Jungle World
Nummer 35 vom 18. August 2004
»Reglementierungen bremsen das Denken«
KD Wolff
Nichts beschäftigt die Deutschen derzeit mehr als ihre Sprache. Die Frage der Rechtschreibreform bewegt die Gemüter scheinbar mehr als Hartz IV und der Sozialabbau.
KD Wolff ist Verleger. 1970 gründete er den Verlag Roter Stern in Frankfurt am Main. Er verlegte die Werkausgabe Friedrich Hölderlins und Klaus Theweleits »Männerphantasien«. Seit dem Konkurs im Jahre 1993 und der Gründung der Stroemfeld-Fördergesellschaft erschien im Verlag u. a. die Faksimile-Edition von Franz Kafkas »Process«. Mit KD Wolff sprach Jan Süselbeck.
Der Spiegel und der Springer-Konzern haben angekündigt, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren. Schreibt demnächst jeder, wie er will?
Die Frage ist doch, ob jemand, der schreibt, überhaupt weiß, was er will.
Eins der Hauptargumente, die angeführt werden, um die Rechtschreibreform beizubehalten, ist der Hinweis auf die drohende Verwirrung der Schulkinder.
Die Kinder und verwirrt, das ist ja lächerlich! Die sind immer noch die Vernünftigsten. Aber die Frage ist doch, wie Rechtschreibung überhaupt entsteht. Anscheinend kann sich in Deutschland überhaupt niemand mehr vorstellen, dass die Sprache nicht staatlich reglementiert werden muss. Die Funktion des Duden wird in der aktuellen Debatte glatt zurechtgelogen. Der Duden war ja gar kein staatliches Projekt, sondern schlug lediglich Regeln vor, die erst später staatlich sanktioniert wurden.
Nach welchen Regeln schreiben Sie selbst?
Ich selbst habe für mich das »ß« abgeschafft. Das wollte ich schon immer. Wir sind ja auch ein Schweizer Verlag, und in der Schweiz wird bekanntlich schon seit 1900 kein »ß« mehr geschrieben.
Stört Sie überhaupt etwas an der neuen Rechtschreibung?
Offensichtlich gibt es eine Art Privatetymologie der Ministerien. Es ist ja z. B. gar nicht ausgemacht, dass »gräulich« tatsächlich von »Grauen« hergeleitet ist. Da gibt es auch ganz andere etymologische Thesen. Das wird jetzt aber einfach unterstellt.
Mit willkürlichen Reglementierungen haben übrigens die sprachinteressierten deutschen Schriftsteller der letzten zweihundert Jahre schon immer zu kämpfen gehabt. Als Hölderlin angefangen hat, Sophokles zu übersetzen, haben sich die Klassiker in Weimar gekugelt vor Lachen. Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller reagierten mit Spottversen, weil Hölderlin versuchte, wörtlich aus dem Griechischen zu übersetzen, um die Logik dieser Sprache zu erfassen. Damals konnte sich niemand vorstellen, dass man so (z. B. »wütendrothe Wolken«) übersetzen darf. Aber wenn Sie heute die Hölderlin’sche Sophokles-Übersetzung lesen, dann stellen Sie fest, dass es die lebendigste Übertragung ist, die es im deutschsprachigen Bereich je gegeben hat. Hölderlins Bemühung führte dazu, dass das Deutsche etwas dazulernte.
Reglementierungen behindern also die sprachliche Weiterentwicklung?
Ja. Sie bremsen das Denken. Nehmen Sie nur das Lieblingsbeispiel der heutigen Reformbefürworter: Frankreich. Tatsächlich haben die Maßregelungen der Académie Française der französichen Sprache seit Louis XIV gar nicht gut getan. Das hat dann später dazu geführt, dass Leute wie Ferdinand Céline absolut außerhalb der französischen Kulturwelt standen.
Sie freuen sich über das Durcheinander in der deutschen Rechtschreibung?
Ja, und ich bin ganz sicher, dass es weder vor noch zurück gehen wird. Es entsteht eine neue Unsicherheit. Daraus kann eigentlich nur Gutes folgen.
Der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, sagte, die Zeitungen seines Konzerns gäben den Menschen nun wieder die Chance, die »Schreibweise zu lesen, in der fast neunzig Prozent der deutschsprachigen Literatur vorliegt«. Und was ist mit Martin Luther, Jacob Grimm …
… und dem »Simplicissimus«? Die ganze deutschsprachige Dichtung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ist doch sehr vielfältig. Von einheitlichen Regeln hatte bis dahin niemand auch nur geträumt. Und die erste Rechtschreibreform ab 1880 kam auch nur in Gang, weil das Deutsche Reich entstanden war und man plötzlich dachte: »Jetzt müssen wir mal die Sprache der deutschen Stämme vereinheitlichen.«
Die ersten Regelungen zu einer verbindlichen deutschen Rechtschreibung waren die Folge eines nationalistischen Projekts?
Absolut. Eben eine Folge der »kleindeutschen« Lösung!
Auffällig ist, dass die Kritik an der neuen Rechtschreibung größtenteils aus konservativen Kreisen kommt. Wieso wollen diese jetzt zurück zur alten Schreibweise?
Es wundert mich ehrlich gesagt sehr, dass die Leute, die jetzt zur alten Rechtschreibung zurück wollen, dies meist kulturkonservativ begründen. Es gibt ja auch andere Wege der Reformkritik. Klaus Theweleit hat gleich zu Anfang der Umstellung gesagt, eine wirkliche Reform der deutschen Rechtschreibung müsse zu den Gebrüdern Grimm zurückkehren und die Kleinschreibung einführen. Alles andere sei Kokolores.
Schulbuchverlage befürchten im Fall der offiziellen Rückkehr zur alten Rechtschreibung Einbußen in Höhe von 250 Millionen Euro. Welche Konsequenzen hat das derzeitige Durcheinander für Ihren Verlag?
Für uns ist es interessant, weil den Leuten plötzlich auffällt, dass unsere historisch-kritischen Editionen die originalen Schreibweisen der Autoren wiedergeben. Dass Hölderlin »Hitze« mit zwei z schrieb, das drückt etwas aus. Die getreue Wiedergabe der historischen Texte tut dem Lesen gut und dient dem Denken.
Würde die Rücknahme der Reform für Ihren Verlag keine finanziellen Einbußen bedeuten?
Das, was die Schulbuchverlage da behaupten, ist ja glatt gelogen. Niemand glaubt im Ernst, dass jetzt neue Schulbücher nötig werden. Die jetzigen werden in fünf, sechs Jahren kaputtgehen, und dann werden sie weggeschmissen. Wenn dann wieder neue gedruckt werden müssen, werden die eben gemäß der Rechtschreibneuerungen produziert. Ob diese Neuerungen nun wirklich beschlossen werden, ist aber die Frage. Es braucht niemand zu befürchten, da würden jetzt irgendwelche Bücher eingestampft. Das könnte den Schulbuchverlagen so passen! Schließlich würden ihnen dann 250 Millionen Euro nachgeschmissen.
Wie geht es denn nun weiter?
Der Prozess der Egalisierung, den diese so genannte Reform betrieben hat, ist durch die kulturkonservativen Angriffe gestoppt worden. Sie wird nicht mehr stattfinden. Was ich wirklich schon sehr drollig finde, ist der Drive, mit dem die FAZ, Bild usw. das machen. Die tun ja fast so, als wollten sie zum Putsch aufrufen. Man hat das Gefühl, hier wird ein Ersatzmachtkampf geführt. Ganz so, wie die Bild-Zeitung versucht hat, zu bestimmen, dass »König Otto« Nationaltrainer werden müsse.
Man bekommt den Eindruck, die Medien schenken der Debatte um die Rechtschreibreform oftmals mehr Aufmerksamkeit als den Demonstrationen gegen die Sozialreform. Steckt dahinter ein Kalkül?
Ja, und zwar gerade weil es die Verantwortlichen nichts kostet. Da kann man so tun, als ob man gegen die Macht opponiere, und es hat keinerlei Auswirkungen auf einen selbst. Man kann seine ideologische Sauce über die deutsche Geschichte kippen. Doch faktisch ändert sich im Lande gar nichts. So lenkt man von den gesellschaftlichen Problemen, die es sonst noch gibt, ab.
|