Wilm Herlyn
Nessessär oder Necessaire? (Internet, undatiert, wohl Ende 1998)
Nachrichtenagenturen einigen sich auf Einführung der Rechtschreibreform
Von Wilm Herlyn
Nessessär oder doch Necessaire? Kängeru (sic) mit oder ohne h? Und Sketsch? Wer zieht den kürzeren neu
geschrieben: wer zieht den Kürzeren? Ein wenig Sprach-Babylon empfindet der Ungeübte, der auf die neue
Schreibung von Wörtern schaut. Und noch mehr Pein, wenn er auf der einen Seite das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts zur Rechtschreibereform sieht, auf der anderen Seite den Ausgang des
Volksentscheids in Schleswig-Holstein.
Denn das Bundesverfassungsgericht machte am 14. Juli den Weg für die Einführung der umstrittenen
Rechtschreibreform zum 1. August 1998 frei. Doch versöhnt wurden die zerstrittenen Lager durch diesen Spruch
nicht. Die Richter in Karlsruhe stellten lediglich klar: Notwendigkeit und Inhalt, Güte und Nutzen der
Rechtschreibreform ... können nicht nach verfassungsrechtlichen Maßstäben beurteilt werden. Und: Das
Grundgesetz enthält keine Vorschriften über die sprachwissenschaftlich richtige Schreibung der deutschen
Sprache und die korrekte Gliederung geschriebener Texte durch Satzzeichen.
Das half den Gegnern der Reform herzlich wenig. Und sie müssen zur Kenntnis nehmen, daß das höchste Gericht
keine Einwände dagegen geltend macht, wenn die neuen Regeln wie geplant in Deutschland in Kraft treten. Und
wie Schulen, Behörden, Schulbuch- und Lexikonverlage machen sich die Macht des Faktischen vor sich auch
die Nachrichtenagenturen mit den neuen Regeln vertraut.
Daran ändert auch der Volksentscheid im nördlichsten Bundesland am 27. September wenig. Denn obwohl die
Reformgegner siegten, befand die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Gabriele Behler (SPD): Bis zum
Ende der vereinbarten Übergangsfrist im Jahre 2005 werde sich auch in Schleswig-Holstein einiges wieder
beruhigt haben. Werden aber andere Bundesländer ermutigt, eigene Abstimmungen über die neuen Regeln
herbeizuführen, ist für einige Jahre ein verwirrendes Durcheinander zu befürchten.
Dennoch haben sich die deutschsprachigen Agenturen entschlossen, ein Kompendium für ihre Medienkunden zu
erarbeiten. Darin sollen die Schreibung der Wörter und die neuen Regeln so aufgeführt werden, wie sie die
Agenturen übereinstimmend anwenden wollen. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) spielt in ihrem
angestammten Markt in Deutschland zwar eine dominierende Rolle, wird aber in Übereinstimmung mit ihren
Mitbewerbern ein abgestimmtes Konzept vorlegen. Das ist der eindeutige Beschluß von AFP, AP, ddpADN, epd,
KNA, rtr, sid, vwd, APA (Österreich) und SDA (Schweiz) mit der dpa.
Wenn auch die neue Rechtschreibung noch nicht einmal ein Prozent des gesamten Wortschatzes betrifft, muß
doch Eindeutigkeit und Einheitlichkeit für die Agenturen und vor allem für ihre Kunden herrschen. Denn auch in
den neuen Regeln gibt es noch Grauzonen, verschiedene Schreibweisen also. Wie soll denn Dampfschiffahrt
geschrieben werden? Dampfschifffahrt mit drei f oder Dampfschiff-Fahrt also gekoppelt? Und dies ist nur
einer der einfachen Problemfälle.
Seit Jahren schon bemühen sich die Agenturen um eine einheitliche Schreibung. Immer wieder tauchen neue
Begriffe auf, neue Namen oder Verwirrung, ob sie als Dienstleister ihren Kunden den Nordatlantischen Pakt als
NATO oder Nato anbieten sollen. Darüber entscheidet ein Transkriptionsausschuß, der sich auf Zuruf verständigt
oder bei schwierigerer Problematik auch zur Besprechung zusammenkommt, um das Für und Wider abzuwägen.
In Rechnung gestellt wird aber, daß die tatsächliche Umsetzung noch auf sich warten lassen wird: Die
Redakteurinnen und Redakteure müssen sich auf die neue Schreibung einstellen und sie üben. Vor allem müssen
aber auch die Redaktionssysteme lernen. Nach einer wenn auch nicht vollständigen Befragung von
Print-Chefredakteuren Ende Oktober zeichnet sich ab, daß diese die Einführung nicht vor Sommer kommenden
Jahres wünschen. Darum einigten sich die Agenturen darauf, die neue Schreibung erst zum 1. August 1999
einzuführen. Das bedeutet, daß das Kompendium der Agenturen mindestens ein halbes Jahr vorher
verabschiedet sein muß.
Dr. Wilm Herlyn ist Chefredakteur der Deutschen Presse-Agentur.
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Th. Ickler
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