Sprach-Pegida?
Der Germanist Prof. Henning Lobin kritisiert, daß der Fachzeitschrift „Forschung & Lehre“ eine Werbebeilage des Anglizismen-Jägervereins VDS beigelegt wurde. Der Verein ist allerdings mitunter obskur, insbesondere was seine zwiespältige Einstellung zur Rechtschreib„reform“ betrifft. Das dürfte aber auf den Hochschulverband in noch unterwürfigerem Maße zutreffen. Außerdem gehören dem VDS auch Professorenkollegen an. Witzig ist, daß jüngste politische Wertungen rückwirkend auch auf den VDS übertragen werden, um ihn als „rechts“ einordnen zu können:
Sprach-Pegida und der Deutsche Hochschulverband
• 25. Juli 2016|
• Von Henning Lobin
Ein Sturm der Entrüstung hat sich gerade unter germanistischen Sprachwissenschaftlern erhoben. Was ist passiert? Anfang Juli war eine neue Ausgabe der Zeitschrift „Forschung & Lehre“ (F&L) erschienen, die vom Deutschen Hochschulverband (DHV) in einer Auflage von mehr als 30.000 Exemplaren herausgegeben wird. Der DHV ist der Berufsverband der deutschen Uni-Professorinnen und -Professoren. [...]
Beim Aufschlagen der Juli-Ausgabe von F&L fiel den knapp 30.000 Mitgliedern des DHV, die diese Zeitschrift automatisch erhalten, eine Werbebeilage des „Vereins Deutsche Sprache“ (VDS) in die Hände. Es handelte sich um die aktuelle Ausgabe der „VDS-Sprachnachrichten Nr. 70„, in der dieser Verein, 1997 ursprünglich als „Verein zur Wahrung der deutschen Sprache“ vom Dortmunder Statistik-Professor Walter Krämer gegründet, seit bald 15 Jahren seine Sicht auf die sprachliche Welt erklärt. Seine Identität bezieht der VDS durch die Kritik an der angeblichen Anglizismenflut im Deutschen, der er mit der Verleihung des „Sprachpanschers des Jahres“ Nachdruck verleiht. Dem Verein gelingt es immer wieder, große mediale Aufmerksamkeit zu erringen, und unter seinen 36.000 Mitgliedern gibt es eine ganze Reihe von Prominenten, die meinen, sich wegen des drohenden Untergangs der deutschen Sprache öffentlich bekennen zu müssen.
Das alles legitimiert natürlich noch lange nicht die Kritik der Sprachwissenschaftler. Schon nachdenklicher hätten die Herausgeber von „Forschung & Lehre“ allerdings werden können, wenn sie sich die Leserbriefe der beigelegten Ausgabe der „Sprachnachrichten“ (S. 24/25) zu den häufig hochpolitischen Artikeln früherer Ausgaben angesehen hätten. Da kritisieren die eigenen Mitglieder des Vereins die Verwendung von Wörtern wie „Wahrheitsverschleierungsrhetorik“, „Völkerwanderung“, „Genderwahn“, „Sprachimperialismus“ und „Lügenmedien“ in der vorletzten Ausgabe der Mitteilungsblatts und fordern, dass der VDS nicht „zu einer nationalkonservativen und AfD-nahen ‚Fruchtbringenden Gesellschaft‘ […] mutieren“ darf. Deutschland brauche keinen „Verein, der im Kampf für die deutsche Sprache […] den Rechtspopulisten und Nationalisten […] in die Hände spielt.“ Ein anderer Leserbriefschreiber kritisiert die Verwendung des Begriffs „Obrigkeitsstaat“ und stellt fest: „[… R]aunend eine Verschwörungsvermutung anklingen zu lassen, stößt ins Horn eines populistischen Deutungsschemas, wie es die AfD gerade propagiert“. Eine Leserin beklagt im Zusammenhang mit einem früheren Artikel zur „Gendersprache“ das Fehlen eines „sachlichen Diskurses“ [...]
Ein offener Brief
Der Grund allerdings, warum Thomas Niehr, Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der RWTH Aachen, einen offenen Brief verfasst hat, den neben 35 weiteren Linguistinnen und Linguisten auch ich selbst unterzeichnet habe, ist die Wissenschaftsfeindlichkeit, die dem gesamten Verein zugrunde liegt und auch die „Sprachnachrichten Nr. 70“ durchzieht. An verschiedenen Stellen wird beklagt, dass die Linguistik nicht normativ und sprachplanerisch arbeiten würde. [...]
Den antiwissenschaftlichen Vogel schießt allerdings der bekannte Publizist Wolf Schneider in seinem Beitrag auf Seite 15 ab. Er knöpft sich in seiner Kolumne „Schneiders Ecke“ in dieser Ausgabe der „Sprachnachrichten“ den Grammatik-Duden vor, der seit Jahrzehnten von renommierten germanistischen Linguisten in immer neuen, an den aktuellen Forschungsstand angepassten Auflagen verfasst wird [inklusive Kotau vor der Kultusminister-„Reform“ ]. Er regt sich darüber auf, dass in diesem Duden für einen Satz, der mit „der die das“ beginnt, eine grammatisch korrekte Deutung angegeben wird, womit der Grammatik von den „hochnäsigen Verfassern“ ein „Hochaltar“ errichtet werde, anstatt diesen Satz einfach als sprachlichen Sondermüll zu klassifizieren und so umzuformulieren, wie es Wolf Schneider auf der Henri-Nannen-Schule seinen journalistischen Adepten beigebogen hätte. Der „Urzweck der Sprache“ werde dadurch „auf den Müll geworfen: die Kommunikation.“ Schuld daran ist die akademische Linguistik, die nicht präskriptiv sein will, sondern deskriptiv. In Schneiders Kolumne ist soviel Unfug versammelt, dass man gar nicht hinterherkommt, diesen ganzen Unrat wegzuräumen. [...]
Fassen wir zusammen: Der DHV legt seiner Verbandszeitschrift das Mitteilungsblatt eines Vereins bei – schon das ist kurios , der nach Auffassung mancher seiner eigenen Mitglieder derzeit in eine zu große Radikalität seiner Auffassungen abzudriften droht und durchgängig eine sprachwissenschaftsfeindliche Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Von so einem Verein etwas in der DHV-Zeitschrift beigelegt zu bekommen läuft ungefähr auf das gleiche heraus, wie wenn die Zeitschrift „Das Parlament“ einer ihrer Ausgaben einen Pegida-Flyer beifügen würde oder der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger seinem Mitgliederblatt eine Info-Broschüre der AfD.
[...]
scilogs.spektrum.de 25.7.2016 [Hervorhebungen S.S.]
Der Unterschied der Auffassungen liegt wohl darin, daß die Linguisten begierig sind, Sprachentwicklungen beschreiben zu dürfen, während die (natürlich „selbsternannten“) Sprachpfleger auch steuern und vor allem verlangsamen wollen. Im ersten Fall führt das dann dazu, daß Frau Prof. Wieses „Kiez-Deutsch“ in Berlin schon zum Abitur zugelassen wird.
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