Urteil v. 14.7.1998
Gedenktag
Heute vor elf Jahren, am 14. Juli 1998, erklärte das Bundesverfassungsgericht den Mißbrauch von Schülern zur Durchsetzung von Rechtschreibreformen für Rechtens. Bereits drei Wochen vor der Anhörung, also Ende April 98, wurde bekannt, daß das politisch besetzte Gericht die „Reform“ durchlassen wolle (s. FDS 26.6.09). Deswegen die Eile der Entscheidung, deswegen die Farce der Anhörung fast nur von Reformbefürwortern, deswegen die Entscheidung trotz Rücknahme der Klage. Im Urteil selbst dann die Verharmlosung der „Reform“ zur zweiprozentigen Schreibveränderung („abgesehen von der s-Schreibung“), die Verfälschung der ablehnenden Stellungnahme der Zeitungsverleger zur harmlosen Kostenbagatelle, die Würdigung der Kompetenz der Kultusverwaltungen (widerlegt durch die Wirklichkeit), die Herleitung der Eingriffsrechte des Staates aus früheren Eingriffen undemokratischer Verwaltungen usf.
Um das vorgebliche Ziel der „Reform“, Fehlerverminderung und Lernerleichterungen, zu erreichen, hätte es genügt, den Schulverwaltungen das Recht einzuräumen, bestimmte sinnvolle Abweichungen von der Dudenschreibung den Schülern nicht als Fehler anzurechnen.
Zu einem solchen Machtverzicht waren aber die politischen und juristischen Kräfte nicht bereit.
Formal ging es in Karlsruhe nur darum, ob die „Reform“ eines parlamentarischen Schulgesetzes bedarf. Zumindest bei der alle Texte zersetzenden ss-Schreibung wäre das eindeutig zu bejahen gewesen, denn die Schüler sollten ja etwas einüben, das sie im Leben nicht hätten gebrauchen können. Daß sich dann das Zeitungs- und Buchwesen dieser Erpressung weitgehend unterworfen hat, ist ein anderes Kapitel.
An sich sollte die Tragweite des Karlruher Urteil nicht sehr erheblich sein, denn es können ja Teilaspekte der „Reform“ auch landesrechtlich überprüft werden. Ein Teilerfolg war der Beschluß des OVG Lüneburg 2005, wonach allgemein akzeptierte Schreibungen nicht in der Schule als Fehler bewertet werden dürfen. Daß die Verkündung des Urteils durch den Aufschub bis zum Abitur der Klägerin und zur Pensionierung des Richters verhindert wurde, zählt zu den vielen Merkwürdigkeiten der Reform-Groteske.
War in Lüneburg die Akzeptanz maßgebend, so wurde sie vom Verwaltungsgericht Schleswig für bedeutungslos erklärt, obwohl gerade dieser Aspekt doch die Grundlage der Entscheidung desselben Gerichtes von 1997 war, dann sogar vom höchsten Gericht geadelt. Auch der laue Hinweis des Bundesverfassungsgerichtes, „begrenzende Wirkungen“ für eine Reform ergäben „sich aus der Eigenart der Sprache“, erwies sich in Schleswig als wirkungslos. Lehrer werden also weiterhin zur sprachlichen Lüge verpflichtet – etwa zur „Quäntchen-Lüge“: Daß Schüler nicht das alte Gewichtsmaß „Quentchen“ kennenlernen sollen, und wenn sie das Wort dennoch verwenden, mit der Fehlerkeule verfolgt werden. In Schleswig habe ich diese Entscheidung als „Narrenfreiheit für die Kultusminister“ gebrandmarkt, worauf die Richterin anmerkte, daß sie das nicht ins Protkoll aufnehmen wolle.
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Sigmar Salzburg
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