Aus einer vorläufigen Eingabe an das OVG Schleswig
7.4.2008
Das Urteil v. 6.2.2008 ist rechtsfehlerhaft
1. Das VG Schleswig (Einzelrichterin Nordmann) hat Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes nicht beachtet. Das BVerfG hatte am 14.7.1998 geurteilt, daß für Änderungen vom Umfang der „Rechtschreibreform“ ein parlamentarisches Gesetz nicht erforderlich sei. Es hat festgestellt: „Notwendigkeit und Inhalt, Güte und Nutzen der Rechtschreibreform, die Gegenstand der Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit und der Fachwelt sind, können nicht nach verfassungsrechtlichen Maßstäben beurteilt werden.“ Es hat ebenso betont, „nicht sprachlicher Obergutachter“ sein zu wollen (in der mündlichen Verhandlung am 12.5.1998 der damalige Vorsitzende des Ersten Senats, Hans-Jürgen Papier) und ausdrücklich ins Urteil geschrieben:
„Die Sprache unterscheidet sich von anderen Regelungsgegenständen auch nicht dadurch, daß bei ihr korrekturbedürftige Fehlentwicklungen etwa im Sinn erschwerter Lehr- und Lernbarkeit von vornherein ausgeschlossen wären. Der Staat kann die Sprache deswegen aber nicht beliebig regeln.“(BVerfG)
Daraus folgt das Recht der Klägerin und ihrer Eltern, eine sachliche und fachliche Überprüfung der ungebetenen Neuerungen gerichtlich einzuklagen. Dies hat das VG Schleswig verweigert und auch die Hinzuziehung unabhängiger Gutachter abgelehnt.
[…]
2. Das VG Schleswig hat eine Leitentscheidung des OVG Lüneburg zum Nachteil der Klägerin mißachtet. Dieses hatte in einem Beschluß v. 13.8.2005 festgestellt: „Herkömmliche Schreibweisen dürfen im Schulunterricht solange nicht als falsch bezeichnet werden, wie sich reformierte Schreibweisen nicht allgemein durchgesetzt haben.“ (Az. 13 MC 214/05)
Dazu unterstellt das VG Schleswig dem OVG Lüneburg Abweichungen von den Urteilen der höherrangigen Gerichte:
„Soweit das OVG Lüneburg in seinem soeben zitierten Beschluss aus 2005 meint, von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und auch des Bundesverwaltungsgerichts abweichen zu müssen, …“
Dies ist eine erhebliche Verkennung des Streitgegenstandes: Das BVerfG und ihm folgend das BVerwG hatten nur zu entscheiden, ob die Einführung der Schreibweisen gemäß der „Rechtschreibreform“ eines Gesetzes bedarf. Dem widerspricht nicht der – ein Urteil des VG Lüneburg revidierende – Beschluß des OVG Lüneburg, daß auch übliche herkömmliche Schreibweisen in der Schule als „richtig“ zuzulassen sind.
3. Das Urteil des VG Schleswig beruft sich unzulässig auf die Entscheidungsgründe des BVerfG. Es setzt die vom BVerfG nach grober Einschätzung angenommene allgemeine Zulässigkeit von (seither als untauglich erwiesenen) Schreibregeländerungen ohne Gesetz gleich ihrer Richtigkeit und Geeignetheit zur Unterrichtung und Bildung:
„Ist die Rechtschreibung einschließlich der Anrede in Briefen im schulischen Bereich mithin einer staatlichen Regelung zugänglich, kann diese auch von den Ländern getroffen werden. … (BVerfG aaO, S. 248). Die Regelung der Rechtschreibung unterliegt keinem Gesetzesvorbehalt. Eine solche Regelung ist für die Verwirklichung möglicherweise betroffener Grundrechte von Eltern, Schülern oder auch außenstehenden Dritten nicht so wesentlich, als dass der parlamentarische Gesetzgeber sich dem annehmen müsste.(VG Schleswig)
Dieses nicht ganz wörtliche BVerfG-Zitat ist völlig unpassend, da es nur auf den Gesetzesvorbehalt zugeschnitten ist. Zugleich wird aber klar, daß erlaßweise Anordnungen ebenfalls Grundrechte verletzen können. Auch für solches Verwaltungshandeln muß die Geeignetheit der Maßnahme gelten, sind das Willkürverbot und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einzuhalten sowie das Übermaßverbot zu beachten. Dies wird bei der Rechtschreibreform ständig mißachtet:
Beispiel 1
Auch wenn das BVerfG ein Gesetz „Die vertrauliche Briefanrede „du“ schreibt man klein. Großschreibung ist ein Fehler“ für unnötig hält, verletzt doch ein gleicher Erlaß die Persönlichkeitsrechte von Schülern und Eltern und verstößt gegen Gesetze: Menschenwürde, das Recht auf Bildung (GG), auf Erziehung des jungen Menschen … zum politischen und sozialen Handeln (SchulG § 4.4), u.s.w.. Eine „Höflichkeitsreform“ greift ins Persönlichste der Bürger ein (einziges Beispiel der Vergangenheit: Die Einführung des „Deutschen Grußes“ durch Ministerialerlaß im Jahre 1933) – und hat den Staat nichts anzugehen.
Durch diesen Eingriff werden die Persönlichkeitsrechte auch der Klägerin verletzt.
(Daß seit 2006 die traditionelle Großschreibung kein Fehler sein soll, ändert nicht viel, wenn nicht ausdrücklich gelehrt wird, daß sie die übliche Höflichkeit ausdrückt.)
Beispiel 2
Das Verbot der Verkleinerungsform des alten Gewichtsmaßes „Quent“ in der Wendung „ein Quentchen“ und sein Ersatz durch das sprachunmögliche „Quäntchen“ („Fäktchen“ wäre ein Analogon) ist eine willkürliche Sprach-, Sinn- und Sachfälschung als Marotte eines einzelnen Reformkommissionärs. Es mag dem Bildungsministerium unbenommen sein, „Quäntchen“ nicht als Fehler werten. Die einzig richtige klassische Information trägt die Schreibweise „Quentchen“.
Ihr Verbot verletzt die Persönlichkeitsrechte der Klägerin, das Recht auf Bildung und verstößt gegen das Schulgesetz § 4.2, das in den „Wertevorstellungen“ immanent die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Unterrichtung enthält.
Die willkürliche Schreibveränderung kann den Zweck, das „leichtere Lernen“, nicht erfüllen, führt aber gleichzeitig zur Verarmung und Verfälschung der Aussage. Die Maßnahme ist also ungeeignet. Das schulische Verbot von „Quentchen“ und der damit einhergehende Versuch der allgemeinen Ausrottung dieses Wortes und des zugeordneten Begriffes verstößt daher auch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Übermaßverbot.
Ähnliches gilt für die anderen Etymologiefälschungen der „Reform“.
[…]
4. Das VG Schleswig hat Existenz von „Wörterverboten“ abgeleugnet oder für unwichtig erklärt und Beweisanträge dazu abgelehnt. Für die schriftliche Darstellung der deutschen Sprache gilt, daß Wortzusammensetzungen, die als Einheit empfunden werden oder neue Begriffe bilden, zusammenhängend geschrieben werden. Wird die Zusammenschreibung verboten, so verschwindet der Begriff als Wort zunächst graphisch und bei andauernder Indoktrination im Bewußtsein (z.B. „so genannt“).
[…]
Nach dem Scheitern der Trennschreibideologie 2006 wurden zahlreiche Wörterverbote aufgehoben (oft ohne daß die vorherige Diffenzierung wiederhergestellt wurde). Einige Wörterverbote wurden jedoch willkürlich aufrechterhalten. Dazu zählen die Wörter:
„zuviel“, „wieviel“, „soviel“, „jedesmal“ u.ä. und „insonderheit“.
Das Verbot des ersteren wird weithin mißachtet, denn es ist unsinnig, wie die Substantivierung „ein Zuviel“ nahelegt. Zum Verbot des letzteren schreibt Prof. Theodor Ickler in seinem Buch „Falsch ist richtig“ (Droemer):
„Wer hätte denn erwartet, daß am Ende des 20. Jahrhunderts das ohnehin etwas veraltete Wort insonderheit verboten und ein gänzlich antiquiertes Hauptwort Sonderheit wiederbelebt werden würde, nur damit es zur Neuschreibung in Sonderheit und der geistreichen Bemerkung führe, das Wort Sonderheit komme »nur in dieser Wendung« vor? Von solchen skurrilen Einfällen ist die ganze Reform durchzogen.“
[…]
5. Das VG Schleswig hat es abgelehnt, der Klage auf einen Unterricht in traditioneller Zeichensetzung stattzugeben und Beweisanträge dazu zurückgewiesen. Die weiterhin fast unverändert an Schulen gelehrte reformierte Zeichensetzung ist für das praktische Leben unbrauchbar, sofern die Klägerin einem anspruchsvolleren Schreibberuf nachgehen will. […]
6. Auch Grammatikfälschungen („es ist Not“, „er lebt Diät“ „heute Früh“, „heute Abend“ gem. Duden 06) verletzen Persönlichkeitsrechte, sollen aber hier nicht weiter vorgeführt werden.
7. Das Urteil des VG Schleswig v. 6.2.2008 ist parteiisch und befangen.
„Weder der von der Exekutiven [sic] angenommene Gemeinwohlbelang noch die Verhältnismäßigkeit der Rechtschreibreform im engeren Sinne sind heute zu bezweifeln.“(VG Schleswig)
Diese Behauptung ist heute zweifelsfrei widerlegt. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß dieser Satz nur eingeschoben wurde, um das Vorgehen der Kultusminister und die fehlgegangene Einschätzung des BVerfG von 1998 zu stützen und das eigene Urteil abzusichern.
[…]
Von Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Schulleiter und Gymnasiallehrer für Deutsch, stammt die aktuellste der vernichtenden Einschätzungen der „Reform“:
Kraus : … Demgegenüber hat das, was ich Erleichterungspädagogik nenne, so manchen Irrweg hervorgebracht. Zum Beispiel die Rechtschreibreform. (Volksstimme.de 31.03.2008)
Es ist somit erwiesen, daß schon das angestrebte Ziel der „Erleichterung“ keinem Gemeinwohlbelang dienen konnte – ebensowenig wie die dann über die Instrumentalisierung der Schüler durchgeboxte „Reform“. Der Volksentscheid von 1998 hat amtlich dokumentiert, daß auch der „Souverän“, das Volk, die Schreibveränderung nicht als Gemeinwohlbelang anerkannt hat. Spätestens von diesem Zeitpunkt an verstieß die Weiterverfolgung der Rechtschreibreform gegen den Geist des Grundgesetzes.
[…]
In vordemokratischer Zeit dachte man demokratischer: Der Abgeordnete Stephani sagte in der Reichstagsdebatte vom 7. April 1880: „Die Schule soll den Schülern das, was in den gebildeten Kreisen des Volkes zur festen Gewohnheit in Bezug auf Rechtschreibung geworden ist, als Regel beibringen; nicht aber soll die Schule selbst vorangehen, indem die Schulen das Volk zwingen wollen, eine neue Gewohnheit der Rechtschreibung anzunehmen. (n. Kopke)
[…]
Das VG Schleswig hätte mühelos dem Beschluß des OVG Lüneburg folgen können. Offensichtlich meinte es jedoch, sich durch (verfehlte) besondere Linientreue gegenüber dem BVerfG auszeichnen zu müssen.
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Sigmar Salzburg
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