Mißglückte Schlußfolgerung
Henryk Goldberg über eine missglückte Rechtschreibreform
Vor zehn Jahren trat die neue Rechtschreibung in Kraft – ein Beispiel für den unsäglichen deutschen Bildungsföderalismus, meint TA-Autor Henryk Goldberg.
[Bild] Werner Scholze-Stubenrecht, Chef der Duden-Redaktion,in einem Gymnasium in Frankfurt am Main. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa
Konrad Duden, gleichsam der Erfinder der deutschen Rechtschreibung, starb am 1. August 1911, vor 104 Jahren in Sonnenberg bei Wiesbaden. Und es passt, dass an diesem Tag des Jahres 2005, also vor zehn Jahren die neue Rechtschreibung für deutsche Schulen und Behörden offiziell in Kraft trat. Um exakt ein Jahr darauf von der reformierten Reform ergänzt und korrigiert zu werden.
Diese sogenannte Reform, die ihre Gestalt seit 1996 in einem kaum zu überblickenden Chaos aus politischem Trotz und philologischer Federfuchserei mehrfach geändert hat, bedeutete den teilweisen Tod von eben dem, was die kulturhistorische Leistung Konrad Dudens ist: die Vereinheitlichung der Rechtschreibung, die normative Kraft eines deutschen Wörterbuches.
Die Mutter aller Wörterbücher entstand in Thüringen, in Schleiz. Hier lebte Konrad Duden von 1869 bis 1876 als Gymnasialdirektor und veröffentlichte 1872 den Schleizer Duden, unter dem Titel „Die deutsche Rechtschreibung. Abhandlungen, Regeln und Wörterverzeichnis mit etymologischen Angaben“.
Natürlich war das ein Reflex auf die Reichsgründung, die sich ja lang abgezeichnet hatte und zwangsläufig das Bedürfnis einer Einheit auch der deutschen Schriftsprache mit sich brachte.
Verschiedene Haus-Orthografien
1880 folgte dann der Urduden mit etwa 28 000 Stichwörtern, doch erst ab 1915, vier Jahre nach dem Tod seines Begründers, hieß der Duden auch Duden und setzte so dem Begründer der Rechtschreibung ein Denkmal, wie es wenigen beschieden ist.
Man darf Konrad Duden den Erfinder der deutschen Rechtschreibung nennen, weil Rechtschreibung im Grunde nichts ist als Konvention. Rechtschreibung ist kein Wert an sich, sie entsteht durch die normative Vereinbarung einer Sprachgemeinschaft, bestimmte Schreibweisen für verbindlich zu erklären.
Diese Verbindlichkeit, diese normative Kraft war der eigentliche, substanzielle Wert des Duden. Im Zweifelsfalle schaute man dort nach und verfügte über eine zweifelsfreie Schreibweise, deren grundlegende Beherrschung auch als Ausweis von Bildung und Kultur galt, was sich mit der Einführung der Variantenschreibung vor zehn Jahren zwangsläufig geändert hat. Heute gibt es etwa 3000 Varianten.
Privatverlag setzt Normen für die deutsche Sprachgemeinschaft
Es galt, nachvollziehbar, als ein etwas merkwürdiger Umstand, dass ein Privatverlag de facto die Normen für die deutsche Sprachgemeinschaft setzte.
Doch retrospektiv ist festzustellen, dass das privatwirtschaftliche Monopol besser funktionierte als das staatliche, weil es frei war von politischer Raison und philologischen Profilneurosen. Damals sah sich der neue Duden, im Wettbewerb mit gleichrangigen anderen Wörterbüchern, zu etwa 3000 Empfehlungen veranlasst, um so eine Art fertiger Hausorthografie zu schaffen.
Wie es heute in Deutschland in Verlagen und Redaktionen verschiedene solche „Haus-Orthografien“ gibt. Alle ein bisschen anders.
An diesem Todestag, dem 1. August vor zehn Jahren, wurde es gleichsam amtlich, dass die Kultusministerkonferenz durch Inkompetenz und Förderalismusfolklore einen Teil dessen zerstört hat, was Konrad Duden einst schuf.
Die geschriebene Sprache ist, neben der Architektur, das einzige Kulturgut, mit dem jeder zwanghaft in Berührung gerät, ausgenommen die Analphabeten. Der Schriftkörper der Muttersprache ist Teil eines kulturellen Kanons, eines ästhetischen Empfindens auch, in das ohne Not und Konsens nicht eingegriffen werden sollte.
Eben weil Sprache kein konserviertes Museumsgut ist, sondern ein atmender Organismus, kann ihre Reform kein anmaßend administrativer Akt sein, sondern lediglich ein behutsamer Nachvollzug der sich verändernden Gewohnheiten der Sprachgemeinschaft.
Mehr Regeln und weniger Verbindlichkeit
Einschneidende Regel-Änderungen sollten nicht dem Empfinden der Sprachgemeinschaft vorausgehen, sondern ihm folgen, es nicht dekretieren, sondern formulieren. Denn Sprache, gesprochen wie geschrieben, ist etwas, das tatsächlich dem Volke gehört, das ist tatsächlich Volkseigentum.
Es kann in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen nicht die Aufgabe einer Versammlung von Landesministern sein, Millionen von Menschen ein Sprachgefühl zu diktieren.
Dieses Eingeständnis bekundete jetzt offiziell Hans Zehetmair, damals als bayerischer Kultusminister Mitglied der Kultusministerkonferenz und später Vorsitzender des Rates für deutsche Rechtschreibung. Auf die Frage, ob die Reform überflüssig war, antwortete er „In dieser Form sicher“.
Kleines Quizz zur Rechtschreibung
Und die, ob es richtig war, dass sich die Politik der Rechtschreibung angenommen hat: „Nein, das sollte nie wieder vorkommen“. Diese Reform hat beinahe nichts verbessert, sie hat ihre Absurditäten zu mildern versucht, indem sie Varianten erlaubt – was im Grunde die allergrößte Absurdität ist.
Das einzig wirklich greifbare Ergebnis ist die gewachsene Beliebigkeit: Es gibt mehr Regeln und weniger Verbindlichkeit. So ist diese Reform am Ende nichts als die Mahnung, endlich den deutschen Bildungsförderalismus zu reformieren. Es sind die Schulen und die Schüler, die heute leiden unter der deutschen Kleinstaaterei.
Henryk Goldberg / 22.08.15 / TA
thueringer-allgemeine.de 22.8.2015
So richtig Henryk Goldberg die Kulturbanauserie Rechtschreib„reform“ beschreibt, so falsch ist sein Gedanke, dies mit dem Bildungsföderalismus in Verbindung zu bringen. Eine Bundesbildungsministerin Schavan hätte ebenso wie der Nazi-Erziehungminister Rust die „Reform“ ohne Diskussion mit einem Federstrich in Kraft setzen können, erstere dank des verfassungswidrigen Freibriefs vom Bundesverfassungsgericht, letzterer wurde nur vom ausbleibenden „Endsieg“ gehindert.
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