Von der Sorgfalt beim Schreiben
Man stelle sich das Gruppenbild einer Großfamilie vor. Die Urgroßmutter feierte ihren 95. Geburtstag; darum plazierte ich sie am linken Bildrand. Felix, ihr Urenkel, guckt nicht in die Kamera, sondern seinem Bruder Alex nach, der kurz vor der Aufnahme aus dem Bild gelaufen ist. Daß ein Blatt des dummen Gummibaumes Onkel Hugos Gesicht verdeckt, ist nicht so schlimm, da er es ohnehin haßt, photographiert zu werden. Tante Anna, ganz rechts in der hinteren Reihe stehend, trägt stolz ihren neuen Hut zur Schau. Der Hut ist leider mitsamt ihrem linken Ohr abgeschnitten. Na ja, kein Mensch ist fehlerfrei.
Beim ersten Betrachten des Bildes fiel mir auf, daß sämtliche Gesichter irgend etwas Unheimliches ausstrahlen. Ich weiß noch immer nicht, was und weshalb. Die roten Augen der abgebildeten Menschen können wohl kaum die Ursache sein, zumal ja jeder Familienangehörige mit den andern Familienangehörigen verwandt ist. Zwar habe ich einmal in einem Lehrbuch der Photographie („Die hohe Kunst derselben in drei Lektionen“) gelesen, daß Personen nicht direkt brutal ins Gesicht geblitzt werden sollte – ja, aber: wozu denn sonst ist ein Blitzgerät gut? Und überhaupt: Wenn ich mir jeden Handgriff lange überlegen wollte – jetzt habe ich den Faden verloren. Ach ja: Wenn ich so photographieren würde, wie manche Zeitungsfritzen ihren täglichen Schreibkram erledigen, dann müßte ich mich bald nach einer andern Tätigkeit umsehen.
Wie bitte? Das Bild ist unscharf? Schauen Sie doch einmal an die Wand hinter den Leuten! Also wenn Sie mein Diplom nicht lesen können, dann putzen Sie gefälligst Ihre Brillengläser!
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