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Sigmar Salzburg
23.06.2013 10.23
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Stefan Aust - Das große Ganze

Stefan Aust, geboren am 1. Juli 1946 in Stade, war von 1966 bis 1969 Redakteur der Zeitschrift „Konkret“. Von 1970 bis 1985 arbeitete er als Redakteur beim NDR, u. a. für das Magazin „Panorama“. 1988 gründete er „SPIEGEL TV“, das erste private politische Magazinformat im deutschen Fernsehen, und war dort bis 2007 Geschäftsführer. Von 1994 bis 2008 war Stefan Aust Chefredakteur des Nachrichtenmagazins „DER SPIEGEL“...

[Bekanntlich verabredete Aust 2004 mit Matthias Döpfner (Springer-Konzern) die gemeinsame Rückkehr zur bewährten Kulturrechtschreibung, wurde jedoch bald darauf von den anonymen Machthabern über den Spiegel geschaßt.]

Stefan Aust – Das große Ganze – Die Turbo-Schule

Wer genug davon hat, Kinder zu gängeln, geht gern in die Politik und versucht dann, auch dem Rest der Bevölkerung die Leviten zu lesen. Deshalb sind die Parlamente voll von Pädagogen. Am liebsten beschäftigen sich diese dann mit Bildungspolitik. Und die wiederum ist vor allem Ländersache. So bieten sich in jedem Bundesland vielfältige Gelegenheiten zur kreativen Veränderung des Schulsystems. Ein wahres Experimentierfeld für Weltverbesserer.

Erinnern Sie sich an die Ganzwortmethode, mit denen man Kindern Lesen und Schreiben beibringen wollte – sozusagen das Modell der chinesischen Schriftzeichen auf deutsche Worte übertragen? Hat man irgendwann wieder aufgegeben. Oder die Mengenlehre? Damit sollte Mathematik ganz leicht gehen, sozusagen ohne Zahlen. War auch kein messbarer Erfolg, mathematisch gesehen.

Jetzt hat eine Lernmethode „Lesen durch Schreiben“ ganze Schülergenerationen zu halben Analphabeten gemacht – wenn man der Titelgeschichte des „Spiegel“ diese Woche folgen darf...

Moderne Pädagogik ignoriert das am liebsten. Und ist dann nicht mehr zuständig, wenn es im wahren Leben auf Leistung ankommt. Das mag zwar ebenfalls ungerecht sein, entspricht aber der Lebenserfahrung. Insofern ist eine Schule, die die Realitäten der Welt ignoriert, eben nicht die beste, auch wenn sie sich vorübergehend so anfühlt...

Schöpft eine integrierte Gesamtschule die Bildungsreserven wirklich besser aus, vergibt sie mehr Chancengleichheit als das traditionelle Gymnasium? Oder vertreibt die Ausbildung die Bildung? Ist hier vielleicht eine technokratisch-mechanistische Illusion der Vater bzw. die Mutter des fortschrittlichen Gedankens?

Es sind auch Zweifel angebracht, ob manche Neuerung wirklich Sinn macht. Was nutzt eine Ganztagsschule, wenn man nicht einmal eine Halbtagsschule finanzieren kann? Müssen Schüler wirklich jeden Nachmittag im Klassenzimmer zubringen – und dann noch Hausaufgaben machen? Hat nicht ein Schüler heute schon die Wochenstunden eines Industriearbeiters – von denen eines durchschnittlichen Beamten ganz zu schweigen?

Ist es wirklich sinnvoll, den ganzen organisatorischen Apparat für die Ganztagsschule zu unterhalten, wenn man nicht einmal genügend Geld für das Mittagessen in der Schule hat – und dieses dann von Eltern im Schichtbetrieb zur Verfügung gestellt werden muss?
Sind die Unterrichtsstunden am Nachmittag wirklich produktiv? ...

Nicht einmal für Nachhilfeunterricht reicht die Zeit. Und der nimmt gewaltig zu. G8, anfangs auch Turbo-Abitur genannt, hat zur Explosion des Nachhilfeunterrichts geführt. Gab es früher individuelle Nachhilfe durch Schüler höherer Klassen oder auch von privat stundenweise engagierten Lehrern, so ist daraus heute ein regelrechtes Geschäft geworden.

Die Nachhilfeagentur „Tutoria“ in Hamburg meldet zwischen 2009 und 2011 einen Zuwachs von 96,7 Prozent. Stundenpreis zwischen 15 und 25 Euro...

Und: ist es den Kultusministerien schon einmal aufgefallen, dass immer weniger Schüler ein Auslandsjahr in Amerika, England, Irland, Frankreich oder anderswo einlegen? Im Zeitalter der Globalisierung sicher kein Fortschritt.
Früher war die 11. Klasse in manchen Schulen ziemlich ausgedünnt, weil so viele im Ausland waren. Heute leisten sich das nur noch wenige, fallen sie im G8-Schnellkochtopf doch hoffnungslos zurück. Oder sie wiederholen freiwillig die Klasse – Sitzenbleiben als Bildungsstrategie? In Wirklichkeit ist die Reduzierung der Schulzeit von 13 auf 12 Jahre wohl nichts als eine gewaltige Sparmaßnahme, die als Bildungsreform verkauft wird. Inzwischen ist man ja am überlegen, auf freiwilliger Basis das 13. Schuljahr wieder zuzulassen.

Die integrierten Gesamtschulen erhalten  dafür bevorzugt Grünes Licht. Heißt das, Gesamtschüler brauchen länger um zum Abitur zu gelangen? Oder ist das Trick ein 17, um die Gesamtschulen gegenüber dem Gymnasium attraktiver zu machen? Und der Hinweis auf die anderen europäischen Länder, die alle  mit 12 Schuljahren auskommen? Vielleicht hat es ja einen Grund, dass die deutsche Wirtschaft und Industrie besser läuft als die anderer EU-Staaten. Vielleicht hat sogar das deutsche Gymnasium etwas damit zu tun.

Man muss Kindern Zeit lassen, sich und ihr Wissen zu entwickeln. Und ihnen nicht die wichtigste Zeit ihres Lebens durch Turbo-Druck vermasselt. Das ist das Gegenteil von Bildungspolitik.

n24.de 21.6.2013

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Dominik Schumacher
03.10.2004 16.18
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N24

03. Oktober 2004

„Schlechtschreibung“, ade!

Verlage kehren zu alten Schreibregeln zurück

Am Tag der deutschen Einheit und als erste Zeitung aus dem Springer-Verlag ist die „Bild am Sonntag“ zur alten Rechtschreibung zurückgekehrt. Am Montag sollen die Tageszeitungen „Bild“, „Die Welt“, „Hamburger Abendblatt“, „Berliner Morgenpost“ und „B.Z.“ folgen. Bei der „Welt am Sonntag“ ist die Umstellung am 10. Oktober geplant. Die zahlreichen Zeitschriften sollen nach Angaben des Verlags nach und nach umgestellt werden. Axel Springer hatte die neuen Regeln vor fünf Jahren eingeführt.


Eigene Wege:
Springer-Verlag verzichtet auf den neuen Duden (ddp)

Chefredakteur Claus Strunz schrieb in der „Bild am Sonntag“, die neue Rechtschreibung habe „Chaos ausgelöst und Unsicherheit“. Es sei eine „Schlechtschreibreform“. Dazu druckte die Zeitung eine Gegenüberstellung von alter und neuer Rechtschreibung ab. Mit den alten Regeln schreiben „BamS“-Redakteure wieder „Abschluß" statt „Abschluss“, „Spaghetti“ statt „Spagetti“ und „recht haben“ statt „Recht haben“.

Bei der „Süddeutschen Zeitung“ und dem „Spiegel“, die ebenfalls eine Umstellung auf die alte Rechtschreibung angekündigt hatten, steht noch kein Termin fest. Die „Frankfurter Allgemeine“ war bereits vor vier Jahren von den neuen Regeln wieder abgerückt.

„Mangelnde Akzeptanz und Verunsicherung“

Die Verlage hatten Anfang August angekündigt, die neue Rechtschreibung aufzugeben. Sie hatten dies mit dem Ziel der „Wiederherstellung einer einheitlichen deutschen Rechtschreibung“ begründet. Sie verwiesen auf die „mangelnde Akzeptanz und die zunehmende Verunsicherung“ der Deutschen. Vermischungen von alter und neuer Rechtschreibung seien an der Tagesordnung. Andere Verlagshäuser wie Burda lehnten hingegen die Rückkehr zur alten Rechtschreibung ab.

Vom Donnerstag an werden sich die Ministerpräsidenten der Länder auf einer Konferenz in Berlin mit der Rechtschreibreform befassen. Bislang ist vorgesehen, die neuen Regeln vom 1. August 2005 an als verbindlich zu erklären. Mehrere unionsregierte Bundesländer wollen die Reform aber kippen.

(N24.de, AFP,AP)

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Norbert Lindenthal
10.08.2004 21.57
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N24



10. August 2004

Rechtschreibung: Krieg der Argumente

Lehrerverband: Schüler können Reformstopp verkraften

Die Rechtschreibreform sorgt weiter für eine heftige öffentliche Diskussion. Am Dienstag sprachen sich neben Sprachwissenschaftlern auch führende SPD-Politiker gegen die neuen Regeln aus. Dagegen signalisierte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), dass er hinter der Rechtschreibreform steht. Die ARD und die Verlagsgruppe Handelsblatt wollen ebenfalls nicht von der neuen Schreibweise abrücken. Die hessische Kultusministerin Karin Wolff griff die Reformkritiker scharf an.

Der bekannte Sprachkritiker und Journalistenlehrer Wolf Schneider sieht die Rechtschreibreform als gescheitert an. „Die Reform ist kaputt“, sagte Schneider der „Bild“-Zeitung (Dienstagausgabe). „Daran kommen auch die Ministerpräsidenten und Kultusminister der Länder nicht mehr vorbei.“ Die Politik müsse jetzt „umdenken, dem Druck weichen und auf die Mehrheit der Deutschen hören, die diese Reform ablehnen“.

Lehrerverband: Kosten nicht gigantisch

Nach Ansicht Schneiders sind die neuen Schreibregeln „reine Fummelei an unserer Sprache, eine Belästigung aller erwachsenen Mitglieder der deutschen Sprachgemeinschaft“. Schneider bestritt, dass eine Rückkehr zur alten Schreibweise mit Kosten von angeblich 250 Millionen Euro zu teuer sei: „Das ist eine reine Propagandazahl. Die Kosten können – wie bei der Einführung der Reform – über Jahre gestreckt werden.“

Auch der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, sagte der „Bild“-Zeitung, die genannte Zahl sei „aufgebauscht“. Die Kosten für eine Rückkehr zur alten Schreibweise seien „nicht gigantisch“. Ein Austausch der Lehrmaterialien an Schulen sei kein Problem, da viele Bücher „sowieso nach fünf bis sechs Jahren zerfleddert“ seien und ausgetauscht werden müssten.

Kraus erwartet keine Probleme bei einer möglichen Rückkehr zu den klassischen Rechtschreibregeln. Ein Stopp der Rechtschreibreform sei „durchaus“ Lehrern und Schülern zumutbar, sagte Kraus. „Von den 700 Wörtern Grundwortschatz, den Viertklässler schriftlich beherrschen müssen, brauchen sie gerade einmal 20 Wörter neu zu lernen.“ Ein „viel größeres Chaos gibt es, wenn wir weiter eine Orthographie lehren, die außerhalb der Schule immer weniger praktiziert wird“.

Wiefelspütz: Diktat „irgendwelcher Bürokraten“

Auch der SPD-Rechtsexperte Volker Neumann forderte in der „Bild“-Zeitung eine Rückkehr zur alten Schreibweise. „Fast die gesamte deutschsprachige Literatur ist nach den bewährten Regeln verfasst“, sagte er zur Begründung. Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Wend, sagte dem Blatt, dass statt der versprochenen Vereinfachung trete das Gegenteil eintrete – nämlich große Verunsicherung.

Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz will sich nach eigenem Bekunden nicht von „irgendwelchen Bürokraten“ vorschreiben lassen, wie er zu schreiben habe. Neben Politikern mehrerer Parteien äußerten auch Musiker, Schauspieler und Sportler ihre Kritik in der „Bild“-Zeitung.

Kultusministerin Wolff:“Inszeniertes Machtspiel“

Kultusministerin Wolff sagte dagegen im „Mannheimer Morgen“, dass es wichtigere Dinge gebe. „Die Debatte ärgert mich, zumal diejenigen, die sich jetzt zu Wort melden wie Schriftsteller und Verlage, ihre Bedenken schon vor Jahren hätten anmelden können“, sagte die CDU-Politikerin. Den Zeitungsverlagen, die eine Rückkehr zur alten Schreibweise angekündigt haben, warf sie vor, ein „Machtspiel“ zu inszenieren.

Dass in Österreich und der Schweiz ein Proteststurm gegen das neue Regelwerk ausgeblieben ist, erklärt sich Wolff mit der allgemeinen Stimmungslage in Deutschland. „Die Rechtschreibreform ist ein Stellvertreter-Thema für all die anderen Reformen, mit denen wir Deutsche uns zurzeit schwer tun“, wurde sie zitiert. Zudem sei die Rechtschreibung ein Sommerlochthema.

DIHK gegen Rücknahme der Reform

Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) wandte sich gegen eine Rücknahme der Reform. DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben sagte der „Berliner Zeitung“, eine komplette Rolle rückwärts würde die Verwirrung perfekt machen und Millionenkosten verursachen.

In der vergangenen Woche hatten mehrere Medien die Debatte über die Reform erneut angestoßen, weil sie fünf Jahre nach der Einführung der neuen Schreibweise eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung ankündigten. Dazu gehören der „Spiegel“, die Blätter des Axel-Springer-Verlages und die „Süddeutsche Zeitung“.

ARD-Sender schreiben weiter nach neuen Regeln

Die ARD teilte dagegen am Dienstag mit, nicht von der reformierten Schreibweise abzurücken. Das hätten die Intendanten übereinstimmend in einer Schaltkonferenz festgestellt. Sie wollen sich ausführlich auf einer Sitzung Mitte September mit dem Thema beschäftigen. Auch ZDF-Sprecher Alexander Stock geht davon aus, dass sein Sender bei den neuen Regeln bleibt. Die Verlagsgruppe Handelsblatt teilte mit, dass ihre Publikationen weiter in neuer Rechtschreibung erscheinen sollen.

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Dominik Schumacher
09.08.2004 14.48
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N24

09. August 2004

Aktenzeichen Rechtschreibung

Kanzler gegen Rücknahme der Reform

Bundeskanzler Gerhard Schröder hält eine Rücknahme der Rechtschreibreform für falsch. Das bekräftigte der stellvertretende Regierungssprecher Hans-Hermann Langguth am Montag in Berlin. Er verwies aber zugleich darauf, dass es sich um eine Angelegenheit der Länder, „insbesondere der Kultusminister der Länder“, handele.

„Seitens der Bundesregierung gibt es keine Überlegungen, die Rechtschreibreform wieder rückgängig zu machen“, sagte Langguth auf entsprechende Journalistenfragen. Ein Sprecher des Bildungsministeriums ergänzte, dass die Bundesregierung seines Wissens auch nicht ins Spiel komme, wenn es um die Einbindung der Schweiz oder Österreichs in eventuelle Änderungen der beschlossenen Rechtschreibreform gehe. Er verwies darauf, dass die Länder vor wenigen Wochen einstimmig beschlossen hätten, die Änderungen der Rechtschreibreform im Jahre 2005 für verbindlich zu erklären.






„Die Sprache gehört dem Volk“


Der Chefredakteur der „Bild am Sonntag“, Claus Strunz, hat inzwischen eine Volksabstimmung über die Rechtschreibreform gefordert. „Es gab nur einen klugen Satz in der Debatte im Bundestag: Die Sprache gehört dem Volk. Dann fragt es“, sagte Strunz am Samstagabend in der ARD-Sendung „Sabine Christiansen“. Der politischen Klasse warf er „Verhuschtheit“ vor, weil sie „die Menschen, um die es geht, gar nicht mehr fragt.“

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Doris Ahnen, lehnte eine Volksabstimmung über die Reform hingegen ab. Die Mehrzahl der Deutschen habe „ganz andere Sorgen“. Ahnen verwies auf den einstimmigen Beschluss der KMK, die Rechtschreibreform zum 1. Juli 2005 einzuführen. „Zur guten Demokratie gehört auch Verlässlichkeit. Wir können nicht alle drei Tage die Pferde wechseln“, sagte die rheinland-pfälzische Kultusministerin.

Rüttgers: Jeder kann schreiben, wie er will

Der CDU-Vizevorsitzende Jürgen Rüttgers kritisierte bei „Sabine Christiansen“ vor allem die mangelnde Einheitlichkeit der Rechtschreibregeln seit der Reform. Etwa ein Fünftel der Worte könne jetzt „jeder schreiben, wie er will“. „Das ist doch das institutionalisierte Chaos“, bemängelte Rüttgers. Er forderte, die Reform mit Vernunft zu überarbeiten und „nicht von oben zu degradieren“. Dazu sei jetzt die letzte Chance.

Dagegen verwies der Vorsitzende der Rechtschreibkommission, Karl Blüml, darauf, dass die Reform Ausnahmen von Regeln abschaffe. „Das Hauptziel war es, den Menschen zu ermöglichen, nach einer Grundregel zu schreiben.“ Bei der Groß- und Kleinschreibung habe sich die Treffsicherheit von 60 auf 95 Prozent erhöht. Den Verlagen, die zur alten Rechtschreibung zurückkehren wollen, warf Blüml „pädagogische Verantwortungslosigkeit“ vor. Nachbesserungen seien zwar nötig, er gehe aber davon aus, dass die bereits vor sechs Jahren eingeführte Reform Bestand haben werde.

Augst: „Nackte Pressegewalt“

Der Bundesverband Junger Unternehmer (BJU) kündigte unterdessen ebenfalls einen Boykott der neuen Rechtschreibung an. BJU-Vorsitzende Karoline Beck sagte der „Bild“-Zeitung (Montagausgabe): „Wir empfinden die Reform als Diktat. Der Schritt einiger Verlage, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, sei „eine Abstimmung mit den Füßen.“

Der frühere Kommissions-Vorsitzende Gerhard Augst erklärte im „Tagesspiegel“, repräsentative Umfragen zeigten, wie gut die Reform laufe. Von der "überwältigenden Mehrheit der Lehrer“ werde sie gelobt, Zeitungen hätten sie zu 97 Prozent richtig angewandt. Augst äußerte die Vermutung, dass es beim Protest der Verlage gar nicht um die Rechtschreibung gehe, diese wollten vielmehr „ihre nackte Pressegewalt“ einsetzen, um zu zeigen, dass sie eine Reform stoppen könnten.

Duden: Rechtschreibung „eine amtliche Sache“

Der Leiter der Duden-Redaktion, Matthias Wermke, zeigte sich „fast sicher“, dass es bei der vorgesehenen Umsetzung 2005 bleiben werde. Der derzeitige „Aufstand“ gegen die Reform werde keine große Wirkung haben, da dahinter kein Konzept stehe, betonte Wermke.

Er unterstrich zugleich unter Verweis auf die Reform von 1903, dass die Rechtschreibung im Deutschen „immer eine amtliche Sache“ gewesen sei. Auch damals sei die Reform von Politikern verabschiedet worden. 1998 habe das Bundesverfassungsgericht zudem bestätigt, dass die Einführung von Rechtschreibregeln an den Schulen „Sache der Kultusminister“ sei.

Schriftsteller offenbar gespalten

Unter den Autoren ruft der neu entflammte Streit unterschiedliche Reaktionen hervor: Während Walter Kempowski in der „Financial Times Deutschland“ von einer „guten Nachricht“ sprach, erklärte Ingrid Noll: „Die ganze Aufregung nervt mich.“ Sprache sei ein Teil der Kultur, die Rechtschreibung sei aber nur ein Hilfsmittel. „Darum so viel Wind zu machen, finde ich kleinkariert“, so Noll.

Autor Wolfgang Menge erklärte, ihm sei unklar, warum die Initiative jetzt komme: „Wahrscheinlich hängt das mit dem Sommerloch zusammen.“ Der Philosoph Peter Sloterdijk nannte die Verlage „genauso wenig befugt, eine Rechtschreibreform durchzuführen, wie die Kommission, die das seinerzeit beschlossen hat. Das sind zwei Formen der Anmaßung, die sich gegenseitig aufheben“.

Dagegen sagte Walter Kempowski, er habe sich „sehr gefreut“ über die Initiative der Verlage und hoffe, dass ihnen andere folgten.

Zurücknehmen oder Übergangszeit verlängern?

Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff, der die neuerliche Debatte angestoßen hatte, sagte im „Bayerischen Rundfunk“, es sei nie zu spät, eine falsche Reform zurückzunehmen. Er hoffe, „dass sich kein Ministerpräsident querlegt“. Bisher befindet sich Wulff als Befürworter einer Reformrücknahme bei den Länderchefs in der Minderheit.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, sagte, er erwarte, dass die Ministerpräsidenten das Thema auf ihrer Tagung im Herbst behandeln und „dann hoffentlich eine rasche Entscheidung finden – wie immer sie auch aussehen mag“. An den Schulen hoffe man auf ein Ende der Debatten und wünsche sich „wieder Klarheit“ über die Rechtschreibnormen. Kraus betonte zugleich, seiner Auffassung nach sollten die Ministerpräsidenten die Kultusminister verpflichten, die derzeit geltende Übergangsphase, in der sowohl die alte als auch die neue Rechtschreibung gelte, über 2005 hinaus um mindestens fünf Jahre zu verlängern.

(N24.de, AP, AFP, ddp)

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Norbert Lindenthal
07.08.2004 23.43
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N24

06. August 2004

Rechtschreibung: Das Chaos ist perfekt

Verunsicherung nach Vorstoß von Springer und Spiegel

Die überraschende Rückkehr von Spiegel und Axel Springer Verlag zur alten Rechtschreibung ist in Politik und Medien auf Kritik, aber auch Beifall gestoßen. Während die „Süddeutsche Zeitung“ ebenfalls die Reform zurücknehmen will, äußerten sich mehrere Verlage und Nachrichtenagenturen abwartend. Der Burda-Verlag, der „Stern“ und die Berliner Tageszeitung „taz“ erteilten der Initiative eine Absage. Einige CDU-Ministerpräsidenten begrüßten den Vorstoß, dagegen kam von der SPD deutliche Ablehnung.

Entrüstet zeigte sich die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Doris Ahnen (SPD). Für einen derartigen Beschluss habe sie kein Verständnis, sagte die rheinland-pfälzische Bildungsministerin am Freitag. Die Initiatoren dieser Aktion blieben jede Antwort schuldig, wie in Zukunft die verschiedenen Interessen unter einen Hut gebracht werden sollten, kritisierte die SPD-Politikerin.

Ministerpräsidenten gespalten

Die CDU-Ministerpräsidenten Peter Müller (Saarland) und Christian Wulff (Niedersachsen) kündigten an, sich weiter für die Abschaffung der Rechtschreibreform einzusetzen. Für eine Rücknahme der Reform sind einstimmige Beschlüsse von Kultusminister- wie Ministerpräsidentenkonferenz nötig. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) erklärte am Freitag, er bleibe dabei, dass er eine Rücknahme ablehne.

Wann die „Süddeutsche Zeitung“ zur alten Rechtschreibung zurückkehre, sei noch offen, sagte ein Sprecher. Die grundsätzliche Entscheidung sei aber getroffen. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger erwartet von der Spiegel/Springer-Entscheidung eine „Signalwirkung“ auch für andere Medien. Bei der Übernahme der neuen Rechtschreibung vor fünf Jahren habe es die Überzeugung gegeben, dass Zeitungen diejenige Schreibung übernehmen müssten, die in den Schulen gelehrt werde.

Sowohl Bauer als auch der Jahreszeiten-Verlag äußerten Sympathie für den Vorstoß von Spiegel und Springer. Zunächst solle aber abgewartet werden, ob eine breite Front von Verlagen dem Beispiel folge. Die Nachrichtenagenturen AP und dpa erklärten, vorerst die Reaktion der Kunden abzuwarten. Gegenwärtig gebe es keinen Handlungsbedarf, sagte AP-Chefredakteur Peter Gehrig.

„Stern“, „Focus“, „taz“ und „Frankfurter Rundschau“ machten klar, dem Beispiel nicht folgen zu wollen und an den neuen Regeln festzuhalten. Der „Focus“-Verlag Burda erklärte, man wolle den „Kampf um die Rechtschreibung nicht auf dem Rücken der jungen Leser austragen“. Bindend sei, was in der Schule gelehrt werde. Beim „Stern“ hieß es, man halte an den neuen Regeln fest, befürworte aber Änderungen im Detail.

Philologenverband mahnt Kompromiss an

In diese Richtung zielt auch die Reaktion des Deutschen Philologenverbands, der einen schnellen Kompromiss anmahnte. Es gebe Teile der Rechtschreibreform, die völlig unumstritten seien wie etwa die ss/ß-Regelung, betonte der Verband. Umgekehrt sei klar, dass die Zusammen- und Getrenntschreibung noch nicht befriedigend geregelt sei. Der Grundsatz einer einheitlichen deutschen Rechtschreibung dürfe nicht aufgegeben werden.

Der Deutsche Lehrerverband (DL) forderte die Ministerpräsidenten auf, die Rechtschreibreform jetzt zur Chefsache zu machen, damit die Schulen nicht ins „orthografische Abseits“ gerieten. Die alte Rechtschreibung müsse wieder verbindlich werden. Dagegen forderte der Verband Bildung und Erziehung, die „derzeitige hysterische Debatte“ zu beenden. Die Reform sei durchaus nicht „total gescheitert“, hieß es.

(N24.de, AP)

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Norbert Lindenthal
06.08.2004 21.52
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N24

06. August 2004

Nicht aus einem Guß – oder Guss?


Schifffahrt oder doch wieder Schiffahrt? (ddp)

Stichwort: Rechtschreibreform

Erklärtes Ziel der Rechtschreibreform war es, die Regeln der Schriftsprache klarer und systematischer zu gestalten. Schülern sollte es leichter gemacht werden, das komplizierte Regelwerk des Deutschen zu erlernen. Kritiker bemängeln, Teile der Reform seien willkürlich, auch führe sie zu einer Verarmung an sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten und produziere Wortungetüme.

Planmäßig in Kraft getreten ist die neue Rechtschreibung am 1. August 1998. Seitdem gilt das neue Regelwerk für Schulen und die öffentliche Verwaltung. Grünes Licht dafür hatte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am 14. Juli 1998 gegeben. Eine Übergangsphase, während der in den Schulen die alte Rechtschreibung noch nicht als falsch gilt, endet am 1. August 2005.


Reförmchen nach der Reform

Erst am 4. Juni dieses Jahres hatten die Kultusminister dafür endgültig grünes Licht gegeben, und zugleich einige Änderungen beschlossen, die mit Ende der Übergangsphase in Kraft treten. Sie betreffen überwiegend die Getrennt- und Zusammenschreibung von Wörtern. Demnach wird unter anderem die Liste der Adverbien und Präpositionen, die mit einem Verb zusammen geschrieben werden dürfen, um 13 Wörter ergänzt. Neben „dahinter stehen“ tritt nun auch wieder die Variante „dahinterstehen“. Auch übernommene Fremdwörter können künftig so geschrieben werden wie in der Ursprungssprache. Neben „Bluejeans“ tritt „Blue Jeans“. Der Bindestrich wird ab dem kommenden Jahr auch wieder in Zusammenhang mit Zahlen zugelassen. Beispielsweise muss es nicht 20fach heißen, auch 20-fach ist richtig. Auch bei der Groß- und Kleinschreibung wird es zusätzliche Varianten geben.

(AP, N24.de)

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