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Sigmar Salzburg
06.10.2010 20.51
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Dossier: Stuttgart 21 und der Bürger-Protest

Höchste Eisenbahn

Es geht nicht mehr allein um einen Bahnhofsneubau, der Protest richtet sich auch gegen die Arroganz der Macht.
VON CHRISTIANE FLORIN

... Was der Krieg in Afghanistan nicht schafft, gelingt einem Bahnhof in Schwaben: Er treibt Menschen auf die Straße …

DB-Chef Rüdiger Grube spricht den Demonstranten das „Widerstandsrecht“ ab. Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus ist entschlossen, konservative Kante wider den „Druck der Straße“ zu zeigen….

Es demonstrieren Alte und Junge, Linke und Rechte, Wackersdorf-Gestählte und schwäbische Hausfrauen, Botanik-Kenner und Städter, die einen Nussbaum mit einer Kiefer verwechseln. Diese neue Einmischung-Mischung müsste die Politik irritieren. Doch von Innehalten keine Spur. Ungebremst spult das Establishment seine Rhetorik ab, begleitet von Journalisten, die das Wort „Erregungsdemokratie“ pünktlich auf die Schiene setzen.

Ein Politiker mit Zeit zum Zwischenhalt könnte sich fragen, was diese Veränderungsallergie ausgelöst hat. Wer einige Groß-Innovationen am geistigen Auge vorbeirollen lässt, findet wenig Ermutigendes. Bei der Rechtschreibreform kam auf halbem Weg das Ziel abhanden, beim G8 bleibt die Kindheit auf der Strecke, vom Bologna-Prozess verstehen sogar Professoren nur Bahnhof. … Ob Bildung oder Bau: Verantwortung übernimmt keiner für die Fehlsteuerungen. Politik – ein Verschiebebahnhof.

Der Stuttgarter Zorn richtet sich gegen die Arroganz der Macht. Politiker beschwören den „Mann von der Straße“, den Mann auf der Straße verachten sie. Dabei ist Demonstrieren besser als Resignieren, Transparente sind Hinterzimmer-Intransparenzen überlegen. Dass sich Regenten über eine lebendige Demokratie freuen, ist nicht zu erwarten. … Nach den Bäumen könnte die Regierung fallen. Wer, wie Mappus, nie „Wehrt euch, leistet Widerstand“ gesungen hat, kann nicht einfach den Wagen anspannen. Er muss die Straße ernst nehmen. Es ist höchste Eisenbahn.

merkur.de 7.10.2010

Auch Zehetmair, Holzapfel, Simonis u.a. sprachen seinerzeit dem Volk das Recht auf Widerstand ab (gegen die Rechtschreibreform) – Demokratur, wie sie leibt und lebt.

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Sigmar Salzburg
20.08.2009 15.19
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Mehr Macht für die Bundesbildungsminister(in)?

Deutschlands Eltern kritisieren den Föderalismus. Und die SPD macht mit
Bundessache
Die Eltern sehen die nationale Aufgabe Bildung bei den Ländern in den falschen Händen.

VON HANS-JOACHIM NEUBAUER

Wer ist der Feind der Kinder? Fragt man Deutschlands Eltern, fällt die Antwort deutlich aus: Landesbildungspolitiker. Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage würden neun von zehn Eltern schulpflichtiger Kinder den Bildungs-Föderalismus abschaffen zugunsten einheitlicher nationaler Standards. Können sich 91 Prozent der Eltern irren?

… Und wozu die Kultusministerkonferenz, das bildungsföderale Koordinierungsgremium, taugt, zeigt die Rechtschreibreform.

Bildung als Bundessache: Die SPD jedenfalls begreift die 91 Prozent als Signal. …Franz Müntefering lädt zu einem Bildungskongress nach Kiel ein. An dessen Ende wird die SPD ihr Wahlkampfthema haben. Die rote Schattenbildungsministerin heißt Andrea Nahles. …

Rheinischer Merkur Nr. 34, 20.08.2009

Eine Bundesbildungsministerin Nahles wäre die Böckin als Gärtnerin (näheres hier und hier mit Suche „Nahles“).
Dann könnte die „Reform“ von 1973 wieder in Kraft gesetzt werden („der keiser isst al, der apt opst“), ohne daß ein bundesweites Volkbegehren dagegen zulässig wäre. Allerdings wäre mit einem Bundesministerium auch die Beseitigung solcher Volksbelästigungen einfacher. Statt 16 Richtige im Kultusminister-Lotto zu haben, wäre ein Treffer ausreichend.


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Norbert Lindenthal
16.12.2008 18.41
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Das fängt mit der Rechtschreibreform an.

Rheinischer Merkur 11.12.2008

DEUTSCH IM GRUNDGESETZ 

Ich kreide an

Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, fordert Verfassungsrang für unsere Sprache und wettert gegen Sprachverfall und Anglizismen-Inflation.

[Bild: Schreibtafel]

Rheinischer Merkur: Braucht die deutsche Sprache eine Erwähnung im Grundgesetz? Was bewirkt das?

Josef Kraus: Es wäre schlicht ein Stück Normalität. Zwei Drittel der EU-Länder haben die Landessprache in ihrer Verfassung verankert. Auch in der Türkei hat das Türkische Verfassungsrang.

RM: In der Türkei gibt es eine ideologische Abgrenzung zur kurdischen Sprache, in Deutschland haben wir keine vergleichbaren Probleme.

Kraus: Doch. Wir steuern sprachlich auf Parallelgesellschaften zu. Berlin-Kreuzberg und -Neukölln sind fast schon autarke Gebiete. Vom Gemüsehändler bis zum Zahnarzt spricht dort alles türkisch. Ich sehe deshalb die Festlegung auf Deutsch als Landessprache als einen wichtigen Schritt zur Integration.

Die Vorschläge Cem Özdemirs, mehr Türkisch in deutschen Schulen zu lehren, oder des türkischen Premiers Erdogan, der in seiner Kölner Rede sagte, Assimilation sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der türkische Universitäten und Schulen in Deutschland forderte – das alles schmälert eher die Chancen von Bürgern mit türkischem Migrationshintergrund.

RM: Ist dieser Vorstoß nicht eine Wiederauflage der Leitkulturdebatte?

Kraus: Natürlich hat es etwas damit zu tun. Ich habe damit kein Problem, vielmehr stört es mich, wenn der Begriff Leitkultur als quasi-faschistoid wie eine verbale Keule gegen jeden, der diesen Begriff gebraucht, geschwungen wird. Es geht um Identifikation mit einem Gemeinwesen. Sprache ist nun mal die ganz entscheidende Basis von Kultur, weil sich Kultur ganz besonders über Sprache vermittelt.

RM: Normalerweise wird im Grundgesetz etwas festgeschrieben, was es zu schützen gilt. Vor wem oder was muss die deutsche Sprache geschützt werden?

Kraus: Wir müssen die deutsche Sprache schützen gegen einen niveaulosen, globalisierten Sprach-Mischmasch und gegen eine seichte Anglisierung. Im Kampf gegen dieses ausufernde BSE, Bad Simple English, hätte eine entsprechende Grundgesetzpassage eine Signalwirkung. Frankreich hat den Passus mit der Landessprache in seine Verfassung geschrieben und daraus Konsequenzen gezogen, zum Beispiel bei der Abwehr von Anglizismen. Für Zuwanderer ließe sich im Übrigen aus einem Verfassungsrang der Landessprache auch ein gewisser Anspruch ableiten, nämlich dass dieser Staat alles tut, um das Erlernen seiner Sprache zu fördern.

RM: In Frankreich besitzt die Académie Française die Sprachhoheit. Wer wacht hier über die Einhaltung? Die Duden-Redaktion oder das Bundesverfassungsgericht?

Kraus: Ich möchte keine Sprachwarte, die wir, was die Sprache der „political correctness“ betrifft, sowieso schon haben. Ein vorbildlicher Umgang mit der Sprache muss in freiwilliger Selbstverpflichtung an erster Stelle von den Medien, vor allem den öffentlich-rechtlichen, ausgehen. Auch Politiker, sogenannte Experten, Wissenschaftler und, Pardon: Auch Journalisten haben hier einiges zu tun und ein ordentliches, differenziertes, ausdrucksstarkes und verständliches Deutsch zu sprechen beziehungsweise zu schreiben. Und auch in der Schulpolitik gibt es da einiges nachzuholen.

RM: Worin liegen denn deren Versäumnisse?

Kraus: Das fängt mit der Rechtschreibreform an. Sie hat die Attitüde vermittelt, Sprache sei nichts Exaktes und hat damit der Beliebigkeit das Wort geredet. Das Ergebnis sieht man nach zehn Jahren in den Zeitungen, vor allem aber in den Schülerköpfen. Wir haben außerdem den Deutschunterricht in der Stundenzahl in einem Maße zurückgefahren, wie das kein anderes Land mit seiner Muttersprache tun würde. Selbst in sprachlich per se anspruchsvolleren Schulformen, in den Gymnasien, gibt es Jahrgangsstufen, wo pro Woche nur drei Stunden Deutsch unterrichtet werden. Es kommt hinzu, dass man weitgehend auf Literaturkanons verzichtet hat. Bei Deutschtests haben Schüler zum Teil nur noch Lückentexte zuzustöpseln und Multiple-Choice-Kreuzchen zu machen.

RM: Wäre es nicht genauso sinnvoll, eine Lanze für die deutsche Sprache im Ausland zu brechen, wo sie an Bedeutung verliert?

Kraus: Es ist tatsächlich ein gewaltiges Versäumnis, das ich der Bundesregierung, der Außenhandelswirtschaft und der Wissenschaftspolitik in Deutschland anlaste. Das beginnt mit der schwindenden Bedeutung der deutschen Sprache in der EU, es setzt sich fort in der mangelnden Bereitschaft deutscher Unternehmen, im Ausland die deutsche Sprache zu gebrauchen, und es schlägt sich auch nieder in der Geringschätzung dessen, was im deutsch-französischen Kulturabkommen festgelegt ist. Dort verpflichten sich die beiden Partner, die Sprache des jeweils anderen zu fördern.

Wir Deutschen tun das mit dem Französischen, indem etwa die Hälfte unserer Gymnasiasten und viele Realschüler in den entsprechenden Regionen Französisch lernen. Die Franzosen kümmern sich relativ wenig darum, dort hat das Deutsche erheblich verloren gegenüber dem Spanischen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Franzosen eine schulpolitische Kampagne zugunsten des Deutschen machen.

RM: Und was soll die Außenpolitik tun?

Kraus: Aufwachen! Sie hat die Stabilisierung des Deutschen im osteuropäischen Raum verschlafen. Ich sehe die Gefahr, dass es dort vom Englischen verdrängt und nicht mehr als erste Fremdsprache gelehrt wird. Im Wissenschaftsbetrieb meinen quasi-englisch radebrechende Professoren, sie würden sich als besonders modern erweisen, wenn sie Vorlesungen auf Englisch halten. Anträge bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft werden auf Englisch gestellt, obwohl die Gutachter Deutsche sind. Das sind alles Entwicklungen, die ich mit Sorge sehe.

RM: Selbst konservative Politiker haben sich zum Vorstoß „Deutsch ins Grundgesetz“ beim Stuttgarter CDU-Parteitag bedeckt gehalten. Auch die Kanzlerin. In anderen Parteien gibt es dafür überhaupt keine Mehrheit. Woran liegt es, dass die Politiker diesbezüglich so vorsichtig sind?

Kraus: Ob das Konservative sind, lassen wir einmal außen vor. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert zeigte sich doch sehr überrascht über die jüngsten Äußerungen der Kanzlerin, er hatte von ihr anderes in Erinnerung. Wirklich ärgerlich sind die Beiträge eines Herrn Ströbele und anderen von den Grünen. Von Deutschtümelei und solchem Unsinn war da die Rede. Ich halte das für maßlos überzogen, ja für nachgerade lächerlich.

RM: Wer schützt das Deutsche vor dem falschen Deutsch?

Kraus: Die Tatsache, dass manche nur einen Wortschatz von 800 bis 1200 Vokabeln nutzen, ist kein Argument, Sprache schleifen zu lassen. Ich bedaure sehr, dass Sprache im gesellschaftlichen, medialen und pädagogischen Bereich immer nachlässiger gesehen wird. Da gibt es gewaltige Sünden. Was uns vor allem private elektronische Medien zumuten, das ist inszenierter Sprachverfall. Wer Sprache verhunzt, muss öffentlich als lächerlich dastehen.

RM: Wenn sich für diese Kampagne keine Mehrheit findet, ist dann der Imageschaden der deutschen Sprache nicht umso größer?

Kraus: Gewiss wäre der Kitt, den dieses Gemeinwesen eigentlich nötig hat, dann noch ein bisschen brüchiger und es bekämen diejenigen Oberwasser, die eine Atomisierung in verschiedene Sprachkulturen und Parallelgesellschaften wünschen. Aber ich bin optimistisch.

RM: Wie soll das konkret aussehen?

Kraus: Ich denke in zeitlichen Dimensionen, die weit über die nächste Bundestagswahl hinausgehen. Es wäre allerdings nicht verkehrt, wenn das Thema in den kommenden Wahlkämpfen artikuliert würde, damit das Volk weiß, wie Politiker hier denken. Unsere Identität schöpfen wir doch hoffentlich nicht nur aus einem Sozialstaatspatriotismus und aus Debatten um Hartz IV oder Konsumgutscheine. Wir sollten uns über Alltagsprobleme hinaus unverkrampft mit Fragen nach unserer Identität befassen. Die leidenschaftliche Beschäftigung mit unserer Sprache wäre ein wunderbarer Einstieg.

Josef Kraus arbeitet als Oberstudiendirektor in Landshut. Das Gespräch führten Raoul Löbbert und Andreas Öhler.

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Sigmar Salzburg
17.07.2008 09.05
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... im Zwielicht der Hintergrundgremien ...

LEOPOLDINA / Chance für Deutschland – Halles Akademie ist das nationale Haus des Wissens

VON HANS-JOACHIM NEUBAUER

Kultur ist Ländersache. Wie in Stein gemeißelt, prägt dieser Rechtsgrundsatz den Umgang mit Bildung, Wissen und Forschen in Deutschland. Nicht nur zum Besten der Bürger. Die Debatte um die Rechtschreibreform und, erst kürzlich, die Diskussion um die achtjährige Gymnasialzeit haben gezeigt, wie anfällig der kulturelle Föderalismus dafür ist, Entscheidungen von nationaler Tragweite im Zwielicht der Hintergrundgremien nach Maßgabe des Mittelmaßes zu treffen. Gut, dass nun eine Bresche in die eng gefügte Mauer aus föderal motivierten Eitelkeiten und Zuständigkeiten gebrochen wurde: Halles Leopoldina, die älteste naturwissenschaftliche Akademie Europas, ist Nationale Akademie der Wissenschaften. …

Rheinischer Merkur Nr. 29, 17.07.2008
http://www.merkur.de/2008_29_polkom_03.29146.0.html?&no_cache=1

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Sigmar Salzburg
17.01.2007 20.48
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Was Merkel von Hardenberg lernen kann

ALEXANDER GAULAND

Es ist ein merkwürdiger Widerspruch. Allen Umfragen zufolge wünscht eine überwältigende Mehrheit der Befragten Reformen von Staat und Gesellschaft. Und auch der Bundespräsident, der, ein wenig nervend, auf solchen Reformen besteht, genießt höchstes Ansehen. Doch immer dann, wenn Reformen in konkrete Gesetzesvorhaben münden, ist es mit der Einmütigkeit vorbei und der Grad der Zustimmung sinkt rapide.

[...]

Kein Politiker, nicht Kohl, nicht Schröder oder Merkel, hat dem Reformbegriff mehr geschadet als die Betreiber der Rechtschreibreform. Hier fand statt, was Reformgegner überall vermuten: das sinnlose, hochmütige Beseitigen von Bewährtem ohne Not, das Außerkraftsetzen des konservativen Grundsatzes: Wer verändern will, trägt die Beweislast.

http://www.merkur.de/2007_03_Was_Merkel_von_Ha.18057.0.html?&no_cache=1

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Norbert Lindenthal
12.08.2004 15.10
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Rheinischer Merkur

12.8.2004

BRENNPUNKT – RECHTSCHREIBDEBATTE

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EDITORIAL

Frage der Vernunft


Autor: MICHAEL RUTZ
Klar ist, dass sich etwas ändern muss an den Inhalten der überflüssigerweise angezettelten Rechtschreibreform: Sie enthält neben einigen sinnvollen Neuerungen zu viel blühenden Unsinn, als dass sie unverändert 2005 in Kraft gesetzt werden dürfte.

Im Rheinischen Merkur hatten wir deshalb nur die zwingendsten sprachlichen Neuerungen umgesetzt und so die Provokation für den (nicht nur literarisch, sondern auch altsprachlich) gebildeten Leser begrenzt – unsere Leser haben uns das gedankt. Die Ankündigung anderer wichtiger Publikationen, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, bedeutet zunächst nichts anderes als eine Entscheidung darüber, von welcher Position aus man die anstehenden Reform-Reformen abwartet.

Auch wir werden diesem Prozess vom wesentlich einsichtigeren Fundament der „alten“ Rechtschreibung zusehen, um dann zu beurteilen, wie vernünftig das Residuum ist. Der Kanzler, hören wir, ist für die Durchsetzung der Reform. Das allerdings ist belanglos. Die Sprache gehört ihm nicht.

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Norbert Lindenthal
12.08.2004 12.56
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Rheinischer Merkur




(Nr. 33, 12.08.2004)

BRENNPUNKT – RECHTSCHREIBDEBATTE

RECHTSCHREIBUNG / Auch der RM entscheidet sich für die klassische Schreibweise

Die Notbremse

Eine Reform läuft aus dem Ruder, immer mehr Verlage kehren zurück zur bewährten Praxis. Schreibt jetzt jeder, wie er will? Die Nation bleibt gespalten.

Autor: HANS-JOACHIM NEUBAUER
In einem August wurde sie eingeführt, in einem August sollte sie gültig werden, in einem August könnte sie scheitern: Der achte Monat ist der Schicksalsmonat der Rechtschreibreform. Als sie, nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, vor sechs Jahren zur Norm der Schulen wurde, schien sicher: Nach Ende der Übergangsfrist würde sie im August 2005 endgültig verbindlich sein. Doch jetzt, knapp ein Jahr davor, droht ihr das Aus. Der Reform des Schreibens fehlt die Akzeptanz der Schreibenden.

Spiegel Verlag, Axel Springer Verlag, die „Süddeutsche Zeitung“ und andere Medien kündigen die Rückkehr zur alten Rechtschreibung an. Politiker unterstützen sie dabei, Schriftsteller jubeln, eine Gruppe von Juristen fordert gar einen Volksentscheid über Fragen der Silbentrennung und des Stammprinzips. Alles nur Sommertheater?

Keineswegs. Die ungewohnte Allianz von Wissenschaftlern, Autoren, Journalisten und Politikern zeigt: Die Kluft zwischen der Kulturpolitik der Länder und der Wirklichkeit der Schreibenden, so sie älter sind als zwanzig Jahre, ist tief. Der Medienboykott kann den Untergang der Reform bedeuten, der August könnte ihr Ende einläuten. Denn unmöglich kann die Politik darüber hinweggehen, dass zwei Drittel der nationalen Printmedienauflage zur alten Rechtschreibung zurückkehren. Noch aber lehnen Teile der SPD und manche CDU-Granden einen Stopp der Reform ab.

Der Schritt der Verlage polarisiert. Die Massenmedien, schrieb einst der Soziologe Niklas Luhmann, produzieren nicht nur Öffentlichkeit, sie repräsentieren sie auch. Mit ihrer spektakulären Intervention erweisen sie sich nun als vierte Macht, als gewichtiger Player im Spiel der gesellschaftlichen Kräfte. Das gilt es zu beachten, will man die Konsequenzen ihrer Entscheidung ermessen, die nicht weniger als eine Notbremse bedeuten in einem lange unaufhaltsam scheinenden Prozess. Längst ist aus der Reform eine Reform der Reform geworden. Listen auf Listen mit Wörtern erscheinen, werden revidiert oder variiert; jede neue Auflage der Wörterbücher schafft neue Rätsel: Was gestern richtig war, ist heute falsch und wird morgen zur tolerierten Variante.

So gelang es den Reformern, den Kredit, den sie mit einigen achtenswerten Vorschlägen errangen, zu verspielen. Niemand wird eine permanente, kultusbürokratisch gesteuerte Revolution des Schreibens wollen, keinem kann daran gelegen sein, den orthografischen Graben zwischen den Generationen weiter zu vertiefen. Mit ihrem Boykott streiten die Verlage für verständliche, einheitliche und sinnvolle Regeln.

Und plötzlich steht die Orthografie auf der großen Agenda. Jetzt reden sogar Politiker von Kultur. Und das mit Nachdruck. Besonders auf Landesebene outen sich einige, teilweise gegen ihre Kultusminister, lautstark als Verfechter der rechten Schreibung. Das Thema ist wahlkampftauglich, und schon liegt ein Hauch von Kulturkampf über dem Land: Hier lagern die Wahrer der alten Schreibung, dort die Anhänger der Reform. Doch der Eindruck trügt, denn neben den frisch ernannten Kulturblättern „Bild“ und „Bild am Sonntag“ stehen Namen von Schriftstellern wie Günter Grass, Hans Magnus Enzensberger oder Adolf Muschg – allesamt Vertreter einer Kultur, die eine Verwechslung mit dem Boulevard kaum zu fürchten hat. Und auf der anderen Seite findet sich Gerhard Schröder plötzlich an der Seite von Roland Koch und Annette Schavan.

Die Verweigerer der neuen Rechtschreibung folgen nicht nur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die im August 2000 nach einem Jahr das orthografische Experiment für sich beendete. Auch die meisten deutschsprachigen Autoren, die Wissenschafts- und Kunstakademien, viele angesehene Literaturverlage und andere Kulturorganisationen verweigern sich seit Jahren vehement den Eingriffen in die alte Orthografie. Sie fordern eine Rückkehr zum Duden von 1991, sie fordern Einheitlichkeit der Schreibverhältnisse, sie fordern – darin sind sie eben Deutsche – den Rückzug des Staates aus der Rechtschreibung. Sie wissen: Die Sprache wächst, und die Normen haben ihr zu folgen. Nicht umgekehrt.

Auch Grass und „Bild“ kennen die Gründe, die gegen eine leichtfertige Rücknahme der neuen Regeln angeführt werden. Den ersten bilden die Kosten. Mit Investitionen in Millionenhöhe rechnen die Schulbuch- und Literaturverlage bei einer Rücknahme der Reform. Doch solche Lasten ließen sich durch großzügig bemessene Übergangsfristen leicht minimieren; Korrekturen kann man in ohnehin fällige Neuauflagen einarbeiten.

Als zweites Argument wird auf die europäischen Nachbarn verwiesen. Was für uns gilt, gilt auch für die Schweiz und Österreich. Die reformkritischen Politiker sind aufgerufen, ihren Worten auch Taten folgen zu lassen und auf transnationaler Ebene für neue Koalitionen zu sorgen. Nach über hundert Jahren internationaler Koordination könnte ein deutscher Alleingang nur einer der Praxis, kaum einer des gemeinsamen Rechts sein.

Der dritte und schwerwiegendste Einwand gegen die Rücknahme der Reform betrifft die Kinder. Es gebe keine nennenswerten Probleme an den Schulen, die neuen Regeln werden problemlos praktiziert, berichten viele Lehrer, andere Pädagogen dagegen schildern gravierende Probleme beim Umgang mit Zeichensetzung und Getrenntschreibung. So vertrauen die Gegner der Reform ganz auf die Lernfähigkeit der jungen Generation. Es gilt, bei den Kindern und Jugendlichen für die Vorteile der alten Schreibung zu werben, damit wir endlich die Rechtschreibung wirklich verbessern können. Werben bedeutet, auch aktuelle Texte in der traditionellen Rechtschreibung zugänglich zu machen, werben heißt vielleicht auch, zu Zugeständnissen bereit zu sein – etwa bei der weitgehend akzeptierten Neuregelung der „ss/ß“-Schreibung.

Die Orthografie gehört den Schreibenden und Lesenden. Deshalb kehrt der Rheinische Merkur, unterstützt vom Wunsch vieler Leser, demnächst zur klassischen Rechtschreibung zurück. Wir verstehen diese Entscheidung als ein Bekenntnis zur literarischen Tradition, aber auch als Schritt in Richtung auf eine sinnvolle und pragmatische Einigung. Die Geschichte der Reform zeigt: Ohne publizistischen Druck ist sie nicht zu reformieren.

Dabei geht es uns nicht um die Tradition um ihrer selbst willen; sinnvolle und behutsame Änderungen schließen wir nicht aus, schließlich ist die Orthografie ein Teil der lebendigen Sprache. Was sich bewährt, werden wir übernehmen – auf der Basis der klassischen Regeln und, wie wir glauben, im Einvernehmen mit unseren Lesern.

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Norbert Lindenthal
12.08.2004 11.39
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Rheinischer Merkur




12.8.2004

BRENNPUNKT – RECHTSCHREIBDEBATTE

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LÄNDER / Die Kultusminister sind gespalten in Reformer und Bewahrer

Alles im Fluss oder im Fluß?


IRRITIERT: Schüler brauchen eindeutige Regeln statt vieler Varianten im Wörterbuch. Foto: Keystone

Autor: BIRGITTA MOGGE
Ein ruhiger Sommer ist den Kultusministern der Länder nicht beschieden. Das verhindert die neu aufgeflammte Auseinandersetzung über die rechte Schreibung. Auch untereinander sind sich die obersten Bildungschefs nicht einig, wie die Schüler (und möglichst auch Medien und Verlage) zu schreiben haben: reformiert oder traditionell. Die Mehrheit will die neuen Regeln zum 1. August 2005 verbindlich umsetzen, weil sie sich – aus Sicht unter anderem von Karin Wolff (CDU, Hessen), Doris Ahnen (SPD, Rheinland-Pfalz) und Klaus Böger (SPD, Berlin) – im Wesentlichen bewährt haben; nur der saarländische und der niedersächsische Kultusminister, Jürgen Schreier und Bernd Busemann, beide CDU, sind dagegen, wobei Busemann die Rechtschreibreform für „endgültig gescheitert“ hält, Schreier nicht.

Sie haben ihre Ministerpräsidenten im Rücken. Die CDU-Politiker Peter Müller und Christian Wulff wollen zur alten Orthografie zurückkehren. Ihr Amts- und Parteikollege Wolfgang Böhmer, Sachsen-Anhalt, ebenfalls. Dagegen gibt sich Bayern-Chef Edmund Stoiber (CSU), der zunächst sehr kritisch war, eher moderat: Er will das Thema „ohne Vorfestlegung und ergebnisoffen“ auf der Ministerkonferenz Anfang Oktober diskutieren. Baden-Württembergs Landesvater Erwin Teufel rügt zwar die Rechtschreibreform als „übers Ziel hinausgeschossen“, will aber den Beratungen ebenfalls nicht vorgreifen. Seine Kultusministerin Annette Schavan sieht keine Mehrheit „für ein schlichtes Zurück zum alten Regelwerk“, denn die Ministerpräsidenten- wie die Kultusministerkonferenz müssen einstimmig entscheiden.

Brandenburg bietet derzeit das bunteste Bild: Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) ist für Teilkorrekturen, sein Stellvertreter Jörg Schönbohm (CDU) hält die neue Orthografie für „ein Chaos“, Bildungsminister Steffen Reiche (SPD) will sie nicht zurücknehmen und lobt die „erheblichen Vereinfachungen“. Die sehen Kritiker wie Bernd Busemann nicht. Er wäre aber bereit , „eventuell wenige weitgehend akzeptierte Neuerungen (zum Beispiel die Schreibung „ss/ß“) beizubehalten“. Auch andere Minister verlangen Korrekturen.

Keine Kultusministerin und kein Kultusminister hat je behauptet, dass die neuen Orthografieregeln ein perfektes Werk wären. Deshalb wurde eine siebenjährige Testphase bis zum 1. August 2005 vereinbart. Umsetzung und Akzeptanz der neuen Regeln wurden von einer Zwischenstaatlichen Kommission begleitet, die der Kultusministerkonferenz (KMK) regelmäßig berichtet. Anfang Juni beschloss die KMK, die neuen Regeln vor allem in Bereichen der Groß- und Kleinschreibung sowie Getrennt- und Zusammenschreibung aufgrund des vierten Kommissionsberichts zu überarbeiten und zum August 2005 in den Schulen verbindlich zu machen.

Wer's anders haben wollte, musste jetzt handeln. Der saarländische Kultusminister Jürgen Schreier (CDU) sorgte zunächst dafür, dass die Rechtschreibreform wieder auf die Agenda der KMK gesetzt wurde und am 14./15. Oktober verhandelt wird. Sein Standpunkt: „Eine neue Rechtschreibung gegen den Alltagsgebrauch terminlich zu fixieren und durchzusetzen ist nicht durchhaltbar.“ Und: „Man kann Schülern nicht zumuten, dass etwas in der Schule als Fehler gewertet wird, was sie in den gängigen Zeitungen und Zeitschriften täglich anders lesen.“ Schreier plädiert deshalb dafür, den Termin für das Ende der Übergangsfrist, August 2005, fallen zu lassen: „Ich möchte die Rechtschreibreform nicht zurückdrehen“, erklärt Schreier, „sondern die Revision dieses Beschlusses.“ Und er will Druck machen, dass der geplante Rat für deutsche Rechtschreibung im Herbst eingesetzt wird, sofort mit der Arbeit beginnt und „Kompetenzen hat, etwas zu verändern“.

Nein, „abtrünnig“ fühlt er sich nicht, auch wenn er einstimmige KMK-Beschlüsse konterkariert. Auch sei es den Kindern zuzumuten, „verschiedene Schriftbilder zu sehen“. Sprache stehe im Wettbewerb: „Man kann Schriftsprache nicht dekretieren. Man kann per Erlass nur normativ nachvollziehen, was sich entwickelt hat.“

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Norbert Lindenthal
11.08.2004 14.39
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Rheinischer Merkur

Leserbriefe 22.7.2004

Rechtschreibung:  Wo bleibt die Reform?

„Volkes Sprache“, Nr. 30 (22.7.)
Ich möchte dem Leitartikel von Michael Rutz zur Rechtschreibreform aus vollem Herzen zustimmen. Leider war in den letzten Jahren „des Öfteren“ Unsinniges über die überflüssige Reform in Ihrer Zeitung zu lesen, weshalb ich sie zunehmend mied.

Die Kultusminister (und auch die NRW-Schulministerin Ute Schäfer) behaupten seit der voreiligen, Fakten schaffenden Einführung der Reform immer wieder, dass sich die neuen Regeln an den Grundschulen sehr gut lehren ließen. Das ist aber kein Wunder, denn von den meisten Mängeln der Reform sind die lieben Kleinen noch gar nicht betroffen. Michael Rutz moniert deshalb zu Recht, dass „die Kultusminister bei ihrer Konzeption nicht etwa die große Mehrheit der Leser, sondern die Schreibschüler im Auge“ hatten. Dieser Denkfehler ist die Hauptursache für das grandiose Scheitern der Reform. Nur an einem Punkt stimme ich Rutz nicht zu: Die Ministerpräsidentenkonferenz wird es allein nicht schaffen, dem Volk die Sprache zurückzugeben, da Einstimmigkeit nicht zu erwarten ist.

Stattdessen muss die Presse als vierte Gewalt im Staate ihrer Verantwortung endlich gerecht werden. Warum kehrt der Rheinische Merkur nicht wieder zu den „alten“ Schreibweisen des 20. Jahrhunderts zurück, die trotz der politischen Wirren und Katastrophen eine erstaunliche Einheitlichkeit aufweisen? Die gelähmten Politiker und vor allem das Volk würden es Ihnen danken.
Hans-Jürgen Grosser, 34414 Warburg


Schön, dass Michael Rutz so deutliche Worte findet. Die „scharfe Revision“ wird demnächst stattfinden, auch ohne politische Anleitung; die Vorbereitungen dazu sind im Gange. Hoffentlich wird sich Ihre Zeitung der Initiative anschließen. Es wäre zweifellos im Sinne der Leser.
Reinhard Markner, 12163 Berlin


Ich danke Michael Rutz von Herzen für diese Stellungnahme zur unsäglichen Schreibreform. Da der Rheinische Merkur nicht Teil einer Behörde oder einer Schule ist, erwarte ich jetzt Konsequenzen. Dann werde ich Ihr Blatt wieder abonnieren.
Anne Frey, 79199 Kirchzarten

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