Lustspiel in drei Aufzügen (II.)
Hausortogravieh
Hösbach, 19.11.99
Über die
Leitung der Volksschule Laufach
Herrn Rektor ...
An das
Staatliche Schulamt im Landkreis Aschaffenburg
Herrn Schulamtsdirektor ...
An die Regierung von Unterfranken
Frau Regierungsschuldirektorin ...
Herrn Abteilungsdirektor ...
Herrn Ltd. Regierungsdirektor ...
An das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus
Frau Staatsministerin Hohlmeier
Zeichen: schä 14.06.99
Rückbesinnung auf Wert orientiertes und an Übereinkünften (im Gegensatz zu: "über Einkünfte) orientiertes Handeln
Sehr geehrte Damen und Herren!
Vorab darf ich meiner Verwunderung Ausdruck verleihen, dass mir in der Phase seelischer Zerrissenheit (bekannt gegeben im Brief vom 14.06.99) weder Beratung noch Bestätigung noch Belehrung zu Teil wurden. Statt dessen fühlte ich mich weit gehend allein gelassen.
In Folge habe ich selbstständig nach eigener Lösung gesucht und meine diese in der Entwicklung einer eigenen Hausorthographie gefunden zu haben. Mir erscheint die verstärkte Alternativschreibung inzwischen als der Königsweg das Chaos der Rechtschreibreform zu verlassen, denn einerseits werden Hausorthographien staatlich begrüßt und gefördert (siehe Eigengestaltung und Toleranz vielfältiger Rundschreiben und Presseveröffent-lichungen), andererseits führen sie tatsächlich zu Erleichterung und Vereinfachung. Zusätzliche Alternativen für die schriftsprachliche Wiedergabe beliebiger Begriffe erhöhen die Wahrscheinlichkeit richtig wieder gegebener Wortbilder. Dass dies auf der anderen Seite zu alternativer Sinnentnahme führt, wird gemein hin vernachlässigt. Jedoch, sollte der Staat tatsächlich an der Zerstörung differenzierender und Punkt genauer Kommunikation interessiert sein, werde und muss ich als Einsicht habender Beamter meinen Erfindergeist um gehend zur Verfügung stellen.
Bezüglich des Zieles der schriftsprachlichen Vereinheitlichung habe ich all meine Hoffnungen bei Seite gelegt, denn das Ansinnen 16 Kultusminister im Sinne des so genannten Sprachusus uniformieren zu wollen, erscheint rückständig, konservativ und staatsgefährdend, hat nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht die Länderhoheit im Bereich der Kultur dazu gehört auf Grund unzureichender Sachanalyse auch die Sprache bestätigt und damit so zu sagen den exponierten Verwaltungsfachleuten die Entwicklung je eigener Schreibung frei gestellt.
Zwischenzeitlich partizipiert jedoch auch die vierte Gewalt im Staate die Presse an der Bewegung der ausdrücklich und alleine der Verwaltung überantworteten Spracherneuerung. Dies zwingt mich als Beamten und somit als Teil der Verwaltung dazu mich von Neuem mit einem Konflikt auseinander setzen zu müssen; ich fühle mich dabei jedoch außer Stande ein massgebliches Urteil abgeben zu können.
Beim Studieren von Zeitungsberichten erkenne ich nämlich oftmals rechte Mäßigkeit bezüglich journalistischer Lernerfolge, unterstelle aber, dass die mich frappierenden Wortbilder einer Rechtmäßigkeit nicht entbehren. Schließlich könnte das (für mich fehlerhaft wiedergegebene) Wortbild in einem von mittlerweise 20 Wörterbüchern fest gehalten sein, auch wenn das vorliegende Wortzitat kaum den Kontext treffen will und mir häufig als eine semantische Fehlleistung bzw. als ein grammatikalischer Verstoß erscheint.
In Aufgeschlossenheit für das Wahre, Gute und Neue habe ich deshalb unter dem fehlerhaften Titel Kapriolen eine Wortsammlung angelegt, die ich meinen Schülern im Rahmen von Rechtschreibstunden offen lege, wobei ich mich allerdings gezwungen sehe wegen der fehlenden Verständlichkeit und Doppeldeutigkeit des vom Kontext befreiten Begriffes ein so genanntes Lemma gegenüber zu stellen.
Sie werden hoffentlich verstehen, dass ich diese, teilweise in Wortgruppen, teilweise in trenn- oder untrennbaren Zusammensetzungen gefassten Erklärungen für sich selbst redend stehen lasse und nicht mit einer von der Verwaltung angeordneten Korrekturvorschrift versehe; wobei ich generell gestehen muss gegen eine Verwaltungsvorschrift zu verstoßen.
Zur Erinnerung und zu meiner Rechtfertigung: Laut Vorschrift ist die von vorgesehener Neuschreibung abweichende Wortbildgliederung mit einem "Ü" zu kennzeichnen. Dabei steht laut Behörde der Buchstabe "Ü" für "überholt.
"Ü" gilt aber ebenso als Abkürzung für "Übereinkunft und ich darf anmerken, dass jedes laut Verwaltung so zu kennzeichnende Wortbild tatsächlich einer Übereinkunft entstammt, die im Volke Gültigkeit hatte und hat, weil sie dem so genannten Sprachusus entspringt. Es ist für mich als Demokrat nicht korrekt, eine Übereinkunft und damit mehrheitliches Denken und Sprachgefühl als "ü" im Sinne von "überholt zu brandmarken.
Darüber hinaus ist es ein sachlicher Fehler die zu markierende angeblich über holte Schreibweise vor Ablauf der Übergangszeit (Juli 2005) als überholt zu bezeichnen, denn vor Ablauf dieser Frist ist diese Schreibweise gleich berechtigt. Sie darf nicht als Fehler registriert und sollte deshalb auch nicht gekennzeichnet werden.
Drittens würde eine Handhabung im Sinne der Verordnung zu einem Ufer losen Verwaltungsaufwand führen der wie oben beschrieben der Grundlage entbehrt und ein permanentes Nachschlagen in 20 verschiedenen Wörterbüchern erfordern würde. Schließlich betrifft die Neuschreibung nicht nur die so genannte SS-Regelung sondern gleichwohl sämtliche Fehler trächtigen Bereiche der gesamten Rechtschreibung (z.B. die Zeichensetzung).
Im konkreten Falle würde ich Ihnen eine Perversion des Denkens unterstellen, falls Sie hätte ich die Zeichen in diesem Brief richtig gesetzt meine Satzzeichen mit einem "Ü" versehen hätten, denn insbesondere bei Satzverbindungen, die durch einen so genannten erweiterten Infinitiv gebildet werden, erleichtern Kommata das Sinnverständnis. In Vorwegnahme Ihrer Entgegnung möchte ich an die Neurose der Schulbuchverlage erinnern, die bei der Umstellung auf die Neuschreibung gleichsam einen Volkssport entwickelten die Kommata vor erweitertem Infinitiv wegzulassen.
Das Ansinnen der Behörde ist somit ad absurdum geführt wird an der Basis zu mehr als 80 Prozent nicht voll zogen und bedarf somit einer neuen Definition bzw. der Ersatz losen Streichung.
Zusammen fassend, und in meiner Schreibung zur einheitlichen und systematischen Rechtschreibung zurück- kehrend, möchte ich das Kultusministerium Bayerns nebst seiner untergeordneten Behörden bitten, daß sie der Verunsicherung auf dem Gebiet der Rechtschreibung endgültig Einhalt gebieten.
Dabei bitte ich insbesondere, mir eine Rückbesinnung auf wertorientiertes Denken, Schreiben und Unterrichten zuzugestehen. Ich bitte darum, meinen Amtseid einlösen zu dürfen, den ich auf die Verfassung geleistet habe. Ich zitiere in diesem Zusammenhang insbesondere Artikel 131 Abs.1 bis 3 der Bayerischen Verfassung und weise zudem auf die beigelegten Schriften (siehe Anlage) hin.
Das Ministerium für Unterricht und Kultus möge beschließen und dem gesetzgebenden Parlament zur Abstimmung vorlegen:
- daß das im Amtsblatt Sondernummer 1 ausgegeben am 31.Juli 1996 festgehaltene Regelwerk, oder aber die systematische und einheitliche Rechtschreibung (vom Duden bis 1996 geregelt) verbindlich für die bayerischen Schulen wird, um einer Entwicklung weiterer eigenständiger Orthographien zu begegnen.
- daß der am IDS Mannheim ansässigen Reformkommission auf Grund des bayerischen Beschlusses die Kompetenz entzogen wird, um eine weitere Verunsicherung zu verhindern und einem permanenten Reformprozeß vorzubeugen.
- daß derzeitige Korrekturrichtlinien aufgrund ihrer fehlenden Praxistauglichkeit sowie fehlender Begründbarkeit zurückgezogen werden.
- daß die Vielzahl der Wörterbücher einem Einheitsregelwerk entsprechen, das federführend von einer unabhängigen Kommission erstellt wird, nicht zuletzt deshalb, daß juristische Einspruchsmöglichkeiten abgewendet werden können.
Meinem Brief, der sicherlich in weiten Teilen polemisch erscheint, möchte ich einige Anlagen beifügen.
Ich bitte Sie inständig, sich in meine Position zu versetzen. Dabei kann ich versichern, daß ich mich seit nunmehr dreieinhalb Jahren in außergewöhnlichem Maße mit dem Thema Rechtschreibreform beschäftigt habe. Mir liegen grundlegende sowohl sachliche als auch personelle Informationen vor.
Ich darf Ihnen versichern, daß ich mich dem Wandel und sinnvollen Neuerungen keineswegs verschließe, will aber gleichwohl anfügen, daß ich bis zum letzten bereit bin, wenn es darum geht, anerkannte Werte zu verteidigen.
Ich bitte Sie, selbst in diesem späten Stadium der Rechtschreibreform zumindest eine Anhörung der Gegenargumente zuzulassen. Dies kann unter anderem geschehen durch eine zwanglose Information. Jederzeit kann ich Ihnen auf postalischem Wege Argumentationen von Befürwortern sowie Rechtschreibkritikern zusenden. Zudem bin ich bereit, mich einer sachlichen Diskussion zu stellen.
Meinen Angeboten füge ich eine ultimative Äußerung hinzu, resultierend aus der Einsicht, daß die Verwaltung permanent mit den Mitteln der Ignoration arbeitet. Dabei unterstelle ich, daß es die verschiedenen Hierarchie-ebenen der Verwaltung bis zum heutigen Tage nicht für nötig befunden haben, sich mit dem vorliegenden Sachverhalt intensiv auseinanderzusetzen, daß sie sich vielmehr auf Beamtenrichtlinien und die Notwendigkeit des Vollstreckungsgehorsams berufen haben. Ich unterstelle darüber hinaus, daß die Verstrickung und Hörigkeit des Beamtenapparates inzwischen Formen angenommen hat, die dem überkommenen kommunistischen Gesellschaftssystem in weiten Teilen ähneln.
Dies, sehr geehrte Damen und Herren,
ist einer modernen Gesellschaftsordnung des beginnenden 21. Jahrhunderts unwürdig!
Abschließend erkläre ich mich nebst vielen anderen Demokraten bereit, dafür Sorge zu tragen, daß dieser unselige Zustand fehlender persönlicher Entscheidungsfreiheit behoben wird. Ihre damalige von welcher Institution auch immer verordnete Androhung disziplinärer Verfolgung empfinde ich nachgerade lächerlich. Sie war unsachlich!
Nur im Zuge einer sachlichen Diskussion wird man mich von meinem Wege abbringen. Einer Wertekategorie, die sich in erster Linie an materiellem Zugewinn orientiert, widersage ich!
Ihrer Klageführung sehe ich gelassen entgegen und ich will hoffen, daß selbst innerhalb der Verwaltung und innerhalb der Gerichte rechtschaffene (im Gegensatz zu Recht schaffenden) Demokraten sitzen.
Mit freundlichen Grüßen
Anlagen: Bayerische Verwaltungsblätter, Heft 9, Seiten 257 bis 264
Beispiel journalistischer Einfalt
La reforme idiote (persönliche Kommentare zur Umstellung der Presse auf die Neuschreibung)
Vorläufige Bilanz der sogenannten Rechtschreibreform (Prof. Theodor Ickler, Universität Erlangen)
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