Die Welt
Montag, 11. Oktober 2004 Berlin, 18:57 Uhr
Kultur
Heraus aus dem Oberseminar
Der Streit um die Rechtschreibreform hat wenigstens das Interesse an Sprachstil befördert
von Rolf Schneider
Die Debatte um die deutsche Rechtschreibung hat einen Buchtypus, der sich der öffentlichen Beachtung sonst eher entzieht, in die vorderen Ränge der Sortimente befördert. Es geht um Äußerungen zu Sprache und Stil. Wer sich in die bestehenden Angebote vertieft, wird überwältigt von deren Fülle und Spektrum; letzteres reicht von der linguistischen Spezialuntersuchung bis zum Briefsteller in Sachen Liebe oder Beruf. Behandelt werden Wörter, ihre Herkunft, ihre angemessene Verwendung, behandelt werden Grammatik, Satzbau, Stil und Schreibweise. Was diese anlangt, sind die Zustände derzeit unübersichtlich; wer es genau halten möchte, hantiert gleich mit zwei Ausgaben des Dudens, der von 1991 und der von 2004.
Unter dem Markenzeichen Duden erscheint außerdem ein mehrbändiges Wörterbuch der deutschen Sprache, das sich nicht nur über die Orthographie, sondern auch über Bedeutung, syntaktischen Gebrauch und Ursprünge äußert. Das Letztgenannte trägt den wissenschaftlichen Namen Etymologie und war lange Zeit ausschließlicher Inhalt von germanistischen Oberseminaren. Das zugehörige Lexikon von Friedrich Kluge, erstmals 1881 erschienen, wurde, in immer neuen Auflagen und mit Ergänzungen immer neuer Bearbeiter, zur schwergewichtigen Pflichtlektüre jedes Deutschstudenten.
Wenn jetzt eine Neuerscheinung erscheint, ist dies bemerkenswert. Der Autor, ein Bulgare namens Boris Paraschkewow, untersucht so genannte etymologische Doubletten: Homonyme, die eine gemeinsame Wurzel, aber differierende Bedeutungen haben, Beispiel Schloß, oder Abwandlungen des nämlichen Wortes bei gleichbleibendem Inhalt, Beispiel radikal/ratzekahl. Wer sich als Nichtgermanist auf solche Lektüren einläßt, muß einiges an Sprachinteresse besitzen. Es befördert zu haben, war das gewiß ungewollte Resultat der letzten Rechtschreibreform.
Nun ist richtiges Schreiben nicht bloß ein orthographisches Problem. Gleichermaßen geht es um richtiges Sprechen, richtiges Formulieren und beider Begründungen. Was die wissenschaftliche Linguistik betrifft, hat sich eine anderswo längst wieder untergegangene Modephilosophie, der Strukturalismus, ihre hier sprudelnde Aktualität erhalten, was wohl damit zu tun hat, daß der Erzvater des Strukturalismus, Fernand de Saussure, seinerseits ein Linguist war. Von ihm bis zu praktischen Vorschlägen vom Typus Wie verfasse ich meinen Lebenslauf? ist es ein weiter Weg.
Zum Beispiel Wolf Schneider. Zuletzt hat der große Hamburger Journalist Studenten der Journalistik unterrichtet, und von seinen insgesamt 29 Büchern wurde das erste, Deutsch für Profis (Goldmann), für angehende Publizisten verfertigt.
Die beiden anderen heißen Wörter machen Leute und Deutsch für Kenner (beide Piper). Jedes Mal geht es vor allem um Stil und Ausdruck, weswegen sich zahlreiche Überschneidungen herstellen. Schneider wettert gegen Fehler, Jargon, Tautologien und Modefloskeln, er tut dies schneidig und unter Verwendung von Metaphern, die manchmal ihrerseits nur schwer verdaulich sind, Mumienwörter etwa oder betrunkene Marionetten. Von Hause aus kein Linguist, nähert er sich der Wissenschaft mit allen Vorzügen und Gefährdungen des Dilettanten, Irrtümer sind selten bei ihm, Vergröberungen häufig. Was am meisten irritiert, ist sein feldwebelmäßiger Tonfall, wobei sich nicht ausschließen läßt, daß eben darauf sein unbestreitbarer kommerzieller Erfolg gründet.
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Judith Macheiner hat mit ihrem Grammatischen Varieté" (Piper) gleichfalls einen Dauerseller verfaßt. Die Anglistin unterscheidet sich von Wolf Schneider vor allem im Stilistischen, sie formuliert vorsichtiger, auch wissenschaftsnäher, was gelegentlich dröge wirken mag oder ein schwer verständliches Fachwelsch erzeugt. Die Tücken von Kasus und Wortstellung, von Konjunktiv und Parenthese, Qual jedes schulischen Deutschunterrichts, sind bei ihr ausführlich und zumeist einsichtig dargetan.
Zwischen Schneider und Macheiner steht Dieter E. Zimmer, mit Titeln wie Deutsch und anders (Rowohlt) und So kommt der Mensch zur Sprache (Haffmans). Er ist der beste Schreiber von den dreien und der sensibelste Deuter obendrein. Als exzellenter Übersetzer aus dem Englischen will er weniger dekretieren als erklären, er ist nachsichtig in seinem Urteil und empfänglich für sprachliche Mutationen.
Die drei Autoren haben gemeinsam, daß sie fast durchweg von Sprache reden, aber hauptsächlich Stilistik meinen. Ihr Ziel ist das vorbildliche Deutsch, demonstrierbar an bewährten Mustern deutscher Dichtung, bei Schneider heißen die Autoren Kleist, Kafka, Büchner, Paul, Benn, Nietzsche, Musil, Walser (Robert) und Mann (Thomas). Andere würden noch Goethe, Fontane, Brecht, Hofmannsthal und Borchardt nennen.
Was ist die Wirkung solcher Sachbücher? Daß jemand nach der Lektüre von Schneider und Macheiner plötzlich anhebt, wie Walter Benjamin zu formulieren, ist unwahrscheinlich und wohl auch nicht wünschenswert. Daß er schlimmste stilistische Unarten hinfort vermeidet, steht zu hoffen, sicher ist es nicht. Es bleibt ihm vielleicht das gelegentliche Nachdenken über Sprache und Sprechen. Es war ihm schon der Anlaß für Kauf und Lektüre. Alles in allem ist das nicht viel. Mehr bewirken die wenigsten Bücher.
Artikel erschienen am Di, 12. Oktober 2004
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