Westfälische Nachrichten
Interview mit Bastian Sick
Der lustige Sprachbewahrer
Vor zwei Jahren erschien der mittlerweile sechste Teil der Bestsellerreihe „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“. Autor Bastian Sick beantwortet darin auf sehr humorvolle Art Fragen zur deutschen Grammatik. Heute liest er im Bürgerhaus Kinderhaus in Münster die Höhepunkte aus der seit 13 Jahren erscheinenden Serie.
Von Carsten Vogel
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Meine These ist ja, dass die Holländer nicht nur aufgrund der fehlenden zweiten Lautverschiebung, sondern vor allem deshalb besser Englisch sprechen, weil sie eben [Kinofilme] nicht synchronisieren, sondern untertiteln.
Sick: Das ist richtig. Die Niederländer haben weniger Berührungsängste mit dem Englischen, weil sie es schon als Kinder hören. Hinzu kommt, dass ihre Sprache historisch betrachtet ein Bindeglied zwischen dem Niederdeutschen und dem Englischen ist. So wie Englisch hat sich auch Niederländisch schon vor geraumer Zeit vom Genitiv verabschiedet.
Damit wären wir fast beim Thema. Aber ich muss noch eben dazwischenschieben – und wahrscheinlich tue ich den Niederländern jetzt unrecht –, aber ich finde, dass jede Romantik flöten geht, wenn jemand sagt „Ik hou van jou“.
Sick: (singt „Ik hou van jou, alleen van jou“) Eines der Kuriosa, auf die man stößt, wenn man Niederländisch lernt, ist, dass „lieben“ mit dem Wort „halten“ ausgedrückt wird – was allerdings mehr wie „hauen“ klingt. Eigentlich ein schönes Sinnbild dafür, wie eng Liebe und Schmerz beieinanderliegen.
Ich wage mal einen drastischen Übergang weg vom Holländischen. Von „Der Genitiv ist dem Dativ sein Tod“ gibt es jetzt sechs Bände. Sind weitere geplant?
Sick: Im Juni erscheint erst einmal ein neues „Happy Aua“-Buch mit dem Titel: „Schlagen Sie dem Teufel ein Schnäppchen“. Vielen muss man dabei das Wortspiel erklären, weil sie den Begriff „Schnippchen“ nicht mehr kennen. Trotzdem geht es in diesem Buch tatsächlich um Schnäppchen, also um Angebote aus Fachgeschäften, Supermärkten und dem Kleinanzeigenbereich. Dort findet man die kuriosesten Schreibweisen, dass man sich vor Lachen ausschütten kann.
Wo finden Sie so etwas? Ich stelle mir zum Beispiel vor, dass sich Ihnen beim Lesen von Texten in sozialen Netzwerken die Fußnägel hochkrempeln müssten…
Sick: Fehler findet man überall – weil es kaum noch Korrekturinstanzen gibt. Selbst in den Zuschriften meiner Leser, die ja schon überdurchschnittlich gut Bescheid wissen, wimmelt es von Fehlern, insbesondere bei der Zeichensetzung. Die ist in den vergangenen Jahrzehnten von unserem Schulsystem arg vernachlässigt worden.
Seit der Rechtschreibreform bin ich aber auch verunsichert. Wir setzen beispielsweise bei zwei Hauptsätzen, die mit „und“ verbunden sind, ein Komma.
Sick: Das war früher die Regel, heute ist es fakultativ. Man darf es weiterhin setzen, wenn es der Klarheit dient. Das Komma ist ja keine Schikane, sondern eine Lesehilfe. Es signalisiert, dass man eine kleine Pause machen, mal kurz Luft holen soll, weil jetzt etwas Neues kommt. Ich war auch nie dafür, dieses Komma abzuschaffen. Ich war sowieso gegen vieles, was bei dieser Rechtschreibreform beschlossen wurde. Letztlich hat sie eine Simplifizierung angestrebt, die einer Verflachung gleichkommt. Es gibt so viele Beispiele, die von der Rechtschreibreform abgeschafft werden sollten ...
Bei der Getrennt- und Zusammenschreibung beispielsweise …
Sick: Genau. Dabei geht ein wichtiges Mittel der Unterscheidung verloren, wenn man Wörter wie „sitzenbleiben“ und „weitgereist“ nicht mehr zusammenschreiben kann. Denn ein „weitgereister“ Mensch ist etwas anderes als ein „weit gereister“. Der Erste ist belesen, hat Erfahrung gesammelt, ist weise geworden – der Zweite ist viel herumgekommen, muss dabei aber gar nichts gelernt haben (lacht).
Ich ärgere mich darüber, dass ich gar nicht weiß, ob ein Morgen nebelig grau oder einfach grauenvoll ist, weil das Wort „gräulich“ nicht mehr differenziert wird.
Sick: Die Rechtschreibreform hat versucht, all diese feinen Unterschiede plattzuwalzen und einzuebnen, um es den Benachteiligten leichter zu machen. Das ist in meinen Augen ein völlig falscher Ansatz.
Bei uns stirbt gerade das münstersche Adjektiv aus. Überall liest man vom „Münsteraner Oktoberfest“ oder von der „Münsteraner Erklärung“, was einfach falsch ist.
Sick: Das gibt es auch in anderen Städten. Ich bin ja gebürtiger Lübecker. Dort gibt es das schöne Adjektiv „lübsch“, aber das kennen heute nur noch die Älteren.
Haben Sie denn den Eindruck, dass Ihre Bücher helfen, die Sprache zu bewahren?
Sick: Indirekt schon, denn meine Bücher werden von vielen Lehrern gelesen, die ihr Wissen weitergeben. Ob ihre Schüler es dann behalten, steht auf einem anderen Blatt (lacht). Es gibt aber auch schöne Erlebnisse, die das belegen. Einmal stand ich in einer Hamburger Bäckerei. Die heißen ja heute alle „Backshop“. Ich frage mich dann, wie englischsprachige Touristen das lesen. (Ahmt eine Frauenstimme nach) „It‘s a backshop, darling, what does this mean, a Hinterladen?“
Sehr schön ( lacht)
Sick: Ich stand also in diesem „Hinterladen“, und vor mir bestellte eine Frau ein leckeres belegtes Brötchen. Als ich an der Reihe war, sagte ich, ich hätte gerne dasselbe. Da erwiderte die Verkäuferin: „Das geht nicht. Ich kann dasselbe Brötchen nicht zweimal verkaufen. Ich kann Ihnen höchstens ein gleiches anbieten – zum selben Preis.“
Donnerwetter…
Sick: Sie nehmen es ja sehr genau mit der deutschen Sprache, habe ich der Verkäuferin gesagt. Worauf sie erwiderte: „Ja freilich, kennen Sie nicht das Buch ‚Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod‘? (lacht). Nein, log ich, davon habe ich noch nie gehört. Das war herrlich, sein eigenes Werk um die Ohren gehauen zu bekommen.
Im Internet geistert ein Meme herum, da steht „Was ist das für 1 Life vong Ursprung her“. Also Jugendsprache in sozialen Netzwerken …
Sick:... Die ist aber kein Indiz für den Niedergang der Sprache, sondern im Gegenteil ein von der Jugend betriebener kreativer Umgang mit der Sprache. Das haben wir damals auch gemacht. Wir haben die Sprache benutzt, verändert, modelliert. Wir hatten Spaß damit, und das hat die heutige Generation auch. Im Hiphop oder im Kiezdeutsch findet man zahllose Beispiele dafür. Das hat seine Berechtigung. Die Frage ist nur: Lernt man daneben auch noch das „klassische“ Deutsch, unseren Standard? Der ist nämlich wichtig, zum Beispiel für Bewerbungen. Wer da den Konjunktiv richtig zu setzen weiß, ist klar im Vorteil.
Was erwartet denn unsere Leser am Freitag in Münster noch?
Sick: Wo wir gerade davon sprechen: Ich werde zum Beispiel meine „Ode an den Konjunktiv“ zum Besten geben. Ein Gedicht, das im Konjunktiv II geschrieben und sehr lustig ist. Außerdem eine Geschichte über die vielen schrägen Vögel in unserer Sprache; nicht allzu ernste Gedanken über politische Korrektheit, jede Menge aberwitziger Fundstücke auf großer Leinwand – und ein kleines Quiz mit dem Publikum.
Bitte vervollständigen Sie doch mal die folgende Analogie. Wenn Wolf Schneider die Inge Meysel der Sprachhüter ist, dann ist Bastian Sick …
Sick: Als Mutter der Nation war Inge Meysel natürlich die Strengere. Da bin ich wohl eher die Helga Feddersen.
wn.de 20.1.2017
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