Braunschweiger Zeitung
14.8.2004
Die Sudler
Von Paul-Josef Raue
Ein Germanist aus Indien und ein Germanist aus Deutschland gehen im Harz spazieren. Der Inder sagt: Welch anmutige Landschaft! Der Deutsche erwidert: Ja, janz schöne Jejend.
Wolf Schneider, der deutsche Sprach-Papst, erzählt diese Anekdote, um zu belegen: Es gibt fast keinen, der die Gesetze unserer Sprache lückenlos beherrscht. Am ehesten ist ein Ausländer dazu in der Lage, der korrektes Deutsch gebüffelt hat, von keinem bayrischen oder Berliner Dialekt verbogen und nicht mit der Alltagssprache aufgewachsen ist, sondern mit Goethe wie eben unser anmutiger Inder.
Der letzte Deutsche, der unsere Sprache beherrschte, war der Wiener Karl Kraus, der vor hundert Jahren alle Sudler lächerlich machte, und der Aphorismen schuf wie: Das Wort Familienbande hat einen Beigeschmack von Wahrheit.
Der letzte lebende Deutsche, der unsere Sprache beherrscht, ist Wolf Schneider. Er verkauft in bestem Deutsch viele Bücher wie Deutsch für Profis, in denen er beispielsweise schreibt: Die Sprache ist ein zu kostbares Medium, als daß wir sie der Trägheit oder der Frechheit fahrlässiger oder mutwilliger Verstümmler überlassen sollten.
Wolf Schneider gehört zu denen, die am Aufstand gegen die Rechtschreibreform teilnehmen. Diese Reform ist reine Fummelei an unserer Sprache, eine Belästigung aller erwachsenen Mitglieder der deutschen Sprachgemeinschaft. Das sagte, aus Überzeugung, Wolf Schneider der Bild-Zeitung. Und die druckte das Interview aus Berechnung.
Einige Tage zuvor hatte die größte Zeitung Deutschlands als größte Überschrift auf der Titelseite gemeldet: Bild kehrt zurück zur alten Rechtschreibung. Das war eine glänzende Marketing-Idee mitten im verhartzten Sommer aus drei Gründen:
Begeisterung lösten sie bei den Journalisten der FAZ aus, die bislang sogar den Frisör wechselten, wenn auf den Wartestühlen die Bildzeitung lag. Die einsamen Rufer der FAZ, die nie nach der neuen Rechtschreibung druckten, würdigten die Aktion von Bild mit dem Aufmacher auf ihrer Titelseite.
Bild setzt sich an die Spitze des intellektuellen Deutschlands. Es folgen Rechtsprofessoren und Ministerpräsidenten, Spiegel-Redakteure und der Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege.
PBild kämpft so gegen Reformen überhaupt. Nach der Rechtschreibung wird Hartz IV folgen, weitere Reformen wird es dann nicht mehr geben. Das ist das Marketing-Kalkül der Kampagne: Bild rettet Deutschland.
Nur so kann Bild dies intellektuelle Thema seiner Leserschaft überhaupt schmackhaft machen, die sonst mehr an nackter Haut und blankem Elend interessiert ist.
Eine abgehobene Intellektuellen-Debatte nennt Peter Christ, Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, zu Recht den Streit um die alten oder neuen Worte. Die meisten Deutschen haben andere Probleme und schreiben, selbst bei gebildeten Ständen, nach den neuen Regeln so falsch wie nach den alten.
Geben wir Ruhe, so unser Vorschlag. Die Reform einiger mächtiger, aber wenig gebildeter Bürokraten war ein Fehler. Aber er wüchse zu einem noch schlimmeren Fehler bei einer Reform der Reform.
Wir zeigen heute auf unserer ersten Kultur-Seite, dass sich nur wenig verändert hat. Immerhin nutzen wir in unserer Zeitung den Spielraum der Reform und schreiben alles nach alten Regeln, was erlaubt ist: Und das ist das Meiste.
Wir nutzen, aus Überzeugung, die bewährten Regeln der Zeichensetzung, weil sie helfen, einen Artikel schneller zu lesen und besser zu verstehen. Das ist erlaubt.
Wir beugen uns allerdings einigen Ärgernissen, aber überlegen uns, ob wir die schlimmsten Gräuel, in Abstimmung mit unseren Lesern, noch tilgen werden. Sollen wir, beispielsweise, dem Känguru sein h zurückgeben?
Es ist der große Vorteil von lokalen und regionalen Zeitungen wie unserer, dass sie nicht nur Professoren und Manager erreichen, sondern auch Hauptschüler und Lehrlinge. In der Konkurrenz mit Videospielen und dem Fernsehen sind Zeitungen zu oft der Verlierer: Junge Leute scheuen die Mühe des Lesens, auch weil Redakteure sich zu oft zu wenig Mühe geben, verständlich zu schreiben.
Wir wollen nicht riskieren, dass die jungen Leute endgültig die Zeitung links liegen lassen weil sie auch noch anders schreibt, als es ihnen in der Schule erlaubt wird. Wir wollen keine Kampagne und keine Marketing-Aktion auf dem Rücken der jungen Leser austragen auch wenn wir überzeugte Anhänger der alten Rechtschreibung sind.
Das größte Problem unserer Bildung ist nicht die Rechtschreibreform. Das größte Problem ist die Weigerung, überhaupt noch zu lesen. Wir wollen, dass junge Leute lesen, mit Lust und aus Überzeugung lesen.
Wir können es uns nicht leisten, dass Eltern und Lehrer ihre Kinder warnen, die Zeitung zu lesen. Darum ist für uns eine Reform der Reform solange kein Thema, bis die großen Nachrichtenagenturen oder unsere Ministerpräsidenten die Reform zurückgedreht haben; damit ist in naher Zukunft allerdings kaum zu rechnen.
Der Philosoph Arthur Schopenhauer, so er heute lebte, hätte seine zynische Freude an den Bürokraten, die sich an den Worten vergreifen: Die Sudler sollten ihre Dummheit an etwas anderm auslassen, als an der deutschen Sprache.
Sonnabend, 14.08.2004
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