Rechtschreibreform
Worte auf Verdacht
[Wandtafel „Bankrott gehen, bankrottgehen“]
Nachher war nichts besser, sondern alles egal: Vor allem im Internet schreibt heute jeder, wie er will. (BILD: dpa)
Von Steffen Könau
Zwei Jahrzehnte nach der großen Rechtschreibreform ist das Schreiben flüssiger geworden: Im Internet und überhaupt hat die Sprache ihre Regeln verloren. Offensichtlich schreibt heute jeder, wie er will.
Es muss irgendwo unterwegs auf dem langen Weg zwischen der Einführung der Rechtschreibreform am 1. August 2005 und heute gewesen sein, als das Komma starb. [Nein, es begann schon 1996 in den Schulen!] Es war ein stiller Tod, von niemandem bemerkt oder bedauert. Es gab nun Talkshows, die „Hart aber fair“ hießen. Und Zeitschriften, die warben, in ihnen sei zu „lesen was gesund macht“. Kein Komma, nirgends. Und keine Träne wurde ihm nachgeweint.
Der Anfang eines Endes, das ein neuer Anfang für die bis heute gültige Schriftform der deutschen Sprache geworden ist. Galt im Zeitalter vor der dritten und letzten Rechtschreibreform der Grundsatz, dass ein Wort geschrieben wird, wie es geschrieben wird, weil es anderenfalls falsch geschrieben wäre, so hat die 2004 und 2006 reformierte Reformrechtschreibung vor allem eine Auflösung dieser Verbindlichkeit bewirkt. Manche Zeitungen hielten sich an die neuen Vorgaben, andere blieben bei den alten. Einige taten erst dies, dann wieder das. Und doch grüßt täglich der Rechtschreibfehler.
Auch Freizeitschreibern geht es so ähnlich. Schulwissen hat sich im Ungefähren aufgelöst. Aus „Zierat“ wurde „Zierrat“ und aus Potential Potenzial, der Thunfisch konnte nun auch ein Tunfisch sein und neben „aufwendig“ ist jetzt auch das neue „aufwändig“ möglich.
So viele Möglichkeiten. So viel Ungewissheit. Allerdings ist bald klargeworden, dass es dort, wo niemand mehr etwas weiß, völlig egal ist, ob man selbst noch eine Ahnung hat. Die Rechtschreibreform brachte so Selbstbewusstsein zu denen, die bis dahin schüchtern verbergen mussten, dass sie sich nicht zu Hause fühlten im geschriebenen Wort.
Das Ergebnis ist jeden Tag auf Whatsapp, Facebook, Twitter und den Diskussionsforen der Nachrichtenportale zu besichtigen. Regellosigkeit ist die Regel. Nach dem Komma und all den anderen Satzzeichen stirbt die Grammatik, sterben Satzbau und der Anspruch, Gedanken geradeaus zu formulieren.
Stattdessen liest der Schauspieler Til Schweiger, der sich für Flüchtlinge stark gemacht hat, auf seiner Facebook-Seite hieroglyphische Kommentare. „Wenn ich diese Kohle hätte wie mancher Promi dann wäre es mir auch egal wer sich da vor meiner gut gesichten Villa tummelt, da gibt es noch einen der ganz oben in einer Hotelsuit wohnt“, schreibt einer im Stil des Kochs einer Buchstabensuppe, der sie bei Tisch ausschüttet.
Das ist die übliche Tonart im Netz. Ein Gemisch aus Jugendslang, Unwissen, Luschigkeit, T9-Automaten und elektronischer Autokorrektur. Leberwurst wird zu Lederausstattung, Lyoner zu Lügner, heute zu Hure und Frauenlogik zu Fragebogen. Weil es immer schnell gehen muss, schaut niemand nach. Und alles landet so bei Whatsapp-Empfängern, Twitter-Followern, E-Mail-Empfängern und in der Facebook-Öffentlichkeit. Wo früher ein Komma war, ist heute ein Nichts. Wo es Bindestriche gab, klaffen Löcher. Wo Groß- und Kleinschreibung Orientierungshilfe gab, reihen sich kopflose Zeilen aneinander. Wo etwas Sinn hatte, schleichen sich Übersetzungen aus dem Englischen ein. Da macht es dann Sinn, besser nicht mehr nach dem Sinn zu fragen.
Groß, klein, zusammen oder auseinander. Alles ist richtig, nichts ist falsch. Der Deppenapostroph, der „Uschi’s Imbiss“ und „Peggy’s Nagelstudio“ nach dem Ende der DDR die Weltläufigkeit eines amerikanisches Kleinstadtdiners verleihen sollte, feiert traurige Urständ. Und der seltene Schulterblick danach, wie etwas geschrieben werden müsste, gilt 160 Jahre nach Grimms Deutschem Wörterbuch nicht dem Duden. Sondern Google, der großen Wahrheitsmaschine. Die weiß alles, aber sie weiß es auch nicht: Brillant schreibt sie „brilliant“. Das ist zwar falsch. Aber bestimmt nicht mehr lange. (mz)
mz-web.de 31.7.2015
[Einschübe im Text:]
Geblieben ist das Doppel-S
Von Anfang an umstritten, dann boykottiert und reformiert die Rechtschreibreform brachte zahlreiche Änderungen, die von den erwachsenen Schreibern zu einem großen Teil nie akzeptiert worden sind. Dass „After-shave-Lotion“ früher „After-Shave-Lotion“ geschrieben wurde, heute aber „Aftershavelotion“ oder „Aftershave-Lotion“ geschrieben werden soll, leuchtet kaum ein.
Ebensowenig [heute „falsch“], welchen Vorteil es hat, das früher zusammengeschriebene „drinsein“ heute zu trennen, während das ehemals getrennte „darüber hinausgehend“ nun ein Wort sein soll. Bleibend an der Reform war so für viele nur die Ablösung des „ß“ durch das Doppel-S. Aber Vorsicht: Großstadt und Fußball haben ihre ß behalten! (stk)
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