sprache nicht zusammenbricht, wenn man auf ein paar Schreibweisen verzichtet.“
(Reformer Gerhard Augst in SPIEGEL 30/2005)

In der Debatte des Deutschen Bundestages am 26.03.98, die mit dem Beschluß „Die Sprache gehört dem Volk“ endete, sagte der damalige Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer, CDU (Sachsen):

„ … Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten uns darüber einig sein: Diese Debatte ist weniger eine Debatte über Fachfragen als eine politische Debatte. Es geht um die Tatsache, ob dieses Land veränderungswillig und veränderungsfähig ist.

Daher, meine Damen und Herren: Setzen Sie ein positives Zeichen, daß dieses Land nicht veränderungsscheu ist!“


Der österreichische Landesschulinspektor Dr. Karl Blüml, Mitglied und zuletzt Vorsitzender der aufgelösten Reformkommission, wieder Mitglied im Rat für Rechtschreibung, hatte kurz zuvor laut „Standard“ v. 31.01.1998 verraten:

„Das Ziel der Reform waren aber gar nicht die Neuerungen. Das Ziel war, die Rechtschreibregelung aus der Kompetenz eines deutschen Privatverlages in die staatliche Kompetenz zurückzuholen.“

Beobachtungen an der „Reform“ erhärten den Verdacht, daß dies u.a. mit willkürlichen Änderungen an selteneren Wörtern erreicht werden sollte, während andere Schreibweisen, deren Änderung naheliegender gewesen wäre, nicht angetastet wurden.

Obwohl das Wort „behende“ durch Bedeutungswandel seit tausend Jahren keinen graphischen Zusammenhang mit „Hand“ mehr erwünscht sein läßt, wurde dennoch die bis dahin nie dagewesene Schreibweise„behände“ dekretiert („behände Füße“, „behände Fische“). Dagegen wurde das im 19. Jahrhundert häufige „Ältern“ (anstelle von „Eltern“) nicht wiederbelebt.

Wiederum wurde statt der etymologisch richtigen Schreibung „Tolpatsch“ die irreführende Kindergartenschreibung „Tollpatsch“ zur allein richtigen auserkoren. Bei „Alptraum“ hingegen führte man zusätzlich die etymologische Variante „Albtraum“ als zulässig ein.

Schon die verhältnismäßig geringe Zahl von Änderungen, ohne erkennbares System, erhärtet die Vermutung, daß es hier nur um das Setzen von Duftmarken ging, um den Zugriff auf die Rechtschreibung zu erlangen und zu sichern. Dabei war man offensichtlich bemüht, die Eingriffe als nicht wesentlich darstellen zu können. Andernfalls hätte nämlich die Wesentlichkeitstheorie des Verfassungsgerichts zum Zuge kommen müssen. Wolfgang Roth (Bayr. Verwaltungsblätter 1.5.1999, Heft 9, S. 257 bis 266) schreibt dazu:
„Die Verfehltheit der Entscheidung des BVerfG erweist sich auch daran, daß sie eine direkte Einladung zur Verfolgung einer Salami-Taktik darstellt.“

Die Einführung der ß/ss-Schreibung nach Heyse (um 1800), anstelle der seit 600 Jahren unproblematisch befolgten Schlußbuchstabigkeit des „ß“, zählt ebenfalls zu den willkürlichen Änderungen – die wirksamste, um den staatlichen Zugriff auf die Rechtschreibung zu ermöglichen und leicht kontrollierbar sicherzustellen. Da sie nachweislich fehleranfälliger ist (s. die Untersuchungen von Prof. Harald Marx, Leipzig), zudem in weiten Bereichen der Literatur einen allgemeinen Konvertierungszwang unter unnützen Kosten auslöst, zur Entfremdung der jüngeren Generation mit der großen Literatur des Landes führt und nach Einschätzung vieler Bürger außerdem unästhetisch und schlechter leserlich ist, kann auch ihre Einführung nicht als „Gemeinwohlbelang“ angesehen werden.

Es ist auch kein „Gemeinwohlbelang“, wenn die Rechtschreibung mit dem Ziel geändert wird, eine Erleichterung des Schreibens zu erreichen, aber wegen ungeeigneter Mittel und innerer Widersprüche der „Reform“ dieses Ziel offensichtlich nicht erreichbar ist. Dazu müßten auch die unerwünschten und schädlichen Nebenwirkungen für die Millionen Deutschen und die Kultur der deutschen Sprache gegengerechnet werden.

Hier ist das Gericht ohne ausreichende Nachprüfung den Zusicherungen des Bildungsministeriums gefolgt, obwohl spätestens seit dem Einführungsbeschluß der Kultusministerkonferenz und seit Erscheinen der ersten Lexika 1996 eine Fülle äußerst kritischer Untersuchungen vorliegen .

Bereits am 3.5.97 sagte Prof. Peter Eisenberg, damals noch Mitglied der Reformkommission, jedoch bald ausgetreten, jetzt Mitglied im „Rat für Rechtschreibung“, im Sender Freies Berlin:

„Das Regelwerk ist sprachwissenschaftlich so schlecht, daß wir auf seiner Basis nie zu einer einheitlichen Schreibung zurückkehren können. Und hier können Sie sehen, daß das Regelwerk sprachwissenschaftlich auf den Müll gehört.“

Ferner stellte er fest, daß unter unabhängigen Didaktikern Einigkeit darüber besteht, daß „die Anzahl der Fehler nicht zurückgehen wird“.

(Peter Eisenberg: Was tun? Retten, was zu retten ist. In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes, 4/1997, S-128-130, Hier: S. 129)

Und an gleicher Stelle äußerte er: „Aus der Geschichte des Deutschen ist kein vergleichbarer Angriff auf das Sprachsystem bekannt.“

Prof. Dr. Peter Eisenberg sagte deswegen zu Recht: „Man hätte auf die ganze Reform verzichten sollen“.

Selbst Prof. Gerhard Augst, zeitweise Leiter der zwischenstaatlichen Kommission, gibt laut SPIEGEL 30/2005 zu:
„Heute kann man sich nur noch wundern, dass die Kultusminister 1996 das Regelwerk überhaupt noch beschlossen haben.“

Schon 1996/97 wurde erkannt, daß die „Reform“ durch ihre Struktur erkennbar nicht dem „Gemeinwohlbelang“ der leichteren Erlernbarkeit der deutschen Rechtschreibung dienen konnte.

Werner H. Veith, Germanist, Deutsches Institut der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz (Die Welt, 6.10.97):
„Es ist falsch, daß die Vielzahl der deutschen Orthographieregeln auf 112 reduziert worden ist. Die 112 amtlichen Regeln der reformierten Rechtschreibung sind nur umsetzbar, wenn man 1106 Anwendungsbestimmungen berücksichtigt, in denen 105 Wortlisten (Ausnahmen von den Regeln) enthalten sind mit zusammen 1180 zu memorierenden oder nachzuschlagenden Wörtern. Allein im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung gibt es bei sieben Regeln 253 Anwendungsbestimmungen mit 45 Unterregeln, zwei Spezifikationen, 15 Kann-Bestimmungen, 123 Bedingungen, 33 Listen und 28 Verweisen.“

Neben dem Bundesverfassungsgericht hätte auch das OVG Schleswig, ohne dessen Zurückweisung der Klage der Lübecker Eltern das höchste deutsche Gericht wohl kaum bemüht worden wäre, zumindest einen Teil solcher Einschätzungen schon zur Kenntnis nehmen können. Ebenso hätte es den sich formierenden Widerstand der Kulturschaffenden stärker berücksichtigen müssen und auch vermeiden, sich durch unzulängliche Prognosen des Bildungsministeriums instrumentalisieren zu lassen:

Nachdem Regierungsvertreter der deutschsprachigen Länder eine zwischenstaatliche Absichtserklärung unterzeichnet hatten, die deutsche Rechtschreibung neu zu regeln (Wien, 01. 07. 1996), haben namhafte Schriftsteller und Verleger gegen die neue Schreibregelung ihren Widerspruch eingelegt, und zwar unmittelbar nachdem mit dem Erscheinen der ersten Wörterbücher deren Fehlerhaftigkeit erkennbar war. Diese wurden in der sog. „Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform“ mit über 400 Unterzeichnern dokumentiert(FAZ 19.10.96).

Eine repräsentativ abgelehnte Reform ist kein „Gemeinwohlbelang“

Am 27.9.1998 wurde die „Rechtschreibreform“ im Wege der Volksgesetzgebung nach zweijähriger Vorbereitungszeit durch die Volksabstimmung vom 27.9.1998 für die Schulen Schleswig-Holsteins wieder außer Kraft gesetzt.

Damit war die fehlende Akzeptanz der „Rechtschreibreform“ amtlich festgestellt und ebenso, daß ihre Weiterführung und Durchsetzung nicht einem „Gemeinwohlbelang“ entsprach und somit eben nichtverfassungsrechtlich hinreichend gerechtfertigt“ war.

Die Niederlage der damaligen Ministerin Gisela Böhrk und ihre Versuche, den Volksentscheid als unverbindliche Empfehlung zu behandeln, führten zu ihrem Rücktritt.

Trotz des für ganz Deutschland repräsentativen Charakters der Abstimmung mißachteten die Regierungen der übrigen Länder die Tatsache, daß nunmehr die Verordnung der „Rechtschreibreform“ nicht mehr „verfassungsrechtlich hinreichend gerechtfertigt“ war und weigerten sich mit formalistischen Begründungen, dem bekanntgewordenen Willen des Volkes stattzugeben – vor allem, weil das Verfassungsgericht wider Erwarten in sein Urteil hineingeschrieben hatte:

Das Erfordernis eines hohen Maßes an einheitlicher Schreibung, ohne welches Lesbarkeit und Verständlichkeit von Texten und damit Kommunikation zwischen den Schreibenden nicht möglich sind, bedeutet nicht notwendig Übereinstimmung in allen Einzelheiten. Deshalb hat das Ausscheren eines Beteiligten aus dem Kreis derer, die sich zuvor auf gemeinsame Regeln und Schreibweisen verständigt haben, verfassungsrechtlich nicht notwendig die Unzulässigkeit der Neuregelung zur Folge, wenn Kommunikation im gemeinsamen Sprachraum trotzdem weiterhin stattfinden kann. (131)

Genau diese angeblich doch geringfügige Abweichung von der „Übereinstimmung in allen Einzelheiten“ wurde dann aber von den Parteien des Kieler Parlaments zum Vorwand genommen, den Volksentscheid nach nicht einmal einem Jahr zu annullieren. Eine Klage gegen diese Mißachtung des Willens des Volkes – des Souveräns nach dem Grundgesetz – wurde mit Beschluß vom 24. November 1999 (Az. 9 B 111/99) des Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgerichtes abgewiesen, weil Art. 37 Abs. 2 LVerf bestimmt: „Die Gesetze werden vom Landtag oder durch Volksentscheid beschlossen.“ Danach seien beide Alternativen der Gesetzgebung als gleichrangig anzusehen. Diese Entscheidung folgte rein formalistisch der in diesem Punkt unzulänglichen Verfassung, die die Bürger hier nicht vor einem Komplott des Parteien-Egoismus schützt. Nicht zur Entscheidung stand aber die Tatsache, daß nach dem Spruch des Verfassungsgerichtes v. 14.7.1998 die „Rechtschreibreform“ der allgemeinen Akzeptanz bedarf und die Einführung in die Schulen ein Gemeinwohlbelang sein müsse, und daß durch die Ablehnung im Volksentscheid dokumentiert wurde, daß dieses eben nicht der Fall sei. Damit konnte die Zwangsmissionierung der Bevölkerung über den Hebel der Schulen fortgesetzt werden.

Weitere Versuche, die „Rechtschreibreform“ in anderen Bundesländern zu Fall zu bringen, scheiterten, da die Regierungen aus den Erfahrungen in Schleswig-Holstein gelernt hatten und mit verfeinerten Strategien (z.B. in Berlin mit erheblich verringerten Unterschriftenfristen und Auslegestellen, in Bremen mit einem unzulässigen Verbot) die Unterschriftensammlungen behinderten. Zudem galt, je nach Wohnort, ungleiches Recht für die Bürger, denn jedes Bundesland hat andere Bedingungen und Hürden für Volksabstimmungen aufgestellt. Das Ergebnis der Unterschriftensammlung von Berlin wäre in Schleswig-Holstein ausreichend für die Einleitung des Volksentscheids gewesen.

Um den Volksentscheid auch in Schleswig-Holstein zu Fall zu bringen, bereitete der damalige Innenminister Wienholtz ohne Not die Einführung der „Reform“ in die Amtssprache vor, so daß die Schüler des Landes ihre traditionellen Rechtschreibung nicht einmal im Staatsdienst hätten verwenden können. In der abschließenden Landtagssitzung v. 15.9.1999 stellte der Innenminister sein „Verdienst“ so dar:

Mit dem vorliegenden interfraktionellen Gesetzentwurf zur Änderung des Schulgesetzes können Schul- und Amtssprache in inhaltlichem und zeitlichem Gleichklang weiterentwickelt werden. Ich freue mich, daß ich mit meinem Erlaßentwurf zur Amtssprache kurz vor der Sommerpause dazu mit einen Anstoß geben konnte.

Diese faktische Erpressung nahmen die Parteien des schleswig-holsteinischen Parlamentes, – nach einer völligen Kehrtwende der CDU in der bisherigen Ablehnungpolitik – zum Anlaß, in einer Absprache gegen die Bürger nach nicht einmal einem Jahr die volksgesetzliche Einfügung in das Schulgesetz, das der Sicherung des Unterrichts in „alter“ Rechtschreibung dienen sollte, zu annullieren.
Hatte das Volk mit großer Mehrheit für die traditionelle Rechtschreibung gestimmt, so stimmten jetzt die „Vertreter“ des Volkes zu 100 Prozent für die neue Rechtschreibung (nach Art der einstigen „Volksdemokratien“). Dazu wurde der erst ein Jahr zuvor in das Schulgesetz eingefügte Paragraph 10 gestrichen:

In den Schulen wird die allgemein übliche Rechtschreibung unterrichtet. Als allgemein üblich gilt die Rechtschreibung, wie sie in der Bevölkerung seit langem anerkannt ist und in der Mehrzahl der lieferbaren Bücher verwendet wird.

Die Schüler sollten also nicht mehr die „allgemein übliche Rechtschreibung“ lernen dürfen und der Souverän, das Volk, nicht mehr das letzte Wort in dieser Frage haben dürfen. Auch sollten die Eltern nicht mehr über die Erziehung ihrer Kinder bestimmen zu dürfen, obwohl das Schulgesetz in §(6) ausdrücklich das Grundgesetz zitiert: „Bei der Erfüllung ihres Auftrages hat die Schule das verfassungsmäßige Recht der Eltern zur Erziehung ihrer Kinder (Artikel 6 Abs. 2 des Grundgesetzes) zu achten.

Das Bundesverfassungsgericht hat keine grundgesetzwidrige Einschränkung der Elternrechte erkennen wollen. Dem kann nicht gefolgt werden. Es ist doch offensichtlich, daß die Kinder dazu mißbraucht werden, eine vom Volk abgelehnte „Reform“ durchzusetzen. Selbst Reformer Gerhard Augst hatte 1982 davor noch Hemmungen: „Eine Änderung geltender Konventionen und Normen über den Schüler zu erreichen, ist zwar verlockend und wäre, wenn es gelänge, auch am erfolgversprechendsten, aber sie setzt am schwächsten Glied der Kette an.“ (Der öffentliche Sprachgebrauch, Band III: hg. von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Stuttgart 1982, S. 137)

Die Mißachtung dieser Rechte durch Regierung und Parlament wurde damit begründet, daß keins der anderen Bundesländer Schleswig-Holstein im Ausstieg aus der „Rechtschreibreform“ gefolgt sei. Tatsächlich waren jedoch wahl- und parteitaktische Gründe vorrangig. Eine Anpassung der Rechtschreibung in Schleswig-Holstein an die reformierten Regeln der übrigen Bundesländer war nämlich auch nach Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts nicht erforderlich. Es entschied am 20.07.1999 – 1 BvQ 10/99 auf das Begehren eines Klägers, nach den Regeln der „Rechtschreibreform“ unterrichtet zu werden:

Es ist nicht erkennbar, daß die beantragte Entscheidung zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund geboten sein könnte.“
„Auch das Nebeneinander von Alt- und Neuschreibung hat für die Kinder kein nennenswertes Gewicht.


Dies wird auch heute noch von einigen Landesregierungen als zutreffend angesehen: Bayern und Nordrhein-Westfalen lassen weiterhin die alte Rechtschreibung gelten. Es gibt keinen Sachverhalt, mit dem hinreichend begründet werden kann, traditionelle Schreibweisen – wie etwa die der hiesigen Literatur- und Literaturnobelpreisträger Thomas Mann, Günter Grass und Siegfried Lenz – in den Schulen des Landes als Fehler zu verfolgen.

Die verfassungsrechtliche Situation hat der Verfassungsrechtler Rupert Scholz in einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen v. 8.10.2004 zutreffend beschrieben:

Die Rechtschreibreform ist gescheitert. Am grünen Tisch produziert oder diktiert, hat sie der Sprache buchstäblich Gewalt angetan und – folgerichtig – nicht die allseitige Akzeptanz gefunden, deren die Sprache als wichtigstes Mittel gesellschaftlicher Kommunikation bedarf. Und dies schon im sogenannten Erprobungsstadium. […]
Wenn man sich nicht rasch auf eine Rücknahme oder Reparatur der neuen Rechtschreibung einigt, dann droht ein Verfassungsproblem. In seiner Entscheidung vom 14. Juli 1998 hatte das Bundesverfassungsgericht die Rechtschreibreform allerdings – noch – nicht beanstandet. Damals ging es nur um die Frage, ob die schulische Umsetzung einer neuen Rechtschreibung der Gesetzesform bedarf. Dies hat das Bundesverfassungsgericht verneint. Aber es hat klare Maßstäbe für eine rechtmäßige Änderung der Rechtschreibung benannt. So hat das Bundesverfassungsgericht in aller Deutlichkeit festgestellt, daß „der Staat die Sprache nicht beliebig regeln kann“, daß „regulierende Eingriffe“ ihm, dem Staat, in der Regel oder grundsätzlich nur dann erlaubt sind, wenn es darum geht, „Vereinfachungen“ vorzunehmen oder „Widersprüche im Schreibusus und Zweifel an der richtigen Schreibung zu beseitigen“. Ebendiesen Maßstäben wird die Rechtschreibreform jedoch nicht gerecht. Sie verändert die Sprache, sie läßt diese sogar in ihrer bisherigen Mannigfaltigkeit verkümmern. Dies hat mit „Vereinfachung“ oder „Beseitigung von Widersprüchen oder Zweifeln“ nichts mehr zu tun. Dies ist vielmehr pure Willkür, geht an der Pflege gegebener Sprachkultur vorbei und ist damit – in den Worten des Bundesverfassungsgerichts – „beliebig“ und also verfassungswidrig. […] Die Kultusminister stehen nicht nur vor einem sprachkulturellen Scherbenhaufen, sondern auch vor dem drohenden Verdikt eines evidenten Verfassungsverstoßes.
Der Verfasser lehrt Verfassungsrecht und war Bundesminister der Verteidigung.

(Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 235 vom 8. Oktober 2004, S. 10)

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Sigmar Salzburg

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Sigmar Salzburg
23.12.2005 09.39
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(Fortsetzung)

Schon die Durchsetzung der „Reform“ vor dem 1.8.2005 war unzulässig:

Das Bundesverfassungsgericht urteilte am14.7.1998 (BVerfGE 98, 218), daß die „Rechtschreibreform“ kein wesentlicher Eingriff in die Grundrechte sei und daß daher deren Einführung nach der „Wesentlichkeitstheorie“ keines Gesetzes bedürfe.

(Dies ist bestritten worden, siehe: Wolfgang Roth in „Bayr. Verwaltungsblätter“ 1999.)[Jahreszahl korr.]

Das Gericht erkannte nur, daß sich von der Verfassung her kein Verbot von erlaßweisen Eingriffen in die an den Schulen gelehrte Rechtschreibung ergebe.

Der Vorsitzende des Ersten Senats, Hans-Jürgen Papier, hatte schon in der mündlichen Verhandlung vom 12.5.1998 ausdrücklich erklärt, daß das Gericht nicht als „sprachwissenschaftlicher Obergutachter“ tätig sein werde.


Linguistische Argumente gegen die „Reform“, wie sie im Laufe des damaligen Verfahrens Theodor Ickler und Christian Meier als Sachverständige einbringen wollten, fanden keinen Eingang in das Urteil.

Jedoch führte der Senat aus:

„Die Sprache unterscheidet sich von anderen Regelungsgegenständen auch nicht dadurch, daß bei ihr korrekturbedürftige Fehlentwicklungen – etwa im Sinn erschwerter Lehr- und Lernbarkeit – von vornherein ausgeschlossen wären. Der Staat kann die Sprache deswegen aber nicht beliebig regeln. Begrenzende Wirkungen ergeben sich aus der Eigenart der Sprache jedoch nur für Art und Ausmaß einer Regelung, nicht dagegen für eine Regelung überhaupt.“ (….)

Daher ist neben der unterstellten Zulässigkeit der Einführung anderer Schreibungen (ohne Gesetz) außerdem zu prüfen, ob die Anordnungen auch den Anforderungen an sprachwissenschaftliche Richtigkeit genügen.

Der Urteilstext trennt hier Sprache und schriftliche Darstellung der Sprache nicht. Gemeint sein kann hier aber vorrangig nur die Darstellung der Sprache in der Rechtschreibung.

Die seinerzeitige schleswig-holsteinische Bildungsministerin hatte zusammen mit ihren Kollegen der anderen Bundesländer am 30.11./1.12.1995 beschlossen, das 1994 in Wien verabredete neue Regelwerk für die deutsche Rechtschreibung ab dem 1. August 1998 als verbindliche Grundlage für den Unterricht in allen Schulen einzuführen. Die Begründung für diesen Schritt war das damit angeblich mögliche leichtere Erlernen der deutschen Rechtschreibung – ohne seriösen wissenschaftlichen Nachweis. Vermutlich war der einzige Anhalt das sogenannte „Joghurtbecher“-Diktat: Acht Sätze mit eingebauten Rechtschreibfallen, mit dem an bayrischen Schulen eine mindestens 50prozentige Fehlerverminderung nach den neuen Regeln hochgerechnet worden war. Dies aber wurde in ganz Deutschland von der Kultusbürokratie propagandistisch für die „Reform“ ins Feld geführt. Auch von den Schulbuch- und Wörterbuchverlagen wurde mit gezinkten Karten gespielt. Als Beispiel mag der Duden dienen: Am 14.12.98 wurde in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein internes Papier der Dudenredaktion veröffentlicht: „Die inhaltlich falsche, aber politisch wirksame Formel ‘aus 212 mach 112’ muß auch im Duden ihren angemessenen Ausdruck finden.“

Dagegen wurden wissenschaftlichen Untersuchungen von Werner H. Veith, Mainz, die eine Verkomplizierung der Regeln, später auch von Prof. Harald Marx, Leipzig, die eine Vermehrung der Fehlerquoten bei der ss-Schreibung feststellten, von den Kultusverwaltungen schlicht negiert.

Gegen die Einführung der neuen Regeln an den Schulen wurde in Schleswig-Holstein Klage erhoben, aber abgewiesen. Das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht entschied, daß Sprache und Rechtschreibung auf außerrechtlichen Voraussetzungen beruhten und daher die Einführung der Reform keines Gesetzgebungsverfahrens bedürfe. Sie wurde schließlich an das Bundesverfassungsgericht herangetragen. Dieses hatte nicht über „Sinn oder Unsinn“ der Reform zu entscheiden, sondern ausschließlich darüber, ob das Bildungsministerium von der Verfassung her berechtigt sei, eine „Rechtschreibreform“ durch einfachen Erlaß anzuordnen.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts bejahte dieses mit dem Urteil v. 14.7.1998, ließ aber ausdrücklich ein Ausscheren einzelner Länder aus der ministeriell verabredeten Schreibveränderung zu. Dazu übernahm das Bundesverfassungsgericht auch zustimmend die pauschale Bewertung des OVG:

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer hat das Oberverwaltungsgericht in den Gründen seiner Entscheidung die Bedeutung der Rechtschreibreform für die Spracherziehung in der Schule gewürdigt. Es hat die künftige Rechtschreibung in Beziehung gesetzt zum Schulauftrag nach den §§ 4 und 11 SchulG und für die Unbedenklichkeit der schulischen Einführung „einer künftig geltenden Schreibweise der deutschen Sprache“ im Erlaßwege darauf abgestellt, daß sich die Schule lediglich allgemein zu erwartenden Rechtschreibänderungen anpasse. Dazu hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, daß es der Rechtschreibreform nicht nur um eine Änderung der Schreibweise im Unterricht und in der Amtssprache, sondern um eine Reform der Schreibweise der deutschen Sprache im deutschen Sprachraum überhaupt gehe und daß nach der nicht zu beanstandenden Prognose der Kultusverwaltung die Rechtschreibreform die für eine Sprachgeltung notwendige allgemeine Akzeptanz finden werde. (168)

Der zweite Teil dieser Einschätzung ist durch die Entwicklung widerlegt worden. Die „Rechtschreibreform“, insbesondere die 1996 eingeführte, hat nicht die „notwendige allgemeine Akzeptanz“ gefunden. Damit ist aber auch die Unzulässigkeit des Gedankengangs im ersten Teil offenbar, nämlich daß sich „die Schule lediglich allgemein zu erwartenden Rechtschreibänderungen anpasse“. Als in der Zukunft liegend konnte dies keineswegs auch nur mit einiger Sicherheit angenommen werden.

Jedoch konnten mit dieser gerichtlichen Entscheidung im Rücken die Kultusministerien daran gehen, den Versuch zu unternehmen, zusammen mit einer willfährigen Presse zwangsmissionierend „Akzeptanz“ herzustellen. Zwar ist aufgrund solcher fehlgegangener Gerichtsentscheidungen in Teilen der Medien eine gewisse Unterwürfigkeit einzelnen Neuerungen gegenüber festzustellen, aber diese haben nur noch wenig Ähnlichkeit mit dem Reformwerk, das 1996 für die Schulen beschlossen wurde.

Das OVG Lüneburg hat in seinem Beschluß vom 13.09.2005 (Az. 13 MC 214/05) zur Zulassung der Revision eines Urteils in Niedersachsen folgende Schwachpunkte der bisherigen Gerichtsentscheidungen aufgedeckt:

Im oben wiedergegebenen Urteil des Senats vom 20. Juni 2001 hat dieser ausgeführt, dass der Schüler Anspruch darauf habe, in der „richtigen“ Rechtschreibung unterrichtet zu werden. Das sei die allgemein übliche, dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechende und insofern „richtige“ Schreibung. Dass in der Schule „richtiges“ Schreiben gelehrt werden muss, ist und kann auch nicht streitig sein.

Auch das Bundesverfassungsgericht ist in seinem Rechtschreiburteil vom 14. Juli 1998 davon ausgegangen (BVerfGE 98, 218/255), wenngleich auf unzutreffender Grundlage (aaO S. 250/251), nämlich auf der Grundlage der Aussage des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts, mit der Unterweisung der Reformschreibung werde der Deutschunterricht einer „mit Wirkung für die Zukunft normierten Sprachänderung angepasst“ (was denkgesetzlich unmöglich ist, Roth, aaO, S. 260), und der Prognose, die reformierte Rechtschreibung werde sich künftig durchsetzen (Beschl. v. 13.8.97, 3 M 17/97, DVBl. 1997, S. 1193).

Das „Anpassen“ des Rechtschreibunterrichtes an (angebliche) künftige Schreibweisen bedeutet nichts anderes, als dass – allenfalls – künftig geübte Schreibweisen unterrichtet werden, also nicht aktuell übliche, womit – jedenfalls zunächst – (fälschlich) etwas „Unrichtiges“ unterrichtet wird, weil ein entsprechender Wandel definitionsgemäß erst noch erwartet wird. Dies ist aber deutlich verkannt worden, wenn hinsichtlich der Rechtschreibreform ausdrücklich lediglich auf „reformerische Entscheidung staatlicher Entscheidungsträger“ abgestellt wird (BVerfGE 98, 218/253). Den gleichen (Denk-)Fehler macht das Bundesverwaltungsgericht, wenn es einerseits vom „Unterrichten im richtigen Schreiben der deutschen Sprache“ spricht, andererseits dabei aber geltende und künftige Regeln unterschiedslos gleichsetzt („sei es nach den herkömmlichen oder reformierten Regeln“, BVerwGE 108, 355/357).

Demgegenüber hat der Senat zu Recht darauf abgestellt, ob mit reformierten Schreibweisen die allgemein übliche Schreibweise gelehrt werde. Daran ist festzuhalten. Eine dem entgegenstehende irgendwie geartete Bindung an die Urteile des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts besteht insoweit nicht, zumal es dabei auch um die Auslegung von Landesrecht (NSchG) geht, wozu weder das Bundesverfassungs- noch das Bundesverwaltungsgericht befugt wäre.



Es kann also keine Rede sein von einer „Unbedenklichkeit der schulischen Einführung „einer künftig geltenden Schreibweise der deutschen Sprache“ im Erlaßwege“. Die damals konstruierte „Reform von 1996“ ist heute nicht die allgemein „geltende Schreibweise“. Außerdem soll ja selbst in den Schulen nur ein kleiner, durchaus anfechtbarer Teil der ursprünglichen Reform jetzt zwangsweise verbindlich werden.

Aber auch die „Reform von 2004“, die diese ersetzen soll, wird diese bisher verfehlte allgemeine Geltung nicht erreichen. Der „Rat für Rechtschreibung“ plant schon weitergehende Änderungen. Es ist nicht voraussehbar, wie der endgültige Reformvorschlag gestaltet sein wird. Es ist damit festzustellen, daß in der Schule eine spezielle „Schülerschreibe“ gelehrt wird – also weder die künftig geltende, allgemein akzeptierte Schreibweise, noch die von der Mehrheit der Bürger akzeptierte traditionelle Schreibweise, wie sie in der Mehrzahl der vorhandenen Bücher und der deutschen Zeitungen (nach Auflagenzahl) vorgefunden wird. Unter diesen Umständen hätte das OVG seinerzeit der Einführung der Reform an den Schulen nicht zustimmen dürfen.

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht jedenfalls übte anläßlich seiner Entscheidung v. 13.9.2005 Selbstkritik an seiner früheren Entscheidung:

Der Bildungsauftrag des NSchG verlange, dass den Schülern ausschließlich solche Schreibweisen beigebracht würden, die auch insofern „richtig“ seien, als sie der im deutschen Volke geübten Praxis entsprächen. Ungebräuchliche Schreibweisen förderten nicht die Fähigkeit, „sich im Berufsleben zu behaupten“, sondern behinderten diese. Gehe es aber um die üblichen Schreibregeln (der „Schreibgemeinschaft), so könnten Neuregelungen per se nicht dazugehören.

Wenn die Klage trotz dieser (deutlichen) Rechtsaufführungen erfolglos blieb, so allein deshalb, weil der Senat feststellen zu müssen meinte, dass es angesichts der (angenommenen) weiten Verbreitung der geänderten Rechtschreibregeln infolge des Zeitablaufs seit 1996 zunehmend fraglich erscheine, ob tatsächlich noch die Rede davon habe sein können, dass der Unterricht auf der Grundlage der Rechtschreibreform die Schüler darin, sich im Berufsleben zu behaupten, beeinträchtige.


Durch die Fiktion, die Reformschreibung (von 1996) sei „die in absehbarer Zeit geltende neue Rechtschreibung“, wollte das OVG Schleswig herleiten, ihre Einführung in den Unterricht im Einklang stünde mit der Erfüllung des staatlichen Schulauftrags, „Schüler auf ein leistungsorientiertes Leben vorzubereiten“ im Einklang – ein Passus, der aber nun keineswegs auf die Notwendigkeit einer „erleichternden Rechtschreibreform“ hindeutet. Damit aber ließ das Gericht die erlaßweise Anordnung der Rechtschreibreform als zulässig erscheinen und ermöglichte dem Bildungsministerium den rechtlichen Zugriff auf die Umgestaltung der Rechtschreibung, zu der es ohne diese Hilfestellung des Gerichtes nicht gekommen wäre.

Im Widerspruch dazu entzog das Gericht gleichzeitig den widersprechenden Eltern oder auch politischen Kräften des Parlamentes jede rechtliche Einflußmöglichkeit durch die Definition, „für die Einführung der Rechtschreibreform an den Schulen sei ein Parlamentsgesetz nicht erforderlich, weil Rechtschreibung im deutschen Sprachraum nicht auf Rechtsnormen, sondern auf sprachlichen und damit außerrechtlichen Regeln beruhe.

Das Bundesverfassungsgericht entschied, indem es den Darlegungen des Bildungsministeriums und des OVG folgte, daß eine „Rechtschreibreform“ ohne Gesetz und parlamentarische Beteiligung zulässig sei. Es entschied daneben aber auch, daß nicht alle Bundesländer gleichermaßen den verabredeten Änderungen zu folgen brauchten.

In der weiteren Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts wurde nun ein sehr wesentlicher Teil sowohl von den Kultusministern als auch von der unterwerfungssüchtigen Presse unbeachtet gelassen:

Begrenzende Wirkungen ergeben sich aus der Eigenart der Sprache jedoch nur für Art und Ausmaß einer Regelung…(123)

Ohne die einschränkende Wirkung dieses Satzes zu berücksichtigen, wurde die Entscheidung von den Kultusministerien als Freibrief ausgelegt, die „Rechtschreibreform“ trotz aller bis heute nicht ausgeräumten Angriffe sprachliche und grammatische Logik, auf Tradition und gute Sitten, die damals schon öffentlich kritisiert wurden, zum 1.8.1998 in Kraft zu setzen. Ein Jahr später übernahmen Presse und Nachrichtenagenturen diese verkürzte Sichtweise zur Begründung der Umstellung ihrer Texte auf (von der Schulschreibung abweichende) Reformschreibweisen: „Ohne Wenn und Aber hat das Verfassungsgericht die Reform bestätigt“ (FOCUS 30/98).

(Fortsetzung folgt)

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Sigmar Salzburg

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