Heute ... fast so große Verwirrung wie damals
Konrad Duden, der Wortverbesserer
Von Martin Halter. Aktualisiert um 07:56 Uhr
Schreibe, wie du sprichst! Am 1. August 1911 starb Konrad Duden. Er hinterliess das wichtigste Wörterbuch deutscher Sprache und mit ihm eine ganze Industrie.
Babyklappe, Klimakiller, Komasaufen, Zickenalarm: Die «Wörter des Jahrzehnts 2000–2010», mit denen der Duden-Verlag jetzt den 100. Todestag von Konrad Duden feiert, hätten den «Vater der deutschen Rechtschreibung» vermutlich erbleichen lassen und jedenfalls nachhaltig verwirrt. Aber der Duden ist ein «work in progress», das den Sprachwandel nicht bewerten, normieren oder gar blockieren will. Er registriert nur leidenschaftslos, was über längere Zeit hinweg und in verschiedenen Textsorten «in aller Munde» ist.
Jeder deutsche Sprecher (um von den Sprachschützern zu schweigen) hat seine Hasswörter und Favoriten. Im «Lieblingswörterbuch der Prominenten», der zweiten Jubiläumspublikation aus dem Hause Duden, haben gerade berühmte Deutsche wie Joachim Löw («höchste Konzentration»), Jürgen Trittin («Umweltverträglichkeitsprüfung») und Ilse Aigner («Waldeslust») ihre Lieblingswörter genannt.
Der Duden selber aber ist zu staatsmännischer Zurückhaltung verpflichtet, auch wenn er seit der Rechtschreibreform 1996 seinen Sonderstatus als letzte Instanz in allen orthografischen Zweifelsfragen verloren hat. Nach einem Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts sind die Regeln der amtlichen Rechtschreibung nur für Teile der Schriftproduktion bindend; alle andern, auch die traditionell dudenkritischen Schriftsteller, dürfen schreiben, wie ihnen der Schnabel oder die KorrekturSoftware gewachsen ist. Damit herrscht im deutschen Sprachraum wieder eine fast so grosse Verwirrung wie damals, als Konrad Duden mit seinem «Vollständigen orthographischen Wörterbuch der deutschen Sprache» erstmals Ordnung zu schaffen versuchte.
«Seitdem man vom Baume der Erkenntnis gegessen hat und auf Mängel der überlieferten Rechtschreibung aufmerksam geworden ist, hat die harmlose Unbefangenheit im Gebrauch des Alten aufgehört, und doch gibt es nichts Neues, das sich an dessen Stelle hätte setzen können.» Duden litt als Lehrer wie als Patriot unter der babylonischen Sprachverwirrung.
Vom Sopha zum Sofa
Verleger und Korrektoren, Verwaltung und Handel forderten, zumal nach der Reichsgründung 1871, Regeln für eine einheitliche, einfache und präzise Rechtschreibung, aber die Reformer waren schon damals heillos zerstritten und ziemlich weltfremd. Während die «historische Schule» nach dem Vorbild der Gebrüder Grimm eine Rückkehr zur mittelhochdeutschen Rechtschreibung (konsequente Kleinschreibung, Leffel statt Löffel, Bine statt Biene) forderten, wollten die Anhänger einer phonetischen Schreibung das Dickicht der Dehnlaute und unterschiedlichen Schreibweisen radikal lichten. Statt f, ph und v etwa sollte es nur noch ein f geben. Vom Vogel zum Fogel also.
Duden wusste als erfahrener, pragmatischer Schulmann und Demokrat, dass man eine Rechtschreibreform, die auch das ungebildete Volk nicht ausschloss, nicht von oben herab dekretieren konnte. Auch er plädierte für die Kleinschreibung aller Substantive und eine gemässigte phonetische Reform («Schreibe, wie du sprichst»), aber wichtiger als die elitäre, abstrakte Richtigkeit war ihm eine praxistaugliche, konsensfähige Rechtschreibung für alle. Dazu brauchte es langen Atem, Kompromissbereitschaft und Überzeugungskraft.
1872 veröffentlichte Duden ein schmales Wörterbuch für den Schul- und Hausgebrauch an seinem Gymnasium im thüringischen Schleiz. Das Büchlein fand auch bei Gelehrten so viel Anklang und Zuspruch, dass er es 1880, mittlerweile Rektor in Bad Hersfeld, in einer erweiterten, überarbeiteten Version neu auflegen liess.
Ur-Duden führt 28'000 Wörter auf
Anders als die meisten seiner Kollegen liess Duden sich weder vom Scheitern der Ersten Orthographischen Konferenz 1876 noch von politischen Widerständen entmutigen: In mühevoller vergleichender Kleinarbeit stellte er aus allen deutschen Orthografien ein Kompromisswörterbuch zusammen, das bei der Zweiten Orthographischen Konferenz 1901 angenommen und für fast hundert Jahre die Bibel aller Lehrer, Buchdrucker, Redaktoren und Beamten wurde: Noth, Sopha und todt hiessen künftig Not, Sofa und tot.
Seither schwillt der Duden von Ausgabe zu Ausgabe an. Der Ur-Duden führt auf 187 Seiten 28'000 Wörter auf, die 25. Auflage von 2009 schon 135'000 (darunter 5000 neue) auf 1216 Seiten. Vom grossen Traum Dudens sind wir heute freilich weiter denn je entfernt: Die einheitliche, einfache, vernunftgemässe Rechtschreibung ist im Gestrüpp der Lobby- und Interessengruppen, Ressentiments, Privilegien und lieb gewordenen Traditionen noch schwerer durchzusetzen als eine Steuerreform.
Der Duden hat viel von seiner Autorität eingebüsst, aber er gibt sein Alleinstellungsmerkmal nicht kampflos auf. Seit Jahren versucht das Bibliographische Institut in Mannheim, unter dessen Dach sich nach der Wende Ost- und West-Duden wieder vereinten, Anschluss an die Moderne zu finden: mit zeitgemässer Technik wie digitalen Lernhilfen, Podcasts oder einem Onlineportal, Sonder- und Spezialausgaben (vom Fremdwörter- bis zum Stil-Duden) und eher zweifelhaften Versuchen, sich mit Szenewörterbüchern an die internetaffine Jugend ranzuschmeissen.
Der doppelte Konrad
Der 100. Todestag Dudens wird an allen Stationen seines Lebens gebührend gefeiert: In Schleiz wird eine neue Konrad-Duden-Bibliothek eingeweiht, in Wesel hält Dr. Werner Scholze-Stubenrecht, der Leiter der Duden-Redaktion, einen Festvortrag, in Mannheim werden bei einem «Duden-Poetry-Slam» junge Wortkünstler Fremdwörter, Neologismen und Abkürzungen performen.
Dass in Bad Hersfeld zum Jubiläum ein 33 Millionen teures «Science Center Deutsche Sprache» eröffnet werden soll, stiess bei Sprachwahrern schon auf harsche Kritik: Man soll den Namen des heiligen Konrad nicht mit Anglizismen entweihen. «Das erste geisteswissenschaftliche Mitmach-Zentrum», wie das Projekt «wortreich» jetzt heisst, soll ab Herbst unter Anleitung der Sympathiefigur «Konrad» (zufälligerweise ist nämlich auch der Computerpionier Konrad Zuse ein grosser Sohn der Stadt) über 100 000 Besucher jährlich in die Wunderwelt von Sprache und Kommunikation einführen, natürlich interaktiv. Mit dem doppelten Konrad und der zum Erlebnisparcours umgestalteten Industriebrache bekommen endlich auch neue Duden-Wörter wie Abwrackprämie, Ego-Googeln, Schaumparty, Spassgesellschaft, fluffig und supi ihren angemessenen Platz und Sinn.
Basler Zeitung 29.7.2011
|