Supersonntag
9.8.2004
Orthografisches Sommertheater oder Rettung in letzter Minute?Streit um das rechte Wort

Dr. Werner Sobetzko betrachtet die neuen Rechtschreibregeln mit äußerster Skepsis. Foto: Waschinski
Dessau (ak). In einem Jahr soll es ernst werden. Die Kultusministerkonferenz hat beschlossen, dass Wörter wie Kommunikee, Fassette, Schikoree, Raufasertapete, Majonäse, Tunfisch und Ketschup ab 1. August 2005 verbindlich so zu schreiben sind, nämlich nach den Regeln der neuen Rechtschreibung. Die alten Schreibweisen werden danach an Schulen und Universitäten als Fehler gewertet. Laut einer Umfrage des Allensbach-Instituts akzeptieren erst 13 Prozent der Deutschen das neue Regelwerk. Für diejenigen, die schon bemüht sind, sich danach zu richten, gibt besonders die Getrennt- und Zusammenschreibung viele Rätsel auf. 1998 wurde die neue Rechtschreibung eingeführt. Bis 2005 gilt eine Übergangsfrist, in der auch die alte Rechschreibung verwendet werden kann und die Einführung der neuen in der Praxis geprüft werden soll. Kurz vor der heißen Phase ist die Diskussion über das Für und Wider der neuen Regeln erneut entbrannt. Die einen reden von orthografischem Sommertheater, die anderen wollen im letzten Moment die Notbremse ziehen. Der SUPER SONNTAG sprach mit dem CDU-Landtagsabgeordneten Dr. Werner Sobetzko, der einer Einführung der neuen Rechtschreibung mit großer Skepsis entgegensieht.
Sie haben im Landtag eine Kleine Anfrage zur Rechtschreibreform eingebracht. Warum?
Neben den vielen auch heißen Problemen in den gegenwärtigen Reformbemühungen bei Bund und Ländern hat die Reform der deutschen Rechtschreibung eine große Bedeutung. Von der rechten Schreibweise der deutschen Sprache ist jeder Bürger, jede Alters- und Berufsgruppe betroffen.
Ohne ihre Beherrschung ist in vielen Lebenslagen, Berufen und Wissensgebieten keine ausreichende Kommunikation möglich. Die deutsche Sprache stellt mit ihrer nachvollziehbaren Niederschrift in verständlichen Regularien ein bedeutsames nationales Kulturgut dar, mit dem höchst verantwortungsvoll umzugehen ist.
Dieses Kulturgut hat auch unter dem Einfluss der europäischen Integration eine hohe Wertschätzung, aber auch und erst recht, wie ich meine, wenn scheinbar Wertvorstellungen in unserer Gesellschaft in Frage gestellt werden. Das erfahren wir beim Rummel um Urwald-Container, Big Brother, moralentfremdete Managergehälter, Suchtbelastungen u.a.m.
Als im Juni durch die Kultusministerkonferenz eine verbindliche Einführung der neuen Rechtschreibung für den 1. August 2005, leider auch mit der Zustimmung durch unseren Kultusminister, angeordnet wurde, kam es erneut zu heftigen Reaktionen in der Öffentlichkeit. Die Rechtschreibreform hat bisher keine Zustimmung erfahren, wie aktuelle Umfrageergebnisse von Allensbach und FORSA ergaben (77 % bzw. 68 % der Befragten lehnen sie strikt ab). Neben guten Ansätzen sind eine Reihe willkürlicher Regelungen vorgegeben. Da diese Reform auf Wunsch der Kultusminister trotzdem „durchgedrückt“ werden soll, haben wir hier ein Problem mit der Reformglaubwürdigkeit und damit mit einem Identifikationsproblem zu unserer Sprache schlechthin.
Im Rahmen der Gegenreaktionen forderte die Vorsitzende des Bildungsausschusses im Bundestag, dass sich abzeichnende Chaos zu stoppen. Nun wird sich auf Wunsch mehrerer Ministerpräsidenten die Ministerpräsidentenkonferenz im September mit dieser Reform befassen. Zu Debatte steht dann eine Rücknahme der Reform oder die Korrektur von unakzeptablen Regelungen.
Für unsere Öffentlichkeit ist es wichtig, rechtzeitig in Erfahrung zu bringen, welche Position unsere Landesregierung zur Reform der deutschen Rechtschreibung bezieht. Daher wurde von mir eine parlamentarische Anfrage gestellt, deren Beantwortung voraussichtlich Ende August vorliegen wird.
Schulen und Behörden beschäftigen sich nun schon seit sechs Jahren mit dem neuen Regelwerk. Ist jetzt noch der richtige Zeitpunkt, um die Reform zu stoppen? Was wird aus Lehrbüchern und Unterrichtsmaterial?
Hier ist abzuwarten, was das Ergebnis der Beratung der Ministerpräsidenten der Länder ergeben wird. Ich gehe davon aus, dass die vorliegende Reform nicht verbindlich übernommen werden kann.
Bei einer vollständigen Rücknahme sind Lehrbücher und Unterrichtsmaterial leicht reproduzierbar.
Bei einer Überarbeitung der offensichtlichen Schwachstellen sind die Nachbesserungen bei Lehrbüchern und Unterrichtsmaterialien sicherzustellen. Eine Einführungsverschiebung ist dann unumgänglich.
Das erfordert zusätzliche Kosten, aber wer eine derartige Reform anfasst, muss sie auch ordentlich beenden.
Problematisch ist die zusätzliche Abstimmung mit den Reformpartnern Schweiz, Österreich und Lichtenstein. Aber auch hier können gangbare Wege beschritten werden, zumal in diesen Ländern der Gang der Dinge sehr kritisch gesehen wird.
Was gefällt Ihnen persönlich nicht an dem neuen Regelwerk? Fallen Ihnen spontan „Unwörter“ ein?
Ich habe grundsätzlich kein Verständnis dafür, dass eine gewachsene und anerkannte Kultur- und Volkssprache wie die deutsche, einer kleinlichen und unzulänglichen Veränderung unterzogen wird. Bei dieser Reform wurde nicht an den Leser gedacht, sondern nur an die Schreibenden. Aus der Vielzahl von Problemen möchte ich auf folgende Unzulänglichkeiten hinweisen:
- problematische Getrennt- und Zusammenschreibung, Verminderung der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit und des Sprachgefühls, wie zum Bespiel vorher: der vielversprechende Minister - neu: der viel versprechende Minister; vorher: er will seine Frau sitzenlassen - neu: er will seine Frau sitzen lassen
- die Zulassung unterschiedlicher Schreibweisen, wie z.B.: Hoch gelehrt, aber hocherfreut; zusammenfügen, aber aneinander fügen; zu Ende und zurzeit; leid tun oder leid tun oder leidtun
- falsche und unzulässige Wortveränderungen, wie z.B.: Thunfísch zu Tunfisch (Speisefisch hat nichts mit tun zu tun), Quentchen zu Quäntchen (altes kleines Handelsgewicht, etwa 1,66 Gramm, keine Ableitung von Quantum)
-problematische Silbentrennungen, wie z.B.: vol-lenden, Demok-ratie, Ins-trument
- kaum weniger Regeln, dafür kompliziertere und Ausnahmeregelungen, wie z.B. bei der Getrennt- und Zusammenschreibung von Adverb und Verb: davor stehen, aber umherstehen
Wie formulieren Sie Ihre offizielle Post als Abgeordneter, nach den alten oder den neuen Rechtschreibregeln?
Mein Schriftverkehr erfolgt nach den alten Rechtschreibregeln.
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