Hans Krieger
Herr Zierrat feiert
Zehn Jahre Rechtschreibreform
Der Herr Zierrat hat Geburtstag. Vor zehn Jahren, am 1. August 1998, hat er den Objektstatus als bloße Verzierung hinter sich gelassen und Personenwürde erlangt, um neben dem Commerzienrat und dem Geheimen Hofrat auf der Ehrenbank der überflüssigen Titelträger Platz zu nehmen. Ein simples zweites „r“ hat für diese wundersame Verwandlung genügt; gewaltig aber war die Verwaltungsmaschinerie, genannt Rechtschreibreform, die für so simple Verunzierungen der Sprache in Gang gesetzt werden musste, und gewaltig waren die Kosten. Von den Kollateralschäden zu sprechen, der Aushebelung das Sprachgefühls, wäre politisch nicht korrekt. Geburtstag haben auch so imposante transzendentale Wesenheiten wie das „Übrige“, das „Weitere“ oder das „Lange“, die endlich in ihrer überwältigenden Dinghaftigkeit bestaunt werden können, seitdem sie orthographisch nicht mehr zu banalen adverbialen Floskeln („im übrigen“, „des weiteren“, „seit langem“) herabgestuft werden dürfen.
Was dem einen sein Geburtstag, ist dem anderen sein Todestag. Viele zusammengesetzte Wörter, von „vielversprechend“ oder „nichtssagend“ bis „ratsuchend“ oder „kostensparend“, sind sang- und klanglos untergegangen. Noch nicht ganz endgültig freilich, denn eine halbherzige Rettungsaktion hat vielen von ihnen ein prekäres Überdauern im Gnadenstatus der Duldung gewährt. Wie ungewiss ihre Zukunft bleibt, zeigt ein Blick in den aktuellen Duden: Jede zweite Gelbmarkierung bei möglicher Wahl zwischen Varianten erklärt die Arbeit des ruhmlos gescheiterten Deutschen Rechtschreibrates und seines mutlosen Vorsitzenden Hans Zehetmair für irrelevant und fordert Getrenntschreibung.
Der Verlust an Wörtern wird kompensiert durch syntaktischen Gewinn. Endlich kann das Deutsche mit dem englischen Gerundium („I am reading a book“) mithalten: „Dieser Lösungsansatz ist Erfolg versprechend“ (statt: „verspricht Erfolg“). Auch die Fehlermöglichkeiten haben erfreulich zugenommen. Aus Gründen der visuellen Prägnanz verwechselt man „das“ und „dass“ viel leichter als „das“ und „daß“, und tatsächlich werden nachweislich bei dieser für das Satzverständnis wichtigen Unterscheidung nun mehr Fehler gemacht. Die Rechtschreibreform war nicht Kosten sparend, aber sie war viel versprechend.
Unvergessen bleibt der Satz einer deutschen Kultusministerin, man sei sich bewusst, dass die Reform ein Fehler war, aber „aus Gründen der Staatsräson“ werde man an ihr festhalten. Ulla Schmidt braucht sich also um ihren Gesundheitsfond keine Sorgen zu machen. Was niemand will, wofür niemand ein überzeugendes Argument hat, lässt sich trotzdem durchsetzen. Das Abendland aber ist nicht untergegangen. Wie alle Fiktionen, die wir gewohnheitsmäßig als Realitäten behandeln, hält es sehr viel aus. (Hans Krieger)
vom 25. Juli 2008
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Herr Zierrat
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