Zufällig finde ich beim Blättern einen Aufsatz von Arno Schmidt, in dem er sich zur Rechtschreibung äußert, und dies sehr eigenwillig; die Typographie ist ebenso AS-typisch:
Gesegnete Majuskeln
Nicht ohne Widerstreben und der Mißdeutung fast gewiß, spreche ich meine Ansichten über Rechtschreibung öffentlich aus; zumindest bitte ich, sich jederzeit gegenwärtig zu halten, daß ich fast von jeder Seite ohne Zögern als Avantgardist eingestuft seit Jahren das vergipste Gravitationszentrum des Gebrauchsdeutschen verlassen habe, und bewußt in den Randgebieten und Bayous unserer Sprache neue Wege suche (oder präziser : bahne). Ich gehe hier also lediglich vom Standpunkt der Pioniers aus, der Worte nicht nur verwendet, um beim Bäckerjungen verständlich seine Morgensemmel zu bestellen; sondern um die Fülle der Erscheinungen linguistisch einzuholen, sie immer überlegener zu benennen (also zu beherrschen !) und Neues sichtbar zu machen. -
Die Großschreibung der Substantive im Deutschen ist nicht nur philosophisch eine Feinheit und ein Vorzug; sondern mir auch handwerklich unerläßlich. Ich schreib einmal ein Beispiel statt vieler etwa so : Winterwälder : sie machten öde Ringe um die aschengrube Welt. Nur durch die im Deutschen mögliche Unterscheidung durch große und kleine Anfangsbuchstaben konnte ich unverwechselbar festlegen, daß ich aschengrube hier als Eigenschaftswort geschehen lassen wollte ! Man schreibe in dem angeführten Satz sämtliche Worte klein : und ich scheine von einer Aschengrube, Welt genannt, zu sprechen was zwar auch einen Sinn ergiebt, aber nicht den von mir gewollten. (Ich weise ausdrücklich darauf hin, daß diese adjektivische Verwendung von Substantiven keine Spielerei darstellt; ein Substantiv ist nämlich bereits ein ganzes Bündel von Eigenschaften und löst vermittels EINES Wortes und also viel rascher, also suggestiver, als mehrere Adjektive dies vermöchten das gewünschte kompliziert=volle Bild im Leser aus).
Außerdem wird durch unsere gesegneten Majuskeln die Orientierung im Satz so sehr erleichtert, daß man, anstatt sie abschaffen zu wollen, lieber den anderen Sprachen ihre Aufnahme anempfehlen sollte.
Eine phonetische Schreibweise lehne ich für mich ebenfalls ab. Einmal, weil man dadurch die meisten Worte gewaltsam von ihrem historischen Ursprung abtrennen, und damit eine Fülle von Reminiszenzen und Assoziationen vernichten würde; zum zweiten, weil man dadurch den Dialekten diesem unschätzbaren Quell= und Grundwasser jeder Sprache den wohl endgültigen Todesstoß versetzen würde (man hat scheinbar an den verheerenden Folgen des drohenden Verlustes unserer Ostdialekte noch nicht genug !); auch könnte man den alten Adelungschen Streit, Was ist Hochdeutsch, beliebig erneuern. -
Andererseits sehe ich sehr wohl ein, daß für das Volk, ob In= oder Ausländer, eine Vereinfachung der Rechtschreibung doch wünschenswert, und im praktischen Gebrauch eine rechte Erleichterung sein könnte; und schlage zur Lösung dieses Dilemmas folgenden Weg vor :
Seit langem schon hat sich durch die immer wachsende Ausdehnung jedes Wissensgebietes zwangsläufig eine Dosierung von Kenntnissen ergeben. Der Volksschüler lernt wohl rechnen; aber daß limes (1 + 1/n) hoch n für n gegen unendlich gleich e ist, weiß er nicht; es interessiert ihn auch nicht, und mit Recht empfindet er dieses Nichtwissen durchaus nicht als Diffamierung. Für jede andere Wissenschaft (und Kunst) gilt dasselbe. In der Wortschrift des Chinesischen etwa, kennt der einfache Mann ein paar hundert Zeichen; das reicht für seine Zwecke der Verständigung und sogar fürs Zeitunglesen aus; den Vorrat für seinen speziellen Beruf erwirbt sich Jeder während der Lehrzeit.
Was hinderte auch uns, ein Tausend-Worte-Lexikon nach einem international vereinbarten phonetischen Schlüssel zu fixieren? Hier könnte ohne Schaden auch die konsequente Kleinschreibung angewendet werden, die ja wohl fürs Druck= und Schreibmaschinenwesen tatsächlich eine Arbeitsersparnis von gewichtigen Prozenten ergäbe. Dadurch würde nicht nur dem Volke geholfen; sondern auch dem Geistesarbeiter speziell natürlich dem Dichter die Stelle angewiesen, die er als Wortspezialist seit langem verdiente. In einer solchen Trennung in reine und angewandte Sprache liegt weder eine Ungerechtigkeit noch ein Grund zur Beschämung; betrachtet sich der Jodler als deklassiert, weil er keine Opernpartitur lesen kann ? Und welche Erleichterung für den Liebhaber von Lore-Romanen : wenn er versehentlich den Faust erwischte, sähe ers sogleich am Druck !
Und umgekehrt !
(Hamburger Anzeiger, 16. August 1954)
Eine schöne Illustration der Vorzüge von Groß- und Kleinschreibung! Andererseits: Weiß jemand, ob der Vorschlag der orthographischen Apartheid wirklich ernst gemeint war? Es klingt mir zu verwegen. Wenn man aber den Lore-Roman gegen die XXX Zeitung oder diverse neue Bücher der Art Tausend tolle Internet-Tipps austauscht, dann stimmt wieder alles...
|